Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.11.2003

LSG Berlin-Brandenburg: besondere härte, aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, vollziehung, beratung, abklärung, zahlungsunfähigkeit, abrechnung, nummer, erlass

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 KA 61/09 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 85 Abs 4 S 9 SGB 5 vom
14.11.2003, § 106a SGB 5 vom
14.11.2003, § 87 SGB 5 vom
14.11.2003, Nr 03120 EBM-Ä
2005
Kassenärztliche Vereinigung - sachlich-rechnerische
Berichtigung - Beratung (Nr 03120 EBM-Ä 2005) -
höchstpersönliche Leistungserbringung des Vertragsarztes
Leitsatz
Die Abrechnung der Nr. 03120 EBM-Ä ("Beratung, Erörterung und/oder Abklärung, Dauer
mindestens 10 Minuten") erfordert die höchstpersönliche Leistungserbringung durch einen
Arzt.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
10. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 16.167,- Euro
festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die im Rahmen einer sachlich-rechnerischen
Berichtigung durch die Antragsgegnerin vorgenommene Kürzung seines ärztlichen
Honorars für die Quartale II/2005 bis I/2006; im Streit steht ein Rückforderungsbetrag
von insgesamt 32.333,99 Euro.
Mit Beschluss vom 10. März 2009 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag auf Anordnung
der aufschiebenden Wirkung der Klage S 71 KA 582/08 zurückgewiesen und zur
Begründung angeführt: Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, denn zu Recht
habe die Antragsgegnerin die Ziffer 03120 EBM-Ä aus dem Honoraranspruch des
Antragstellers herausrechnen dürfen. Diese Leistung dürfe nur bei unmittelbarem Arzt-
Patientenkontakt abgerechnet werden, der nach dem eigenen Vorbringen des
Antragstellers aber überwiegend nicht gegeben gewesen sei. Zudem sei angesichts der
Vermögensverhältnisse des Antragstellers bei Vollziehung der Bescheide eine
besondere Härte nicht zu befürchten.
Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, die Ziffer
03120 EBM-Ä setze keinen höchstpersönlichen Arzt-Patienten-Kontakt voraus; es sei
unschädlich, dass die Leistungen insoweit von seinen nichtärztlichen Mitarbeiterinnen
erbracht worden seien. Im Übrigen bewirke die Vollziehung der angefochtenen Bescheide
eine besondere Härte. Ihm drohe Zahlungsunfähigkeit; ein Verkauf seines
Wohneigentums sei nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen.
Wegen des Sachverhalts, der zwischen den Beteiligten unstreitig ist, nimmt der Senat im
Übrigen Bezug auf die zutreffenden Darstellungen im Widerspruchsbescheid vom 19.
August 2008 sowie im Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2009, des
Weiteren auf den Inhalt der Akten des Eil- und des Klageverfahrens sowie auf den
Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin den
Eilantrag zurückgewiesen. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
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Von Gesetzes wegen sind die hier angefochtenen Bescheide über die sachlich-
rechnerische Berichtigung bzw. Kürzung der ärztlichen Honorare für die Quartale II/2005
bis I/2006 sofort vollziehbar, § 86 a Abs. 2 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 85
Abs. 4 Satz 9 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V), so dass ein Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG
grundsätzlich statthaft ist.
Im Rahmen der Begründetheitsprüfung ist - bezogen auf den insoweit maßgeblichen
Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts - eine Abwägung der jeweiligen Interessen der
Beteiligten vorzunehmen, die die vom Gesetzgeber getroffene Grundentscheidung, den
Eintritt der aufschiebenden Wirkung abweichend von dem in § 86 a Abs. 1 SGG
geregelten Grundsatz nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 85 Abs. 4 Satz 9
SGB V gerade auszuschließen, zu beachten hat. Ergibt diese Abwägung, dass das
private Interesse eines Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
belastenden Bescheides überwiegt, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Dies
wiederum ist in aller Regel dann der Fall, wenn sich der angegriffene Bescheid als
offensichtlich rechtswidrig erweist und dies mit einer subjektiven Rechtsverletzung des
Belasteten einhergeht, weil an der sofortigen Vollziehung eines mit der Rechtsordnung
nicht im Einklang stehenden Bescheides kein öffentliches Interesse besteht. Umgekehrt
überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Bescheides das
private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines
Rechtsbehelfs grundsätzlich dann, wenn gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides
offensichtlich keine Bedenken bestehen. In diesem Fall ist die aufschiebende Wirkung in
der Regel nicht anzuordnen. Lässt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des
angegriffenen Bescheides indes im Rahmen des Eilverfahrens nicht hinreichend sicher
beantworten, kommt es unter Berücksichtigung der oben dargestellten
Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Begründetheit des Antrages entscheidend
auf die sonstigen Interessen der Beteiligten an. Grundsätzlich hat hierbei zu gelten, dass
die an das private Interesse eines Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden
Wirkung zu stellenden Anforderungen im Sinne einer dynamischen Betrachtung um so
höher sein müssen, je geringer die Erfolgsaussichten des von ihm in der Hauptsache
eingelegten Rechtsbehelfs zu bewerten sind. Nicht außer Betracht gelassen werden
dürfen in diesem Zusammenhang die wechselseitig eintretenden Folgen, die jeweils
entstünden, wenn sich die durch das Gericht getroffene Eilentscheidung im
Hauptsacheverfahren als unzutreffend erweisen sollte.
Hieran gemessen hat der Eilantrag keinen Erfolg; es überwiegt das
Vollziehungsinteresse, weil die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Die
angefochtene Honorarkürzung beruht ausschließlich auf der Herausnahme der Ziffer
03120 EBM-Ä; entscheidend ist damit allein, ob der Antragsteller einen Anspruch auf
Vergütung für die insoweit von ihm abgerechneten, aber von nichtärztlichem Personal
erbrachten Leistungen hat oder nicht. Zu Recht haben die Antragsgegnerin und das
Sozialgericht diese Frage verneint. Auch der Senat ist der Auffassung, dass die
Abrechnung der Ziffer 03120 EBM-Ä in der Fassung des Einheitlichen
Bewertungsmaßstabes (EBM) vom 1. April 2005 die höchstpersönliche
Leistungserbringung durch einen Arzt erfordert. Auf die zutreffenden Ausführungen im
Widerspruchsbescheid und im erstinstanzlichen Beschluss kann insoweit zur Vermeidung
von Wiederholungen Bezug genommen werden. Ziffer 03120 befindet sich im Kapitel 3.3
/ 3.3.1 des EBM, betreffend „Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung /
Hausärztliche Grundleistungen“ und umfasst „Beratung, Erörterung und/oder Abklärung,
Dauer mindestens 10 Minuten“. Wortlaut und Einbettung der Ziffer deuten insoweit auf
das Erfordernis der höchstpersönlichen ärztlichen Leistungserbringung. „Beratung“ und
Angabe einer festen Zeitdauer sind im Rahmen ärztlicher Gebührenvorschriften
geradezu typische Anhaltspunkte für die Abrechenbarkeit (nur) ärztlicher Tätigkeit. So
verstehen auch Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung
„Aufklärung und Beratung des Patienten“ als höchstpersönliche Leistung des Arztes (Dt.
Ärzteblatt 2008, Seite A 2174). Dass Ziffer 03120 von einem unmittelbaren Arzt-
Patienten-Kontakt ausgeht, der nach Nr. 4.1 der „Allgemeinen Bestimmungen“ die
„räumliche und zeitgleiche Anwesenheit von Arzt und Patient und die direkte Interaktion
derselben“ voraussetzt, wird weiter dadurch belegt, dass „bei der
Nebeneinanderberechnung der Leistungen nach den Nummern 03110 bis 03112 und
03120 eine Dauer der Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten
Voraussetzung für die Berechnung der Leistung nach der Nummer 03120“ ist. Hieraus
kann nur geschlussfolgert werden, dass Nummer 03120 stets den unmittelbaren Arzt-
Patienten-Kontakt beinhaltet.
Unabhängig davon ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Vollziehung der
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Unabhängig davon ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Vollziehung der
Honorarkürzung vor Eintritt der Bestandskraft für den Antragsteller eine unbillige, nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte (vgl. § 86 a Abs. 3 Satz 2
SGG) zur Folge hätte. Trotz aller vom Antragsteller vorgelegten Materialien vermag der
Senat keinen Anhaltspunkt dafür zu erkennen, dass die ratenweise Durchsetzung der
Forderung ihn in existentiell bedrohende wirtschaftliche Bedrängnis bringen könnte.
Allein die Existenz des vom Antragsteller eingeräumten Immobilienvermögens in Gestalt
von vier Eigentumswohnungen spricht dagegen. Auch hat der Antragsteller, worauf die
Antragsgegnerin zu Recht hingewiesen hat, nach Bekannt werden der möglicherweise
auf ihn zukommenden Forderungen im September 2006 Festgeldtransaktionen in Höhe
von 150.000,- Euro vorgenommen. Noch nach Erlass des ersten hier relevanten
Bescheides vom 16. August 2007 hat der Antragsteller nach seinem eigenen Vorbringen
Festgeld in Höhe von rund 90.000,- Euro zurück auf sein Girokonto übertragen.
Angesichts dieser Beträge fällt es dem Senat mehr als nur schwer, dem Vorbringen des
Antragstellers zu folgen, ihm drohe nun als pensioniertem Arzt Zahlungsunfähigkeit, falls
der derzeit noch offene Kürzungsbetrag von 15.333,99 Euro weiter abzutragen sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit
§§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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