Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 27.06.2003

LSG Berlin-Brandenburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, wahrscheinlichkeit, arbeitsunfall, ärztliches gutachten, fraktur, eigenes verschulden, unfallversicherung, bfa, orthopädie, bedingung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
22. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 22 U 17/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1150 RVO, § 581 RVO, § 8 SGB
7, § 27 SGB 10
Entschädigung wegen der Folgen eines im Beitrittsgebiet vor
dem 1. 1. 1992 erlittenen Arbeitsunfalls
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Juni 2003
wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung verschiedener
Gesundheitsstörungen am rechten Bein als Folgen eines Unfalls vom 16. Oktober 1984.
Die im Jahre 1943 geborene Klägerin erlitt am 27. September 1981 bei einem
Freizeitunfall eine Unterschenkelfraktur/geschlossene Wadenbein-
/Schienbeinschaftfraktur rechts mit Sprunggelenksbeteiligung, die operativ verplattet
wurde. Anschließend begann sie eine Ausbildung als Fürsorgerin und wechselte zum 05.
Juli 1982 in die Dienste des R. Am 09. Mai 1984 wurde das Implantatmaterial operativ
entfernt. Am 16. Oktober 1984 wurde die Klägerin stationär behandelt im
Bezirkskrankenhaus C mit der Diagnose einer geschlossenen Querfraktur der Tibia und
Fibula rechts im mittleren Drittel.
In einem an die Klägerin gerichteten Bescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL)
Gesundheitswesen C Land vom 15. November 1984 heißt es: „Die BGL hat in der
Beratung am 14. November 1984 über Ihren Unfall auf dem Weg zur Arbeit entschieden
und teilt Ihnen nachstehend das Ergebnis mit: Ihr Unfall wird als Wegeunfall anerkannt.“
Am 08. April 1993 beantragte die Klägerin bei der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (BfA) Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit sowie Invalidenrente
wegen der Beschwerden am rechten Bein. In dem Antragsvordruck („Anlage zum
Rentenantrag“) ist die Frage, ob die Gesundheitsstörungen durch „…Unfall,
Arbeitsunfall…“ verursacht worden seien, bejaht und als Behörde, die den Arbeitsunfall
anerkannt habe, „Gesundheitswesen C, - November 1984“ angegeben. Mit Bescheid der
BfA vom 01. Februar 1994 wurde der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die
Zeit ab 01. April 1993 gewährt.
Mit Schreiben vom 13. Juni 1997 (Eingangsdatum) beantragte die Klägerin bei dem
Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) Brandenburg „Rente“ unter Bezugnahme
auf ihre Berentung durch die BfA aufgrund der Unfallfolgen und wies auf den
„anerkannten Arbeits- bzw. Wegeunfall vom 15. November 1984“ hin.
Auf Nachfrage der Unfallkasse Brandenburg, Rechtsnachfolgerin des GUV Brandenburg,
gab die Klägerin in ihrem Schreiben vom 03. Mai 1998 an, dass sie nach operativer
Metallentfernung im Mai 1984 nach zirka vierwöchigem stationären Aufenthalt wieder
arbeitsfähig gewesen sei und dann auf dem Weg zur Dienststelle am 16. Oktober 1984
um 6.50 Uhr „ohne ersichtlichen äußeren Grund mit dem operierten Bein rechts leicht
eingeknickt (nicht gestürzt)“ sei und es dabei zu einer Refraktur des rechten
Unterschenkels gekommen sei.
Die Unfallkasse Brandenburg übersandte den Vorgang an die Bau-
Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen, die das Verfahren in ihre Zuständigkeit
übernahm.
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Nachdem die Beklagte ein ärztliches Gutachten (vom 04. Mai 1999) vom Facharzt für
Orthopädie DM F eingeholt hatte, der unter anderem eine posttraumatische Arthrose/
Ankylose des oberen und unteren rechten Sprunggelenks als Folge des Unfalls vom 16.
Oktober 1984 beurteilt hatte und die Krankenblätter über die stationären Behandlungen
der Klägerin im B Krankenhaus C (vom 27. September bis 31. Oktober 1981, 4. bis. 18.
Mai 1984 und 16. Oktober bis 1. November 1984) einschließlich der Röntgenbilder
hinzugezogen hatte, ließ sie vom Radiologen Prof. Dr. med. K ein Zusatzgutachten
anfertigen.
Nach Stellungnahme des Beratenden Arztes der Beklagten (Facharzt für Chirurgie Prof.
Dr. med. K vom 15. Dezember 1999) lehnte die Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und
Sachsen mit Bescheid vom 05. April 2000 Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung ab, weil zwischen dem Schien- und Wadenbeinbruch rechts und dem
Ereignis vom 16. Oktober 1984 kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Es handele
sich bei dem Ereignis vom 16. Oktober 1984 um eine Refraktur des rechten
Unterschenkels, welche dem am 27. September 1981 erlittenen Privatunfall
zuzurechnen sei.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Bau-Berufsgenossenschaft
Bayern und Sachsen mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2001 Klägerin zurück.
Am 27. April 2001 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG): Der Unfall
sei als solcher auch mit Bescheid vom 15. November 1984 anerkannt worden. Der
Unterschenkel sei im Übrigen nicht „grundlos“ aus innerer Ursache gebrochen, sondern
durch ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass die heutigen Gesundheitsstörungen im Bereich des rechten
Beines Folge des Arbeitsunfalls vom 16: Oktober 1984 sind.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat Befund- und Behandlungsberichte der Fachärztin für Allgemeinmedizin R
vom 25. August 2001, des Facharztes für Orthopädie Dr. med. vom 30. August 2001
sowie vom ehemaligen Chefarzt der Klinik für Orthopädie des C-Klinikums C Dr. med. T
ein schriftliches Sachverständigengutachten nach ambulanter Untersuchung eingeholt,
das er am 26. Februar 2003 ergänzte. In seinen schriftlichen Ausführungen vom 26.
August 2002 hat Dr. med. T ausgeführt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon
auszugehen sei, dass es sich bei dem Unfall von 1984 um eine Refraktur gehandelt habe
und dass die festgestellten Beeinträchtigungen im Bereich des rechten Sprunggelenks
und des Vorfußes Folgen des Erstunfalls von 1981 seien.
Durch Urteil vom 27. Juni 2003 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wird
ausgeführt, dass bereits nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststehe, wie sich das
angeschuldigte Ereignis vom 16. Oktober 1984 im Einzelnen zugetragen habe. Aus den
Unfallschilderungen der Klägerin, die sie im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens und des
Gerichtsverfahrens gemacht habe, ergäben sich abweichende und widersprüchliche
Angaben zum Unfallhergang. Von einem sicher feststehenden Unfallhergang gehe das
Gericht angesichts der sich teilweise widersprechenden Unfallschilderungen nicht aus.
Selbst wenn das Gericht von einem Umknicken und Stürzen ausginge, handele es sich
nicht um einen geeigneten Hergang, eine komplette Unterschenkelfraktur an einem
gesunden Knochen hervorzurufen. Im übrigen folgte das Gericht den Ausführungen im
Sachverständigengutachten des Dr. med. T
Gegen das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 21. Juli 2003 zugestellte Urteil
richtet sich am 21. August 2003 beim damaligen Landessozialgericht für das Land
Brandenburg eingegangene Berufung. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass die
Beklagte bereits vor dem 31. Dezember 1993 Kenntnis vom Unfall aus dem Jahr 1984
gehabt habe. Es sei also nicht entscheidend, ob die Klägerin selbst einen Antrag bei
einem Unfallversicherungsträger gestellt habe oder nicht. Da ein Arbeitsunfall bereits
bindend anerkannt gewesen sei, sei erstinstanzlich nicht mehr zu prüfen gewesen, ob es
sich um einen Bagatellunfall gehandelt habe oder nicht. Im Übrigen ist im Wesentlichen
das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt worden.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Juni 2003 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 05. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März
2001 aufzuheben und festzustellen, dass heutige Gesundheitsbeeinträchtigungen im
Bereich des rechten Beines in Form der fehlenden Belastbarkeit des rechten
Unterbeines, Versteifung des Sprunggelenks des rechten Beins ebenso in Form der
regelmäßigen Anschwellung des rechten Unterschenkels Folge des Arbeitsunfalls vom
16. Oktober 1984 sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass es sich bei dem Unfall um ein Bagatelltrauma gehandelt
habe, das nur deshalb bleibende Folgen hinterlassen habe, weil die Gewalteinwirkung auf
einen durch einen Freizeitunfall vorgeschädigten Knochen getroffen sei.
Auf Anordnung des Landessozialgerichts hat der Chefarzt der Abteilung
Extremitätenchirurgie des O P Dr. med. K nach ambulanter Untersuchung der Klägerin
vom 05. Juli unter dem 11. Juli 2004 ein schriftliches Sachverständigengutachten
erstattet. Der Sachverständige meint, „der 2. Unfall“ müsse als wesentliche Ursache für
den jetzigen Gesundheitszustand der Klägerin angesehen werden.
Die Beklagte hat hierzu eine schriftliche Stellungnahme ihres Beratenden Arztes MR Dr.
med. habil. M vom 04. Oktober 2004 vorgelegt, der ausführte, dass die Fraktur des
Unterschenkels vom 16. Oktober 1984 nur möglich geworden sei, weil eine erhebliche
Stress-Protection-Reaktion am rechten Schienbein der Klägerin vorgelegen habe, so
dass es keines in seiner Eigenschaft besonderen Ereignisses bedurft habe, dieses zur
Fraktur zu bringen. Damit sei die Schadensanlage überragend und damit allein
wesentliche Ursache für den entstandenen Gesundheitsschaden.
In seiner ergänzenden schriftlichen Stellungnahme vom 07. November 2004 hat Dr.
med. K dem Beratenden Arzt der Beklagten insoweit widersprochen, als dieser von einer
„hochgradigen Schadensanlage“ ausgegangen sei. Es gebe keine schlüssige
Begründung dafür, warum ein Knochen plötzlich auf dem Arbeitsweg nach fünf Monaten
normaler Alltagsbelastung ohne äußeres Ereignis brechen müsse. Zum Thema der
Häufigkeit von Zweitfrakturen nach Osteosynthesen bei Schienbeinbrüchen lägen nach
seiner Internet-Recherche keine Untersuchungen/Fallberichte vor. Eine wissenschaftlich
begründbare und belegbare Bewertung sei somit nicht möglich.
Die Beklagte hat eine weitere schriftliche Stellungnahme (vom 25. Januar 2005) von Dr.
med. habil. M mit Kopien aus einem Standardwerk für die operative
Knochenbruchbehandlung (Manual der Osteosynthese, 3. Auflage, Seite 240, vgl. Kopie
Bl. 204 der Gerichtsakten) vorgelegt.
In seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 06. April 2005 hat Dr. med. K
ausgeführt, dass eine „normale Knochenheilung” nach zirka drei Monaten
abgeschlossen und der Knochen belastbar sei. Diese Zeit müsse dementsprechend
auch als ausreichend für belastungsadaptive Knochenumbauprozesse angesehen
werden. Eine Fraktur fünf Monate nach nachgewiesener alltagstauglicher,
beschwerdefreier Vollbelastbarkeit könne somit nicht mehr allein nicht auf die
Schwächung des Knochens durch ein Implantat zurückgeführt werden.
Die Beklagte übersandte daraufhin eine schriftliche Stellungnahme des Facharztes für
Chirurgie Prof. Dr. med. K vom 28. August 2005 vor, worin mitgeteilt wird, dass die
biomechanische Problematik durch „Stress-Shielding-Reaktion“, „Stress-Protection-
Reaktion“ bei zeitnaher Refraktur nach Entfernung des Osteosynthesematerials an den
unteren Extremitäten eine wesentliche Rolle spiele.
In der nichtöffentlichen Sitzung des 27. Senats des Landessozialgerichts Berlin-
Brandenburg vom 4. Januar 2006 der Sachverständige Dr. med. K vernommen worden.
Mit Stellungnahmen vom 26. März 2009 und 03. April 2003 ergänzte er sein Gutachten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten (Az.: ) sowie der
Verwaltungsakten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Az.: ), die
beigezogen wurden und in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Die Klage ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig aber unbegründet. Das SG hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 05. April 2000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2001 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Feststellung der geltend gemachten Gesundheitsstörungen als
Folgen eines Arbeitsunfalls vom 16. Oktober 1984.
Die Beurteilung des von der Klägerin erhobene Anspruchs richtet sich gemäß § 215 Abs.
1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) nach § 1150 Abs. 2
Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor dem 01. Januar 1997 geltenden Fassung,
weil Gesundheitsstörungen als Folgen von im Jahr 1984 eingetretenen
Gesundheitsstörungen geltend gemacht werden.
Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01. Januar
1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht
Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle
und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt u. a. nicht für
Krankheiten, die einem ab 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der
Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach
dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 a.a.O.). Im
vorliegenden Fall wurde der Unfall erst nach dem 31. Dezember 1993 einem ab dem 01.
Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger, nämlich dem
Gemeindeunfallversicherungsverband Brandenburg, erst durch ein Schreiben der
Klägerin vom 10. Juni 1997 bekannt. Wie sich aus der handschriftlichen Ergänzung der
Klägerin in ihrem Schreiben vom 20. Juli 1997 an den
Gemeindeunfallversicherungsverband Brandenburg ergibt, hat sich die Klägerin selbst
erst auf Anraten ihres Hausarztes und des Versorgungsamtes erst an den
Gemeindeunfallversicherungsverband Brandenburg gewandt, nachdem ihr die
Erwerbsunfähigkeitsrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA)
gewährt worden war. Da diese Rente der Klägerin aber erst mit Rentenbescheid vom 01.
Februar 1994 gewährt worden war, kommt auch insoweit ein „Bekanntwerden“ des
Unfalls bei einem zuständigen Unfallversicherungsträger vor dem 1. Januar 1994 nicht in
Betracht.
Ein vor dem 01. Januar 1994 liegendes Bekanntwerden im Sinne des § 1150 Abs. 2 Satz
2 Nr. 1 RVO liegt auch nicht darin, dass die Klägerin in ihrem Rentenantrag vom 08. April
1993 einen anerkannten Arbeitsunfall vom November 1984 mitgeteilt hat und mit
dessen Folgen ihre Erwerbsunfähigkeit begründet hat. Dies wie auch die Erwähnung des
Unfalls aus dem Jahr 1984 mit Unfallfolgen in der Anamnese des Rentengutachtens des
Facharztes für Orthopädie DM F vom 10. September 1993 sowie im Befund- und
Behandlungsbericht des Oberarztes der Unfallklinik des C-Klinikums C Dr. med. H vom
27. Juli 1993 haben lediglich dazu geführt, dass der BfA, nicht aber einem zuständigen
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung der Unfall das Ereignis vom Oktober 1984
bekannt geworden ist. Aus den Aktenunterlagen ist auch nicht ersichtlich, dass einem
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung das Ereignis vom Oktober 1984 über die BfA
bekannt geworden ist. Das Bekanntwerden des Unfalls bei dem
Rentenversicherungsträger kann einem anderen Sozialleistungsträger, hier einem
zuständigen Unfallversicherungsträger, auch nicht über die Vorschrift des § 16 Abs. 2
Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zugerechnet werden, wie die Klägerin
meint. Denn diese Vorschrift fingiert lediglich die Einhaltung eines Zeitablaufs für den
Eingang eines Antrages, nicht jedoch andere Voraussetzungen für Sozialleistungen wie
etwa das tatsächliche Bekanntwerden eines Vorfalls bei einem Sozialleistungsträger (vgl.
BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, B 2 U 11/00 R, HVBG-Info 2001, 1086).
Dies gilt auch, soweit die Klägerin in ihrem Schreiben vom 20. Juli 1997 darauf
hingewiesen hat, dass „der gesamte Vorgang“ - gemeint: schriftliche Unterlagen zum
Unfall vom Oktober 1984 - neben den Rentenunterlagen sich auch mit weiteren
Unterlagen beim Amt für Soziales und Versorgung Cottbus befinde.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X, die im Grundsatz auch bei
Versäumung einer Frist des materiellen Rechts zulässig (BSGE 64, 153, 155 = SozR
1300 § 27 Nr. 4; BSG SozR 3-2200 § § 176 b Nr. 1; BSG SozR 3-5070 § 21 Nr. 8) und
daher mangels eines Ausschlusses im Sinne des § 27 Abs. 5 SGB X auch bei
Versäumung der Ausschlussfrist nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO zulässig ist,
kommt hier nicht in Betracht. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die
Klägerin ohne eigenes Verschulden daran gehindert wurde, einem Träger der
gesetzlichen Unfallversicherung den in der DDR erlittenen Unfall von 1984 bekannt zu
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gesetzlichen Unfallversicherung den in der DDR erlittenen Unfall von 1984 bekannt zu
geben. Auch scheitert eine Wiedereinsetzung daran, dass sie nicht gemäß § 27 Abs. 2
Satz 1 SGB X innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, das heißt nach
Kenntnis der Zuständigkeit der Beklagten, bei dieser einen Antrag auf Wiedereinsetzung
gestellt oder die versäumte Handlung nachgeholt hat.
§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO findet auch auf Unfälle Anwendung, die - wie hier -
bereits in der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle anerkannt waren, so dass hierdurch bei
Vorliegen der Voraussetzungen dieser Rechtsnorm eine Überprüfung daraufhin, ob sie
nach den Vorschriften des Dritten Buches der RVO als Arbeitsunfälle zu entschädigen
wären, nicht ausgeschlossen ist. Die Fiktion des § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gilt nach dem
eindeutigen Wortlaut des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht für Unfälle und
Krankheiten, die einem ab 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der
Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach
dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären; irgendwelche Einschränkungen
- etwa hinsichtlich einer Ausnahme für bereits in der DDR anerkannte Arbeitsunfälle -
sind dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Dies entspricht auch der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 10. Oktober 2002, B 2 U
10/02 R, HVBG- Info 2002, 4354 ff. m. w. N.) der der Senat folgt.
Auch wenn der Unfall mit Bescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung Gesundheitswesen
Cottbus-Land vom 15. November 1984 bereits in der ehemaligen DDR als Arbeitsunfall
anerkannt worden sein sollte (Das Datum dieses Unfalls ist im Bescheid nicht enthalten),
kommt es für den Anspruch der Klägerin somit darauf an, ob auch nach den Vorschriften
des Dritten Buches der RVO der Unfall vom 16. Oktober 1984 als Arbeitsunfall zu
entschädigen wäre.
Der Unfall der Klägerin vom 16. Oktober 1984 wäre jedoch nicht als Arbeitsunfall nach
dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen. Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1
Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540, 543 - 545
RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Nach § 550 Abs. 1 gilt als
Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 - 545
bezeichneten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und vom Ort der Tätigkeit.
Der Senat legt seiner Beurteilung zugrunde, dass sich die Klägerin am 16. Oktober 1984
um 6.50 Uhr, etwa 10 Minuten vor Dienstantritt, auf dem ca. 2 km langen Weg zu ihrer
Arbeitsstätte in C, A und damit auf dem direkten Weg von ihrer Wohnung zum Ort ihrer
Tätigkeit befand (vgl. Unfallmeldung vom 19. Oktober 1984 sowie Wegeunfall-
Fragebogen vom 03. November 1998), den sie von ihrer Wohnung in der A-Straße
(heute M Straße) angetreten hatte und den sie zu Fuß bis zur Haltestelle der
Straßenbahn am vor gelagerten Haus A-Straße, danach mit der Straßenbahn bis zum S
und dort den Rest zu Fuß gehend zurücklegen wollte
Auch wäre sie als beim R, zum Unfallzeitpunkt in der Gesundheitsfürsorge beschäftigt
gewesene Krankenschwester nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO kraft Gesetzes in der
gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen aufgrund dieses bestehenden
Arbeitsverhältnisses.
Allerdings vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass sich ein (Arbeits-
)Unfall im Sinne der RVO ereignet hatte. Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht
bestimmt. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum im Wesentlichen einhellig
vertretenen Auffassung ist Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes
Ereignis (s. u. a. BSGE 23, 139, 141 = SozR Nr. 1 zu § 555 RVO; BSG SozR 2200 § 548
Nr. 56, siehe jetzt auch § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Soweit daneben zum Teil auch
gefordert wird, das Ereignis müsse „von außen“ auf den Menschen einwirken, soll damit
lediglich ausgedrückt werden, dass ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst
kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (siehe BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56;
Brackmann/Krasney a.a.O. § 8 Rdnr. 10; Schulin a.a.O. § 28 Rdnr. 5). Wesentlich für den
Begriff des Unfalls sind hiernach ein („äußeres“) Ereignis als Ursache und eine
Körperschädigung als Wirkung (B 2 U 18/00 R, zitiert nach juris).
Zweifelhaft ist bereits, ob ein von „außen“ auf die Klägerin einwirkendes Ereignis
stattgefunden hat. Denn es lässt sich bereits kein Hergang zweifelsfrei feststellen, der
der Beurteilung zugrunde gelegt werden kann. Augenzeugen gibt es nicht. Die Klägerin
selbst hat unterschiedliche Angaben zum Hergang gemacht.
Nach Rechtsprechung des BSG ist zwar bereits ausreichend, dass der Körper beim
Aufprall auf den Boden stößt (vgl. BSG, Urteil vom 18. April 2000, B 2 U 7/99 R, HVBG-
Info 2000, 1846 ff.). Auch unphysiologische körpereigene Bewegungen können eine
Einwirkung „von außen“ auf den Körper in dem aufgezeigten Sinne darstellen (z. B.
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Einwirkung „von außen“ auf den Körper in dem aufgezeigten Sinne darstellen (z. B.
Umknicken beim Laufen); dasselbe soll auch für physiologische körpereigene
Bewegungen gelten (vgl. Beispiele bei Keller, in Hauck/Noftz, a. a. O., Rz. 11 a). Ein in
diesem Sinne von außen wirkendes Ereignis lässt sich hier allenfalls als ein
unbestimmbares „Biegungstrauma“ nachweisen.
Die Klägerin hat zum Hergang nicht nur unterschiedlich sondern auch teilweise
widersprüchlich vorgetragen.
Im Krankenblatt des B Krankenhauses C ist als Unfalltag der 16. Oktober 1984 und als
Unfallhergang vermerkt: „Mit linkem Bein weggerutscht und auf das rechte Bein gefallen,
auf einer Treppe“. Im Abschlussbericht ist als Aufnahmeanlass vermerkt: „Sturz auf oder
von Treppen und Stufen“.
Die Unfallmeldung ihres damaligen Betriebes vom 19. Oktober 1984 besagt: „Auf dem
Wege zur Straßenbahnhaltestelle umgeknickt, gestürzt, …“.
Auf Nachfrage der Unfallkasse Brandenburg gab die Klägerin als Unfallhergang in ihrem
Schreiben vom 03. Mai 1998 an, sie sei ohne ersichtlichen äußeren Grund mit dem
operierten Bein rechts leicht eingeknickt (nicht gestürzt).
Im Wegeunfall-Fragebogen gab die Klägerin am 3. November 1998 zum Unfall vom 16.
Oktober 1984 an, dass sie auf dem Fußweg vom Wohnhaus A Straße zur
Straßenbahnhaltestelle, von der aus sie bis zu ihrer Dienststelle habe fahren wollen, auf
den Stufen vor dem Haus A-Straße gestolpert, umgeknickt und gestürzt sei.
Sie hat in der Klageschrift das Unfallereignis so geschildert, dass sie auf dem Weg zur
Straßenbahnhaltestelle, unmittelbar in deren Bereich, umgeknickt und gestürzt sei.
In der nichtöffentlichen Sitzung des 7. Senats des Landessozialgerichts für das Land
Brandenburg vom 24. November 2003 hat sie erklärt, dass sie sich an den Ablauf nicht
mehr erinnern könne, da dies schon zu lange her sei. Sie gehe aber – ohne nähere
Erklärung weshalb – davon aus, dass die Variante, wie sie „Unfallhergang“ im
Krankenblatt des K Krankenhauses C aufgenommen worden ist, die richtige sei, also
„links weggerutscht und mit rechts auf eine Treppe gefallen beim Hochgehen“.
Der Sachverständige Dr. med. K hat anhand des Röntgenbildes vom 18. April 1985, also
nach dem angeschuldigten Unfall, anhand der Bruchform lediglich noch erkennen
können, dass es sich „bei dem Trauma vom November 1984“ um ein Biegungstrauma
gehandelt haben muss, d. h., dass der Knochen durch Belastung gebogen und an der
schwächsten Stelle dann gebrochen sei. Ein Biegungsbruch bei gestrecktem Bein lasse
sich nicht vorstellen, so dass jedenfalls eine Kniebeugung stattgefunden haben müsse.
Ein Umknicktrauma als Unfallereignis scheide aus, da es dabei eher zu einer
sprunggelenksnahen Fraktur, die hier nicht vorgelegen habe, komme (vgl. Seite 3/4
Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 04. Januar 2006). Soweit die Sachverständigen
deshalb von einem „Bagatelltrauma“ sprechen (Seite 10 des Gutachtens Dr. med. T,
Seite 13 des Gutachtens Dr. med. K) und insoweit eine Angabe im Abschlussbericht des
B Krankenhauses C vom 05. November 1985, in dem es u. a. heißt „… bei
Bagatelltrauma Refraktur …“ aufnehmen, wird nichts über den genauen Hergang
gesagt.
Selbst wenn alle von der Klägerin geschilderten Unfallabläufe bei ungeklärtem
konkretem Ablauf im Einzelnen einen Unfall im Sinne eines von außen wirkenden
Ereignisses darstellten, ließe sich ein (Arbeits-)Unfall im Sinne der voraus genannten
Definition im Sinne eines körperlich schädigenden Ereignisses keinesfalls feststellen.
Es lässt sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die am 16.
Oktober 1984 im B Krankenhaus C festgestellte Gesundheitsstörung „Schwellung der
rechten Tibia im distalen Drittel“ mit Unterschenkelfraktur rechts oder eine sonstige
körperliche Schädigung auf einen Unfall als wesentliche (Mit-) Ursache zurückführen ist.
Nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden maßgeblichen Lehre von der
wesentlichen Bedingung ist eine Bedingung als (mit-)ursächlich anzusehen, wenn sie im
Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg
zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat (ständige Rechtsprechung des BSG, seit
BSGE 1, 76 ff.). Der Begriff der rechtlich wesentlichen Bedingung ist ein Wertbegriff. Die
Frage, ob eine Bedingung für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert, den
ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSGE 12, 242, 245). Für den ursächlichen
Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung ist eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu
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hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu
verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den
Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Gewicht zukommt, so dass
darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286).
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die
Rechtsprechung als Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich
wesentliche Ursachen geben, sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis
wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist
nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht
annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende
Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen
keine überragende Bedeutung haben. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere
Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist
oder sind nur die erstgenannten Ursachen wesentlich und damit Ursache im Sinne des
Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im
zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und somit als Ursache
nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ausscheidet, kann in bestimmten
Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. (Nur) für
den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer
bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf
abzustellen, ob die Schadensanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die
„nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern
dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung
ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung
zukommen.
Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten
Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem,
einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache
unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des
Geschehens, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem
Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten
Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein. Die
Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen
bestimmten Ereignissen und der Prüfung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das
schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt
geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Es geht
dabei nicht um die Ablösung der für das Sozialrecht kennzeichnenden
individualisierenden und konkretisierenden Kausalitätsbetrachtung durch einen
generalisierenden, besondere Umstände des Einzelfalles außer Betracht lassenden
Maßstab, sondern um die Bekräftigung des allgemeinen beweisrechtlichen Grundsatzes,
dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss.
Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-
epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung
wissenschaftlicher Erkenntnis ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren
Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen
aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten
Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur
vereinzelt vertretenden Auffassung gefolgt werden.
Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung
des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die
geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten
sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der
Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so, wie er es subjektiv
bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte ist so geschützt, wie
er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf
objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen: Die Ursachenbeurteilung im
Einzelfall hat „anhand“ des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung
seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisstandes.
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder
mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis
und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt
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und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt
werden muss. Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs - der
haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende
Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den
Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, die reine Möglichkeit
genügt nicht. (vgl. zu allem BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, in: Die
Sozialgerichtsbarkeit 2007, 242 ff., 244).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich bereits nicht feststellen, dass ein
(unfall)versichertes Ereignis am 16. Oktober 1984 kausal im philosophisch-
naturwissenschaftlichen Sinne gewesen ist, so dass sich das Ereignis nicht hinweg
denken ließe, ohne dass der Erfolg - die Unterschenkelfraktur rechts der Klägerin -
entfallen würde. Dass das Ereignis wesentliche Ursache nach den o.g. Maßstäben
gewesen ist, vermag der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens noch weniger
festzustellen.
Keines der vorliegenden Gutachten vermag davon zu überzeugen, dass die am 16.
Oktober 1984 festgestellten Verletzungen der Klägerin auf ein Geschehen dieses Tages
als wesentlich (Mit-)Ursache nach den oben genannten Maßstäben mit
Wahrscheinlichkeit zurückzuführen sind.
Soweit Dr. K meint, „das Unfallereignis“ sei „aufgrund der Schwere“ als wesentliche
Teilursache für den entstandenen Körperschaden (zunächst am 16. Oktober 1984
Refraktur am Schienbeinknochen) einzuschätzen, überzeugt seine Begründung nicht.
Die „Schwere“ begründet er mit einer „Abfangbewegung mit dem rechten Bein und
damit einhergehend eine Spitzenbelastung in Rotations- und Stauchungsform. Rechtlich
ist bereits dies nicht überzeugend aufgrund der fehlenden zweifelsfreien Feststellbarkeit
eines Hergangs. Auch sind die Ausführungen des Gutachters in sich damit nicht
widerspruchsfrei. Zu der angenommenen „Schwere“ steht im Widerspruch, dass er
selber das Geschehen als „Bagatelltrauma“ beschreibt. Die Schilderung durch die
Klägerin lasse keine andere Annahme zu (Seite 13 seines Gutachtens aus dem Monat
August 2004); das Ereignis sei „quantitativ und qualitativ eher geringer Natur“ gewesen
(Stellungnahme vom 26. März 2009). Desweiteren führt er in seiner Stellungnahme vom
26. März 2009 aus, dass sich die Angaben zum Unfallhergang widersprechen, dass der
Hergang als auch „die Rasanz“ nicht zweifelsfrei feststellbar seien.
Soweit er meint, dass es „ohne ein entsprechendes Unfallereignis“ nicht zur Refraktur
des Knochens gekommen wäre, stellt er „das Ereignis“ zwar als Ursache im
naturwissenschaftlichen Sinne dar. Dies ist allerdings bereits zweifelbehaftet aus den
oben genannten Gründen
Des Weiteren ist das Gutachten nicht überzeugend, da er ausführt, es gebe keine
unfallmedizinischen Erkenntnisse zu der Situation der (auch von ihm angenommenen
Refraktur), es fehle an unfallmedizinischen Erkenntnissen dazu, welcher äußeren
Ereignisse es bedürfe, damit es zu einer erneuten Refraktur komme und gleichwohl
meint, dass die von ihm konstruierte Abfangbewegung mit dem rechten Bein und damit
eine Spitzenbelastung in Rotations- und Stauchungsform“ die wesentliche Mitursache
sei. Diese Bewertung ist noch weniger überzeugend, als auch er davon ausgeht, dass
„das Unfallereignis auf einen in seiner Tragefähigkeit geschwächten Knochen eingewirkt“
habe: Der Schienbeinknochen sei aufgrund des stattgehabten Unterschenkelbruchs und
der operativen Behandlung noch dauerhaft geschwächt gewesen. Wenn er dennoch
meint, die Klägerin sei allen Belastungen des täglichen Lebens vor dem Unfallereignis
gewachsen gewesen, die Alltagstauglichkeit impliziere auch Stabilität bei
Stolperbewegung, unebenem Gelände und ähnlichem (Stellungnahme vom 28. März
2009), dieses komme ja nahezu täglich vor und sei damit hier vorauszusetzen,
widerspricht er seiner schon genannten Beurteilung, in der er selber das Geschehen als
„Bagatelltrauma“ beschreibt; das Ereignis sei „quantitativ und qualitativ eher geringer
Natur“ gewesen. Damit begründet er selbst, dass die Klägerin Alltagsbelastungen dieser
Art nicht gewachsen war und einer unversicherten Ursache eine überragende Bedeutung
zukommen könnte. Dies gilt um so mehr, als die Klägerin selber in ihren Darstellungen
des Hergangs unter anderen eine solche Alltagsbelastung dargestellt hat
(Stolperbewegung).
Letztlich verbleibt ihm zur Begründung seiner Auffassung eines Kausalzusammenhanges
lediglich die Annahme eines nicht bewiesenen Hergangs (die von ihm angenommene
Abfangbewegung mit dem rechten Bein) und die damit (unzureichend) begründete
„Schwere“ unter der Annahme einer Spitzenbelastung.
Die weiteren Gutachten begründen den Kausalzusammenhang ebenfalls nicht.
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Soweit vom Facharzt für Orthopädie DM F in seinem ärztlichen Gutachten vom 04. Mai
1999 unter anderem eine posttraumatische Arthrose/ Ankylose des oberen und unteren
rechten Sprunggelenks als Folge des Unfalls vom 16. Oktober 1984 beurteilt wird, ist
eine Begründung weder schriftlich erfolgt noch sonst zu erkennen. Die Äußerung des
Gutachters „Man muss davon ausgehen, dass der zweite Unfall (Arbeitswegeunfall) die
Ursache für den jetzigen Zustand ist“, erfüllt die genannten Anforderungen an die
Begründung eines Kausalzusammenhanges nicht.
Prof. Dr. K hat ausgeführt, am 16. Oktober 1984 habe sich eine Fraktur im distalen Tibia-
und eine zweite Fraktur im distalen Fibula-Bereich gezeigt. Bei der Verletzung am 16.
Oktober 1984 handele es sich um eine Fraktur an einer durch eine vorherige Fraktur
vorgeschädigten Tibia im Sinne einer Zweitfraktur. Soweit eine Arthrose im
Sprunggelenk und in dem Fußwurzelknochen vorliege, sei ein Teil wahrscheinlich auf den
Unfall von 1981 zurückzuführen, eine deutliche Verschlechterung durch den Unfall vom
16. Oktober 1984 sei sicher. Allerdings bleibt auch er eine Begründung schuldig, so dass
diese Beurteilung keine überzeugende Grundlage für ein der Klage stattgebendes Urteil
darstellt.
Allerdings macht seine Auswertung der ihm vorliegenden Röntgenbilder aus den Jahren
1981 und 1984 deutlich, dass die Tibiafraktur vom 16. Oktober 1984 quer verlief, in Höhe
der 4. Bohrlöcher von cranial, wobei sie an gleicher Stelle gelegen war wie 1981. Er teilte
„zahlreiche Aufhellungen aufgrund der Schraubenlöcher, im mittleren Frakturanteil der
Tibia geringe Kompaktaunregelmäßigkeiten mit einzelnen geringen Verschmälerungen
der Kompakta“ mit, wobei trotz „Stabilisierung“ die „Schraubenlöcher eindeutig noch
erkennbar waren“.
Auch das Gutachten von Dr. T verhilft der Klägerin nicht zum Erfolg. So hat Dr. med. T
ausgeführt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass es sich bei
dem Unfall von 1984 um eine Refraktur gehandelt habe und dass die festgestellten
Beeinträchtigungen im Bereich des rechten Sprunggelenks Folgen des Erstunfalls von
1981 seien. Inwieweit es durch den Zweitunfall zu einer Verschlimmerung gekommen
sei, sei nicht eindeutig zu sagen; eine Verschlechterung durch diesen Zweitunfall sei
möglich.
Lässt sich nicht mit Wahrscheinlichkeit sagen, dass das Ereignis vom 16. Oktober 1984
zu einem Gesundheitserstschaden geführt hat, lassen sich auch die von der Klägerin
noch geltend gemachten heutigen Gesundheitsstörungen nicht als Verletzungsfolgen
des Unfalls vom 16. Oktober 1984 feststellen. Insoweit fehlt es an der
haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Gesundheitserstschaden und den
geltend gemachten heutigen Gesundheitsstörungen.
Soweit Dr. med. K als Spätfolge den Zusammenbruch des Mittel- und Rückfußskeletts
bezeichnet hat (Seite 4 seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. März 2009) und die
Klägerin diesbezüglich eine Gesundheitsbeeinträchtigung in Form der Versteifung des
Mittelfußes geltend macht, lässt sich der Unfall vom 16. Oktober 1984 unabhängig von
der nicht feststellbaren Ursächlichkeit des Unfalls für einen Erstschaden schon aufgrund
der Ausführungen von Dr. med. K nicht als wesentliche Ursache dieser Erkrankung
feststellen.
In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 26. März 2009 in Ergänzung seiner Aussage in
der nichtöffentlichen Sitzung des 27. Senats vom 04. Januar 2006 (Anlage 1 zur
Sitzungsniederschrift vom 04. Januar 2006, Seite 5) hat er dargelegt, dass für ihn der
einzig vorstellbare Zusammenhang in der erheblichen Schwächung des gesamten
Fußwurzelskeletts durch „die Unfälle“ und die dann nachfolgenden langen
Immobilisationsbehandlungen liege (Seite 5 seiner ergänzenden schriftlichen
Stellungnahme vom 26. März 2009). Insofern halte er den Zusammenhang für möglich,
eine Wahrscheinlichkeit sei bei einer derartig raren Befund- und Datenlage aber nicht
herzustellen. Die Datenlage ist allerdings Ergebnis umfassender Ermittlungen. Die
Klägerin hat erstinstanzlich in ihrer Erklärung über Angaben über ärztliche Behandlungen
für die Zeit von 1984 bis 1992 - also für den Zeitraum, für den Dr. med. K medizinische
Unterlagen vermisst - lediglich die „Poliklinik am Krankenhaus C“ als die Stelle ihrer
ärztlichen Behandlungen angegeben. Soweit Behandlungsunterlagen aus dieser Zeit
noch vorhanden waren, sind sie bereits im Verwaltungsverfahren beigezogen worden
(vgl. Negativanzeige des Gesundheitsamtes Cottbus vom 14. Juni 1999; Schreiben des
C-Klinikums C vom 09. Juli 1999, mit dem die Krankenblätter der Klägerin aus dem Jahren
1981 und 1984 übersandt worden sind; Schreiben des C-Klinikums C vom 14. Juli 1999
mit dem Hinweis, dass sämtliche Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 1992 an die
Orthopädische Praxis des Dr. K weitergegeben worden seien).
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Was die von der Klägerin darüber hinaus geltend gemachte
Gesundheitsbeeinträchtigung in Form der regelmäßigen Anschwellung des rechten
Unterschenkels als Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Oktober 1984 betrifft, ließe sich
diese selbst bei Feststellbarkeit eines Erstschadens nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den
Unfall vom 16. Oktober 1984 zurückführen. Dr. med. K hat hierzu in seiner ergänzenden
schriftlichen Stellungnahme vom 03. April 2008 ausgeführt, dass diese
Gesundheitsstörung Folge des „verplumpten“, verformten und deformierten Fußes sei,
der keine physiologische Abrollbewegung mehr erlaube, so dass dies im Verein mit
Narbenbildung und Einsteifung des Fußes Stauchungszustände im Sinne eines nicht
funktionierenden „Blutumlaufs“ im Bein verursache (Seite 2 seiner schriftlichen
ergänzenden Stellungnahme vom 03. April 2008). Soweit er den Fuß „durch die
stattgehabten Unfälle und die entsprechende Ausheilung“ als vom Unfall verletzt
einschätzt, ist dies nicht überzeugend, da er eine Betroffenheit des Fußes durch den
Unfall vom 16. Oktober 1984 gerade nur als möglich einschätzt.
Soweit Dr. med. K eine geringe bis mäßiggradige Arthrose mit deutlichen
Beweglichkeitseinschränkungen im oberen Sprunggelenk diagnostiziert hat und dies in
seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03. April 2009 nunmehr als „Unfallauswirkung“
beurteilt, da „schließlich die Syndesmose (bindegewebige Verbindung zwischen Schien-
und Wadenbein) mitverletzt und versorgt worden sei, kann auch dem nicht gefolgt
werden. Eine Verletzung des Syndesmosebandes war lediglich Folge des Privatunfalls
aus dem Jahr 1981, wie der Operationsbefund vom 02. Oktober 1981 deutlich zeigt, nicht
aber Folge des Unfalls vom 16. Oktober 1984. Von einer Beteiligung des
Syndesmosebandes ist in den Krankenunterlagen des B Krankenhauses C über den
stationären Aufenthalt wegen des Unfalls vom 16. Oktober 1984 nicht die Rede, auch
nicht im schriftlichen Sachverständigengutachten von Dr. med. K.
Die Kostenentscheidung, die dem Ausgang des Rechtsstreits entspricht, beruht auf §
193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß §
160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
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