Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 02.12.2005
LSG Berlin und Brandenburg: eheähnliche gemeinschaft, wohngemeinschaft, wohnung, miete, einfamilienhaus, rente, bad, erlass, darlehen, auto
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 02.12.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Neuruppin S 14 SO 27/05 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 23 B 1071/05 SO ER
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 4. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung
von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -, nämlich die Übernahme von Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträgen.
Der 1934 geborene Antragsteller bezog ab Mitte 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz -
BSHG -. Ein Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz lehnte der Antragsgegner mit
Bescheid vom 18. September 2003 wegen fehlender Mitwirkung ab. Die Bedürftigkeitsprüfung habe nicht erfolgen
können, da das Einkommen seiner Vermieterin und Mitbewohnerin der seit Jahren bestehenden Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft nicht angegeben worden sei.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2004
zurück. Der Antragsteller verfolgte sein Anliegen zunächst mit einer hiergegen gerichteten Klage vor dem
Verwaltungsgericht Potsdam weiter. Wegen Nichtbetreibens des Verfahrens über eine Dauer von über zwei Monaten
stellte das Verwaltungsgericht Potsdam mit Beschluss vom 1. Juli 2005 fest, dass diese Klage als zurückgenommen
gilt, und stellte das Verfahren ein.
Am 11. April 2005 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Potsdam beantragt, den Antragsgegner im Rahmen
des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, "seinen Krankenkassenbeitrag von 124,50 EUR zu übernehmen".
Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Potsdam an das Sozialgericht Neuruppin verwiesen. Der Antragsteller hat
vorgetragen, mit seiner Vermieterin lediglich eine Wohngemeinschaft zu bilden, mit ihr aber nicht in eheähnlicher
Gemeinschaft oder in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzuleben.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Der Antragsteller wohne seit Jahren mit seiner
Vermieterin in einem Einfamilienhaus zusammen. Im Dezember 1996 habe er dem Sohn seiner Vermieterin ein
Darlehen von 47.873,42 DM gewährt, das nie zurückgezahlt worden sei. Wegen fehlender Angaben zum Einkommen
und Vermögen der Vermieterin habe er den Antrag auf Grundsicherungsleistungen abgelehnt.
Mit Beschluss vom 4. Oktober 2005 hat das Sozialgericht Neuruppin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller habe das Vorliegen eines Anspruchs nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die
aktenkundigen Indizien sprächen für das Vorliegen einer Lebenspartnerschaft mit seiner Vermieterin, so dass deren
Einkommen und Vermögen mit zu berücksichtigen sei. Für das Vorliegen einer Lebenspartnerschaft spreche das seit
Jahren bestehende Zusammenwohnen, zunächst in einer Wohnung, dann in einem Einfamilienhaus. Der Antragsteller
verfüge dabei nicht über eine abgeschlossene Wohnung, sondern bewohne nach seinen Angaben ein Zimmer im
Erdgeschoss und ein Zimmer im Keller unter gemeinsamer Benutzung von Küche und Bad. Für das Bestehen einer
engeren Gemeinschaft als in einer Wohngemeinschaft spreche auch, dass der Antragsteller bis April 2005 über kein
eigenes Konto verfügte und seine Rente auf das Konto seiner Vermieterin eingezahlt wurde. Weiterhin spreche dafür,
dass er die Zahlung von 300,00 EUR Miete angebe, vertraglich aber mehr schulde. Eine Bedürftigkeitsprüfung des
Antragstellers sei nicht durchführbar, da er keine Angaben zu Einkommen und Vermögen seiner Partnerin mache. Da
der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, habe der Antragsgegner die Leistungen zu Recht
versagt. Der diesbezügliche Bescheid sei mit der Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens
bestandskräftig geworden. Darüber hinaus dürfte die Kreditgewährung im Jahre 1996 an den Sohn seiner Vermieterin
einen Ausschlussgrund gemäß § 41 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - darstellen.
Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 19. Oktober 2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht
abgeholfen hat. Zur Begründung gibt der Antragsteller an, dass mit seiner Vermieterin eine reine Wohngemeinschaft
bestehe und diese nicht verpflichtet sei, Auskunft über ihr Einkommen oder ihre finanzielle Lage zu geben. Er
bewohne zwei Zimmer, einen Schlafraum und einen Raum, in dem er sich tagsüber aufhalte. Er habe eine eigene
Toilette und teile sich das Bad und die Küche mit seiner Vermieterin. Das deren Sohn gewährte Darlehen von
47.873,42 DM zur Entrichtung fälliger Steuern könne dieser ihm nicht mehr zurückzahlen. Er habe zum damaligen
Zeitpunkt nicht wissen können, dass dieser in die Pleite getrieben werde. Ein eigenes Konto habe er deswegen nicht
besessen, weil man ihm dieses sonst gesperrt hätte. Es sei ihm nicht möglich, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren,
wenn er neben der Miete auch die Krankenkassenbeiträge zu entrichten habe. Er habe nur eine monatliche Rente von
529,20 EUR.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 4. Oktober 2005 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig seine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von 124,50 EUR
monatlich zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die
Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (zwei Halbhefter), insbesondere auf den darin enthaltenen
Hausbesuchsbericht vom 27. November 2002 sowie den Vermerk über eine Vorsprache im Sozialamt am 14. Februar
2005, Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheinen. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend
gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG in Verbindung mit
§§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -). Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Entscheidung.
Es kann dahingestellt bleiben, ob einem Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Übernahme von Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträgen gemäß §§ 41, 42 Nr. 4 SGB XII bereits die Bestandskraft des auf die fehlende
Mitwirkung (§ 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) gestützten Bescheids über die Ablehnung von Leistungen
nach dem Grundsicherungsgesetz entgegensteht. Denn es fehlt jedenfalls deswegen an der Glaubhaftmachung eines
Anordnungsanspruches durch den Antragsteller, weil dieser bisher nicht glaubhaft gemacht hat, dass er bedürftig ist.
Er hat nämlich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der mit ihm zusammenlebenden Frau Sch (im
Folgenden "Frau Sch."), die gemäß §§ 20, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in die Bedarfsberechnung einzubeziehen sind,
nicht offenbart. Hierzu war er jedoch verpflichtet, denn nach dem Gesamtbild der feststellbaren Indizien muss von
einer eheähnlichen Gemeinschaft des Antragstellers mit Frau Sch. ausgegangen werden.
Eine "eheähnliche Gemeinschaft" im Sinne des § 20 SGB XII liegt nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (zur Vorgängervorschrift § 122 BSHG) dann vor, wenn sie als eine auf Dauer angelegte
Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft
hinausgeht und von den Partnern einer solchen Gemeinschaft gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen
des Lebens erwartet werden kann (BVerwGE 98, 195). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bedarf einer
umfassenden Würdigung aller Umstände des einzelnen Falles und ist vorliegend zu bejahen. Neben den im
Wesentlichen bereits vom Sozialgericht dargelegten und gewürdigten Umständen des seit Jahren bestehenden
Zusammenwohnens, zunächst in einer Wohnung, seit 1998 in einem Einfamilienhaus, in dem der Antragsteller nicht
über eine abgeschlossene Wohnung verfügt, der Benutzung des Kontos der Frau Sch. durch den Antragsteller, der
Zahlung von 300,00 EUR Miete, obwohl vertraglich mehr geschuldet wird, sowie des Umstandes, dass der Mietvertrag
über den Beginn eines Mietverhältnisses am 1. August 1998 vom 9. September 2002 datiert, sprechen die folgenden
weiteren Indizien dafür, dass das Zusammenleben des Antragstellers mit Frau Sch. über eine reine Haushalts- und
Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Ausweislich eines Vermerks über ein Gespräch des Antragstellers beim
Sozialamt am 14. Februar 2005 bezeichnete der Antragsteller Frau Sch. und sich wiederholt mit "wir" ("Wir brauchen
das Geld.", "Das zahlen wir dann schon wieder zurück.") und soll ferner angegeben haben, mit Frau S. zusammen
den Feuerwehrball zu besuchen. Anlässlich eines Hausbesuches im November 2002 wurde festgestellt, dass der
Antragsteller ein Auto fährt, das angeblich Frau S. gehört, aber auf den Namen des Antragstellers zugelassen war.
Sowohl anlässlich des Hausbesuches im Jahre 2002 als auch bei der Vorsprache im Sozialamt im Februar 2005 und
Sowohl anlässlich des Hausbesuches im Jahre 2002 als auch bei der Vorsprache im Sozialamt im Februar 2005 und
im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam gab der Antragsteller an, dass Frau S. seine Räume reinige,
"einige Gänge" für ihn erledige und ihm einige Gefälligkeiten abnehme, so dass er keine Ansprüche auf
Pflegeleistungen geltend zu machen brauche. Auch der Umstand, dass der Antragsteller im Jahre 1996 dem Sohn der
Frau Sch. einen erheblichen Geldbetrag zur Deckung von Steuerschulden geliehen hat, für dessen Rückzahlung er -
angeblich wegen Aussichtslosigkeit - keine Anstrengungen unternimmt, spricht für eine enge Beziehung zwischen
dem Antragsteller und Frau Sch. im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Der Vielzahl dieser
Indizien kann der Antragsteller nicht mit Erfolg mit der bloßen Behauptung begegnen, mit seiner Vermieterin bestehe
eine reine Wohngemeinschaft.
Ob daneben die Darlehensgewährung in Höhe von 47.873,42 DM an den Sohn der Frau Sch. im Jahre 1996 grob
fahrlässig die Bedürftigkeit des Antragstellers herbeigeführt hat und er somit gemäß § 41 Abs. 3 SGB XII keinen
Anspruch auf Leistungen hat, kann dahinstehen.
Nach alledem hat das Sozialgericht zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).