Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2006

LSG Berlin und Brandenburg: verwaltungsakt, zivilprozessordnung, auszahlung, gesetzesmaterialien, ausnahme, wahrscheinlichkeit

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 09.01.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 91 AS 10133/05 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 5 B 1371/05 AS ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2005 wird
zurückgewiesen. Der Antrag vom 03. Januar 2006 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwalt B wird abgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2005 ist
gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht
hat seinen am 24. Oktober 2005 bei Gericht gestellten sinngemäßen Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld II zu gewähren, ohne dabei Kindergeld als Einkommen
zu berücksichtigen, zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht
werden. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Zur Überzeugung des Senats hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es kann nicht
davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin im Klageverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu
verurteilt werden wird, ihm Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu gewähren, ohne
dabei das Kindergeld für seine 1984 geborene Tochter N H als Einkommen zu berücksichtigen.
Der Antragsteller ist unstreitig anspruchsberechtigt nach dem SGB II und hat dementsprechend Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes zu erhalten. Bei der Leistungsgewährung ist indes nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II
Einkommen zu berücksichtigen. Welches Einkommen zu berücksichtigen ist, regelt § 11 SGB II. Nach dessen
Absatz 1 Satz 1 sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen. Hierzu
zählt auch das Kindergeld, das der Antragsteller für seine volljährige Tochter N H beansprucht. Denn aus § 11 Abs. 1
Sätze 2 und 3 SGB II folgt, dass lediglich das Kindergeld, das für minderjährige Kinder gewährt wird, diesem Kind als
Einkommen zuzurechnen ist, soweit es bei ihm zur Sicherung des Lebensunterhaltes benötigt wird. Bei volljährigen
Kindern ist dies hingegen gerade nicht der Fall. Bei diesen bleibt es bei dem schon zum früheren
Bundessozialhilfegesetz zuletzt vom Bundesverwaltungsgericht angenommenem Grundsatz, dass für ein volljähriges
Kind gewährtes Kindergeld Einkommen nicht des Kindes, sondern des Anspruchsberechtigten ist. Der Senat nimmt
insoweit auf die ausführlichen Darlegungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 17. Dezember 2003
(5 C 25/02, NJW 2004, 2541 f.) Bezug. Die dortigen Ausführungen haben beim begehrten Bezug von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gleichermaßen Bedeutung und überzeugen den Senat (vgl. auch
Beschluss des LSG Celle vom 15.06.2005 – L 8 AS 118/05 ER -, zitiert nach juris). Soweit der
Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers behauptet, die dortigen Ausführungen seien auf das hiesige Verfahren
nicht zu übertragen, geht dies offensichtlich fehl. Zum einen ist es gänzlich unerheblich, ob die Rechtsfrage im
Rahmen eines Leistungs-, oder aber Erstattungsstreits zu klären war bzw. ist. Zum anderen hat das
Bundesverwaltungsgericht die Geltung seiner Rechtsausführungen - entgegen dem Vortrag des
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers - für die Rechtslage unter dem SGB II und dem Zwölften Buch des
Sozialgesetzbuches gerade nicht ausgeschlossen. Denn einmal ganz abgesehen davon, dass das
Bundesverwaltungsgericht im Jahre 2003 nicht über Rechtsfragen entscheiden könnte, die sich zum einen aus erst im
Jahre 2005 in Kraft tretenden Gesetzen ergeben und für die zum anderen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten
eröffnet ist, hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich darauf hingewiesen, dass nach der – inzwischen tatsächlich
aktuellen Rechtslage – die Zurechnung von Kindergeld für minderjährige Kinder abweichend – insoweit aber eben
gerade als Ausnahme von dem sonstigen Grundsatz – vorgenommen wird. Warum im Übrigen der Wortlaut des § 11
Abs. 1 SGB II dem Willen des Gesetzgebers widersprechen sollte, erschließt sich dem Senat nicht. Im Gegenteil hat
sich der Gesetzgeber gerade genötigt gesehen, die – sys¬temwidrige - Einkommenszurechnung im Falle des
minderjährigen Kindes durch die Gesetzesmaterialien (BT-Dr. 15/1516, 53) zu rechtfertigen.
Dass der Antragsteller das Kindergeld zunächst an seine Tochter weitergereicht hat und dieses inzwischen von der
Kindergeldkasse direkt an die Tochter ausgezahlt wird, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Wenn der Antragsteller
möchte, dass nicht er, sondern seine Tochter das Kindergeld als Einkommen erhält, steht es ihm frei, gemäß § 74
des Einkommenssteuergesetzes (EStG) bzw. § 48 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches zusammen mit dieser
eine Abzweigung an diese zu veranlassen. Der Senat geht davon aus, dass dies bisher nicht geschehen ist, sondern
durch die Kindergeldkasse lediglich faktisch eine Auszahlung an die Tochter erfolgt. Denn dass hier nach Prüfung der
Unterhaltsverpflichtungen über die Abzweigung des Kindergeldes durch Verwaltungsakt entschieden worden wäre, ist
weder ersichtlich noch durch den anwaltlich vertretenen Antragsteller vorgetragen. Im Gegenteil hat der
Verfahrensbevollmächtigte lediglich angegeben, dass die Voraussetzungen für eine Abzweigung nach § 74 EStG
vorlägen. Warum ein entsprechender Antrag dann – angesichts der dort bekannten Ausführungen des
Bundesverwaltungsgerichts und der zutreffenden Hinweise der Antragsgegnerin – nicht gestellt wird, ist nicht
nachzuvollziehen.
Nach alledem war auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem
Landessozialgericht unter Beiordnung von Rechtsanwalt B vom 03. Januar 2006 mangels hinreichender
Erfolgsaussicht des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abzulehnen (§ 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).