Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.03.2006

LSG Berlin-Brandenburg: zumutbare arbeit, wichtiger grund, leichte fahrlässigkeit, freier mitarbeiter, foto, kopie, arbeitsstelle, verfügung, post, arbeitslosigkeit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
18. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 18 AS 1191/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 1 S 1 Nr 1c SGB 2, § 31
Abs 4 Nr 3b SGB 2
Absenkung der Regelleistung; Negativbewerbung
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. März 2006
aufgehoben.
Der Bescheid des Beklagten vom 8. September 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2005 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, das dem Kläger für
die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2005 bewilligte Arbeitslosengeld (Alg) II
um 30 % der maßgebenden Regelleistung (= 345,- €), mithin monatlich um 103,50 €,
abzusenken.
Der 1963 geborene Kläger hatte an der Technischen Universität (TU) B von 1993 bis
1998 Informatik studiert und war anschließend als freier Mitarbeiter bzw. Netzwerk- und
Systemadministrator tätig. EDV-Kenntnisse hat er insbesondere in den
Betriebssystemen UNIX und LINUX. Seit 2002 ist er arbeitslos und bezog bis zum 31.
Dezember 2004 Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit. Seit dem 1. Januar 2005
gewährt ihm der Beklagte Alg II, und zwar für die Zeit ab 1. Juli 2005 in Höhe von
monatlich 755,80 € (Bewilligungsbescheide vom 23. Juni 2005 für die Zeit vom 1. Juli
2005 bis zum 30. November 2005 und für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 31. Mai
2006).
Mit Schreiben vom 7. Juni 2005 unterbreitete der Beklagte dem Kläger einen schriftlichen
Vermittlungsvorschlag mit Rechtsfolgenbelehrung für eine Tätigkeit als
„Fachinformatiker-Systemintegration“ bei dem Hard- und
Softwareberatungsunternehmen O T (im Folgenden: T.) und forderte ihn auf, sich dort
umgehend per E-mail zu bewerben. Hinsichtlich der Anforderungen wurde angegeben:
Fachinformatiker für Systemintegration, Kenntnisse: MS Windows Server 2000/2003,
Exchange Server 2000/2003, Windows 2000/XP Pro (Max OS X), Zertifizierung: MCSE
vorteilhaft, Kommunikationsfähigkeit für persönlichen und telefonischen Kontakt mit
Kunden. T. teilte dem Beklagten unter dem 29. Juni 2005 schriftlich mit, dass sich der
Kläger am 9. Juni 2005 gemeldet bzw. beworben habe, aber nicht eingestellt werde, weil
auf die am 15. Juni 2005 erfolgte Anforderung der Bewerbungsunterlagen bis 29. Juni
2005 keine Reaktion erfolgt sei.
Nach einer Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 1. September 2005 senkte der
Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2005 das dem Kläger gewährte Alg II für die
Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2005 um 30 % der maßgebenden
Regelleistung, d. h. um 103,50 € monatlich, ab und hob seine ursprünglichen
Bewilligungsentscheidungen für den in Rede stehenden Zeitraum gemäß § 48 Abs. 1
Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) insoweit
auf. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die ihm am 7. Juni 2005
angebotene Arbeit als Fachinformatiker nicht angenommen bzw. sich nicht weiter
bemüht, ein Zustandekommen eines entsprechenden Arbeitsverhältnisses zu erreichen.
Die Entscheidung beruhe auf § 31 Abs. 1 und Abs. 6 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung
für Arbeitsuchende - (SGB II).
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe auf den
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Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe auf den
Vermittlungsvorschlag des Beklagten dem T. am 9. Juni 2005 eine Kurzbewerbung per E-
Mail zugeschickt. Der Kläger legte eine Kopie dieser E-Mail vor, die wie folgt lautet:
„Sehr geehrter Herr T,
im Informationssystem habe ich die Stelle als Fachinformatiker/in - Systemintegration
gefunden; ich möchte einmal kurz anfragen, ob die Stelle noch vacant (!) ist.
Kurz zu meiner Person: Ich bin Jahre alt, habe über den Zweiten Bildungsweg an der TU
Berlin Informatik studiert (1993 bis 1998) und mehrjährige Berufserfahrung im Bereich
UNIX (insbesondere Linux, Red Hat), gute Hardware-Kenntnisse sind vorhanden.
Einen MCSE-Schein habe ich allerdings nicht. Für einen kurzen Überblick hefte ich Ihnen
ein Zeugnis aus meiner vorletzten Beschäftigung bei.
Bei Bedarf stehe ich Ihnen gerne für ein ausführlicheres Kennenlern-Gespräch zur
Verfügung, eine aussagekräftige Bewerbungsmappe werde ich Ihnen dann
selbstverständlich vorlegen können.
Mit freundlichen Grüßen“
Der Kläger wies darauf hin, dass T. eine Woche später am 15. Juni 2005 per E-Mail
geantwortet und ihm Gelegenheit eingeräumt habe, seine Bewerbung zu
vervollständigen und die angekündigten Unterlagen nachzureichen. Dies habe er - der
Kläger - am darauf folgenden Tag, dem 16. Juni 2005, schriftlich getan. Der Kläger legte
eine Kopie dieses Schreibens vom 16. Juni 2005 vor, in dem es heißt:
„Bewerbung auf die Stelle
Fachinformatiker/in – Systemintegration
Sehr geehrter Herr T,
gemäß Ihrer E-Mail vom 15. Juni 2005 übersende ich Ihnen hiermit die gewünschten
Unterlagen (siehe Anlage), ein Photo habe ich zurzeit leider nicht zur Hand.
Wie bereits in meiner E-mail vom 9. Juni angemerkt, habe ich keinen MCSE-Schein und
meine Kenntnisse decken sich auch nicht mit den im Stellenangebot des JobCenters
Tempelhof-Schöneberg angegebenen Anforderungen (allesamt Microsoft-Produkte).
Falls Sie dennoch eine Beschäftigungsmöglichkeit für mich im Bereich Linux/UNIX-
Administration oder -Programmierung sehen, stehe ich Ihnen gerne für ein persönliches
Kennenlern-Gespräch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen“
Der Kläger trug weiter vor, dass zwei Wochen später per E-Mail die Absage des T.
gekommen sei, und zwar am 30. Juni 2005; auf die von dem Kläger insoweit eingereichte
Kopie der E-Mail wird Bezug genommen.
Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober
2005).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom
8. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2005
und Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 310,50 € gerichtete Klage mit Urteil
vom 28. März 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei
nicht begründet. Der Beklagte habe das Alg II des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober
2005 bis zum 31. Dezember 2005 gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II i.V. mit § 31
Abs. 6 SGB II zu Recht um 30 % der maßgebenden Regelleistung abgesenkt. Denn das
Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit seiner Bewerbung für die angebotene
Stelle komme der Weigerung, diese Arbeitsstelle anzunehmen, gleich. Ein wichtiger
Grund für das Verhalten des Klägers sei nicht ersichtlich. Die angebotene Arbeitsstelle
habe zu dem Berufsbereich gehört, für den der Kläger ausweislich seines Lebenslaufes
qualifiziert sei. Seine Bewerbung sei jedoch einer so genannten Negativbewerbung
gleichzustellen. Denn schon allein wegen des Inhaltes dieses Schreibens würde jeder
Arbeitgeber den Kläger aus der Auswahl für die Arbeitsstelle ausscheiden (Verweis auf
BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 7 AL 106/02 R = SozR 4-4100 § 119 Nr. 3). Das
Bewerbungsschreiben vom 16. Juni 2005 sei so eindeutig negativ verfasst, dass es einer
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Bewerbungsschreiben vom 16. Juni 2005 sei so eindeutig negativ verfasst, dass es einer
Nichtbewerbung im Sinne eines Nichtabsendens des Schreibens gleichgestellt werden
könne. Der Arbeitgeber habe den Kläger trotz dessen Mitteilung in seiner ersten E-Mail,
über keinen MCSE-Schein zu verfügen, zur Einreichung weiterer Unterlagen aufgefordert.
Anstatt nun, wie es von einem ernsthaft Arbeitsuchenden erwartet werden dürfe, im
nachfolgenden Schreiben einen möglichst guten Eindruck zu erwecken und zum Beispiel
auf umfangreiche Kenntnisse und vieljährige Berufserfahrungen, großes Interesse am
Aufgabenbereich und Bereitschaft zur raschen Einarbeitung in neue Aufgabenfelder
hinzuweisen, habe der Antragsteller seine Schwachstellen noch einmal hervorgehoben.
Er habe dabei keinerlei Bereitschaft signalisiert, sich auf die Anforderungen der konkret
angebotenen Stelle einzulassen, sondern vielmehr alles getan, um den Arbeitgeber
davon zu überzeugen, dass er für diese Stelle ungeeignet sei. Zudem habe er mit seiner
flapsig formulierten Angabe, zur Zeit ein Foto nicht zur Hand zu haben, deutlich
gemacht, dass er sich gar nicht darum bemühe, eine vollständige und ordnungsgemäße
Bewerbung abzugeben. Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, ob der Kläger das
Schreiben vom 16. Juni 2005 überhaupt abgesandt habe. Erreicht habe es den
Arbeitgeber nach dessen Angaben jedenfalls nicht.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung wendet sich der Kläger gegen dieses
Urteil. Er trägt zur Begründung vor: Das SG sei von den Entscheidungen des BSG vom 9.
Dezember 2003 - B 7 AL 106/02 R - und 5. September 2006 - B 7a AL 14/05 R -
veröffentlicht in juris) abgewichen. Das BSG habe in dem von ihm entschiedenen Fall (- B
7 AL 106/02 R -), in dem der dortige Kläger wesentlich deutlicher habe werden lassen,
dass er nicht über die nötige Qualifikation bzw. Berufserfahrung verfüge, deutlich
gemacht, dass dies dennoch nicht als so genannte Negativbewerbung anzusehen sei
und damit auch kein Arbeitsplatzangebot vereitelt worden sei. Er - der Kläger - habe wie
der Kläger in dem vergleichbaren BSG-Verfahren lediglich der Wahrheit entsprechende
Informationen in der Bewerbung mitgeteilt. Wie sich der Antwort des T. auf die
Kurzbewerbung vom 9. Juni 2005 entnehmen lasse, habe offensichtlich auch T. selbst
diese Kurzbewerbung nicht als Negativbewerbung angesehen. Ob dann dem fehlenden
Foto oder dem sonstigen Inhalt der Schreiben tatsächlich Bedeutung zugekommen sei,
hätte das SG durch Einholung einer Auskunft des Arbeitgebers ermitteln müssen. Dem
Schreiben vom 16. Juni 2006, das er mit einfacher Post aufgegeben habe, habe er eine
etwa zehnseitige Bewerbungsmappe beigefügt. Das SG habe auch nicht geprüft, ob ihm
- dem Kläger - zumindest leichte Fahrlässigkeit anzulasten sei (Verweis auf BSG, Urteil
vom 5. September 2006 - B 7a AL 14/05 R -).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. März 2006 und den Bescheid des
Beklagten vom 8. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.
Oktober 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers, mit der dieser seine statthafte isolierte Anfechtungsklage
gegen die in dem angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 8. September 2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2005 verlautbarte
Absenkungsentscheidung weiter verfolgt, ist begründet.
Dabei erstreckt sich die Prüfung des Senats entsprechend dem Begehren des Klägers
(vgl. § 123 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) nur auf die in den angefochtenen Bescheiden
geregelte Absenkungsentscheidung, nicht aber darauf, ob die
Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Alg II in der Person des Klägers für
den in Rede stehenden Zeitraum dem Grunde und der Höhe nach im Übrigen erfüllt
sind. Denn die Bewilligungsbescheide des Beklagten vom 23. Juni 2005 für den
vorliegend streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2005 sind,
soweit sie nicht durch die angefochtenen Bescheide in Höhe des monatlichen
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soweit sie nicht durch die angefochtenen Bescheide in Höhe des monatlichen
Absenkungsbetrages vom 103,50 € aufgehoben worden sind, bestandskräftig und damit
für die Beteiligten und das Gericht bindend (vgl. § 77 SGG; vgl. zur Anfechtung einer
Minderung nach den §§ 37 b, 140 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - SGB III - in der
bis zum 30. Dezember 2005 geltenden Fassung: BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 - B
7a AL 50/05 R = SozR 4-4300 § 37 b Nr. 2 m.w.N.).
Der Beklagte war nicht berechtigt, das dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis
zum 31. Dezember 2005 bewilligte Alg II um 30 % der maßgebenden Regelleistung von
345,- €, mithin um monatlich 103,50 €, abzusenken und die Bewilligungsbescheide vom
23. Juni 2005 insoweit aufzuheben.
Die Absenkungsentscheidung des Beklagten misst sich an § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB
II bzw. an § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II i.V. mit § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III. Nach den
genannten Vorschriften wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB II in
einer ersten Stufe um 30 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB
II maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich
trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen oder
fortzuführen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II). § 31 Abs. 1 SGB II gilt entsprechend bei
einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die im SGB III genannten Voraussetzungen
für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruches auf
Alg begründen. Gemäß der insoweit einzig einschlägigen Regelung in § 144 Abs. 1 Satz 1
und Satz 2 Nr. 2 SGB III ruht der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der
Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund
zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt unter anderem dann vor, wenn der
Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter
Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht
annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen
Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines
Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit bei
Arbeitsablehnung).
Dem Kläger ist vom Beklagten mit Schreiben vom 7. Juni 2005 eine Beschäftigung bei T.
unter Benennung der Art der Tätigkeit schriftlich und hinreichend konkretisiert
angeboten worden. Dem Zweck der Konkretisierungspflicht wird schon dann genügt,
wenn der Arbeitsuchende auf der Grundlage der Angaben im Vermittlungsvorschlag in
die Lage versetzt wird, ein Vorstellungsgespräch mit dem künftigen Arbeitgeber zu
vereinbaren (vgl. zur Bestimmtheit des Arbeitsangebots nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III:
BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 7a AL 14/05 R - veröffentlicht in juris). Die dem
Kläger angebotene Beschäftigung als Fachinformatiker-Systemintegration war diesem
auch im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II zumutbar, und zwar bereits aufgrund
seines beruflichen Werdegangs und seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Netzwerk-
und Systemadministrator. Allgemeine oder personenbezogene Gründe standen der
Zumutbarkeit der angebotenen Beschäftigung nicht entgegen. Ob dem Kläger eine im
Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abs. 6 SGB II zutreffende Rechtsfolgenbelehrung vor
der erfolgten Absenkungsentscheidung erteilt worden ist, kann indes dahinstehen. Denn
es fehlt jedenfalls bereits deshalb an einem kausalen Zusammenhang zwischen dem
Verhalten des Klägers und der Verlängerung der Dauer seiner Arbeitslosigkeit, weil sein
Bewerbungsschreiben vom 16. Juni 2005, das er nach seinen glaubhaften Angaben am
selben Tage mit einfacher Post aufgegeben hatte, den T. - wie dieser dem Beklagten am
29. Juni 2005 mitgeteilt hat - nicht erreicht hatte. Das Bewerbungsschreiben vom 16. Juni
2005 konnte somit gar nicht ursächlich werden für ein bestimmtes Handeln oder
Unterlassen des T. oder des Beklagten, das dann seinerseits zu einer Verlängerung der
Arbeitslosigkeit geführt hätte (vgl. zu diesem Kausalitätserfordernis im Rahmen von §
144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III: BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 7a AL 14/05 R -; BSG
SozR 4100 § 119 Nr. 11).
Das Bewerbungsschreiben vom 16. Juni 2005 kann auch nicht aufgrund seines Inhalts
einer Weigerung, die angebotene Tätigkeit aufzunehmen, bzw. einer Arbeitsablehnung
gleichgestellt werden, bei dem es auf das Erfordernis einer Kausalität im dargelegten
Sinne nicht ankommen würde. Denn das Bewerbungsschreiben vom 16. Juni 2005 ist
nicht so eindeutig negativ abgefasst, dass es, auch ohne den T. erreicht zu haben, einer
Nichtbewerbung im Sinne eines Nichtabsendens des Schreibens gleichgestellt werden
kann.
Der Arbeitsuchende weigert sich auch dann, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen (vgl. §
31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB III) bzw. er nimmt eine angebotene Beschäftigung auch
dann nicht an (vgl. § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II i.V. mit § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III),
wenn er sich in derart unangemessener Form bewirbt, dass diese Bewerbung einer
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wenn er sich in derart unangemessener Form bewirbt, dass diese Bewerbung einer
Nichtbewerbung gleichzusetzen ist (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 7a AL
14/05 R -). Eine derartige Gleichsetzung eines Bewerbungsschreibens mit einer
Nichtbewerbung ist dann gerechtfertigt, wenn ein Bewerbungsschreiben allein schon
wegen seine objektiven Inhalts bzw. seiner Form von Arbeitgebern gemeinhin von
vornherein als unbeachtlich oder offensichtlich unernst gemeint behandelt wird. Dies ist
vor allem dann der Fall, wenn der Inhalt oder die Form des Bewerbungsschreibens so
abschreckend oder widersprüchlich sind, dass der Bewerber schon allein wegen des
Schreibens aus der Auswahl für den Arbeitgeber ausscheidet (vgl. BSG aaO; BSG, Urteil
vom 9. Dezember 2003 - B 7 AL 106/02 R = SozR 4-4100 § 119 Nr. 3 m.w.N.).
Abzustellen ist hierbei auf den objektiven Empfängerhorizont. Danach können Inhalt und
Form des Bewerbungsschreibens vom 16. Juni 2005 nicht als eine „Nichtbewerbung“
gewertet werden. Dies folgt zum einen bereits daraus, dass es dem Arbeitsuchenden
nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn er sich - wie hier der Kläger - auf eine
wahrheitsgemäße Darstellung seiner Berufsbiografie beschränkt. Insoweit hat der Kläger
in dem in Rede stehende Schreiben zutreffend ausgeführt, dass er den - im
Vermittlungsvorschlag lediglich als vorteilhaft bezeichneten - MCSE-Schein nicht besitze
und auch keine einschlägigen Kenntnisse in den im Vermittlungsvorschlag aufgeführten
Betriebssystemen habe. Dennoch hat er auf seine EDV-Kenntnisse in anderen Betriebs-
bzw. Programmierungssystemen hingewiesen und um ein persönliches
Bewerbungsgespräch gebeten, falls der Arbeitgeber dennoch eine
Beschäftigungsmöglichkeit sehe. Damit hat der Kläger aber sein Interesse trotz der nicht
unmittelbar einschlägigen Vorkenntnisse bekundet und die Option offen gehalten, zu
einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.
Das Bewerbungsschreiben enthält insgesamt keinen Gesichtspunkt oder Inhalt, der so
abschreckend oder widersprüchlich wäre, dass der Bewerber schon allein wegen des
Schreibens aus der Auswahl für den Arbeitgeber ausscheiden müsste. Dies gilt
insbesondere auch für den Hinweis des Klägers im Eingangssatz des
Bewerbungsschreibens, wonach er ein Foto „zur Zeit leider nicht zur Hand“ habe. Dieser
- etwas flapsige - Hinweis vermag zwar als solcher und für sich genommen objektiv die
Schlussfolgerung rechtfertigen, das Bewerbungsschreiben sei nicht mit der gebotenen
Ernsthaftigkeit gefertigt worden. Nachteile für den Kläger lassen sich hieraus aber schon
deshalb nicht herleiten, weil ein Foto des Bewerbers bei der Bewertung einer Bewerbung
von vornherein keine Rolle spielen darf. Dies folgt bereits aus § 7 Abs. 1 i.V. mit § 1 des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897).
Danach dürfen Beschäftigte, zu denen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch Bewerber für
ein Beschäftigungsverhältnis zählen, nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes,
d. h. etwa wegen Alters, benachteiligt werden. Ungeachtet dessen, dass das AGG erst
am 18. August 2006 in Kraft getreten ist, waren die dort geregelten Grundsätze auch
schon vor dessen Inkrafttreten zu beachten, und zwar aufgrund der Richtlinie 2000/78/EG
des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die
Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S.
16) und der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.
September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des
Zuganges zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in
Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. EG Nr. L 269 S. 15). Im Übrigen bleibt es einem
Arbeitgeber unbenommen, sich in einem persönlichen Bewerbungsgespräch ein Bild von
dem Bewerber zu machen, der seiner Bewerbung kein Foto beifügt. Ungeachtet dessen,
dass es für die rechtliche Bewertung eines Bewerbungsschreibens auf den objektiven
Empfängerhorizont ankommt, ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der T. trotz der im
Wesentlichen inhaltsgleichen Kurzbewerbung des Klägers vom 9. Juni 2005 diese
Kurzbewerbung nicht als von vornherein unbeachtlich oder offensichtlich unernst
gemeint behandelt hatte. Denn sonst hätte er dem Kläger mit der vorliegenden E-Mail
vom 15. Juni 2005 nicht die Gelegenheit eingeräumt, seine Bewerbung zu
vervollständigen und die angekündigten Unterlagen nachzureichen.
Der Beklagte war somit nicht berechtigt, das dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober
2005 bis zum 31. Dezember 2005 bewilligte Alg II um 30 % der maßgebenden
Regelleistung, mithin monatlich um 103,50 €, abzusenken und die Bewilligungsbescheide
vom 23. Juni 2005 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V. mit § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II
insoweit für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2005 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie umfasst auch die Kosten für das
Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht
vor. Der Sache kommt wegen der bereits vorliegenden höchstrichterlichen
vor. Der Sache kommt wegen der bereits vorliegenden höchstrichterlichen
Rechtsprechung, die der Senat seiner Entscheidung auch zu Grunde gelegt hat, keine
grundsätzliche Bedeutung zu.
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