Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.05.2006

LSG Berlin und Brandenburg: ddr, öffentliches amt, zugehörigkeit, industrie, mitgliedschaft, ingenieur, versorgung, qualifikation, beitrittserklärung, rentenalter

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 19.05.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 18 RA 161/03
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 6 RA 54/03
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Die
während des Berufungsverfahrens erhobene Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten
einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten, die seit dem 01. Oktober 2005 Deutsche Rentenversicherung Bund
Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme heißt, die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur
Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech; Anlage 1 Nr 1 zum Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG)) vom 03. November 1969 bis zum 30. Juni 1990 und Zeiten der
Zugehörigkeit zur freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates (AVSt; Anlage 1 Nr 19
zum AAÜG) vom 11. Juni 1990 bis zum 30. Juni 1990 sowie die Feststellung der während dieser Zeiträume
tatsächlich erzielten Arbeitsverdienste.
Er ist im 1938 geboren und erwarb - eigenen Angaben zufolge - im Mai 1963 nach erfolgreichem Studium an der T H
M den akademischen Grad eines Diplom-Ingenieurs. Seit dem 03. November 1969 war er in verschiedenen
volkseigenen Betrieben (VEB) tätig, seit dem 15. April 1980 als Erzeugnisgruppensekretär/Betriebsorganisator im
VEB I B (im Folgenden: VEB I), der am 30. Juni 1990 noch als VEB existierte. Dieser Betrieb schloss am 30. Mai
1990 mit dem Rat des Stadtbezirks Berlin-Weißensee und dem Kläger einen Überleitungsvertrag. Danach wurde der
mit dem VEB I bestehende Arbeitsvertrag gemäß §§ 51, 53 des Arbeitsgesetzbuchs der DDR (AGB-DDR) vom 16.
Juni 1977 (GBl I 185) zum 10. Juni 1990 aufgelöst und ab dem 11. Juni 1990 der Beginn einer Tätigkeit als Leiter des
Büros des Bürgermeisters im Rat des Stadtbezirks Berlin-Weißensee vereinbart. Während seiner
Beschäftigungszeiten in der DDR war der Kläger sozialpflichtversichert. Zudem trat er mit Wirkung zum 01. April 1973
der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) bei. Eine Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem war nicht
erfolgt. Der Kläger hat weder zu irgendeinem Zeitpunkt (schriftlich) seinen Beitritt zur AVSt erklärt, noch hat er hierzu
Beiträge gezahlt.
Im Dezember 2001 beantragte er bei der Beklagten, seine Beschäftigungszeiten in der DDR vom 01. Juli 1963 bis
zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech sowie die während dieses Zeitraums tatsächlich erzielten
Arbeitsverdienste festzustellen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 7. Mai 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2002).
Die anschließend vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 02. Juni
2003), mit der der Kläger zuletzt nur noch die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech vom 03.
November 1969 bis zum 30. Juni 1990 und der während dieses Zeitraums tatsächlich erzielten Entgelte begehrt hatte.
Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch des Klägers scheitere daran, dass er am 30.
Juni 1990 nicht mehr in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem diesem gleichgestellten Betrieb gearbeitet
habe.
Im Berufungsverfahren vertritt der Kläger die Auffassung, für die Zuerkennung von Zeiten in der AVItech genüge es,
wenn er am 30. Juni 1990 als Ingenieur in einem volkseigenen Produktionsbetrieb tätig gewesen sei; eines
Arbeitsvertrages hierüber bedürfe es nicht. Er sei auch nach dem 10. Juni 1990 außerhalb seiner Arbeitszeit beim Rat
des Stadtbezirks Berlin-Weißensee in seinem früheren Betrieb tätig gewesen. Zum Beweis dieser Behauptung legt er
Erklärungen des ehemaligen Bezirksbürgermeisters von Berlin-Weißensee GS vom 27. November 2003 und des
ehemaligen Gewerkschafts-Vertrauensmannes des VEB I G S vom 17. Dezember 2003 vor, auf die hinsichtlich der
Einzelheiten Bezug genommen wird.
Nachdem der Kläger mit seiner Berufung zunächst nur die Verpflichtung der Beklagten zur Berücksichtigung von
Zeiten der Mitgliedschaft in der AVItech vom 03. November 1969 bis zum 30. Juni 1990 erstrebt hatte, beantragt er
nunmehr (Schriftsatz vom 15. November 2003),
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. Juni 2003 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid
der Beklagten vom 07. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Dezember 2002 abzuändern
und die Zeit seiner Berufstätigkeit als Ingenieur vom 03. November 1969 bis zum 30. Juni 1990, hilfsweise bis zum
10. Juni 1990, als Zeit der Mitgliedschaft zur freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz
sowie die Zeit seiner Tätigkeit bei dem Bezirksamt Weißensee von Berlin vom 11. Juni 1990 bis zum 30. Juni 1990
als Zeit der Mitgliedschaft in der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates
anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
Sie hält die erhobenen Ansprüche für nicht gegeben. Zwar habe es sich beim VEB I zum 30. Juni 1990 um einen
volkseigenen Produktionsbetrieb iS der AVItech gehandelt. Eine entgeltliche, auf einem Arbeitsvertrag beruhende
Beschäftigung des Klägers nach dem 10. Juni 1990 für diesen Betrieb sei aber nicht belegt. Ferner sei weder die
Tätigkeit eines Erzeugnisgruppensekretärs noch die eines Betriebsorganisators eine ingenieurtechnische Tätigkeit iS
der AVItech. Allenfalls für einen Erzeugnisgruppenleiter, der grob gesagt einem Produktionsleiter entspreche, möge in
Betracht gezogen werden, dass er dem Produktionsablauf so nahe gestanden habe, dass er diesen aktiv
organisatorisch habe gestalten können. Demgegenüber entspreche ein Erzeugnisgruppensekretär demjenigen, der den
Produktionsumfang etc dokumentiere.
In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 19. Mai 2006 hat die Beklagte verschiedene Unterlagen eingereicht;
insoweit wird auf die Angaben in der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze
der Beteiligten, und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Zu entscheiden ist über eine vom Kläger sinngemäß erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG)), die nicht nur auf die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech vom 03.
November 1969 bis zum 30. Juni 1990 gerichtet ist, sondern auch auf die Feststellung der während dieses Zeitraums
tatsächlich erzielten Entgelte. Obwohl die Beklagte über das zuletzt genannte Begehren im angefochtenen Bescheid
(in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) nicht ausdrücklich - negativ - entschieden hat und der Kläger sich mit
seinem ausdrücklich gestellten Berufungsantrag auf das zuerst beschriebene Begehren beschränkt zu haben scheint,
stehen prozessuale Gründe einer Sachentscheidung des Senats auch insoweit nicht entgegen (vgl § 123 SGG). Zum
einen hat die Beklagte die für das auf die Entgeltfeststellung abzielende Begehren entscheidende Vorfrage des
Vorliegens von "Zugehörigkeitszeiten" abschlägig beschieden und damit auch die hiervon abhängigen Ansprüche auf
kalenderjährliche Feststellungen von Arbeitsverdiensten abgelehnt, so dass ein solches Begehren nicht schon wegen
Fehlens einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung unzulässig ist. Zum anderen ist davon auszugehen, dass der
Kläger dieses noch vor dem SG verfolgte Begehren nicht fallengelassen hat, sondern sich auch insoweit gegen
dessen Urteil wendet, soweit es dieses Begehren abschlägig beschieden hat. Würde dieser Teil der Entscheidung
nämlich in Rechtskraft erwachsen, könnte der Kläger das letztlich hinter seiner Klage liegende Ziel der
Berücksichtigung sämtlicher Arbeitsverdienste in der Zeit vom 1. März 1971 (Einführung der FZR) bis zu seinem
Beitritt zur FZR (01. April 1973) und einer Berechnung seiner Rente (gegebenenfalls im Wege eines Antrages nach §
44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) unter Einschluss möglicherweise nicht in der FZR versicherter Entgelte nicht
erreichen. Die Klage hat keinen Erfolg, denn der Kläger fällt schon nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich
des § 1 Abs 1 AAÜG. Damit entfällt die weitere Prüfung gemäß § 5 AAÜG, ob er in seinem Berufsleben im streitigen
Zeitraum Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, die den Charakter von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech aufweisen.
Denn erst wenn der persönliche Anwendungsbereich des AAÜG bejaht wird, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob
derartige Zugehörigkeitszeiten vorliegen (vgl hierzu stellvertr BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 3).
Der Kläger hatte bei Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gegen einen
Versorgungsträger und keine Versorgungsanwartschaft (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG). Er hatte auch nicht früher einmal
nach den Regeln der Versorgungssysteme eine Versorgungsanwartschaft erlangt, die er durch Ausscheiden aus dem
Versorgungssystem verloren hatte (§ 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG).
Er hatte insbesondere, was seinem Anspruch allein zum Durchbruch verhelfen könnte, auch am 01. August 1991 aus
bundesrechtlicher Sicht zum 30. Juni 1990 keinen "Anspruch auf eine Versorgungszusage" im Wege einer
verfassungskonformen Erweiterung des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG erworben. Danach ist diese Norm auf diejenigen zu
erstrecken, die am 30. Juni 1990 (den Tag vor der Schließung der Zusatzversorgungssysteme der DDR) zwar nicht in
ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, aber aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990
gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 01. August 1991 einen "Anspruch auf
Versorgungszusage" im Hinblick auf die bundesrechtlich weiter geltenden leistungsrechtlichen Regeln der
Versorgungssysteme gehabt hätten (vgl etwa BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 8 Seite 73). Aus bundesrechtlicher Sicht
waren hingegen zu diesem Zeitpunkt nicht einbezogen diejenigen, die nach den Versorgungsordnungen oder
Durchführungsbestimmungen oder sonstigen Regelungen der ehemaligen DDR lediglich durch Einzelvertrag oder
Einzelentscheid oder Ermessensentscheidung hätten einbezogen werden können. Denn eine derartige (Ermessens-
)Entscheidung, die auch der Erzeugung politischen und gesellschaftlichen Wohlverhaltens diente, könnte allein aus
der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen werden. Sie darf infolgedessen mangels sachlicher,
objektivierbarer, bundesrechtlich nicht nachvollziehbarer Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden (BSG SozR 3-
8570 § 1 Nr 3).
Ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage im Bereich der AVItech besteht nicht. Gemäß § 1
der VO-AVItech vom 17. August 1950 (GBl 844) und § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der 2. Durchführungsbestimmung
zur VO-AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl 487; 2. DB) hängt ein solcher von drei (persönlichen, sachlichen und
betrieblichen) Voraussetzungen ab (vgl BSG aaO). Generell war dieses System eingerichtet für
- Personen, die berechtigt waren eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und - die
entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar - in einem volkseigenen
oder diesen gleichgestellten Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (betriebliche Voraussetzung).
Am 30. Juni 1990 erfüllte der Kläger zwar die persönliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech, da er
berechtigt war, den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu führen, dagegen waren die sachliche und die betriebliche
Voraussetzung zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt weder eine
ingenieurtechnische Tätigkeit ausgeübt, noch war er in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der genannten Art
beschäftigt.
Ob die betriebliche Voraussetzung im Sinne der VO-AVItech iVm der 2. DB erfüllt ist, bestimmt sich - entgegen der
Rechtsauffassung des Klägers - danach, wer Arbeitgeber im rechtlichen Sinn war (BSG SozR 4-8570 § 1 Nr 2). Dies
ergibt sich schon daraus, dass - sofern die Voraussetzungen für eine Anwendung des AAÜG gegeben sind - letztlich
ein Ziel des Gesetzes ist, Beschäftigungszeiten als gleichgestellte Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen
Rentenversicherung festzustellen, um dann unter Zugrundelegung der entsprechenden Verdienste die für die
Festsetzung des Rentenwertes im späteren Leistungsverfahren maßgebliche fiktive Vorleistung für die Versicherung
(gemessen in sog Entgeltpunkten) bewerten zu können. Es muss ein Beschäftigungsverhältnis iS des § 1 Nr 1
Sechstes Buch Sozialgesetzbuch iVm § 7 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) (zur Anwendung auf
"DDR-Sachverhalte" sogleich) bestanden haben, also im Regelfall ein Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinn.
Parteien dieses Rechtsverhältnisses sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wenn bei der Qualifizierung, ob ein
Beschäftigungsverhältnis von einem bestimmten Versorgungsverhältnis erfasst wurde, ua auf den Betriebstyp
abzustellen ist, ist der Betrieb des Arbeitgebers angesprochen; dieser ist die Beschäftigungsstelle im rechtlichen
Sinn. Ein Dritter ist nicht Partei des Beschäftigungsverhältnisses. Deshalb kommt es auf dessen Betrieb nicht an (vgl
hierzu: BSG SozR 4-8570 § 5 Nr 1 für den Fall, dass die Arbeitsleistung nicht im Betrieb des Arbeitgebers, sondern
im Betrieb eines Dritten geschuldet wird).
Beschäftigung ist nach § 7 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die
Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Bei der Anwendung des Bundesrechts auf Sachverhalte aus der Zeit der
ehemaligen DDR sind zwar die Besonderheiten der DDR zu berücksichtigen. Der Rechtsbegriff des
Arbeitsverhältnisses der DDR stimmte aber mit dem bundesdeutschen Rechtsverständnis weitestgehend überein
(Arbeitsleistung gegen Lohn, Weisungsrecht, Eingliederung in einen Betrieb, §§ 40, 80-83, 95 AGB-DDR), so dass der
Rechtsbegriff "Beschäftigung" auf einen Sachverhalt in der DDR nach Sinn und Zweck anwendbar ist (BSG aaO).
Selbst wenn der Kläger am 30. Juni 1990 noch Beschäftigungen als Erzeugnisgruppensekretär/Betriebsorganisator im
VEB Isolierungen, einem Betrieb der noch zum Stichtag die oben skizzierten betrieblichen Voraussetzungen erfüllte,
nachgegangen sein sollte, geschah dies weder aufgrund eines Arbeitsverhältnisses mit diesem Betrieb noch gegen
Entgelt. Der ursprüngliche Arbeitsvertrag mit diesem Betrieb vom 15. April 1980 als
Erzeugnisgruppensekretär/Betriebsorganisator ist durch den Überleitungsvertrag vom 30. Mai 1990 mWz 10. Juni
1990 aufgelöst worden. Stattdessen stand der Kläger ab dem 11. Juni 1990 (und - was entscheidend ist - auch noch
am 30. Juni 1990) ausschließlich in einem Arbeitsverhältnis zum Rat des Stadtbezirks Berlin-Weißensee. Mag er
noch zum Stichtag im gewissen Umfange für seinen alten Betrieb Tätigkeiten als
Erzeugnisgruppensekretär/Betriebsorganisator verrichtet haben, so bestanden jedenfalls mangels eines neu
begründeten Arbeitsvertrages (§ 38 AGB-DDR) mit dem VEB Isolierungen entsprechende Arbeitspflichten nicht mehr;
er unterlag nicht mehr den Weisungen dieses Betriebes. Ebenso wenig erhielt er für am Stichtag möglicherweise noch
verrichtete Tätigkeiten in seinem alten Betrieb ein vertraglich geschuldetes Arbeitsentgelt von diesem Betrieb.
Gegenteiliges lässt sich weder dem Vortrag des Klägers, der zu keiner Zeit behauptet hat, vom VEB I über den 10.
Juni 1990 hinaus eine Vergütung erhalten zu haben, noch den vom ihm vorgelegten schriftlichen Erklärungen von G S
und von G S entnehmen. Der Kläger stellt das Fehlen eines neuen Arbeitsvertrages mit dem VEB I nicht in Abrede.
Die schriftlichen Erklärungen beschäftigen sich allein damit, dass es überhaupt noch eine weitere Tätigkeit für den
VEB I gab. Sie sind aber mit Blick auf die beweiserheblichen Fragen (Beschäftigung am Stichtag im Rahmen eines
neuen Arbeitsvertrages mit dem VEB I und entsprechende Entgeltzahlung) völlig unergiebig.
Selbst wenn man unterstellen wollte, der Kläger hätte zum Stichtag (30. Juni 1990) noch eine entgeltliche
Beschäftigung als Erzeugnisgruppensekretär/Betriebsorganisator im VEB Isolierungen aufgrund eines
Arbeitsvertrages mit diesem Betrieb ausgeübt, wäre die sachliche Einbeziehungsvoraussetzung nicht erfüllt, denn mit
dieser Tätigkeit hätte der Kläger am 30. Juni 1990 keine seiner Qualifikation ("Diplom-Ingenieur") entsprechende
Tätigkeit ausgeübt. Wie sich aus der Präambel der VO-AVItech ergibt, sollten in das Versorgungssystem
grundsätzlich nur solche Personen einbezogen werden, die für die Entwicklung der wissenschaftlichen
Forschungsarbeit und der Technik zuständig waren, also diejenigen, die mit ihrer "technischen" Qualifikation aktiv den
Produktionsprozess, sei es in der Forschung oder bei der Produktion förderten (BSG Urteil vom 31. März 2004 - B 4
RA 31/03 R - und BSG SozR 4-8570 § 5 Nr 6). Danach liegen beim Kläger nicht die sachlichen Voraussetzungen für
eine (fiktive) Einbeziehung vor, denn er war weder in der Forschung noch in der Produktion tätig, noch hatte er den
Produktionsprozess gefördert. Nach der Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und
des Bauwesens vom 10. Dezember 1974 (GBl I 1), die letztmals durch die Anordnung Nr 2 über die Einführung der
Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens vom 13. Oktober 1982
(GBl I 616) geändert worden ist, wurden die Beschäftigten bestimmten Tätigkeitshauptgruppen zugeordnet, die sich
ausschließlich am Merkmal "ausgeübte Tätigkeit" orientierten. Danach wurde zwischen Produktionspersonal
(Produktionsarbeiter und ingenieur-technisches Personal); produktionsvorbereitendes Personal, Leitungs- und
Verwaltungspersonal, Betreuungspersonal, pädagogischem Personal und übrigem Personal unterschieden. Zum
ingenieurtechnischen Personal wurden Beschäftigte gezählt, die in den produzierenden Einheiten des Betriebes für die
Durchführung des technologischen Prozesses eingesetzt waren und deren Funktion laut Stellenplan eine
abgeschlossene Ausbildung als Techniker, Fach- und Hochschulkader voraussetzte. Zum Produktionspersonal
rechneten außerdem Beschäftigte der TKO und der Gütekontrolle sowie die Operativtechnologen und die
Beschäftigten der Datenverarbeitung für Prozessteuerung. Zu dieser Personalgruppe zählt weder die Tätigkeit als
Erzeugnisgruppensekretär noch die als Betriebsorganisator, denn sie waren nicht mit einem direkten Einfluss auf die
Produktionsprozesse des VEB I verbunden. Der Betriebsorganisator ist - wie sich aus den ersten beiden Ziffern der
Ordnungsnummer aus dem Qualifikationshandbuch des Ministeriums für B ergibt, die in der Regel den
Nomenklaturnummern der Beschäftigtengliederung der genannten Rahmenrichtlinie entsprachen - der Betriebs- und
Leitungsorganisation (Nomenklaturnummer ) zuzuordnen. Nach der in diesem Qualifikationshandbuch aufgeführten
Charakteristik bestand die Arbeitsaufgabe des Betriebsorganisators in der Leitung und Kontrolle einer effektiven
Betriebsorganisation des Kombinats bzw des Betriebs. Er hatte die Erarbeitung von Grundsatzmaterialien für die
wissenschaftliche Organisation der Leitungs- und Informationsprozesse zu sichern. Außerdem leitete er die ihm
unterstellten Mitarbeiter nach den Prinzipien der sozialistischen Leitungstätigkeit und kontrollierte die Realisierung der
ihnen übertragenen Aufgaben. Bei der Tätigkeit eines Erzeugnisgruppensekretärs handelt es sich nach der
Überzeugung des Senates um eine verwaltende, im Wesentlichen dokumentierende Aufgabe. Dass dem so ist, ist
dem erkennenden Senat durch den ihm angehörenden ehrenamtlichen Richter N vermittelt worden, der im Bereich
bezirksgeleitete Industrie in Berlin, dem Bereich also zu dem der VEB I gehörte, sachkundig ist, weil ua die
betrieblichen Abläufe und organisatorischen Formen in eben jener Industrie Gegenstand seiner beruflichen Tätigkeit -
Forschungstätigkeit in den Jahren 1972 bis 1990 - waren. Dass der Senat beabsichtigt, sich auf die Sachkunde des
Richters N bezüglich des Charakters der Tätigkeit eines Erzeugnisgruppensekretärs zu stützen, hat er in der
mündlichen Verhandlung deutlich gemacht und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der
Hauptzweck der klägerischen Tätigkeit, wie sie hier vom Senat ausgehend von der Berufsbezeichnung unterstellt
wird, lag also weder in der Forschung noch in der Förderung des Produktionsprozesses, sondern er übte ggf zum
Stichtag schwerpunktmäßig eine betriebsbezogene Tätigkeit aus, die nicht unter die VO-AVItech fiel.
Der Kläger kann auch nicht im Wege einer Gesetzes- bzw Rechtsanalogie auf Grund seiner beruflichen Qualifikation
den in § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB zur VO-AVItech genannten Gruppen gleichgestellt werden. Den Gerichten ist es im
Hinblick auf das Verbot von Neueinbeziehungen im Einigungsvertrag (EV) untersagt, eine Erweiterung des
anspruchsberechtigten Personenkreises über den in den einzelnen Versorgungssystemen vorgesehenen begünstigten
Personenkreis hinaus vorzunehmen.
Für den Kläger streitet auch nicht § 2 Abs 4 der 2. DB. Danach erlosch zwar der Anspruch auf Rente (dh der Leistung
aus dem Zusatzversorgungssystem) für die Dauer von Berufungen in "öffentliche Ämter" oder in "demokratische
Institutionen (Parteien, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund usw)" nicht. Dabei kann offen bleiben, ob die Tätigkeit
als Büroleiter des Bezirksbürgermeisters einer Berufung in ein öffentliches Amt gleichzustellen wäre. Denn der Kläger
hat vor dem 01. Juli 1990 keinen Versicherungsschein erhalten hat und war damit nicht einbezogen, weswegen er
auch zuvor keinen "Anspruch" auf Rente hatte, der wegen seiner Tätigkeit als Büroleiter des Bezirksbürgermeisters
hätte erlöschen können (vgl BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R). Ein fiktiver bundesrechtlicher
Anspruch auf eine Versorgungszusage kann auch nicht bezogen auf die AVSt aus der Tätigkeit des Klägers als Leiter
des Büros des Bezirksbürgermeisters hergeleitet werden. Gemäß § 1 AVSt vom 29. Januar 1971 (abgedruckt bei
Aichberger II, Sozialgesetze, Ergänzungsband für die neuen Bundesländer, Nr 208) wurde für Leiter und Mitarbeiter
des Staatsapparates eine freiwillige zusätzliche Altersversorgung eingeführt. Ihr konnten gemäß § 1 der 2. Richtlinie
zur Durchführung der AVSt vom 17. Juni 1975 (abgedruckt bei Aichberger, aaO, Nr 209) im einzelnen genannte
Mitarbeiter beitreten, wenn sie in einem Arbeitsrechtsverhältnis zu einem Staatsorgan standen, das vom
Geltungsbereich der AVSt erfasst war, und die zum Beitritt geforderten Voraussetzungen erfüllt waren (§ 1 der
genannten 2. Richtlinie). Mitarbeiter des Staatsapparates war aber nur, wer bei einem Organ des Staatsapparates tätig
war. Welche Organe als solche des Staatsapparates anzusehen waren, ergibt sich unmittelbar nicht aus den bereits
zitierten Texten zum Versorgungssystem. Eine Einschränkung erfolgt aber aus den hierzu ergangenen
Bearbeitungsmaterialien, nämlich der so genannten "Argumentation zur Einführung der Altersversorgung für
Mitarbeiter des Staatsapparates". Hiernach sollten nur die Beschäftigten solcher Organe zum Beitritt zur
Zusatzversorgung berechtigt sein, die originäre hoheitliche Aufgaben erfüllten, was den tatsächlichen Verhältnissen in
der DDR entsprach; folglich waren als Organe des Staatsapparates unter anderem der Staatsrat der DDR und sein
Apparat, die Ministerien, andere zentrale staatliche Organe, die Räte der Bezirke, Kreise, Städte, Stadtbezirke und
Gemeinden sowie die Gerichte und Staatsanwaltschaften anzusehen, hingegen nicht nachgeordnete Einrichtungen
(BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 5). Gemäß § 2 Abs 1 AVSt konnten der Versorgung alle Mitarbeiter des Staatsapparates
beitreten, die (a) ab Aufnahme der Tätigkeit im Staatsapparat bis zum Rentenalter mindestens 15 Jahre
ununterbrochen im Staatsapparat tätig sein konnten, (b) ab Aufnahme der Tätigkeit im Staatsapparat bis zum
Rentenalter mindestens fünf Jahre ununterbrochen im Staatsapparat tätig sein konnten, wenn sie bei Einführung der
Versorgung bereits im Staatsapparat tätig waren. Gemäß § 6 Satz 1 aaO bestand für Männer ein Anspruch auf
Altersversorgung ab Vollendung des 65. Lebensjahres. Gemäß § 2 Abs 2 aaO erfolgte der Beitritt zur Versorgung
durch Abgabe einer schriftlichen Beitrittserklärung des Mitarbeiters gegenüber dem Staatsorgan. Der Mitarbeiter erhielt
vom Staatsorgan einen Nachweis über den Beitritt. Gemäß § 3 aaO war die Mitgliedschaft in der AVSt mit einer
Beitragszahlungspflicht verbunden. Es kann im vorliegenden Fall dahin stehen, ob dem Einbeziehungsanspruch
bereits das Fehlen der formellen Kriterien (schriftliche Beitrittserklärung und Beitragszahlung) entgegensteht (so mit
Rücksicht auf die fehlende Beitrittserklärung: Sächsisches LSG, Urteil vom 15. Dezember 2004 – L 4 RA 486/03 –
veröffentlich in Juris, unter Berufung auf BSG, Urteil vom 30. Juni 1998 – B 4 RA 11/98 R). Denn jedenfalls scheitert
der Anspruch an dem Fehlen der materiellen Zugehörigkeitsanforderungen der AVSt. Nicht zu klären ist in diesem
Zusammenhang, ob der Kläger überhaupt Mitarbeiter des Staatsapparats im Sinne der Versorgungsordnung war. Denn
er erfüllte jedenfalls keine der beiden in § 2 Abs 1 aaO genannten Alternativen. Weder konnte er noch volle 15 Jahre
bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Staatsapparat tätig sein, da er am 11. Juni 1990 bereits das 50.
Lebensjahr überschritten hatte (er war damals 52 Jahre alt), noch war er bei Einführung der Versorgung im Jahre 1971
bereits im Staatsapparat tätig. Schließlich führt auch § 4 Abs 3 der genannten 2. Richtlinie zu keinem anderen
Ergebnis. Danach konnte zwar unter bestimmten dort näher geregelten Voraussetzungen der Beitritt zur AVSt gewährt
werden, wenn eine noch mindestens 10-jährige ununterbrochene Tätigkeit im Staatsapparat bis zum Rentenalter
möglich war. Eine mögliche Einzelfallentscheidung kann aber im Hinblick auf eingeräumte Entscheidungsspielräume -
wie ausgeführt - nicht Grundlage einer sachorientierten Entscheidung sein, da insoweit zwangsläufig auf eine in der
DDR übliche (ggf willkürliche) Verwaltungspraxis zurückgegriffen werden müsste. Die Anwendung der
Stichtagsregelung auf die Fälle des vom BSG entwickelten fiktiven Anspruchs auf Einbeziehung in ein System der
Zusatzversorgung bewirkt keine dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz widersprechende
nachteilige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu denjenigen, die von der Regelung der gesetzlich fingierten
Anwartschaft in § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG Nutzen gezogen haben. Das BSG war durch den
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gehalten, diese Sonderregelung, die wenige betraf, auf alle diejenigen zur
Anwendung zu bringen, die zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für einen fiktiven
Anspruch im Sinne der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllten. Der von § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG
erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens
vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der DDR rechtlich gesicherte
Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten. Der hier in Frage stehende Personenkreis
hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der DDR zu keinem Zeitpunkt inne. Er hatte, wenn er die
Voraussetzungen für einen fiktiven Anspruch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BSG erfüllte, lediglich
eine Chance oder Aussicht, die durch die entsprechenden Versorgungsordnungen der DDR eröffnet war und erst durch
die gesamtdeutsche Rechtsprechung realisiert wurde. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der
Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im
Rentenrecht der DDR der Beitritt zur FZR offen, war dort allerdings mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es
bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung,
diesen Personenkreis den durch § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die
Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die
Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnelleren Herbeiführung der
rentenrechtlichen Renteneinheit zu versagen. Dies gilt unbeschadet dessen, dass, wie der vorliegende Fall zeigt, die
Anwendung des Stichtages 30. Juni 1990 mit erheblichen Härten verbunden ist (Bundesverfassungsgericht,
Beschluss vom 26. Oktober 2005, 1 BvR 1921/04, 1 BvR 203/05, 1 BvR 445/05 und 1 BvR 1144/05). Soweit der
Kläger erstmals im Berufungsverfahren klageweise den Anspruch erhoben hat, die Beklagte zu verpflichten, die Zeit
vom 11. Juni 1990 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVSt samt der während dieses Zeitraums
erzielten Arbeitsverdienste festzustellen (zur Erstreckung des Klagebegehrens auf die Feststellung der Verdienste,
vgl obige Ausführungen), ist die Klage unzulässig, da dem Senat für eine Sachentscheidung hierüber die funktionale
Zuständigkeit fehlt (§ 29 SGG; BSG SozR 3-1500 § 29 Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).