Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2008

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 14.03.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 58 AL 803/06
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 4 AL 310/06
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Mai
2007.
Die 1981 geborene Klägerin bewohnt seit dem 1. November 2005 eine eigene Wohnung, für die sie eine Warmmiete
von 415,- EUR zahlt. Ihre Eltern leben mit ihrem 1990 geborenen Bruder zusammen und beziehen Leistungen nach
dem SGB II (Bescheid vom 1. März 2005: vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 monatlich 1326,58 EUR).
Am 9. Dezember 2005 stellte die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung von BAB. Sie hatte zuvor einen Schulvertrag
zur dualen Berufsausbildung zur Reiseverkehrskauffrau mit IHK-Abschluss mit der "Schule für Touristik W GmbH"
geschlossen, wonach sie für die 3-jährige Ausbildung zur Zahlung eines Gesamtpreises in Höhe von 10.727,- EUR,
zahlbar in monatlichen Raten von 315,50 EUR verpflichtet war. Ausbildungsbetrieb war die Firma M & G E R, die eine
Vergütung von 492,- EUR im ersten Ausbildungsjahr, 595,- EUR im zweiten Ausbildungsjahr und 729,- EUR im dritten
Ausbildungsjahr jeweils brutto monatlich gemäß dem abgeschlossenen Berufsausbildungsvertrag zu zahlen hatte.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin zunächst BAB für die Zeit vom 1.
Dezember 2005 bis zum 31. Mai 2007 in Höhe von monatlich 140,- EUR. Hierbei ging sie in dem gesamten Zeitraum
von einem monatlichen Bedarf der Klägerin für den Lebensunterhalt von 507,- EUR zuzüglich Bedarf für Fahrkosten
und sonstige Aufwendungen in Höhe von 59,50 EUR, d. h. von einem Gesamtbedarf von 566,50 EUR aus.
Hiergegen legte die Klägerin am 26. Januar 2006 Widerspruch ein mit der Begründung, die gewährte BAB sei nicht
ausreichend. Sie verfüge über eine Ausbildungsvergütung von derzeit 492,- EUR abzüglich Sozialabgaben in Höhe
von 106,27 EUR, d. h. netto 385,73 EUR, zuzüglich Kindergeld in Höhe von 154,- EUR. Dem stünden monatliche
Ausgaben in Höhe von 315,50 EUR für die Berufsfachschule, die Bruttowarmmiete in Höhe von 415,- EUR, Kosten für
eine Haftpflichtversicherung, die gemäß Mietvertrag erforderlich sei, in Höhe von 77,68 EUR, Stromkosten in Höhe
von 30,- EUR, Kosten für öffentliche Verkehrsmittel in Höhe von 48,50 EUR sowie Lebensunterhaltskosten in Höhe
von 600,- EUR gegenüber. Ihre Eltern seien angesichts des Bezugs von Alg II-Leistungen nicht in der Lage, sie zu
unterstützen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und erläuterte im
Einzelnen die vorgenommene Berechnung, auf die Bezug genommen wird.
Hiergegen hat die Klägerin am 1. März 2006 Klage erhoben. Sie hat zur Begründung ausgeführt, bei dem geringen
Betrag von monatlich 140,- EUR sei sie nicht in der Lage, ihre begonnene Berufsausbildung fortzusetzen, da sie nur
Einnahmen in Höhe von 539,73 EUR habe, denen Ausgaben in Höhe von 1.150,47 EUR gegenüberstünden. Die
Berechnung der Beklagten sei insofern fehlerhaft, als die Ausbildungsvergütung aller drei Ausbildungsjahre, d. h. für
die gesamte Lehrzeit, addiert worden und als Gesamteinkommen zur Errechnung der Höhe des Anspruchs auf Beihilfe
herangezogen worden sei.
Mit Urteil vom 9. Juni 2006 hat das Sozialgericht die auf höhere BAB gerichtete Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Wie im Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2006 zutreffend
dargelegt worden sei, entspreche die Berechnung der BAB den einschlägigen Rechtsvorschriften. Eine
Härtefallregelung, wie die Klägerin sie erwarte, sei für ihren Fall nicht erforderlich, denn die Klägerin hätte die
Möglichkeit, kostenfrei eine adäquate Berufsschule aufzusuchen. Die Bedarfssätze der BAB seien so zugeschnitten,
dass sie eine reguläre Ausbildung gewährleisteten. Für den "Luxus" eines privaten Ausbildungsinstitutes müsse die
Klägerin selbst aufkommen.
Gegen dieses ihr am 3. Juli 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 28. Juni 2006, mit der
sie ihr Vorbringen wiederholt. Soweit das Sozialgericht darauf hinweise, dass sie eine staatliche Berufsschule
besuchen könne, um 315,- EUR Schulgeld zu sparen, sei ihr dies leider nicht möglich gewesen. Sie habe sich bei
vielen Firmen vergeblich um einen Ausbildungsplatz bemüht, so dass sie keine andere Chance gehabt habe. Erst die
private Berufsschule "Schule für Touristik W GmbH" sei in der Lage gewesen, ihr einen Ausbildungsplatz zu
vermitteln.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides
vom 15. Dezember 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2006 zu verurtei- len, ihr
Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von 610,74 EUR monatlich seit dem 1. Dezember 2005 bis zum 31. Mai 2007 zu
bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Die vorgenommene Berechnung der Berufsausbildungsbeihilfe
entspreche den gesetzlichen Bestimmungen. Danach sei für die Anrechnung des Einkommens des Auszubildenden
von den Einkommensverhältnissen im Bewilligungszeitraum auszugehen, d. h. das Gesamteinkommen sei durch die
Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraumes zu teilen. Die vorgenommene Berechnung sei daher nicht zu
beanstanden.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht
keine höhere BAB für die Zeit ab 1. Dezember 2005 zu.
Die Klägerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von BAB nach § 59 SGB III (in der Fassung
des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes – AFRG – vom 24. März 1997 – BGBl. I S. 594). Die berufliche Ausbildung ist
förderungsfähig im Sinne des § 60 Abs. 1 SGB III. Die Klägerin gehört als Deutsche zu dem förderungsfähigen
Personenkreis (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Schließlich erfüllt die Klägerin auch die sonstigen persönlichen
Voraussetzungen des § 64 SGB III; sie ist über 18 Jahre alt und wohnt außerhalb des Haushalts ihrer Eltern (§ 64
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 1 SGB III).
Die Beklagte hat auch im Ergebnis zu Recht den Bedarf für den Lebensunterhalt gemäß § 65 SGB III für die Zeit von
Dezember 2005 bis Mai 2007 mit monatlich 140,- EUR festgesetzt.
Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB III wird bei Unterbringung außerhalb des Haushalts der Eltern bei einer beruflichen
Ausbildung der jeweils geltende Bedarf für Studierende nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) zu Grunde gelegt. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 BAföG in der hier
anzuwendenden Fassung ab 1. Juli 2002 ist ein Betrag von 310,- EUR anzusetzen, der entsprechend § 65 Abs. 1
Satz 2 SGB III nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG um 133,- EUR zu erhöhen ist, da die Klägerin nicht bei ihren Eltern
wohnt. Eine weitere Erhöhung des Bedarfs um 64,- EUR ergibt sich aus § 65 Abs. 1 Satz 2 Zweiter Halbsatz SGB III
i. V. m. § 13 Abs. 3 BAföG, da die tatsächlichen Mietkosten der Klägerin – hier 415,- EUR - den Betrag nach § 13
Abs. 2 Nr. 2 BAföG (133,- EUR) übersteigen. Daraus folgt insgesamt ein Bedarf der Klägerin in Höhe von 507,- EUR
(310,- + 133,- + 64,-). Hinzu kommen die geltend gemachten Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und
Ausbildungsstätte bzw. Schule in Höhe von 48,50 EUR monatlich für eine Monatskarte (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 SGB III),
die von der Beklagten zutreffend berücksichtigt worden sind. Auch eine Pauschale für Arbeitskleidung in Höhe von
11,- EUR monatlich hat die Beklagte nach § 68 Abs. 3 Satz 1 SGB III zu Gunsten der Klägerin in die Berechnung mit
einbezogen. Damit beträgt der berücksichtigungsfähige Gesamtbedarf der Klägerin monatlich 566,50 EUR (507,- +
48,05 +11,-). Entgegen der Auffassung der Klägerin sind dagegen nicht ihre tatsächlichen Mietkosten der
Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen, da dies vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Ebenso wenig können weitere
geltend gemachte Belastungen wie Strom- und Haftpflichtkosten mangels gesetzlicher Grundlage für den Bedarf
herangezogen werden.
Auf den Gesamtbedarf der Klägerin ist ihr Einkommen und das ihrer Eltern in dieser Reihenfolge anzurechnen (§ 71
Abs. 1 SGB III). Nach § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB III gelten für die Ermittlung des Einkommens und dessen Anrechnung
sowie die Berücksichtigung von Freibeträgen grundsätzlich die Vorschriften des Vierten Abschnitts des BAföG mit
den hierzu ergangenen Rechtsverordnungen. Die Ausbildungsvergütung der Klägerin ist danach grundsätzlich als
Einkommen anzurechnen, und zwar in voller Höhe (§ 23 Abs. 3 BAFöG). Allerdings sieht § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2
SGB III abweichend von § 22 Abs. 1 BAFöG vor, dass das Einkommen des Auszubildenden maßgebend ist, das zum
Zeitpunkt der Antragstellung absehbar ist, wobei Änderungen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung zu berücksichtigen
sind. Dem entspricht die von der Beklagten vorgenommene Berechnung nicht, da sie auf das im
Berechnungszeitraum erzielte Gesamteinkommen abstellt und hieraus den Durchschnittsbetrag ermittelt (vgl. auch die
Durchführungsanweisung der Beklagten DA 71.2 B 21.1). Sie hat damit im vorliegenden Fall die vorgesehene
Erhöhung der Ausbildungsvergütung im zweiten Ausbildungsjahr mit einbezogen und bei der Berechnung des
Ausbildungsgeldes von Anfang an, d. h. bereits zu einem Zeitpunkt berücksichtigt, als die Klägerin noch weniger
Ausbildungsvergütung bezog. § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III sieht demgegenüber ausdrücklich eine gesonderte
Berechnung vor (vgl. hierzu auch Fuchsloch in Gagel § 71 SGB III Rdnr. 69 f). Im Fall der Klägerin führt dies jedoch
bei Betrachtung des streitigen Bewilligungszeitraumes nicht zu einer Benachteiligung. Der Bewilligungszeitraum
umfasst 18 Monate (§ 73 Abs. 1 SGB III), wobei jeweils für 9 Monate eine Ausbildungsvergütung in Höhe von zuerst
492,- EUR und anschließend 595,- EUR monatlich gezahlt worden ist, so dass der aus dem Gesamteinkommen
ermittelte monatliche Durchschnittsbetrag zwar in den ersten 9 Monaten zu hoch, jedoch in den zweiten 9 Monaten
entsprechend zu niedrig angesetzt worden ist, so dass die Klägerin nicht beschwert ist. Der Klägerin hätte bei richtiger
gesonderter Berechnung für die ersten 9 Monate (1. Dezember 2005 bis 31. August 2006) Einkommen in Höhe von
4.428,- EUR (9 x 492) abzüglich der Sozialpauschale in Höhe von 21,5 %, d. h. 3.475,98 EUR, angerechnet werden
dürfen. Der monatliche Anrechnungsbetrag wäre demnach 386,22 EUR gewesen (: 9), woraus sich ein monatlicher
ungedeckter Bedarf der Klägerin von 180,28 EUR (566,50 – 386,22) ergeben hätte. Für die zweiten 9 Monate (1.
September 2006 bis 31. Mai 2007) wäre ein Einkommen in Höhe von 5.355,- EUR (9 x 595) abzüglich der
Steuerpauschale in Höhe von 21,5 %, d. h. 4.203,68 EUR, zu Grunde zu legen. Daraus ergibt sich ein monatlicher
Anrechnungsbetrag von 467,08 EUR (: 9), was zu einem monatlichen ungedeckten Bedarf von 99,42 EUR (566,50 –
467,08) führt. Für den gesamten Bewilligungszeitraum bedeutet dies, dass der Klägerin 9 x 180,28 EUR = 1.622,52
EUR und 9 x 99,42 EUR = 894,78 EUR, d. h. insgesamt 2.517,30 EUR, an BAB zustehen. Von der Beklagten hat die
Klägerin demgegenüber für diesen Zeitraum monatlich 140,- EUR erhalten, also insgesamt (18 x 140) 2.520,- EUR, so
dass sie nicht beschwert ist.
Da die Beklagte im Übrigen zutreffend davon ausgegangen ist, dass sich bei der Klägerin ein Anrechnungsbetrag aus
dem Einkommen der Eltern nicht ergibt, da dieses unter dem nach § 25 Abs. 1 BAföG festgelegten Freibetrag von
1.440,- EUR monatlich liegt, ist die BAB im Fall der Klägerin im Ergebnis in der Höhe nicht zu beanstanden. Die
Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).