Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.07.2007
LSG Berlin und Brandenburg: aufschiebende wirkung, vollziehung, härte, abgabepflicht, inhaber, bemessungsgrundlage, künstler, hauptsache, scheingeschäft, abrechnung
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 26.07.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 84 KR 2874/06 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 B 540/06 KR ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2006 wird
zurückgewiesen. Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Kosten des Verfahrens auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht zu erstatten. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
1.218,60 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2006 ist
gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das
Sozialgericht den Antrag des Antragstellers abgelehnt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Februar 2006 anzuordnen. Denn dieser Antrag ist gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 SGG zwar zulässig, weil der vom Antragsteller eingelegte Widerspruch gegen den vorgenannten Bescheid, mit
dem er nach den §§ 23 ff. des Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten
(KSVG) für das Jahr 2002 zur Zahlung einer als Künstlersozialabgabe bezeichneten Umlage in Höhe von 2.437,21
EUR herangezogen worden ist, gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Der
Antrag ist jedoch unbegründet, weil das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung ihres
Bescheides nicht überwiegt.
Der Maßstab für die Begründetheitsprüfung ergibt sich in den Fällen der hier vorliegenden Art, in denen die
aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG kraft Gesetzes entfällt, aus §
86 a Abs. 3 Satz 2 SGG. Hiernach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder
Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Beides ist hier nicht der Fall.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers lassen sich hier zunächst keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides feststellen. Denn sie bestehen nur dann, wenn der Erfolg des
eingelegten Rechtsbehelfs nach der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen summarischen Prüfung
wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil sich die Erfolgsaussichten des
Widerspruchs derzeit als allenfalls offen erweisen.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sind die §§ 23 ff. KSVG. Hiernach hat die Antragsgegnerin von den
zur Abgabe Verpflichteten eine Umlage (Künstlersozialabgabe) nach einem Vomhundertsatz der
Bemessungsgrundlage zu erheben. Bemessungsgrundlage der Künstlersozialabgabe sind nach § 25 Abs. 1 Satz 1
KSVG u. a. die Entgelte für künstlerische Werke oder Leistungen, die ein nach § 24 Abs. 1 oder 2 KSVG zur Abgabe
Verpflichteter im Rahmen der dort aufgeführten Tätigkeiten im Laufe eines Kalenderjahres an selbständige Künstler
zahlt, auch wenn diese selbst nach diesem Gesetz nicht versicherungspflichtig sind. Entgelt im Sinne der
vorgenannten Vorschrift ist – soweit nicht besondere, hier nicht einschlägige Ausnahmetatbestände vorliegen – nach
§ 25 Abs. 2 Satz 1 KSVG alles, was der zur Abgabe Verpflichtete aufwendet, um das Werk oder die Leistung zu
erhalten oder zu nutzen, abzüglich der in einer Rechnung oder Gutschrift gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer.
Soweit die Beteiligten im vorstehenden Zusammenhang zu Recht allein darüber streiten, ob die von dem Antragsteller
als Inhaber der Musikproduktionsfirma T an die Mitglieder der Band K für das Projekt H am 6. Juni 2002, 23. Juli 2002
und 13. August 2002 per Banküberweisung gezahlten und von der Antragsgegnerin zugunsten des Antragstellers nur
zur Hälfte der Abgabepflicht unterworfenen Beträge in Höhe von 128.275,86 EUR ohne die darüber hinaus gezahlte
Mehrwertsteuer in Höhe von 20.524,14 EUR dem Entgeltbegriff des § 25 Abs. 2 Satz 1 KSVG zu unterwerfen sind,
lässt sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht mit dem oben dargestellten Wahrscheinlichkeitsgrad
feststellen, dass sich der Antragsteller mit seiner – die vorgenannte Frage verneinenden – Auffassung im
Hauptsacheverfahren durchsetzen wird. Denn wie die Antragsgegnerin und das Sozialgericht zutreffend ausgeführt
haben, sprechen sowohl der neu gefasste Bandübernahmevertrag vom 20. Januar 2001 als auch der Umstand, dass
die in diesem Vertrag unter § 7 vereinbarten Zahlungen dem Antragsteller vereinbarungsgemäß nicht nur unter dem
30. Mai 2002, 1. Juli 2002 und 1. August 2002 in Rechnung gestellt, sondern auch gezahlt worden sind, dafür, dass
hier Aufwendungen im Sinne der vorgenannten Vorschrift vorliegen. Soweit der Antragsteller hiergegen eingewandt
hat, es habe sich bei diesen Zahlungen nur um auf einer Schätzung beruhende und kurze Zeit nach ihrem Erhalt
wieder zurückgezahlte Vorschusszahlungen gehandelt, hinsichtlich derer zwischen ihm und den Mitgliedern der Band
zum Zeitpunkt der Vertragsänderung Einigkeit darüber bestanden habe, dass sie nicht endgültig würden beansprucht
werden können, und die nur deshalb vereinbart worden seien, um die Grundlage dafür zu schaffen, mit der
Gesellschaft mbH () einen – eventuelle Vergütungsansprüche der Band überhaupt erst begründenden –
Wahrnehmungsvertrag schließen zu können, ist dieses Vorbringen auf der Grundlage des derzeitigen
Erkenntnisstandes nicht geeignet, die von dem schriftlichen Vertrag und seiner tatsächlichen Umsetzung ausgehende
Indizwirkung zu widerlegen. Denn abgesehen davon, dass die gezahlten Beträge nach den im Widerspruchsverfahren
eingereichten Unterlagen nicht als überzahlte Vorschüsse zurückgezahlt worden sind, sondern die Bandmitglieder mit
diesen – im Übrigen auch der Höhe nach nicht vollständig deckungsgleichen – Zahlungen Rechnungen des
Antragstellers über Produktionskosten für die Herstellung der Tonträger und Kosten für die Promotion, Werbung, etc.
des Projekts H beglichen haben, muss sich der Antragsteller des Weiteren entgegenhalten lassen, dass sein
Vorbringen auch sonst nicht frei von Widersprüchen ist. So erscheint es schon nicht in sich stimmig, von auf einer
Schätzung beruhenden Vorschusszahlungen zu sprechen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Vertragsänderung Einigkeit
darüber bestanden haben soll, dass mit endgültigen Zahlungen nicht gerechnet werden könne. Zudem steht dem
Vorbringen, es habe Einigkeit darüber bestanden, dass keine endgültigen Zahlungen zu erwarten seien, entgegen,
dass der Antragsteller an anderer Stelle vorgetragen hat, Grundlage der Schätzung seien die Erwartungen gewesen,
die sich mit dem erfolgreichen Auftritt bei der deutschen Vorausscheidung zum Grand Prix Eurovision de la Chanson
im Jahre 2000 verbunden hätten. Und schließlich spricht gegen die behauptete Qualifizierung der Zahlungen als auf
einer Schätzung beruhende Vorschusszahlungen der Umstand, dass die Zahlungen umgehend wieder zurückgezahlt
worden sind, weil Vorschüsse dem bei dieser Verfahrensweise gerade nicht erreichbaren Ziel dienen sollen, die Zeit
bis zur endgültigen Abrechnung zu überbrücken. Vor diesem Hintergrund kann auch die Tatsache, dass die
Bandmitglieder – anders als auf den beiden anderen Rechnungen – auf ihrer Rechnung vom 30. Mai 2002 von einer
Lizenzvorauszahlung gesprochen haben, zu keinem anderen Ergebnis führen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers legen die aufgezeigten Unstimmigkeiten sowie sein weiterer Vortrag,
dass die in Rede stehenden Zahlungen nur deshalb vereinbart worden seien, um die Grundlage dafür zu schaffen, mit
der einen Wahrnehmungsvertrag schließen zu können, hier eher den Schluss nahe, dass der Antragsteller als Inhaber
der Musikproduktionsfirma und die Mitglieder der Band lediglich ein bloßes Scheingeschäft abgeschlossen haben.
Das Vorliegen eines solchen Scheingeschäfts, hätte zwar zur Folge, dass die Zahlungen nicht der Abgabepflicht nach
§ 25 KSVG unterworfen werden dürften. Dass hier ein solches Geschäft vorgelegen hat, lässt sich nach dem
derzeitigen Sach- und Streitstand jedoch noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen. Insoweit
erscheint es vielmehr erforderlich, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wobei – bei entsprechendem Einverständnis
des Antragstellers und der übrigen Bandmitglieder – in erster Linie an eine Beiziehung der Verwaltungsvorgänge der
zuständigen Finanzämter sowie eine Vernehmung der übrigen Bandmitglieder als Zeugen zu denken ist. Die
Durchführung einer solchen Sachaufklärung würde jedoch den Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens
sprengen und muss deshalb dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angegriffenen Bescheides lassen sich bei dieser Sachlage, die eine Entscheidung in die eine wie die andere
Richtung möglich erscheinen lässt, nicht bejahen.
Entgegen seiner Auffassung kann sich der Antragsteller überdies auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die
Vollziehung des angefochtenen Bescheides für ihn eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte im Sinne des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG zur Folge hätte. Soweit er in diesem Zusammenhang allein
auf seinen Antrag Bezug genommen hat, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, lässt
sich aus diesem Antrag und den ihm beigefügten Belegen eine Härte im Sinne der vorgenannten Vorschrift nicht
herleiten. Denn die dortigen Angaben erweisen sich als nicht aussagekräftig, weil den behaupteten Bruttoeinnahmen in
Höhe von durchschnittlich 2.600,- EUR, die im Übrigen durch die eingereichten Steuerunterlagen für bereits
vergangene Jahre nicht belegt werden können, Verpflichtungen in Höhe von ca. 2.470,- EUR gegenübergestellt worden
sind, so dass unklar geblieben ist, aus welchen weiteren Mitteln der Antragsteller seinen sonstigen – sich noch nicht
in den mitgeteilten Verpflichtungen widerspiegelnden – Lebensunterhalt bestreitet. Zudem lässt sich eine unbillige
Härte auch nur dann bejahen, wenn durch die sofortige Vollziehung des angegriffenen Bescheides Nachteile
entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind.
Derartige Nachteile, die z. B. in der Vernichtung oder Gefährdung der beruflichen Existenz zu sehen wären, lassen
sich dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entnehmen und sind auch sonst weder vorgetragen
worden noch ersichtlich.
Da die Beschwerde des Antragstellers nach allem keinen Erfolg haben konnte, musste auch der Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §
114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) abgelehnt werden.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung und folgt dem Ergebnis in der Sache selbst. Die Kostenentscheidung für das
Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 118 Abs.
1 Satz 4 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 des
Gerichtskostengesetzes, wobei der Senat ebenso wie bereits das Sozialgericht den Streitwert angesichts des nur
vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf die Hälfte des sich aus dem angefochtenen
Bescheid ergebenden Streitwert in der Hauptsache festgesetzt hat.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).