Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.05.2005

LSG Berlin-Brandenburg: haushalt, wichtiger grund, pfändung, heizung, leistungsfähigkeit, erlass, wohnung, arbeitsgemeinschaft, deckung, stiefvater

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 14 B 48/05 AS ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 9 Abs 2 S 1 SGB 2, § 9 Abs 2 S
2 SGB 2, § 9 Abs 2 S 3 SGB 2, §
9 Abs 5 SGB 2, § 11 Abs 1 S 3
SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Hilfebedürftigkeit -
Bedarfsgemeinschaft - Einkommensberücksichtigung -
Kindergeld
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2005 wird geändert. Die
Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den
Antragstellern zu 3) und 4) für den Zeitraum vom 21. März 2005 bis zum Vorliegen einer
rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 21. September
2005, jeweils 249,50 Euro monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der
Antragsteller zu tragen. Den Antragstellern wird für das Verfahren vor dem
Landessozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt T. S., ,
beigeordnet. Raten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende.
Die Antragsteller zu 1) bis 4) leben in einem gemeinsamen Haushalt. Die Antragsteller
zu 3) und 4) sind minderjährige Kinder der Antragstellerin zu 2), die am 28. Januar 2005
den Antragsteller zu 1) geheiratet hat. Zum Haushalt gehören noch eine volljährige
Tochter der Antragstellerin zu 2) und eine weitere, von den Antragstellern als
Untermieter bezeichnete Person.
Der Antragsteller zu 1) beantragte am 4. Februar 2005 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II). Er gab an,
selbst Arbeitseinkommen zu erzielen, und legte eine Gehaltsabrechnung für Dezember
2004 vor, wonach von einem Bruttogehalt von 2.716,42 Euro 1.434,34 Euro netto
ausgezahlt wurden. Abgezogen wurden neben Steuer, Sozialversicherung und Jobticket
ein als "Pfändung" bezeichneter Betrag von 190,- Euro. Weiter gab der Antragsteller zu
1) an, dass Anspruch auf Kindergeld in Höhe von 462,- Euro bestehe. Die Antragstellerin
zu 2) habe kein Einkommen, sie sei "ausgesteuert". Auch die Antragsteller zu 3) und 4)
seien ohne Einkünfte und besuchten eine Schule. Ihr Vater zahle keinen Unterhalt. Die
Antragsteller zu 2) bis 4) hätten bis Dezember 2004 Leistungen der Sozialhilfe erhalten.
Die Kosten für Unterkunft und Heizung würden 765,- Euro monatlich betragen. Ein
Antrag auf Wohngeld sei vom Bezirksamt mit Bescheid vom 22. Dezember 2003
abgelehnt worden.
Durch Bescheid vom 8. Februar 2005 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Der
Antragsteller zu 1) sei nicht hilfebedürftig. Die aus den Antragstellern zu 1) bis 4)
bestehende Bedarfsgemeinschaft habe in den rechnerisch für den Antragsmonat zu
berücksichtigenden 26 Tagen einen Gesamtbedarf von 1.459,46 Euro gehabt. Diesem
stehe ein Gesamteinkommen von 1.590,29 Euro gegenüber, das sich aus dem für
denselben Zeitraum zu berücksichtigenden Erwerbseinkommen des Antragstellers zu 1)
und dem Kindergeld zusammensetze.
Dagegen legte der Antragsteller zu 1) am 7. März 2005 Widerspruch ein. Es gehe um die
Kinder, die nicht seine eigenen seien und für die er nicht zahlen werde. Er selbst wolle
keine Leistungen. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch zurück
(Widerspruchsbescheid vom 12. April 2005). Die Antragsteller zu 1) bis 4) gehörten einer
Bedarfsgemeinschaft an. Es sei davon auszugehen, dass die Angehörigen einer
Bedarfsgemeinschaft zusammen wirtschafteten und füreinander einstünden. Deswegen
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Bedarfsgemeinschaft zusammen wirtschafteten und füreinander einstünden. Deswegen
würden Einkommen und Hilfebedarf für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
gemeinsam ermittelt. Danach sei die Entscheidung nicht zu beanstanden.
Bereits am 21. März 2005 haben die Antragsteller zu 1) bis 4) bei dem Sozialgericht
Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der die Antragsgegnerin
verpflichtet werden sollte, den Antragstellern zu 2) bis 4) laufende Leistungen zum
Lebensunterhalt zu gewähren. Das Einkommen des Antragstellers zu 1) dürfe nicht dazu
führen, die Bedürftigkeit der Antragsteller zu 2) bis 4) zu mindern. Die Antragsteller zu 3)
und 4) seien Kinder aus einer vorherigen Ehe der Antragstellerin zu 2). Noch im
Dezember 2004 seien an die Antragsteller zu 2) bis 4) Sozialhilfeleistungen in einer
Gesamthöhe von 901,25 Euro gezahlt worden. Der Antragsteller zu 1) habe erhebliche
Kreditverbindlichkeiten, zu deren Tilgung monatlich 355,- Euro von seinem
Arbeitseinkommen abgeführt würden. Er sei auch Vater eines im Juli 1990 geborenen
Sohnes, für dessen Unterhalt er bis März 2005 monatlich 324,- Euro gezahlt habe. Das
danach zur Verfügung stehende Einkommen reiche nicht aus, um die im Haushalt
anfallenden Ausgaben zu bestreiten, zumal auch die volljährige Tochter der
Antragstellerin zu 2) unterstützt werden müsse. Das SGB II sehe keine Unterhaltspflicht
für Stiefkinder vor. Dies habe bereits das Sozialgericht (SG) Aurich (Hinweis auf
Beschluss vom 8. Februar 2005 – S 25 AS 2/05 ER - ) und früher für das Sozialhilferecht
das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden (Hinweis auf Urteil vom 26.
November 1998 – 5 C 37/97 - ). Der Antragsteller zu 1) hat eine Verdienstbescheinigung
für den Monat Februar 2005 vorgelegt, wonach ihm von einem Gesamtbruttoeinkommen
von 2.751,38 Euro nach Abzug von Steuern (191,50 Euro), Sozialversicherungsbeiträgen
(564,25 Euro), Kosten für Jobticket (45,33 Euro) und Pfändung (355,00 Euro) noch
1.595,30 Euro verblieben.
Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 11. Mai 2005 den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zu Recht habe die Antragsgegnerin das Einkommen
des Antragstellers zu 1) in die Bedarfs- und Einkommensberechnung mit einbezogen.
Das SGB II regele in Abkehr von der Rechtsprechung des BVerwG, dass Einkommen an
alle Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft weitergegeben werden müsse.
Bedarfslücken würden regelmäßig durch einen Kinderzuschlag nach § 6 a des
Bundeskindergeldgesetzes oder Wohngeld ausgeglichen. Wenn im Einzelfall trotz
bestehenden Bedarfs kein Anspruch aus diesen Transfersystemen bestehe, müsse der
Gesetzgeber nachbessern.
Mit der am 1. Juni 2005 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Beschwerde
begehren die Antragsteller, die am 28. April 2005 in der Hauptsache Klage erhoben
haben, weiterhin die Gewährung von Leistungen an die Antragsteller zu 2) bis 4). Das
Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft rechtfertige nicht die uneingeschränkte
wechselseitige Anrechnung der Einkommen. Diese sei nur im Rahmen des § 9 Abs 2
SGB II möglich und für das Einkommen von Stiefeltern gerade nicht vorgesehen. Soweit
§ 2 Abs 2 SGB II eine Einsatzpflicht für alle in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden
Mitglieder normiere, liege ein Redaktionsversehen vor. Gemeint seien nur
unterhaltsberechtigte Angehörige. Im Übrigen hätten auch das SG Dortmund und das
SG Oldenburg mittlerweile im Sinne der Antragsteller entschieden (Hinweis auf
Beschlüsse vom 5. April 2005 - S 25 AS 22/05 ER - und vom 24. März 2005 – S 45 AS
100/05 ER -).
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2005 zu ändern und die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den
Antragstellern zu 2) bis 4) laufende Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II zu gewähren.
ferner,
ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Durch die Einbeziehung des Stiefvaters in die Bedarfsgemeinschaft habe der
Gesetzgeber auch die Anrechnung seines Einkommens gefordert.
Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die
Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
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II.
Die Beschwerde ist zulässig. Die Antragsgegnerin ist nach § 70 Nr 2 SGG
beteiligtenfähig, da das JobCenter Treptow-Köpenick als Arbeitsgemeinschaft der
Bundesagentur für Arbeit und des Landes Berlin entsprechend der Rahmenvereinbarung
vom 26. August 2004 (Amtsblatt von Berlin Nr 61 vom 31. Dezember 2004, S 4908ff)
gegründet wurde und die Arbeitsgemeinschaft folglich als eine mit eigenen Rechten
ausgestattete Vereinigung von Personen des öffentlichen Rechts anzusehen ist (hierzu
im einzelnen LSG Berlin, Beschluss vom 14. Juni 2005 – L 10 B 44/05 AS ER - ).
Die Beschwerde ist auch im Wesentlichen begründet, weil das Sozialgericht zu Unrecht
den Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt abgelehnt hat. Gemäß § 86 b Abs 2
Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag zur Regelung
eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige
Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
notwendig erscheint. Ein Anordnungsanspruch zugunsten der Antragsteller zu 3) und 4)
ergibt sich aus § 19 Abs 1 Nr 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhalten erwerbsfähige
Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Zu den
Anspruchsvoraussetzungen bestimmt § 7 SGB II, dass Personen Leistungen erhalten,
welche das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland haben. Die Antragsteller zu 3) und 4) sind 16 und 15 Jahre
alt und haben ihren Wohnsitz im Inland. Sie sind erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II,
weil sie nicht durch Krankheit gehindert sind, mindestens drei Stunden täglich einer
Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Die Antragsteller zu 3) und 4) sind auch hilfebedürftig. Hilfebedürftigkeit liegt nach § 9
SGB II vor, wenn der Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln,
insbesondere weder durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit noch aus dem
Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann und die erforderliche Hilfe auch nicht
von anderen geleistet wird. Da sich die Antragsteller zu 3) und 4) noch in der Ausbildung
an allgemeinbildenden Schulen befinden, liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 10 Abs
1 Nr 5 SGB II vor, welcher der Aufnahme einer Arbeit entgegensteht. Eigenes
Einkommen oder Vermögen ist nach den Angaben des Antragstellers zu 1) mit
Ausnahme des Kindergeldes in Höhe von jeweils 154,- Euro nicht vorhanden. Das
Kindergeld ist nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II als Einkommen der Antragsteller zu 3) und
4) anzusehen. Dem steht ein allgemeiner Bedarf von 276,- Euro gegenüber, der sich aus
dem Umfang der nach § 20 Abs 3 Satz 2 SGB II zu gewährenden Regelleistung ergibt.
Hinzu kommen entsprechend § 22 SGB II die anteiligen Kosten für Unterkunft und
Heizung. Insgesamt entstehen für die Wohnung Aufwendungen in Höhe von 765,- Euro
monatlich. Das ergibt sich aus den durch die Vorlage entsprechender Vertragskopien
belegten Angaben des Antragstellers zu 1). Da die Wohnung von 6 Personen benutzt
wird, entfallen – wie bereits von der Antragsgegnerin errechnet - auf die Antragsteller zu
3) und 4) anteilige Kosten von 127,50 Euro monatlich. Einem Bedarf von 403,50 Euro
stehen dann Einnahmen von 154,- Euro gegenüber, so dass ein ungedeckter Betrag von
249,50 Euro verbleibt.
Die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller zu 3) und 4) ist nicht deswegen ausgeschlossen,
weil sie mit den Antragstellern zu 1) und 2) in einem Haushalt leben. Allerdings besteht
zwischen den Antragstellern zu 1) bis 4) eine Bedarfsgemeinschaft. Zu der jeweils nach
den Antragstellern zu 3) und 4) zu bildenden Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs
3 Nr 1 SGB II zunächst sie selbst und weiter nach § 7 Abs 3 Nr 2 SGB II die
Antragstellerin zu 2), die als Mutter der Antragsteller zu 3) und 4) mit ihren Kindern in
einem Haushalt zusammenlebt. Der Antragsteller zu 1) ist als Ehegatte der
Antragstellerin zu 2) Partner im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 2 SGB II und zählt demnach
ebenfalls zur Bedarfsgemeinschaft. "Partner" ist nicht ausschließlich der nichteheliche
Lebenspartner, wie sich aus der Aufzählung in § 7 Abs 3 SGB II ergibt. Das jeweils andere
Geschwister gehört nach § 9 Abs 4 SGB II als dem Haushalt angehörendes
minderjähriges unverheiratetes Kind des im Haushalt lebenden Elternteils ebenfalls zu
der von den Antragstellern zu 3) oder 4) ausgehenden Bedarfsgemeinschaft. Die
Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft unterscheidet sich demnach nicht danach,
ob sie von den Antragstellern zu 3) oder zu 4) oder, wie die Antragsgegnerin gemeint
hat, von dem Antragsteller zu 1) abgeleitet wird.
Nach § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II ist bei den Antragstellern zu 3) und 4) aber nur das
Einkommen und Vermögen des mit ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
Elternteils zu berücksichtigen. Unter Eltern sind die leiblichen Eltern oder Adoptiveltern
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Elternteils zu berücksichtigen. Unter Eltern sind die leiblichen Eltern oder Adoptiveltern
zu verstehen. Es gibt keinen Hinweis dafür, dass das SGB II bezüglich der die
Verwandtschaft kennzeichnenden Begriffe von dem durch das Bürgerliche Gesetzbuch
(BGB) vorgegebenen Sprachgebrauch abweichen wollte. Das BGB beschränkt
Elternschaft jedoch auf die leibliche Mutter (§ 1591 BGB) und den Mann, der im
Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, die Vaterschaft anerkannt hat oder
dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist (§ 1592 BGB). Gleichgestellt wird in § 1754
BGB lediglich die Annahme als Kind (Adoption). Stiefvater ist ein gebräuchlicher Begriff,
er bezeichnet jedoch nicht den Tatbestand einer rechtlich erheblichen Elternschaft.
Elternteil im Sinne des § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II ist danach ausschließlich die
Antragstellerin zu 2). Der Antragsteller zu 1) ist mit den Antragstellern zu 3) und 4) nach
§ 1590 BGB lediglich verschwägert, da sie Verwandte seiner Ehefrau sind.
Das Einkommen und Vermögen der Antragstellerin zu 2) reicht indessen nicht aus, um
den Bedarf der Antragsteller zu 3) und 4) zu decken. Als Einkommen der Antragstellerin
zu 2) ist zunächst das für ihre volljährige Tochter gezahlte Kindergeld anzurechnen.
Kindergeld wird nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II lediglich bei minderjährigen Kindern als
Einkommen der Kinder bewertet. Als weiteres Einkommen kommt noch der von dem
Antragsteller zu 1) gewährte Unterhalt in Betracht. Im Übrigen ist die Antragstellerin zu
2) nach den Angaben des Antragstellers zu 1) "ausgesteuert", demnach liegt offenbar
krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Krankengeld vor. Nach den §§
1360, 1360 a BGB erfasst die aus der Ehe herrührende Unterhaltsverpflichtung aber nur
den Ehegatten und die gemeinsamen Kinder. Da der Antragsteller zu 1) vorträgt, dass
sein Einkommen nicht die Bestreitung der notwendigen Ausgaben ermöglicht, gibt es
auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass er tatsächlich der Antragstellerin zu 2)
so viele Barmittel überlässt, dass sie daraus den Bedarf der Antragsteller zu 3) und 4)
decken könnte. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin zu 2)
Vermögen hat, aus dem sie die Antragsteller zu 3) und 4) unterhalten könnte.
Für eine - über den Wortlaut des § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II hinausgehende - Anrechnung
des Einkommens des Antragstellers zu 1) auf den Hilfebedarf der Antragsteller zu 3) und
4) fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen
den Antragstellern bedeutet nicht, dass alle Einnahmen untereinander zu verrechnen
sind. Über Hilfsbedürftigkeit und Leistungsansprüche der Bedarfsgemeinschaft ist nicht
als ganzes zu entscheiden. Das SGB II enthält Anrechnungsregelungen nur für einzelne
natürliche Personen (Leistungsberechtigte), auch wenn diese innerhalb einer
Bedarfsgemeinschaft leben. Das zeigt sich an den §§ 7 Abs 2 , 9 Abs 2 Satz 3 oder 38
SGB II. Nach § 7 Abs 2 SGB II erhalten Personen Leistungen und nicht die
Bedarfsgemeinschaft, in der sie leben. § 9 Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB II fingiert nur
eine Hilfebedürftigkeit der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. § 38 SGB II enthält die
Vermutung einer Vertretungsmacht für die einzelnen in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen. Da das SGB II die Bedarfsgemeinschaft gerade nicht als
Rechtssubjekt ausgestaltet hat, muss dies auch für die Frage der Hilfebedürftigkeit
gelten. Sie ist folglich bezogen auf die einzelnen Angehörigen der Gemeinschaft –
Leistungsberechtigten - zu beantworten und ermöglicht so unterschiedliche Ansprüche
innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 9 Abs 2
Satz 3 Halbsatz 1 SGB II. In dieser Vorschrift ist zwar von einer Bedarfsgemeinschaft,
dem gesamten Bedarf und seiner Deckung aus eigenen Kräften und Mitteln die Rede.
Die Vorschrift bezieht deswegen den Bedarf und seine Deckung aber nicht auf die
Bedarfsgemeinschaft als solche. § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II regelt nicht die Ermittlung eines
Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft, sondern die Verteilung der Leistungen auf die
in der Gemeinschaft lebenden bedürftigen Personen.
Allerdings legt § 2 Abs 2 Satz 2 SGB II nahe – worauf das Sozialgericht hingewiesen hat -,
dass der Gesetzgeber des SGB II den Grundsatz aufstellen wollte, dass ein
Erwerbstätiger seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Personen einsetzen muss. Das gleiche gilt für
§ 9 Abs 1 SGB II. Indessen regelt § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II ausdrücklich, unter welchen
Voraussetzungen bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern in
einer Bedarfsgemeinschaft leben, fremdes Einkommen und Vermögen zu
berücksichtigen ist. Ein (verschwägerter) Stiefvater ist in diesen Personenkreis gerade
nicht einbezogen worden. Damit verbietet sich, über allgemeine Grundsätze gleichwohl
eine Anrechnung vorzunehmen. Vielmehr ist die Frage, inwieweit Einkommen und
Vermögen innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft eingesetzt werden muss, ausschließlich
und abschließend in § 9 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II geregelt (ebenso LSG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 21. April 2005 – L 9 B 4/05 SO ER - ; Brühl in Lehr- und
Praxiskommentar zum SGB II, § 9 RdNr 32).
Im Übrigen würde das SGB II mit einer Anrechnung des Stiefvatereinkommens auf den
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Im Übrigen würde das SGB II mit einer Anrechnung des Stiefvatereinkommens auf den
Unterhaltsbedarf der Kinder über die zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche hinausgehen.
§ 1601 BGB kennt eine Unterhaltspflicht nur zwischen Verwandten. Eine Erweiterung auf
die Kinder der Ehegatten ist nicht vorgesehen. Daraus könnten sich
Wertungswidersprüche ergeben, wie gerade der vorliegende Sachverhalt zeigt: Gegen
die Unterhaltsansprüche seines leiblichen Sohns vermag der Antragsteller zu 1) nämlich
nicht einzuwenden, dass er die mit ihm in einem Haushalt zusammenlebenden Kinder
seiner Ehefrau unterhalten muss. Wenn das Zivilrecht keine entsprechenden
Unterhaltsansprüche kennt, kann die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu 1) durch
sie auch nicht gemindert werden. Ähnliches gilt für die Pfändungsfreigrenzen. Das
Arbeitseinkommen des Antragstellers zu 1) steht diesem (und der
Bedarfsgemeinschaft) nur eingeschränkt zur Verfügung, da Ansprüche Dritter bedient
werden müssen. Der pfändbare Teil des Einkommens bestimmt sich dabei gemäß § 850
c ZPO insbesondere nach der Zahl der unterhaltsberechtigten Personen. In diesem
Zusammenhang kommt es wegen § 400 BGB nicht darauf an, ob die Abführung auf
einer Pfändung oder – wie der Bevollmächtigte der Antragsteller vorträgt – auf einer
Abtretung beruht. Die Antragsteller zu 3) und 4) vermindern den beim Antragsteller zu
1) pfändbaren Betrag deswegen nicht, weil sie keine eigenen zivilrechtlichen
Unterhaltsansprüche haben. Der Antragsteller zu 1) ist demnach seinem eigenen Kind
verpflichtet und unterliegt dem Zugriff seiner Gläubiger, ohne dass er wegen eines
Unterhaltsbedarfs der Antragsteller zu 3) und 4) entlastet würde. Aber auch gegen eine
ihn nach dem SGB II treffende Unterhaltsobliegenheit für die Angehörigen der
Bedarfsgemeinschaft könnte der Antragsteller zu 1) nicht einwenden, dass seine
Leistungsfähigkeit hinter dem rechnerischen Nettobetrag seines Arbeitseinkommens
zurückbleibt. Denn § 11 Abs 2 SGB II sieht nicht vor, dass vom einzusetzenden
Einkommen Beträge abzuziehen sind, welche als Unterhalt geschuldet sind oder der
Pfändung unterliegen. Dies würde dazu führen, dass die Leistungsfähigkeit durch das
SGB II höher angesetzt wird als sie tatsächlich ist. Die Annahme, dass der Bedarf aus
eigenen Mitteln gedeckt werden kann, widerspräche dann der Realität. Es bedarf keiner
weiteren Begründung, dass einer Auslegung des Gesetzes der Vorzug zu geben ist,
welche dieses Ergebnis vermeidet.
Der Bedarf der Antragsteller zu 3) und 4) ist auch nicht deswegen als gedeckt
anzusehen, weil nach § 9 Abs 5 SGB II zu vermuten wäre, dass trotz Fehlens einer
rechtlichen Verpflichtung tatsächlich Leistungen erbracht werden. Eine entsprechende
Vermutung setzte nämlich voraus, dass nach den Einkommens- und
Vermögensverhältnissen des Verschwägerten Leistungen zu erwarten sind. Daran fehlt
es hier aber. Der Antragsteller zu 1) hat nicht nur Unterhaltspflichten gegenüber seiner
(einkommenslosen) Ehefrau und seinem Sohn, sondern auch Verbindlichkeiten aus
Bankgeschäften. Nach der in Kopie vorgelegten Aufstellung der Citibank vom 13. Februar
2004 macht diese gegen ihn Forderungen aus mehreren Geschäften in einer
Gesamthöhe von 36.752,96 Euro geltend. Der Antragsteller zu 1) zahlt auf diese
Verbindlichkeiten die in seinen Gehaltsabrechnungen als "Pfändung" bezeichneten
Beträge. Schon der Vergleich des Betrags von 355,- Euro aus der Gehaltsbescheinigung
für Februar 2005 mit der monatlichen Rückzahlungsverpflichtung von 526,- Euro, die so
am 2. Mai 2002 in einem Kreditvertrag eingegangen wurde und lediglich einen Teil der
Verbindlichkeiten ausmacht, zeigt aber, dass das laufende Einkommen nicht ausreicht,
um die eingegangenen Verpflichtungen vollständig zu erfüllen. Sind demnach keine
freien Mittel vorhanden, kann vom Antragsteller zu 1) nicht erwartetet werden, dass er
ohne rechtliche Verpflichtung (weiteren) Unterhalt leistet.
Zugunsten der Antragsteller zu 3) und 4) besteht auch ein Anordnungsgrund. Effektiver
Rechtsschutz kann in den Fällen, in denen die Sicherung des laufenden Lebensbedarfs in
Frage steht, nur im Wege eines Eilverfahrens gewährleistet werden (BVerfG, Beschluss
vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 - ). Den Antragstellern zu 3) und 4) stehen Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für
Unterkunft und Heizung zu, die Antragsgegnerin war folglich schon im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes zur Leistung zu verpflichten. Der Leistungsbeginn war auf
den Tag des Antragseingangs beim Sozialgericht festzusetzen. In Anlehnung an § 41
Abs 1 Satz 3 SGB II war die Verpflichtung auf einen Zeitraum von 6 Monaten zu
befristen, zumal nicht auszuschließen ist, dass sich die Einkommensverhältnisse der
Antragstellerin zu 2) verändern.
Unbegründet ist die Beschwerde, soweit Leistungen an die Antragstellerin zu 2) begehrt
werden. Denn nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II muss sie sich auf ihren Hilfebedarf das
insoweit ausreichende Einkommen des Antragstellers zu 1) anrechnen lassen.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG. Da die Antragsteller mit ihrem
Begehren aus wirtschaftlicher Sicht insgesamt Erfolg gehabt haben, entspricht eine volle
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Begehren aus wirtschaftlicher Sicht insgesamt Erfolg gehabt haben, entspricht eine volle
Kostenerstattung der Billigkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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