Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.09.2007

LSG Berlin-Brandenburg: wohnung, zusammenleben, haushalt, zustellung, lebensgemeinschaft, lebensmittel, gewalt, zustand, unterbringung, anfang

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
26. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 26 B 1888/07 AS
ER, L 26 B 1900/07
AS PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86b SGG, § 7 SGB 2, § 9 SGB 2
Bedarfsgemeinschaft; Verantwortung und
Einstehensgemeinschaft; Lebensgemeinschaft;
Voraussetzungen einer Bedarfsgemeinschaft bei
Zusammenleben der Partner
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam
vom 11. September 2007 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen
Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig, ab Zustellung dieses Beschlusses
bis zu einer bestandkräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers
gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Juli 2007, längstens jedoch bis zum
31. Januar 2007, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, für Dezember 2007
anteilig für die verbleibenden Tage vom Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses an,
ohne Anrechnung von Einkommens der Frau AJ zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten des gesamten einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird
abgelehnt.
Gründe
Die gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige
Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom
11. September 2007 ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Nachdem der Antragsteller sein Gesuch um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
nach einem Hinweis des Senats auf die Zeit ab Beschlussfassung des Senats bis
längstens zum 31. Januar 2008 beschränkt hat, war die Antragsgegnerin lediglich noch
im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung des Einkommens
der Frau AJ(J)zu gewähren.
Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem
Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass
die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist
(Anordnungsgrund). Dabei sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund
jeweils glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2
ZPO).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragsteller hat einen Anspruch auf
Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dieser
Anspruch setzt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 9 SGB II voraus,
dass der erwerbsfähige Antragsteller hilfebedürftig ist.Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1
SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und
Mitteln sichern kann, wobei nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bei Personen, die in einer
Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu
berücksichtigen ist. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft eine
Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt
so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille
anzunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und füreinander einzustehen.
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anzunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und füreinander einzustehen.
Nach § 7 Abs. 3a) SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu
tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner
1. länger als ein Jahr zusammenleben,
2. mit einem gemeinsamen Kind zusammen leben,
3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
Zwischen den Beteiligten ist im vorliegenden Fall nicht im Streit, dass der Antragsteller
bedürftig ist. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der Senat aber nach dem
derzeitigen Sach- und Streitstand nicht davon überzeugt, dass der Antragsteller mit
Frau J in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und deshalb ihr Einkommen auf den Bedarf des
Antragstellers in Höhe von über 500,00 € angerechnet werden muss. Zwar lebt der
Antragsteller seit mehreren Jahren in dem Haus der Frau J, so dass die Vermutung nahe
liegt, dass sie in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft leben. Ein weiteres
der in § 7 Abs. 3a) SGB II genannten Tatbestandsmerkmale ist im Falle des Antragsteller
indes nicht erfüllt. Er und Frau J leben nicht mit einem gemeinsamen Kind in einer
Wohnung, es werden keine Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgt und es besteht
auch keine gegenseitige Befugnis über das Einkommen oder das Vermögen des jeweils
anderen zu verfügen.
Das Tatbestandsmerkmal „länger als ein Jahr zusammenleben“ kann allerdings ohne
nähere Präzisierung nicht allein als Anknüpfungspunkt für das Vorliegen einer
Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft dienen, weil insoweit auch eine
Wohngemeinschaft im Sinne einer gemeinsam genutzten Wohnung erfasst würde. (vgl.
dazu Wenner, SozSich 2006,146 ff.).
Dementsprechend liegt eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft nur dann
vor, wenn die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges
Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Sie ist auf
Dauer angelegt und lässt daneben keine weitere Lebensgemeinschaft zu. Sie geht über
eine Haushaltsgemeinschaft hinaus (Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 7
RdNr. 69).
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass eine solche Gemeinschaft zwischen dem
Antragsteller und Frau J besteht. Diese Überzeugung stützt sich vor allem aus dem nach
Aktenlage erkennbaren Bemühen der Frau J den Antragsteller unter Inanspruchnahme
gerichtlichen Rechtsschutzes zu veranlassen, ihr Wohnhaus zu verlassen. Das
amtsgerichtliche Verfahren bei dem Amtsgericht Luckenwalde endete insoweit am 10.
Mai 2005 durch Vergleich. Danach hat sich der Antragsteller verpflichtet, „sich um eine
eigene Wohnung zu bemühen und dann die Wohnung von Frau J zu räumen“. Dass der
Antragsteller dieser Verpflichtung bisher nicht nachgekommen ist, beruht wohl u. a.
darauf, dass der Antragsteller Besitzer zweier Hund ist, die er „für kein Geld der Welt
opfern will“. Für diese Hunde benötigt er einen Zwinger, der ihm auf dem Grundstück der
Frau J zur Verfügung steht. Die Suche nach einer gleichwertigen Wohnung mit der
Möglichkeit der Unterbringung der Hunde war bisher nicht erfolgreich. Der Antragsteller
hat zudem nach Aktenlage im alkoholisierten Zustand mehrmals, so u. a. am 22. April
2005 und am 4. November 2005 Frau J körperliche Gewalt angedroht, mit der Folge,
dass gegen ihn ein Platzverweis ausgesprochen werden musste. In diesem
Zusammenhang hat Frau J u. a. gegenüber zwei namentlich bekannten Polizeibeamten
erklärt, dass die Partnerschaft zwischen ihr und dem Antragsteller beendet sei und dass
der Antragsteller die Wohnung räumen solle. Frau J hat im Übrigen in einem Schreiben
an die Bevollmächtigten des Antragstellers vom 6. Oktober 2007 anschaulich ihre
erfolglosen Bemühungen geschildert, den Antragsteller „vor die Tür zu setzen“.
Schließlich sind nach Aktenlage auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Frau J
und der Antragsteller gemeinsam wirtschaften. Nach einer Bescheinigung der L T vom
23. November 2007 dürfte sich der Antragsteller dort zwei Mal wöchentlich mit
Lebensmittel zu versorgen. Die Kosten für ein von dem Antragsteller genutztes Handy
werden spätestens seit Juli 2007 von ihm selbst getragen.
Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus der existenzsichernden Funktion der Leistungen nach
dem SGB II. Der Senat sieht Anlass für den Hinweis, dass, sollte sich in einem möglichen
Hauptsacheverfahren erweisen, dass diese Anordnung von Anfang an ganz oder
teilweise ungerechtfertigt war, der Antragsteller verpflichtet ist, der Antragsgegnerin den
Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Vollziehung dieser Anordnung entsteht (§ 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 945 ZPO).
Schließlich kann die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe für
das erstinstanzliche Verfahren ebenso wie der Antrag des Antragstellers, ihm für dieses
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das erstinstanzliche Verfahren ebenso wie der Antrag des Antragstellers, ihm für dieses
Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, keinen Erfolg haben. Die
Verfahren haben sich erledigt. Im Hinblick auf den in diesem Beschluss
ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch für das gesamte einstweilige
Rechtschutzverfahren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr an der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog und § 73 a SGG in Verbindung mit
§§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 der Zivilprozessordnung.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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