Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.02.2006

LSG Berlin und Brandenburg: krankenversicherung, abschaffung, beerdigungskosten, vertretung, versicherteneigenschaft, verfassungsrecht, zivilprozessordnung, hauptsache, wahrscheinlichkeit

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 24.02.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 89 KR 363/05
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 B 1219/05 KR PKH
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26.Oktober 2005 wird aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren
vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R J mit Wirkung vom 3. Juni 2005
beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Sterbegeld für die am 7. Februar 2004 verstorbene S D –
mutmaßlich ihre Mutter-, welche unstreitig am 1. Januar 1989 Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen
war. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Januar 2005 unter Hinweis auf die generelle
Abschaffung des Anspruches auf Sterbegeld durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 14. November 2003 (GMG) ab.
In ihrem Widerspruch hiergegen vertrat die Klägerin die Auffassung, die für den Anspruch auf Sterbegeld
maßgeblichen §§ 11 Abs. 1 Satz 2, 58f Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) seien erst zum 1. Januar 2005
wirkungslos geworden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2005 zurück.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 26. Oktober 2005 den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
für die hiergegen erhobene Klage abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Aus der zum 1.
Januar 2004 in Kraft getretenen Aufhebung und Neufassung des siebten Abschnittes des dritten Kapitels des SGB V,
überschrieben mit "Zahnersatz", sowie der zeitgleichen Aufhebung der §§ 11 Abs. 1 Satz 2 SGB V, 21 Abs. 1 Nr. 5
Sozialgesetzbuch, 1. Buch (SGB I) gehe eindeutig hervor, dass der ursprüngliche Anspruch auf Sterbegeld zum 1.
Januar 2004 außer Kraft getreten sei.
In ihrer Beschwerde hiergegen weist die Klägerin u. a. daraufhin, dass zur Abschaffung des Sterbegeldes Verfahren
beim Bundessozialgericht anhängig seien.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Klägerin ist für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe nach § 73 a Abs. 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zu
gewähren.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes soll die Prüfung der Erfolgsaussicht im Rahmen
des § 114 ZPO nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der
Prozesskostenhilfe vor zu verlagern. Dieses darf nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten. Deshalb darf
Prozesskostenhilfe nur verweigert werden, wenn die Klage völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache
zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss
vom 13. Juli 2005 -1 BvR 175/05- veröffentlicht unter www.bverfg.de mit Bezug u. a. auf BVerfGE. 81, 347, 357f).
Von hinreichender Aussicht auf Erfolg ist in Fällen, in denen der Erfolg von der Beantwortung einer bisher ungeklärten
Rechtsfrage abhängt, nicht immer auszugehen, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht
höchstrichterlich geklärt ist. Die Erfolgschancen sind auch dann nur Entfernte, wenn die Beantwortung im Hinblick auf
die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten
Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als schwierig erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2004
– 1 BvR 596/03 – veröffentlicht unter www.bverfg.de unter Bezugnahme auf BVerfGE 81,347,359).
Unter Anwendung dieses verfassungsrechtlich gebotenen Maßstabes ist die Frage einer etwaigen Fortgeltung der §§
11 Abs. Satz 2, 58f SGB V in der am 31. 12. 2003 noch geltenden Fassung auch noch im Jahre 2004 zum
maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife –Oktober 2005- (noch) eine schwierige Rechtsfrage gewesen (vgl.
zum maßgeblichen Zeitpunkt zum Beispiel BVerfGE 78, 88 [PKH-Bewilligung für den Kläger noch nach
Klageabweisung] und BVerfG SozR 4-1500 § 73a Nr. 1 [zur Maßgeblichkeit der Erfolgssaussichten in einem frühen
Verfahrensstand]).
Zwar hat das Bundessozialgerichts mittlerweile im Urteil vom 13. Dezember 2005 -B 1 KR 2/05 R- dargelegt, dass der
Anspruch auf Sterbegeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung mit Inkrafttreten des GMG am 1. Januar 2004
entfallen sei und dass die Abschaffung auch nicht gegen Verfassungsrecht verstoße. Das Bundessozialgericht
befasst sich aber in der genannten Entscheidung über mehrere Urteilsseiten mit einer etwaigen Verfassungswidrigkeit
des GMG in diesem Punkt. Es setzt sich insbesondere eingehend mit einer etwaigen Verletzung von
Vertrauensschutzgrundsätzen auseinander.
Es ist weiter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die weiteren Voraussetzungen der §§ 58,
59 SGB V in der am 31. 12. 2003 noch geltenden Fassung vorgelegen haben (Versicherteneigenschaft der
Verstorbenen vor dem 1. 01.1989, Tragung der Beerdigungskosten durch die Klägerin). Für eine
Erschleichungsabsicht gibt es keinerlei Indizien.
Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint erforderlich, § 121 Abs. 2 ZPO. Hängt der Klageerfolg von der
Klärung schwieriger Rechtsfragen ab, ist die Interessenwahrnehmung durch einen Rechtsanwalt sinnvoll und geboten.
Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die prozessuale Vorgehensweise.
Gegen diesen Beschluss findet die Beschwerde zum Bundessozialgericht nicht statt (§ 177 SGG).