Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.03.2009
LSG Berlin und Brandenburg: notlage, vergleich, rechtsschutz, zivilgericht, gefahr, erlass
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 23.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 43 AS 29390/08 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 25 B 2138/08 AS ER
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2008 wird
zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG), jedoch nicht
begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, denn die
Voraussetzungen nach § 86b Abs. 2 SGG sind jedenfalls derzeit nicht glaubhaft gemacht. Es fehlt an dem
erforderlichen Anordnungsanspruch, d. h. dem materiell-rechtlichen Anspruch auf Übernahme von
Energielieferungsschulden.
Nach § 22 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) können derartige Schulden übernommen werden,
soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Diese
Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar bestehen seitens der Antragstellerin solche
Energielieferungsschulden; die Antragstellerin ist durch Urteil des Amtsgerichts W vom 27. Februar 2009 verurteilt
worden, einen Gesamtbetrag von 1.717,82 EUR an ihren Energieversorger zu zahlen. Auch wenn das Urteil
möglicherweise noch nicht rechtskräftig ist, ist es derzeit bereits vorläufig vollstreckbar und die Antragstellerin
hierdurch mit einem durchsetzbaren Anspruch belastet.
Indessen fehlt es jedenfalls derzeit an den weiteren Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Die Unterkunft
der Antragstellerin ist nicht gefährdet und vor diesem Hintergrund auch nicht sicherungsbedürftig. Gleichfalls fehlt es
jedenfalls derzeit an einer vergleichbaren Notlage im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Denn die Antragstellerin
ist derzeit nicht der Gefahr einer Stromsperrung oder einer sonstigen vergleichbaren Notlage ausgesetzt. Zwar kann
ein Energieversorger im Grundsatz berechtigt sein, bei bestehenden, insbesondere gerichtlich festgestellten
Stromschulden hierauf mit der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts in Gestalt einer Stromsperrung zu reagieren.
Im Falle der Antragstellerin besteht indessen die Besonderheit, dass sie mit ihrem Energieversorger am 1. April 2008
vor dem Amtsgericht K in dem Verfahren einen Vergleich geschlossen hat, in dem der Energieversorger auf die
Ausübung seines Zurückbehaltungsrechts verzichtete, solange monatliche Raten durch die Antragstellerin in Höhe
von 150 EUR gezahlt werden. Zur Überzeugung des Senats ist der Energieversorger hierdurch derzeit gehindert, eine
Stromsperrung vorzunehmen.
An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass das Amtsgericht W in seinem Urteil vom 27. Februar
2009 ausdrücklich offen gelassen hat, ob der Energieversorger trotz des Vergleichs vom 1. April 2008 zu einer
Stromsperrung berechtigt ist. Denn auf die Beantwortung dieser Frage kam es – wie das Amtsgericht W in seinem
Urteil auch ausdrücklich hervorgehoben hat – in dem Rechtsstreit auf Zahlung der rückständigen
Stromlieferungsentgelte nicht an.
Selbst wenn aber der Energieversorger den Vergleich vom 1. April 2008 dahingehend verstehen sollte, dass er trotz
des Wortlauts des Vergleichs zu einer Stromsperrung berechtigt sei, kann dies noch nicht zu einem Anspruch der
Antragstellerin auf Übernahme von Energieschulden nach § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II führen. Denn in diesem
besonderen Einzelfall, in dem gerade die Auslegung eines vor einem Zivilgericht geschlossenen Vergleichs im Streit
steht, ist es nicht Aufgabe des Trägers der Grundsicherung, die Lösung der zivilrechtlichen Streitfrage dadurch
entbehrlich zu machen, dass er – zur tatsächlichen Abwendung einer Stromsperrung – Energieschulden übernimmt.
Vielmehr muss die Antragstellerin in diesem besonderen Einzelfall zunächst gerichtlichen Rechtsschutz vor den
Zivilgerichten in Anspruch nehmen, um klären zu lassen, ob der Energieversorger tatsächlich berechtigt ist, eine
Stromsperrung vorzunehmen. Erst wenn danach feststehen sollte, dass der Energieversorger zivilrechtlich berechtigt
ist, eine Stromsperrung durchzuführen, kann gegebenenfalls ein Anspruch auf Übernahme der Energieschulden nach
§ 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II in Betracht kommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache
selbst.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten
werden.