Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.01.2010

LSG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, mahnung, verwaltungsakt, befreiung von der versicherungspflicht, mahngebühr, vollstreckung, vwvg, öffentliches interesse, vollziehung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
22. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 22 LW 2/10 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 3 VwVG, § 19 Abs 2 S 1
VwVG, § 66 Abs 1 S 1 SGB 10, §
31 SGB 10
Rechtsnatur einer Mahngebühr
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam
vom 13. Januar 2010 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den
Bescheid vom 28. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.
Dezember 2009 wird angeordnet, soweit eine Mahngebühr in Höhe von 51,10 Euro
gefordert wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des
Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruches gegen den Bescheid vom 28. Juli 2009.
Der im Dezember 1951 geborene Antragsteller ist seit Oktober 2001 mit R P verheiratet,
die ein Unternehmen der Landwirtschaft betreibt.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.
September 2008 stellte die Antragsgegnerin für den Antragsteller als Ehegatte eines
Landwirts Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse ab Oktober 2001 fest.
Sie wies außerdem auf die monatliche Beitragshöhe und einen Beitragsrückstand hin.
Dagegen hat der Antragsteller am 24. September 2008 Klage erhoben, die beim
Sozialgericht Potsdam (S 16 LW 6/08) anhängig ist.
Mit Bescheid vom 03. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.
Juni 2009 stellte die Antragsgegnerin fest, dass die Beitragsforderung für den Zeitraum
vom 08. Oktober 2001 bis 31. Dezember 2003 verjährt ist. Dagegen hat der
Antragsteller am 26. Juni 2009 beim Sozialgericht Potsdam Klage erhoben (S 16 LW
6/09).
Mit Bescheid vom 31. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.
Februar 2009 lehnte die Antragsgegnerin die Befreiung von der Versicherungspflicht zur
Alterssicherung der Landwirte ab. Sie wies außerdem auf die monatliche Beitragshöhe
und einen Beitragsrückstand hin. Dagegen hat der Antragsteller am 20. Februar 2009
beim Sozialgericht Potsdam Klage erhoben (S 16 LW 5/09).
Über den am 29. April 2009 gestellten Antrag des Antragstellers auf Beitragszuschuss
für die Jahre 2005 bis 2007 hat die Antragsgegnerin bisher nicht entschieden.
Im Schreiben vom 05. Mai 2009 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller u. a. mit,
ein Forderungsbescheid sei bisher nicht erlassen worden.
Mit Mahnung vom 28. Juli 2009 wies die Antragsgegnerin auf einen Rückstand der
Beiträge vom 01. Januar 2004 bis 31. Juli 2009 in Höhe von 11.613,00 Euro und einen
Säumniszuschlag von 1.579,50 Euro hin, verfügte, dass für diese Mahnung eine
Mahngebühr von 51,10 Euro anfällt, und bat um Überweisung von insgesamt 13.243,60
Euro innerhalb einer Woche. Ansonsten werde die noch offene Forderung kostenpflichtig
eingezogen.
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Diesem Schreiben widersprach der Antragsteller. Er wies darauf hin, dass die Höhe und
der Grund der Forderung streitig seien. Da keine Fälligkeit vorliege, sei auch für die
Erhebung von Mahngebühren kein Raum.
Mit Forderungsbescheid vom 24. September 2009 verlangte die Antragsgegnerin
Zahlung von 13.243,60 Euro, bestehend aus einer Beitragsforderung vom 01. Januar
2004 bis 31. Juli 2009 von 11.613,00 Euro, Säumniszuschlägen bis 16. Juli 2009 von
1.579,50 Euro und Mahngebühren von 51,10 Euro.
Diesem Forderungsbescheid widersprach der Antragsteller ebenfalls.
Am 07. Oktober 2007 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Potsdam (S 16 LW
7/09 ER), die aufschiebende Wirkung sämtlicher Widersprüche gegen sämtliche
Forderungsbescheide wieder herzustellen. Dieses Verfahren endete am 28. Oktober
2009 durch Erledigterklärung des Antragstellers, verbunden mit der Ankündigung, erneut
Antrag zu stellen, sofern ab Januar 2010 erneut Vollstreckung angedroht werden sollte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2009 verwarf die Antragsgegnerin den
Widerspruch gegen die Mahnung vom 28. Juli 2009 als unzulässig, da es sich nicht um
einen Verwaltungsakt handele. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.
September 2009 wies sie zurück, da die Gesamtforderung zu Recht bestehe.
Mit der am 09. Dezember 2009 beim Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage (S 16 LW
10/09) begehrt der Antragsteller, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den angegriffenen
Bescheid vom 28. Juli 2009 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember
2009 aufzuheben. Er meint, die Antragsgegnerin dürfe nicht über einen einheitlichen
Widerspruch als unzulässig und zum anderen als zulässig aber unbegründet
entscheiden. Dass der Charakter als Verwaltungsakt gegeben sein dürfte, ergebe sich
schon aus der Vollstreckungsandrohung.
Nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28. Dezember 2009 angekündigt
hatte, dass sie die Vollstreckung offener Forderungen über den 31. Dezember 2009
hinaus nicht aussetzen werde, weil immer noch keine vollständigen Unterlagen zum
Antrag auf Gewährung von Beitragszuschüssen vorlägen, hat der Antragsteller am 28.
Dezember 2009 beim Sozialgericht Potsdam Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung dahingehend begehrt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31. Juli 2009 gegen den
Bescheid vom 28. Juli 2009 anzuordnen.
Der Antragsteller ist der Ansicht, die Vollstreckung sei unzulässig. Er habe sämtliche
relevanten Unterlagen bereitgestellt. Demgegenüber habe die Antragsgegnerin den
Amtsermittlungsgrundsatz verletzt, weil nicht zu erkennen sei, dass sie überhaupt an
der Sachverhaltsermittlung teilgenommen habe. Ungeklärt sei die Versicherungspflicht.
Ein Teil der Forderung sei verjährt. Für das Jahr 2004 bestehe keine Versicherungspflicht.
Die geltend gemachte Forderung könne also nicht richtig sein. Die Vollstreckung einer
offensichtlich rechtswidrigen Forderung sei nicht zulässig, so dass die Abwägung nur zu
Lasten der Antragsgegnerin ausgehen könne.
Mit Beschluss vom 13. Januar 2010 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt: Die
Mahnung vom 28. Juli 2009 sei mangels eigenständigen Regelungsgehaltes nicht als
anfechtbarer Verwaltungsakt zu qualifizieren.
Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 19. Januar 2010 zugestellten
Beschluss richtet sich die am selben Tag eingelegte Beschwerde des Antragstellers.
Er meint, dass das Schreiben vom 28. Juli 2009 als Mahnung tituliert sei, sei nicht
entscheidend. Zudem habe das Sozialgericht übersehen, dass die Frage, ob ein solcher
Verwaltungsakt gegeben sei, zwischen den Parteien nie in der Diskussion gewesen sei.
Der Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2009 stelle zu Ziffer 2 eindeutig fest,
dass die Mahnung als Bescheid verstanden worden sei. Dies sei auch konsequent, da die
Mahnung nicht nur Regelungen zur Verzinsung enthalten, sondern auch noch die
Vollstreckung angekündigt habe. Dies sei aber ohne Belang, da über den Widerspruch
entschieden worden sei.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Potsdam vom 13. Januar
2010 die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 28. Juli
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2010 die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 28. Juli
2009 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält ein Rechtsschutzbedürfnis nicht für gegeben, da über den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid entschieden worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes sowie des
Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
Verwaltungsakte der Antragsgegnerin (AKB ), die bei der Entscheidung vorgelegen
haben, verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist zu einem geringen Teil begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruches (bei verständiger Auslegung: der Klage) zu Unrecht in vollem Umfang
abgelehnt. Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom
28. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2009, soweit
eine Mahngebühr von 51,10 Euro gefordert wird.
Im Übrigen ist der angefochtene Beschluss zutreffend, so dass insoweit die Beschwerde
keinen Erfolg hat.
Der Antrag des Antragstellers bedarf allerdings einer Auslegung, denn nach seinem
Wortlaut wäre er mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs kommt nur solange in
Betracht, solange über diesen Widerspruch nicht mit Widerspruchsbescheid entschieden
ist. Nach Erteilung des Widerspruchsbescheides und der Erhebung der Klage ist
ausschließlich ein Antrag gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage
zulässig. Soweit ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren bereits vor Erlass des
Widerspruchsbescheides beim Sozialgericht oder beim Beschwerdegericht anhängig war,
ist dieses anhängige Verfahren mit dem geänderten Antrag in entsprechender
Anwendung des § 99 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wonach es als eine
Änderung der Klage nicht anzusehen ist, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt
der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung
eine andere Leistung verlangt wird, fortzusetzen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Auflage, § 86 b Rdnr. 9 b; Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12. September 2002 - L 4 KR 138/02 ER,
abgedruckt in NZS 2003, 168; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
20. April 2006 - L 3 B 1138/05 U ER, zitiert nach juris).
Eine solche Antragsänderung scheidet vorliegend allerdings aus, denn der Antragsteller
hat, obwohl bereits der Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2009 erlassen war und
er dagegen am 09. Dezember 2009 Klage beim Sozialgericht erhoben hat, mit seinem
einstweiligen Rechtsschutzverfahren noch am 28. Dezember 2009 begehrt, die
aufschiebende Wirkung des Widerspruches anzuordnen. Dieser unzulässige Antrag ist
jedoch der Auslegung im Sinne einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage
zugänglich.
Für die Frage, welches Begehren der Antragsteller verfolgt, kommt es entsprechend §
133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zunächst auf dessen wirklichen Willen und auf
dessen erkennbares Prozessziel an. Entscheidend ist, welchen Sinn die Erklärung aus
der Sicht des Gerichts und des Prozessgegners hat. Dabei ist der Antragsteller nicht
allein am Wortlaut festzuhalten.
Bei verständiger Würdigung des Antrages wird deutlich, dass sich der Antragsteller
dagegen wendet, dass aus dem Bescheid vom 28. Juli 2009 Folgerungen gezogen
werden, bevor darüber abschließend im Hauptsacheverfahren entschieden ist. Dieses
Begehren lässt sich nach Erlass des Widerspruchsbescheides nicht mit der Anordnung
der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches, sondern allein mit der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Klage erreichen. Es ist daher zulässig und geboten, den
Antrag im letztgenannten Sinne auszulegen.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid
vom 28. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2009
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vom 28. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2009
ist jedoch nur insoweit begründet, als eine Mahngebühr durch Verwaltungsakt gefordert
wird, denn dafür sind ersichtlich die Voraussetzungen nicht erfüllt. Im Übrigen ist der
Antrag bereits unzulässig, denn eine Mahnung stellt weder einen Verwaltungsakt dar,
noch ist sie sonst gesondert mit einem Rechtsbehelf angreifbar.
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den
Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung
haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Zwar haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§
86 a Abs. 1 Satz 1 SGG). Die aufschiebende Wirkung entfällt nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1
SGG jedoch bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten
sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben
einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Danach hat die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 28. Juli 2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2009 keine aufschiebende Wirkung,
denn damit wird eine Mahngebühr als Nebenkosten zu den angemahnten Beiträgen und
Säumniszuschlägen angefordert.
Es bedarf daher der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, um zu erreichen, dass der
angefochtene Verwaltungsakt nicht vollzogen wird. Bei der Entscheidung über diese
Anordnung hat das Gericht zwischen dem privaten Interesse an der aufschiebenden
Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen. Wegen des mit dem Verwaltungsakt
verbundenen Eingriffs in die Rechtssphäre des Betroffenen hat diese Abwägung der
verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) in
besonderem Maße Rechnung zu tragen. Die für den Regelfall vorgeschriebene
aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ist insoweit eine adäquate
Ausprägung dieser Garantie und ein fundamentaler Grundsatz öffentlich-rechtlicher
Streitverfahren in Anfechtungssachen. Allerdings gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die
aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe nicht schlechthin. Überwiegende öffentliche
Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers
einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des
allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Für die sofortige Vollziehung eines
Verwaltungsaktes ist daher ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über
jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der
Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers ist dabei umso stärker und darf umso
weniger zurückstehen, je schwerwiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist
und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Geltung und
Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines
Verwaltungsaktes einer gesetzlichen oder einer behördlichen Anordnung entspringt (so
BVerfG, Beschluss vom 21. März 1985 - 2 BvR 1642/83 -, abgedruckt in BVerfGE 69, 220;
Beschluss vom 10. April 2001 - 1 BvR 1577/00 - m. w. N., zitiert nach juris).
In den Fällen des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG kommt die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung regelmäßig jedoch nur in Betracht, wenn - so § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG -
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen
oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche
Zweifel liegen vor, wenn nach summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes neben
Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder
Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (so Bundesfinanzhof - BFH -,
Beschluss vom 02. November 2004 - XI S 15/04 -), also im Hauptsacheverfahren ein
Erfolg wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Dafür spricht die Erwägung, dass durch § 86
a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bewusst auf den Adressaten verlagert worden ist,
um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben
sicherzustellen. Diese gesetzliche Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn bei offenem
Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Vollziehung ausgesetzt würde (Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Auflage, § 86 a Rdnr. 27
a). Eine unbillige Härte ist anzunehmen, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung
des Verwaltungsaktes Nachteile entstehen oder ernsthaft drohen, die nicht oder nur
schwer wieder gutgemacht werden können, sofern sie über die eigentliche Zahlung
hinausgehen, denn Nachteile, die mit dem Vollzug eines nicht rechtskräftigen
Verwaltungsaktes allgemein verbunden sind, sind regelmäßig zumutbar. Eine Anordnung
der aufschiebenden Wirkung wegen unbilliger Härte kommt allerdings nur in Betracht,
wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht
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wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht
ausgeschlossen werden können. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, ist
eine unbillige Härte ausgeschlossen, denn die Vollziehung zur Verwirklichung eines vom
Gesetz vorgeschriebenen Rechtszustandes bedeutet lediglich die Durchsetzung der
Rechtspflichten, die jedem anderen Betroffenen in derselben Situation obliegen (vgl.
Meyer-Ladewig, a. a. O., § 86 a Rdnr. 27 b; BFH, Beschluss vom 02. November 2004 - XI
S 15/04 -; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 01. November 2005 - 4 EO
871/05 -, zitiert nach juris).
Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28. Juli 2009
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2009, soweit damit eine
Mahngebühr gefordert wird.
Während Beiträge zur Alterssicherung der Landwirte einschließlich der darauf
entfallenden Säumniszuschläge ihre Rechtsgrundlage im materiellen
Sozialversicherungsrecht haben (§ 70, § 71 Gesetz über die Alterssicherung der
Landwirte - ALG -, § 1 Abs. 1 Satz 1, § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV
- ), ist der Anspruch auf eine Mahngebühr dem Verwaltungsvollstreckungsrecht
zugeordnet. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG), auf den
§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X verweist, wonach für die Vollstreckung zugunsten u. a. der
Bundes unmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts das VwVG gilt, wird für die
Mahnung nach § 3 Abs. 3 VwVG eine Mahngebühr erhoben.
Soweit daher im Bescheid vom 28. Juli 2009 neben der Mahnung der rückständigen
Beiträge und Säumniszuschläge eine Mahngebühr festgesetzt wurde, zählt diese nicht,
entgegen der dortigen Darstellung, zu den rückständigen Zahlungen. Vielmehr wird der
Rechtsgrund für das Entstehen der Mahngebühr erst durch die Mahnung selbst
begründet. Als von der Mahnung unabhängig teilt die Mahngebühr folglich nicht den
Rechtscharakter der Mahnung. Die Festsetzung und Forderung der Mahngebühr erfüllt
den Tatbestand eines Verwaltungsaktes, denn es handelt sich um eine Verfügung, die
die Antragsgegnerin zur Regelung eines Einzelfalls getroffen hat und die auf
unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Die Regelung besteht darin, dass
der Antragsteller unmittelbar dadurch verpflichtet wird, die Mahngebühr zu zahlen.
An der Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Mahngebühr im Bescheid vom 28. Juli 2009
bestehen allerdings ernsthafte Zweifel, denn es ist nicht ersichtlich, dass die für eine
Mahnung nach § 3 Abs. 3 VwVG erforderlichen Voraussetzungen vorgelegen haben.
Nach § 3 Abs. 3 VwVG soll der Schuldner vor Anordnung der Vollstreckung ferner mit
einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden. Diese
Vorschrift knüpft an § 3 Abs. 2 VwVG an, der bestimmt: Voraussetzungen für die
Einleitung der Vollstreckung sind: a) der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur
Leistung aufgefordert worden ist; b) die Fälligkeit der Leistung, c) der Ablauf einer Frist
von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung
erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.
Ein Leistungsbescheid, der der Mahnung vom 28. Juli 2009 vorausging, fehlt offenkundig.
Der Anspruch auf die Beiträge und der Anspruch auf die Säumniszuschläge entstehen
zwar kraft Gesetzes mit deren Fälligkeit (§ 71 Abs. 1 ALG, § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).
Der Beitrag ist danach jeweils am 15. eines Kalendermonats fällig. Für Beiträge, die der
Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden
angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag zu zahlen, es sei denn (so § 24
Abs. 2 SGB IV), es wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die
Vergangenheit festgestellt, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er
unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Die Verpflichtung zu deren
Zahlung entsteht mithin ebenfalls kraft Gesetzes. Grundlage einer Vollstreckung ist
jedoch ein Leistungsbescheid, mit dem diese Verpflichtung konkret im Sinne einer
Regelung, also durch Verwaltungsakt festgestellt wird.
Daran mangelt es.
Die Antragsgegnerin selbst teilte dem Antragsteller im Schreiben vom 05. Mai 2009 mit,
dass ein Forderungsbescheid (über die Beiträge und die Säumniszuschläge) bislang
nicht erlassen wurde.
Ein solcher Forderungsbescheid liegt tatsächlich auch nicht vor. Soweit die
Antragsgegnerin im Bescheid vom 17. Januar 2008 und im Bescheid vom 31. Juli 2008
Angaben zur monatlichen Beitragshöhe und zum Beitragsrückstand machte, handelt es
sich lediglich, wie es dort ausdrücklich heißt, um Hinweise. In den beiden
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sich lediglich, wie es dort ausdrücklich heißt, um Hinweise. In den beiden
Verfügungssätzen, also in der Regelung vor der Begründung, wurden solche Beiträge
nicht festgesetzt und verlangt.
Ein Verwaltungsakt über die Festsetzung und Forderung von Beiträgen und
Säumniszuschlägen lag mithin vor dem Bescheid vom 28. Juli 2009 nicht vor, so dass die
Festsetzung und Forderung einer Mahngebühr ersichtlich nicht zulässig war.
Bestehen mithin im genannten Umfang ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Bescheides vom 28. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.
Dezember 2009, muss bezogen auf die Festsetzung und Forderung einer Mahngebühr
von 51,10 Euro die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werden.
Im Übrigen scheidet dies jedoch aus, denn der Widerspruch gegen die Mahnung im
Bescheid vom 28. Juli 2009 hat keine aufschiebende Wirkung, da die Mahnung keinen
Verwaltungsakt darstellt.
Über die Frage, ob ein Verwaltungsakt gegeben ist, können sich die Beteiligten nicht
einigen, denn sie können dem Gericht nicht vorgeben, wie das Gesetz, hier also § 31
Satz 1 SGB X, auszulegen ist. Es ist daher irrelevant, ob zwischen den Parteien nie in der
Diskussion gewesen sei, dass eine Mahnung ein solcher Verwaltungsakt sei. Soweit der
Antragsteller meint, aus dem Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2009 ableiten
zu können, dort sei die Mahnung als Bescheid verstanden worden, teilt der Senat diese
Auffassung nicht. Die von ihm genannte Ziffer 2 im Entscheidungstenor des
Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 2009 betrifft den Bescheid vom 24.
September 2009. Demgegenüber wird die Mahnung allein unter Ziffer 1 des
Entscheidungstenors dieses Widerspruchsbescheides insoweit angesprochen, als der
Widerspruch dagegen als unzulässig verworfen wird. Der Begründung ist dazu zu
entnehmen, dass es sich bei einer Mahnung nicht um einen Verwaltungsakt handelt.
Dies entspricht der Rechtsauffassung auch des Bundessozialgerichts (BSG). Danach
stellt eine Mahnung als Zahlungsaufforderung keinen Leistungsbescheid im Sinne des §
3 Abs. 2 Bst. a VwVG dar. Die Mahnung ist vielmehr als unselbständige
Vorbereitungshandlung zur Vollstreckungsanordnung (§ 3 Abs. 4 VwVG) oder zu den
eigentlichen Vollstreckungshandlungen nicht anfechtbar (BSG, Beschluss vom 05.
August 1997 - 11 BAr 95/97; BSG, Beschluss vom 07. Juni 1999 - B 7 AL 264/98 B; Urteil
vom 07. Oktober 2004 - B 11 AL 43/03 R; alle zitiert nach juris).
Dies schließt zwar nicht aus, dass eine Zahlungsaufforderung im Einzelfall auch einmal
als Leistungsbescheid auszulegen sein kann. Dies könnte erwogen werden, wenn in
einem Schreiben zur Zahlung aufgefordert und daraus deutlich wird, dass damit eine
verbindliche Entscheidung getroffen wird (BSG, Urteil vom 07. Oktober 2004 – B 11 AL
43/03 R). Eine (bloße) Zahlungsaufforderung kann nämlich durchaus mehrdeutig sein.
Wird die Zahlungsaufforderung hingegen eindeutig als Mahnung bezeichnet, begründet
dies regelmäßig keinen Zweifel am Charakter der Zahlungsaufforderung als Handlung im
Hinblick auf eine Vollstreckung. Eine solche Mahnung erinnert lediglich an die zu
zahlenden Beiträge und Säumniszuschläge verbunden mit der Aufforderung, diese zur
Vermeidung einer Vollstreckung zu zahlen. Ein Verwaltungsakt ist damit
ausgeschlossen.
Im Hinblick darauf, dass die Mahnung als unselbständige Vorbereitungshandlung zur
Vollstreckungsanordnung nicht anfechtbar ist, scheidet auch eine darüber
hinausgehende Auslegung des klägerischen Antrages im Sinne einer Sicherungs- oder
Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGG aus.
Die Beschwerde hat daher nur in einem geringen Umfang Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1
SGG und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens. Das geringfügige Obsiegen des
Antragstellers hat der Senat unberücksichtigt gelassen, da es nicht wesentlich ins
Gewicht fällt.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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