Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.09.2010

LSG Berlin und Brandenburg: rechtliches gehör, rüge, bindungswirkung, beruf, weiterbildung, wiederholung, installateur, wasser, gas, rechtskraft

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 29.09.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 133 AS 3126/09
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 20 AS 1711/10 B RG
Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 08. Juni 2010 im Verfahren L 20 AS 561/10 B PKH wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Anhörungsrüge ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Senat gibt seine Rechtsauffassung (Beschluss
vom 29. September 2008, L 20 B 1606/08 AS PKH [nicht veröffentlicht]; vom 12. Mai 2009, L 20 AS 550/09 B RG
[nicht veröffentlicht]), dass eine Anhörungsrüge gegen eine Entscheidung über einer Beschwerde gegen den die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das sozialgerichtliche Verfahren ablehnenden Beschluss nicht statthaft ist,
weil es sich dabei um eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung im Sinne des § 178 a Abs. 1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz - SGG - handelt, auf. Zwar ist bei Zurückweisung der Beschwerde die Ablehnung des
Prozesskostenhilfeantrages nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbar, weil die Entscheidung des Landessozialgerichts
nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden kann (§ 177 SGG). Der Betroffene ist auch
nicht gehindert, das Verfahren weiterzuführen, welches vor den Sozialgerichten gerichtskostenfrei ist (§ 183 Satz 1
SGG) und es besteht kein Anwaltszwang. Auch ist der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss
nicht der Rechtskraft fähig, eine Wiederholung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe deshalb jederzeit -
nicht nur wenn neue Tatsachen vorliegen oder sich die Rechtslage geändert hat - möglich (vgl. Beschluss des Senats
vom 29. September 2008, L 20 B 1606/08 AS PKH mit weiteren Nachweisen).
Das Gebot des wirkungsvollen Rechtsschutzes welches der Gehörsrüge zugrunde liegt erfordert es jedoch dennoch,
eine Rüge der Gehörsverletzung auch in Zwischenverfahren zu ermöglichen, wenn in diesen Verfahren abschließend
entschieden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann
(BVerfG v. 06. Mai 2010, 1 BvR 96/10, juris, Orientierungssatz 2a). So liegt es bei der der Entscheidung über die
Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe. In einer Endentscheidung ist die Entscheidung im
Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu überprüfen. Zwar ist es dem Kläger möglich, für das weitere erstinstanzliche
Verfahren vor dem Sozialgericht erneut Prozesskostenhilfe zu beantragen. Die den Erstantrag ablehnende
Entscheidung entfaltet für den Zweitantrag auch keine Bindungswirkung. Hinsichtlich des Verfahrens zuvor und die
durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten findet aber keine Prüfung mehr statt.
Prozesskostenhilfe ist frühestens ab Antragstellung, dann also ab der wiederholten Antragstellung möglich, so dass
hinsichtlich des früheren Zeitraums des Verfahrens eine Entscheidung mit Bindungswirkung vorliegt, die nicht in
einem Rechtsmittelverfahren überprüft und auch nicht später im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann
(zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch: BVerfG v. 06. Mai 2010, 1 BvR 96/10).
Die Rüge ist unbegründet.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers durch den Beschluss vom 08. Juni 2010 ist nicht
festzustellen.
Der Kläger trägt mit der Rüge vor, der Senat habe bei seiner Entscheidung vom 08. Juni 2010 übersehen, dass er, der
Kläger, seinem ursprünglichen Beruf als Gas-Wasser-Installateur über vier Jahre "entfremdet" gewesen sei und
insoweit die Beklagte eine Weiterbildung hätte anerkennen müssen. Insoweit hätte die Klage anfänglich Aussicht auf
Erfolg gehabt. Richtigerweise hätte über den PKH-Antrag zeitnah nach Klageerhebung entschieden werden müssen.
Mit dem Vortrag begehrt der Kläger im Kern die Fortführung des Rechtsstreits unter Berücksichtigung eines weiteren
Vortrages. Dies entspricht jedoch nicht dem Zweck der Anhörungsrüge. Sie dient nicht der Fortführung des
Verfahrens, sondern der Überprüfung des verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl.
Beschluss des Bundessozialgerichts BSG vom 08. November 2006 B 2 U 5/06 C , juris). Der Kläger behauptet, der
Senat habe bei der Entscheidungsfindung etwas "übersehen". Der Kläger macht nicht geltend, dass er im Verfahren -
hier das Verfahren über die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe - vorgetragen hat, dass er sich
seinem ursprünglichen Beruf "entfremdet" habe. Ein solcher Vortrag ist nicht erfolgt. Mit den Ausführungen, der Senat
habe "übersehen" macht er damit geltend, dass der Senat diesen Gesichtspunkt, der sich aus dem Sachverhalt
ergeben soll, der dem Klageverfahren zugrunde gelegen hat, nicht bei der Entscheidungsfindung gewürdigt hat.
Eine - vermeintlich - unzureichende Würdigung eines Sachverhalts oder eines Vortrages im Verfahren kann jedoch
nicht zur Begründetheit der Anhörungsrüge führen, denn diese dient nicht der bloßen Fortführung des Verfahrens unter
Berücksichtigung weiterer Wertungen und Gesichtspunkte.
Das Gebot rechtlichen Gehörs erfordert es, dass das entscheidende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten
zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Dagegen verpflichtet Art. 103 Abs. 1
Grundgesetz (GG) das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten auch
zu folgen. Im Rahmen der Verpflichtung zur Erwägung des Vortrages von Beteiligten ist das Gericht ferner nicht
gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen zu befassen. Es muss nur auf das für das
Verfahren wesentliche und nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserhebliche Vorbringen eingehen. Je
umfangreicher das Vorbringen ist, desto stärker besteht die Notwendigkeit, im Rahmen der Entscheidungsbegründung
nur die wesentlichen Fragen abzuhandeln und auf die ausdrückliche Auseinandersetzung mit weniger wichtigen oder
gar abwegigen Fragen zu verzichten (Beschluss des BSG vom 28.09.2006 - B 3 P 1/06 C-, SozR-4 1500 § 178a Nr. 5
m.w.N.).
Danach ist hier nicht erkennbar, in welcher Weise der Senat bei der Entscheidung über die Beschwerde des Klägers
das rechtliche Gehör verletzt haben soll. Der Kläger hatte Gelegenheit, zu seiner Beschwerde vorzutragen und hatte
die Beschwerde mit Schriftsatz vom 31. März 2010 auch begründet. Auf das Vorbringen, dass nach Auffassung des
Klägers hinsichtlich der zu beurteilenden Erfolgsaussichten auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der
Klageerhebung abzustellen gewesen sei (Vortrag im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 31. März 2010), ist der
Senat mit der Entscheidung vom 08. Juni 2010 eingegangen (Gründe Seite 3 ab dem 3. Absatz bis Seite 4), jedoch
nicht mit dem vom Kläger für allein zutreffend erachteten Ergebnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 178 a Abs. 4 Satz 3 SGG und § 177 SGG nicht anfechtbar.