Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.02.2009
LSG Berlin-Brandenburg: versorgung, ärztliche untersuchung, angina pectoris, versicherungspflicht, altersrente, wohnung, datenbank, teilzeitarbeit, drucksache, begriff
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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
33. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 33 R 1376/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 S 1 Nr 1a SGB 6, § 166 Abs 2
SGB 6, § 4 Abs 2 S 1 SGB 11, §
14 SGB 11, § 19 S 2 SGB 11
Rentenversicherungsversicherungspflicht - Pflegeperson -
Ermittlung der Mindestpflegezeit - Berücksichtigung von über
die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung
hinausgehenden ergänzenden Pflegeleistungen (zB
Behandlungspflege, nicht verrichtungsbezogene Anleitung oder
Aufsicht, soziale Kommunikation oder nicht
verrichtungsbezogene Mobilitätshilfen
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober
2006 wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente nach Teilzeitarbeit.
Der 1944 geborene Kläger, der als Verwaltungsangestellter beschäftigt war und keine
Kinder hat, vereinbarte mit seinem Arbeitgeber eine Altersteilzeitregelung, nach der er
vom 1. April 2000 bis zum 31. August 2002 wöchentlich 38,5 Stunden berufstätig und
vom 1. September 2002 bis zum 31. März 2004 ohne Beschäftigung war.
In dieser Zeit betreute er seine im Jahre 1912 geborene Mutter und seine
schwerbehinderte Schwester. Die Beigeladene holte zur Feststellung der
Pflegebedürftigkeit der Mutter von der Pflegefachkraft W ein Gutachten vom 13. Juni
2003 ein. Die Sachverständige ging von den folgenden pflegebegründenden Diagnosen
aus: Herzinsuffizienz mit Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit und
Herzschrittmacher, Gonarthrose mit Mobilitätseinschränkung, Zustand nach Herzinfarkt,
Angina pectoris, Belastungsdispnoe, Tremor und Stomabeutel. Zum damaligen Umfang
der pflegerischen Versorgung führte die Sachverständige aus, dass die Mutter durch
einen Pflegedienst, den Kläger sowie eine private Haushaltshilfe versorgt werde. Der
Pflegedienst komme dreimal täglich zur Grundpflege und zum Wechsel des
Stomabeutels. Der Sohn erscheine zwei- bis dreimal täglich und übernehme die
hauswirtschaftliche Versorgung, insbesondere die Bereitstellung der Mahlzeiten, sowie
die Begleitung außer Haus und die allgemeine soziale Betreuung. Die private
Haushaltshilfe beteilige sich ebenfalls an der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die
Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass ein täglicher Grundpflegebedarf von 131
Minuten und ein täglicher Bedarf der hauswirtschaftlichen Versorgung im Umfang von 64
Minuten bestünden.
Die geistig behinderte Schwester, deren Betreuer der Kläger ist, war in der Zeit vor und
seit dem 1. September 2002 bis zum 31. Mai 2003 in einer vollstationären Einrichtung
der Behindertenhilfe untergebracht. Vom 1. Juni 2003 bis zum 28. Februar 2004 lebte sie
in einer betreuten Wohngemeinschaft des Diakonie-Wohnstättenwerkes. Ausweislich des
Entwicklungsberichts der Diakonie vom 31. Oktober 2003 wurde der gesamte
Pflegebedarf von den Mitarbeitern der Einrichtung gedeckt. Vom 1. März 2004 bis über
den 31. März 2004 hinaus wohnte sie in einer vollstationären Einrichtung desselben
Trägers. Jedes zweite Wochenende verbrachte sie im Haushalt der Mutter. Dort wurde sie
vom Kläger betreut. Die Beigeladene holte ein Pflegegutachten der Pflegefachkraft G
vom 18. Oktober 2005 ein, die zu dem Ergebnis kam, dass vor dem Hintergrund der
bestehenden frühkindlichen Hirnschädigung mit Intelligenzminderung und einer
Angststörung mit stark reduziertem Antrieb ein täglicher Grundpflege- und
Hauswirtschaftsbedarf im Gesamtumfang von 200 Minuten bestehe.
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Hauswirtschaftsbedarf im Gesamtumfang von 200 Minuten bestehe.
Am 2. Dezember 2003 beantragte der Kläger die Bewilligung einer Altersrente nach
Teilzeitarbeit. Mit einem am 1. Januar 2004 eingegangenen Vordruck gab er an, dass er
seine Mutter und seine Schwester jeweils mehr als vierzehn Stunden wöchentlich pflege.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2004 bewilligte ihm die Beklagte mit Wirkung ab dem 1.
April 2004 eine Altersrente nach Teilzeitarbeit in monatlicher Höhe von 900,67 EUR.
Hierbei wurden keine Anrechnungszeiten für die Zeit vor der Vollendung des siebzehnten
Lebensjahres berücksichtigt. Hinsichtlich der Frage, ob Beitragszeiten wegen der Pflege
der Mutter und der Schwester anzuerkennen seien, wurde darauf hingewiesen, dass die
erforderlichen Ermittlungen noch liefen. Wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der
Altersrente wurde ein verminderter Zugangsfaktor von 0,820 berücksichtigt. Der Kläger
legte hiergegen Widerspruch ein und berief sich dabei auf die Belastung durch die Pflege
seiner Familienangehörigen. Zudem machte er geltend, dass das sechzehnte und
siebzehnte Lebensjahr überhaupt keine Berücksichtigung gefunden hätten.
Am 28. November 2004 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen formell die
Feststellung seiner Versicherungspflicht als Pflegeperson in der gesetzlichen
Rentenversicherung.
Mit Bescheid vom 2. März 2005 nahm die Beklagte eine Neuberechnung der Altersrente
für die Zeit ab dem 1. April 2005 vor, weil sie einen höheren
Krankenversicherungsbeitrag und einen Beitragszuschlag für Kinderlose erhob. Auch
hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Beklagte nahm eine Überprüfung vor
und bestätigte den Bescheid vom 2. März 2005 mit Bescheid vom 21. März 2005.
Mit Bescheid vom 14. April 2005 lehnte die Beklagte die Feststellung der
Versicherungspflicht des Klägers als Pflegeperson und die entsprechende
Berücksichtigung von Beitragszeiten für die Pflege von Angehörigen ab und gab zur
Begründung an, dass in dieser Hinsicht keine Versicherungspflicht bestanden habe, da
die Pflegetätigkeit weniger als vierzehn Stunden wöchentlich umfasst habe.
Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 23. Februar 2004, 2. März 2005, 21. März
2005 und vom 14. April 2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli
2005 zurück.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 16. August 2005 beim Sozialgericht Berlin
eingegangenen Klage gewandt. In der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2006
hat er nur noch geltend gemacht, dass ihm unter Anerkennung seiner
Versicherungspflicht als Pflegeperson in der Zeit vom 1. September 2002 bis zum 31.
März 2004 eine höhere Rente gewährt wird. Im Übrigen hat er seine Klage
zurückgenommen. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Oktober 2006
abgewiesen, das dem Kläger am 3. November 2006 zugestellt worden ist. Mit der am 5.
November 2006 beim Sozialgericht eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger, dessen
Mutter am selben Tag verstorben ist, sein Anliegen weiter. Mit Beschluss vom 19. Juli
2007 hat das Landessozialgericht die Deutsche Angestellten-Krankenkasse als
Pflegekasse beigeladen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2006 aufzuheben und die
Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 23. Februar 2004 in der Gestalt der
Bescheide vom 2. März 2005, 21. März 2005 und vom 14. April 2005 sowie des
Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2005 zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung
einer weiteren Pflichtbeitragszeit vom 1. September 2002 bis zum 31. März 2004 eine
höhere Altersrente nach Teilzeitarbeit zu gewähren.
Die Beklagte und die Beilgeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der
Beklagten und der Beigeladenen sowie die Sozialhilfeakten bezüglich der Schwester des
Klägers, die vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2005 in der Gestalt der
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abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2005 in der Gestalt der
Bescheide vom 2. März 2005, 21. März 2005 und vom 14. April 2005 sowie des
Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2005 ist rechtmäßig.
Soweit sich der Kläger ursprünglich im Wege der Anfechtungsklage dagegen gewandt
hat, dass die Beklagte durch den Bescheid vom 2. März 2005 in der Gestalt des
Bescheides vom 21. März 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2005
nachträglich einen Beitragszuschlag zur sozialen Pflegeversicherung erhoben hat, ist die
Klage in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts zurückgenommen worden, so
dass nur noch die Rentenhöhe streitig ist.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente nach
Teilzeitarbeit aus § 237 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die Beklagte hat die
Rentenhöhe nach Maßgabe des § 64 SGB VI beanstandungsfrei berechnet. Sie hat
insbesondere die zutreffenden rentenrechtlichen Zeiten nach den §§ 54, 55 SGB VI
berücksichtigt.
Soweit der Kläger im Widerspruchsverfahren vorgebracht hat, dass auch seine Schulzeit
vor dem siebzehnten Lebensjahr bei der Rentenberechnung als Anrechnungszeit zu
berücksichtigen sei, steht diesem Begehren § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI entgegen.
Danach sind Anrechnungszeiten solche Zeiten, in denen Versicherte nach dem
vollendeten siebzehnten Lebensjahr höchstens bis zu acht Jahren eine Schule,
Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden
Bildungsmaßnahme teilgenommen haben. Diese Beschränkung unterliegt keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Juli
1984, 1 BvR 1405/83, SozR 2200 § 1259 Nr. 85; Bundessozialgericht, Urteil vom 11.
August 1983, 1 RA 81/82, abrufbar bei der Datenbank Juris).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Versicherungspflicht
des Klägers wegen der Pflege seiner Mutter und seiner Schwester feststellt und den hier
streitigen Zeitraum vom 1. September 2002 bis zum 31. März 2004 als
Pflichtbeitragszeit nach § 55 SGB VI anerkennt.
Hinsichtlich der Zeit bis zum 31. Dezember 2003 fehlt es bereits an dem hierfür
erforderlichen Antrag, da Pflegezeiten erstmals mit dem am 1. Januar 2004
eingegangenen Vordruck geltend gemacht worden sind. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 und
Satz 2 SGB XI erhalten Versicherte die Leistungen der Pflegeversicherung auf Antrag,
wobei die Leistungen ab Antragstellung gewährt werden, frühestens jedoch ab dem
Zeitpunkt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Die Leistungen zur sozialen
Sicherung der Pflegepersonen, die nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI auch die Erbringung
von Beiträgen zur Rentenversicherung umfassen, gehören nach § 28 Abs. 1 Nr. 10 SGB
XI zu den Leistungen der Pflegeversicherung. Damit erfasst das Antragserfordernis auch
diese Leistungen (vgl. BT-Drucksache 12/5262, S. 109, 116; Gürtner im Kasseler
Kommentar, Stand Oktober 2008, § 3 SGB VI Rn 4; § 33 SGB XI Rn 5 ff.). Es bestehen
hier auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Beratungspflichten aus § 7
Abs. 2 SGB XI.
Der Kläger unterlag auch nicht der Versicherungspflicht wegen der Pflege von
Angehörigen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1a SGB VI sind Personen in der Zeit
versicherungspflichtig, in der sie einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14
Sozialgesetzbuch Elftes Buches (SGB XI) nicht erwerbsmäßig wenigstens vierzehn
Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige
Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen
oder einer privaten Pflegeversicherung hat. Diese Versicherungspflicht der
Pflegepersonen in der Rentenversicherung konkretisiert die leistungsrechtliche Vorschrift
des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, wonach die Pflegekassen und die privaten
Versicherungsunternehmen, bei denen eine private Pflegepflichtversicherung
durchgeführt wird, sowie die sonstigen in § 170 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI genannten Stellen
zur Verbesserung der sozialen Sicherung einer Pflegeperson im Sinne des § 19 SGB XI
Beiträge an den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung entrichten,
wenn die Pflegeperson regelmäßig nicht mehr als dreißig Stunden wöchentlich
erwerbstätig ist. Gemäß § 19 SGB XI erhält eine Pflegeperson nur dann Leistungen der
sozialen Sicherung nach § 44 SGB XI, wenn sie eine pflegebedürftige Person wenigsten
vierzehn Stunden wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung pflegt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1a SGB VI sind schon nicht
erfüllt, soweit sich die Schwester des Klägers im streitigen Zeitraum nicht in häuslicher
Umgebung, sondern in einer vollstationären Einrichtung befand, also in der Zeit vom 1.
September 2002 bis zum 31. Mai 2003 und vom 1. März 2004 bis zum 30. März 2004.
Denn der Begriff der häuslichen Umgebung ist als Abgrenzung zu einer vollstationären
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Denn der Begriff der häuslichen Umgebung ist als Abgrenzung zu einer vollstationären
Pflege zu verstehen. Die Annahme einer Pflege in der häuslichen Umgebung ist
demnach ausgeschlossen, wenn es sich bei der Einrichtung, in der sich der
Pflegebedürftige aufhält, um eine zugelassene Pflegeeinrichtung mit stationärer Pflege
handelt (Gürtner im Kasseler Kommentar, Stand Oktober 2008, § 19 SGB XI Rn 10; vgl.
auch BT-Drucksache 12/5262, S. 112).
Der Kläger war im streitigen Zeitraum auch deshalb nicht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1a SGB
VI versicherungspflichtig, da er nicht mindestens wöchentlich vierzehn Stunden eine
pflegebedürftige Person pflegte. Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind Personen pflegebedürftig,
die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für
die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des
täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in
erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der
Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im
Ablauf des täglichen Lebens oder in Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der
eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Nach § 14 Abs. 4 SGB XI sind
gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen: 1. im Bereich der
Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren,
die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte
Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das
selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen,
Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, 4. im Bereich
der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung,
Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Hierbei
werden die ersten drei Bereiche mit dem Begriff der Grundpflege zusammengefasst.
Bei der Berechnung der Mindestpflegezeit von vierzehn Wochenstunden sind nach
Auffassung des Senats nur die genannten Pflegeleistungen im Rahmen der Grundpflege
und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach Maßgabe der §§ 14, 15 SGB XI zu
berücksichtigen(ebenso Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 12. Februar
2002, L 3 P 7/01, abrufbar bei der Datenbank Juris und Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K §
3 ). Soweit sich die Gegenansicht, wonach neben der Grundpflege
und der hauswirtschaftlichen Versorgung auch die ergänzenden Pflegeleistungen (zum
Beispiel Behandlungspflege, nicht verrichtungsbezogene Anleitung oder Aufsicht, soziale
Kommunikation oder nicht verrichtungsbezogene Mobilitätshilfen) einzubeziehen sind
(Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. September 2006, L 4 P 17/03;
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. Juni 2005, L 4 RJ 58/04; jeweils
abrufbar bei der Datenbank Juris; Wagner in Hauck/Wilde, SGB XI, Stand August 2008, §
19 Rn 27; Gürtner im Kasseler Kommentar, Stand Oktober 2008, § 19 SGB XI Rn. 8;
Udsching, SGB XI, 2. Auflage 2000, § 19 Rn 14), auf die ursprüngliche
Gesetzesbegründung zum Begriff der Pflegeperson nach dem SGB XI stützt (vgl. BT-
Drucksache 12/5262, S. 101), vermag das im Ergebnis nicht zu überzeugen. Nach § 44
Abs. 1 Satz 2 SGB XI regeln die §§ 3, 141, 166, 170 SGB VI näheres über den Anspruch
auf Leistungen der sozialen Sicherung. Aus dem Regelungszusammenhang mit § 166
Abs. 2 SGB VI ergibt sich, dass die beitragspflichtigen Einnahmen der nicht
erwerbsmäßigen Pflegepersonen nach Maßgabe der Pflegestufen nach § 15 SGB XI
bemessen werden, bei denen lediglich Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung
berücksichtigt werden. In der späteren Gesetzesbegründung zu § 166 Abs. 2 SGB VI
heißt es, dass nach dem tatsächlichen zeitlichen Pflegeaufwand der Pflegeperson
differenziert werde, wobei sich die unterschiedliche rentenrechtliche Bewertung
desselben Zeitaufwandes in den verschiedenen Stufen dadurch rechtfertige, dass die
tatsächliche (körperliche und seelische) Belastung der Pflegeperson mit zunehmender
Pflegebedürftigkeit steige (BT-Drucksache 12/5952, S. 53 zu Nr. 10). Sollte demnach nur
der tatsächliche Pflegeaufwand der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen
Versorgung im Rahmen der Rentenversicherung berücksichtigt werden, so kann auch bei
§ 3 Abs. 1 Nr. 1a SGB VI nichts anderes gelten. Der Gesetzgeber hat demnach im
Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens nicht an der ursprünglichen
Gesetzesbegründung festhalten wollen. Zudem wird in der Gesetzesbegründung zu der
später erfolgten Neuregelung des § 44 Abs. 1 Satz 3 SGB XI ausgeführt, dass für die in §
166 Abs. 2 SGB VI geforderten Pflegezeiten entsprechende Feststellungen des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erforderlich seien (BT-Drucksache
13/3696, S. 14). Auch daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Pflegezeiten nach §
166 Abs. 2 SGB XI als Maßstab für den Anspruch nach § 44 SGB XI angesehen hat.
Schließlich hat auch das Bundessozialgericht, ohne sich allerdings festzulegen, darauf
hingewiesen, dass § 166 Abs. 2 SGB VI und die dazu gehörende Gesetzesbegründung
gegen die Ansicht, wonach auch ergänzende Pflegeleistungen bei der Berechnung der
Mindestpflegezeit zu berücksichtigen sind, zu sprechen scheinen (vgl. Urteil vom 23.
September 2003, B 12 P 2/02 R, abrufbar bei der Datenbank Juris).
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Nach dieser Maßgabe erreichte der Kläger weder bei seiner Schwester noch bei seiner
Mutter jeweils die Mindestpflegezeit von vierzehn Wochenstunden. Soweit sich die
Schwester in der Zeit vom 1. Juni 2003 bis zum 28. Februar 2004 in einer betreuten
Wohngemeinschaft aufhielt, ergibt sich aus dem Entwicklungsbericht der Einrichtung
vom 31. Oktober 2003, dass der gesamte Pflegebedarf von den Mitarbeitern der
Einrichtung gedeckt wurde. Der Senat hat keine Veranlassung, an diesen Angaben zu
zweifeln. Soweit der Kläger seine Schwester jedes zweite Wochenende in der Wohnung
seiner Mutter versorgt hat, folgt daraus gleichwohl keine Mindestzeit von vierzehn
Stunden (840 Minuten). Ausweislich des Gutachtens der Pflegefachkraft G vom 18.
Oktober 2005, das der Senat für nachvollziehbar und schlüssig hält, bestand ein
täglicher Grundpflege- und Hauswirtschaftsbedarf im Umfang von 200 Minuten. Wenn
man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass dieser Bedarf auch schon im streitigen
Zeitraum bestand, und wenn man für jeden Monat zwei Wochenenden im mütterlichen
Haushalt berücksichtigt, die jeweils grob mit zweieinhalb Tagen veranschlagt werden
können, ergibt sich ein Grundpflege- und Hauswirtschaftsbedarf im Umfang von 1000
Minuten im Monat, also bei dreißig Tagen ein täglicher Bedarf von 33,33 Minuten, was
einen wöchentlichen Bedarf von 233,33 Minuten ergibt, so dass die wöchentliche
Mindestzeit von 840 Minuten unterschritten wird.
Diese Mindestpflegezeit erreichte der Kläger auch nicht bei der Pflege seiner Mutter.
Nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Sachverständigen W vom
13. Juni 2003, dem der Senat folgt, bestand damals ein täglicher Grundpflegebedarf von
131 Minuten und ein täglicher Bedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung
von 64 Minuten. Die Grundpflege und das Wechseln des Stomabeutels wurden vom
Pflegedienst erledigt. Die hauswirtschaftliche Versorgung, wozu auch die Bereitstellung
der Mahlzeiten gehört (Gürtner im Kasseler Kommentar, Stand Oktober 2008, § 14 SGB
XI Rn 17, 20 mit weiteren Nachweisen), übernahm der Kläger, der auch die Begleitung
außer Haus und die allgemeine soziale Betreuung erledigte. Auch eine private
Haushaltshilfe beteiligte sich an der hauswirtschaftlichen Versorgung. Selbst wenn man
unterstellt, dass der Kläger die gesamte hauswirtschaftliche Versorgung alleine
bewältigte, ergibt sich nur eine wöchentliche Pflegezeit von 448 Minuten. Soweit die
Sachverständige im Rahmen des Grundpflegebedarfs keinen Pflegebedarf im
Zusammenhang mit dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung veranschlagt
hat, ist das nicht zu beanstanden. Das Leben des Pflegebedürftigen soll zwar nicht auf
die Wohnung beschränkt bleiben, er soll vielmehr die Möglichkeit zum Verlassen der
Wohnung haben, um Ärzte, Krankengymnasten, Sprachtherapeuten, Apotheken oder
Behörden aufzusuchen. Berücksichtigungsfähig sind jedoch nur solche Verrichtungen
außerhalb der Wohnung, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause
unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig
machen (Gürtner im Kasseler Kommentar, Stand Oktober 2008, § 14 SGB XI Rn 19 mit
weiteren Nachweisen). Die Notwendigkeit derartiger Verrichtungen ist hier nicht
ersichtlich. Soweit eine ärztliche Untersuchung erforderlich war, konnte die Mutter einen
Hausbesuch des Arztes in Anspruch nehmen.
Soweit sich der Kläger schließlich dagegen wendet, dass die Beklagte einen auf 0,820
geminderten Zugangsfaktor anstelle des Zugangsfaktors von 1,0 berücksichtigt hat,
steht diesem Begehren § 237 Abs. 3 in Verbindung mit der Anlage 19 SGB VI in der
Fassung des Art. 1 Nr. 76 und Nr. 133 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16.
Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998) und mit § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) SGB VI
in der Fassung des Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) entgegen.
Nach der zuletzt genannten Vorschrift ist der Zugangsfaktor bei Renten wegen Alters,
die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003
niedriger als 1,0. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist diese
gesetzliche Neuregelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da sie zur
Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt war
(Beschluss vom 11. November 2008, 1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05, 1
BvL 7/05, abrufbar bei der Datenbank Juris). Nach dieser Maßgabe musste die Beklagte
von einem auf 0,820 verminderten Zugangsfaktor ausgehen, da der Kläger sechzig
Kalendermonate früher in den Ruhestand getreten ist.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Klägers beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Beantwortung der
Frage, nach welchem Maßstab die Mindestpflegezeit des § 3 Abs. 1 Nr. 1a SGB VI zu
berechnen ist, grundsätzliche Bedeutung hat.
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