Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.12.2005
LSG Berlin und Brandenburg: auflage, gesetzesmaterialien, kostenverteilung, absicht, hauptsache, ermessen, rechtsweggarantie, anfechtung, gesetzgebung, nichtigkeit
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 05.12.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 83 KA 194/03
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 7 B 1030/05 KA
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Kostenentscheidung des Sozialgerichts Berlin in dem Beschluss vom 13.
Juli 2005 wird als unzulässig verworfen. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des
Beschwerdegegenstandes wird auf 2.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde, mit der sich die Beklagte gegen die Kostenentscheidung in dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin
vom 13. Juli 2005 wendet, ist unzulässig. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts ist nicht beschwerdefähig.
Nach § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) findet die Beschwerde an das Landessozialgericht gegen die
Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser
Gerichte statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Etwas anderes in diesem Sinne bestimmt hier §
197 a Abs. 1 Satz 1 3. Halbs. SGG. Danach sind die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
entsprechend anzuwenden, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG
genannten Personen gehören. Nach dem aufgrund dieser Verweisung anzuwendenden § 158 Abs. 2 VwGO ist aber
eine Entscheidung über die Kosten unanfechtbar, sofern eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist.
Dies gilt auch für Kostenentscheidungen nach übereinstimmenden Hauptsachenerledigungserklärungen.
Ein solcher Fall ist hier gegeben. § 197 a SGG findet im vorliegenden Fall Anwendung. Die Regelung wurde durch das
6. SGG-Änderungsgesetz (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I 2144) mit Wirkung ab dem 2. Januar 2002
(Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des 6. SGG-ÄndG) eingeführt und gilt für Rechtsstreite, die - wie der vorliegende - ab
dem 2. Januar 2002 rechtshängig geworden sind (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 6. SGG-ÄndG; vgl. Urteil des
Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002 - B 6 KA 73/00 R - = SozR 3-2500 § 135 Nr. 21). Der Rechtsstreit gehört
auch zu den gemäß der Begriffsbestimmung in § 197 a Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. SGG gerichtskostenpflichtigen
Verfahren, da weder die Klägerin noch die Beklagte zu dem in § 183 genannten Personenkreis (Versicherte,
Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren sozialrechtliche
Nachfolger) gehören. Der Rechtsstreit endete auch nicht mit einer Entscheidung der Hauptsache. Die Beteiligten
haben den Rechtsstreit im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 6. April 2005
übereinstimmend für erledigt erklärt.
Soweit in der Rechtsprechung und in der Literatur teilweise vertreten wird, dass nach dem Willen des Gesetzgebers
lediglich die Grundsätze der §§ 154 bis 162 VwGO für die Kostengrundentscheidungen herangezogen werden sollen,
eine Beschränkung der Rechtsbehelfe von Beteiligten in Verfahren nach § 197 a SGG jedoch nicht beabsichtigt
gewesen sei und deshalb eine entsprechende Anwendung des § 158 Abs. 2 VwGO auf gesonderte
Kostenentscheidungen nicht angezeigt sei (Straßfeld in Berliner Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 1. Auflage
2003, § 197 a RdNr. 56; Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25. August 2003 - L 5 B 25/03 KR = Breithaupt
2003, S. 877 ff. und Beschluss des LSG Berlin vom 28. April 2004 - L 6 B 44/03 AL ER -; a.A. Meyer-Ladewig, SGG,
7. Auflage 2002, § 197 a RdNr. 21 und Groß in Hk-SGG, 1. Auflage 2003 § 197 a RdNr. 12) folgt dem der Senat nicht.
Die Aussage der Verweisung in § 197 a Abs. 1 Satz 1 3. Halbs. SGG auf § 158 Abs. 2 VwGO ist eindeutig: Eine
gesonderte Kostenentscheidung ist unanfechtbar. Für eine diese Aussage ins Gegenteil verkehrende Auslegung ist
deshalb hier kein Raum. Dies gilt auch deshalb, weil angenommen werden kann, dass derjenige, wie auch der
Gesetzgeber, der etwas sagen will, die Worte in dem Sinne gebraucht, in dem sie gemeinhin verstanden werden (Karl
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. neubearbeitete Auflage 1991, S. 320).
Zumindest aber bedürfte eine Auslegung entgegen dem ausdrücklichen und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes eines
Hinweises in den Gesetzesmaterialien, dass es nicht in der Absicht des Gesetzgebers lag, mit der Verweisung in §
197 a Abs. 1 Satz 1 3. Halbs. SGG auf die §§ 154 bis 162 VwGO die Beschwerdemöglichkeit gegen isolierte
Kostengrundentscheidungen des Sozialgerichtes auszuschließen. Dass eine solche Absicht des Gesetzgebers nicht
mit hinreichender Deutlichkeit in dem Gesetz Ausdruck gefunden hat, lässt sich ohne einen solchen Hinweis nicht
begründen. Eines solchen Hinweises bedarf es hier auch deshalb, weil der Gesetzgeber den § 161 Abs. 2 VwGO von
der Verweisung ausgenommen (§ 197 a Abs. 1 Satz 2 SGG) und in § 197 a Abs. 2 SGG weitere, das
sozialgerichtliche Verfahren betreffende Sonderregelungen geschaffen hat. Weil aber der Gesetzgeber diese
Ausnahmeregelung und diese Sondertatbestände in das Gesetz aufgenommen hat, ist nicht ersichtlich, warum er
übersehen haben soll, dass er mit der Verweisung in § 197 a Abs. 1 Satz 1 3. Halbs. SGG auf die §§ 154 bis 162
VwGO auch die Beschwerdemöglichkeit gegen eine isolierte Kostengrundentscheidung ausschließt. Ein
entsprechender Hinweis findet sich in den Gesetzesmaterialien jedenfalls nicht. Vor diesem Hintergrund kann dem
Gesetzgeber daher nicht unterstellt werden, sein Wille sei nur unzureichend in dem Gesetz zum Ausdruck
gekommen.
Soweit die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung des § 197 a Abs. 1 Satz 1 3. Halbs. SGG mit einem
Wertungswiderspruch begründet wird, der darin gesehen wird, dass gesonderte erstinstanzliche
Kostengrundentscheidungen in gerichtskostenfreien Verfahren nach § 193 SGG mit der Beschwerde anfechtbar,
gesonderte erstinstanzliche Kostengrundentscheidungen in Verfahren nach § 197 a SGG jedoch unanfechtbar wären
und eine solche Ungleichbehandlung der Beteiligten im Kostenrecht nicht gerechtfertigt sei (Straßfeld in Berliner
Kommentar, a.a.O.), verkennt diese Argumentation die im Verhältnis zu dem Personenkreis des § 183 SGG weniger
ausgeprägte (soziale) Schutzbedürftigkeit des Personenkreises der Gerichtskostenpflichtigen (in diesem Sinne bereits
LSG Berlin, 9. Senat, Beschluss vom 9. Juli 2004 - L 9 B 290/04 KR - zum Krankenversicherungsrecht sowie LSG
Berlin, 7. Senat, Beschluss vom 13. Juni 2005 - L 7 B 14/05 KA zum Vertragsarztrecht).
Die Beklagte kann die Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung des Sozialgerichts auch nicht aus der Behauptung
herleiten, diese sei nicht nur falsch, sondern sogar willkürlich. Selbst eine willkürliche, d.h. gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstoßende Entscheidung eines Gerichts würde diese - vom besonderen, hier nicht vorliegenden Fall der Nichtigkeit
des staatlichen Hoheitsaktes einmal abgesehen - nur rechtswidrig machen. Der Gesetzgeber verletzt weder das ihm
im Rahmen der Gesetzgebung zustehende Ermessen noch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, wenn
er die Anfechtung von Kostenentscheidungen der Sozialgerichte auf den in § 183 SGG genannten Personenkreis
beschränkt, weil nur dieser Personenkreis auch im Hinblick auf die mit der Kostenverteilung verbundenen
wirtschaftlichen Lasten besonders schutzwürdig ist, zumal die Kostenverteilung in Verfahren zwischen nicht zu
diesem Personenkreis gehörenden Beteiligten jedenfalls auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Wertes des Beschwerdegegenstandes folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 des Gerichtskostengesetzes.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).