Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 18.04.2008

LSG Berlin-Brandenburg: berufskrankheit, zwang, krankenschwester, anerkennung, hauterkrankung, verwaltungsakt, therapie, hautkrankheit, entschädigung, ausbildung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
31. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 31 U 451/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Nr 46 BKV vom 20.06.1968, Anl
1 Nr 5101 BKV, § 9 Abs 1 SGB 7,
§ 551 Abs 1 RVO
Gesetzliche Unfallversicherung - Nichtanerkennung einer
Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 5101 - Unterlassungszwang -
tatsächliche Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit -
Krankenschwester/OP-Schwester - Kontaktekzem - Formaldehyd
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. April 2008
wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung und Entschädigung einer Hauterkrankung.
Die 1943 geborene Klägerin erlernte, nachdem sie zunächst von September 1959 bis
März 1961 als Hausgehilfin bzw. Haushaltspraktikantin und von April 1961 – April 1962
als Krankenpflegeschülerin tätig war, vom 2. April 1962 bis 21. April 1964 den Beruf der
Krankenschwester. In der Folgezeit arbeitete sie ihren Angaben zufolge für den Ev.
Diakonieverein bzw. andere Träger mit einer Unterbrechung von drei Monaten (1. April
1966 bis 16. Juli 1966), in der sie Hebammenschülerin war, als Krankenschwester in
verschiedenen Krankenhäusern. Ab August 1967 war sie als Operationsschwester tätig.
Im November/Dezember 1967 bzw. Januar 1968 kam es zu entzündlichen
Hautveränderungen an den Händen und Unterarmen, die sich unter Behandlung
besserten, aber zu keiner Abheilung führten. Zu einer Krankschreibung kam es nicht. Im
Januar 1969 gab die Klägerin ihre Tätigkeit als Op-Schwester auf, reduzierte ihre
Arbeitszeit und arbeitete als Sprechstundenhilfe bzw. Aushilfskraft in der
gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses. Gleichzeitig besuchte sie vom 1. März
bis 30. September 1969 eine private Lehranstalt und erlangte am 18. September 1969
die Mittlere Reife.
Am 7. Februar 1969 ging bei der Beklagten die Anzeige des Ev. Diakonievereins und am
21. März 1969 die Anzeige der Ärztin Dr. F über eine bei der Klägerin vorliegende
Berufskrankheit nach der Nr. 46 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) ein. Nach dem
ersten Untersuchungsbefund, den der Arzt B am 10. März 1969 erhob, bestand ein
Kontaktekzem, das jedoch wegen einer verhältnismäßig geringen Exposition lokal
begrenzt geblieben sei und nicht zur Krankschreibung geführt habe. Die Beklagte
veranlasste dann eine Begutachtung der Klägerin, die im Klinikum S durch die Hautärzte
Prof. Dr. S/PD Dr. K am 30. Juni 1969 vorgenommen wurde. Auch sie nannten als
Diagnose ein allergisches Kontaktekzem. Als Auslöser hierfür sahen sie in erster Linie
Formaldehyd bzw. formaldehydhaltige Desinfektionsmittel oder andere Berufsnoxen an
und führten die Erkrankung auf die Tätigkeit der Klägerin als Krankenschwester,
insbesondere als Op-Schwester zurück. Sie schlugen einen Ausgleich für den durch die
Berufskrankheit erlittenen Verdienstausfall vor. Der Landesgewerbearzt Dr. P ging in
seinen Stellungnahmen vom 15. August 1969 und 9. Oktober 1969 ebenfalls davon aus,
dass eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit im Sinne der Ziffer 46 der 7. BKV
vorliege. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezifferte er auf 30 v. H. bis zu einer
für Mai 1970 vorgesehenen Nachuntersuchung.
Mit Schreiben vom 15. April 1970 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass gegen einen
Wechsel von der Schwesterntätigkeit zur Schul- oder Lehrschwester ärztlicherseits keine
Bedenken bestünden. Da die Klägerin nach ihrer Schulung im Schwesternberuf
verbleibe, käme eine Entschädigung des Hautleidens nicht in Betracht. Sollte die
Klägerin mit dieser Mitteilung nicht einverstanden sein, so werde ihr ein klagefähiger
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Klägerin mit dieser Mitteilung nicht einverstanden sein, so werde ihr ein klagefähiger
Bescheid erteilt. Mit gleichem Schreiben gewährte ihr die Beklagte aufgrund des durch
das Hautleiden bedingten Wechsels der Schwesterntätigkeit Berufshilfe für die
Fortbildung zur Lehrschwester vom 1. April 1970 bis 31. März 1971 und erkannte auch
die schulische Ausbildung vom 1. März 1969 bis 30. September 1969 als
berufsfördernde Maßnahme an. Insoweit enthielt das Schreiben eine
Rechtsmittelbelehrung. Einwände hiergegen erhob die Klägerin nicht.
In der Zeit vom 1. November 1969 bis 15. April 1970 war die Klägerin als
Unterrichtsschwester/Unterrichtspraktikantin tätig. Die Ausbildung als Lehrkraft für
Krankenpflege begann sie am 6. April 1970. Nach einer Unterbrechung wegen
Kindererziehung beendete sie ihre Ausbildung mit dem Abschluss am 24. März 1972.
Nach einer erneuten Unterbrechung wegen Kindererziehung kehrte die Klägerin von Mai
bis Dezember 1979 und Februar 1980 bis Dezember 1980 in ihren Beruf als
Krankenschwester zurück, arbeitete jedoch nur aushilfsweise als Nachtwache. Es schloss
sich dann erneut eine Zeit der Kindererziehung an, bis sie ab 1. Januar 1986 die Tätigkeit
als Lehrkraft für Krankenpflege (Unterrichtsschwester) aufnahm und bis 31. März 1988
ausübte. Es folgten Zeiten als Hausfrau sowie der Arbeitslosigkeit vom 29. April 1988 bis
31. März 1990. Ab 1. April 1990 arbeitete sie wieder als Vollzeitkraft und zwar zunächst
bis 31. August 1990 als stellvertretende Stationsleitung in einem dem Arbeiter–
Samariter-Bund (ASB) gehörenden Krankenhaus für chronisch und psychisch Kranke.
Von September 1990 bis Juni 1991 war sie zur Hälfte als stellvertretende Stationsleitung
und zur anderen Hälfte als Lehrkraft für Krankenpflege tätig. In der Folgezeit vom 1. Juli
1991 bis 30. Juni 2000 war sie mit einer halben Stelle als Lehrkraft für Krankenpflege und
mit einer halben Stelle als Hygienefachschwester beschäftigt. Seit Dezember 2000 war
sie bis zu ihrer Kündigung zum 31. Dezember 2004 ausschließlich als
Hygienefachschwester beschäftigt. Ab 1. Januar 2005 trat wegen betriebsbedingter
Kündigung Arbeitslosigkeit ein. Mittlerweile ist die Klägerin Rentnerin.
Mit dem am 23. Januar 2001 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben machte die
Klägerin das Vorliegen einer Berufserkrankung wegen Kniebeschwerden geltend.
Gleichzeitig wies sie auf ihre „Berufskrankheit, Allergie (Haut)“ hin, die weiterhin bestehe.
Die Beklagte zog zunächst einen Bericht der die Klägerin behandelnden Hautärztin Dr. L
vom 2. Juli 2002 bei. In der beratenden Stellungnahme des Hautarztes Dr. A vom 27.
Februar 2002 führte dieser nach Untersuchung der Klägerin aus, es bestehe der
Verdacht auf ein beruflich erworbenes Kontaktekzem bei Sensibilisierung auf
Formaldehyd, auf eine Kontakturticaria Grad III bei Sensibilisierung auf Naturlatex,
atopisches Ekzem und auf ein orales Allergiesyndrom, Kniegelenksarthrose. Die Klägerin
sei als Hygienefachkraft für den ASB in verschiedenen Einrichtungen tätig. Diese
Tätigkeit werde bis auf den möglichen Allergenkontakt als nicht hautbelastend
eingeschätzt und könne mit den brachenüblichen Schutzmaßnahmen bei Verwendung
latexfreier Materialen weiter durchgeführt werden.
Die Beklagte ließ sich von der Barmer Ersatzkasse eine Aufstellung über Erkrankungen
der Klägerin vorlegen. Es ergab sich danach eine Behandlung/Arbeitsunfähigkeitszeit
wegen Neurodermitis in der Zeit vom 19. bis 24. Januar 1998. Ferner holte sie erneut
einen Befundbericht der Hautärztin Dr. L vom 30. März 2003 ein, die u. a. mitteilte, keine
Arbeitsunfähigkeitszeiten festgestellt zu haben. Auf Anfrage bei der Betriebsärztin der
Klägerin, Frau Dr. B, teilte diese am 20. Juni 2003 unter Übersendung weiterer
medizinischer Befunde mit, sie habe die Klägerin lediglich als Schulschwester und
Hygienefachkraft im ASB angetroffen. Eine „G 24“ sei wegen fehlender Hautbelastung
nicht angezeigt gewesen. Die Klägerin habe über muskuloskeletale Beschwerden
geklagt. Anschließend ließ die Beklagte die Klägerin durch den Direktor der Klinik für
Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Charité, Prof. Dr. S, begutachten. In dem
Gutachten vom 19. Januar 2004, das nach stationärem Aufenthalt der Klägerin vom 16.
Dezember 2003 bis 19. Dezember 2003 unter Mitarbeit der Oberärztin PD Dr. W und der
Ärztin im Praktikum J erstattet wurde, ist als Diagnose vermerkt: Mildgradig
ausgeprägtes Handekzem bei atopischer Diathese, wobei eine toxisch-irritative
Komponente bei zumindest beruflicher weitgehender Meidung der bekannten
Sensibilisierungen eine Rolle spiele. Als Ursache der Hautbeschwerden könne die
damalige Tätigkeit als Operationsschwester und der daraus resultierende Kontakt mit
Reinigungs- und Desinfektionsmitteln bei bestehender atopischer Diathese angesehen
werden. Eine Verschlimmerung könne nicht allein durch die beruflichen Einwirkungen
gezeigt werden, da die Tätigkeit als Lehrschwester eine geringe Hautbelastung berge.
Allenfalls sei von einer beruflichen Teilkomponente bei Verschlimmerung des
Hautekzems auszugehen. Seit Dezember 2000 arbeite die Klägerin ausschließlich als
Hygienefachschwester. Dabei habe sie sowohl administrative und organisatorische
Arbeiten als auch praktische Tätigkeiten (Begehungen von Stationen und Küchen,
Kontrolle der Gebäudereinigung, Kontrolle von Medizingeräten) zu verrichten. Es komme
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Kontrolle der Gebäudereinigung, Kontrolle von Medizingeräten) zu verrichten. Es komme
dabei zum Kontakt mit Wasser, Haut- und Flächendesinfektionsmitteln, Gummistoffen,
Textilien und Metallen und Patientenkontakt bei Hygienefragen. Die Klägerin habe durch
eine konsequente Therapie und Hautschutzmaßnahmen mit Zwirnhandschuhen und
Hautpflegecreme einen mäßig stabilen Hautzustand erlangt. Mit der aktuellen
Arbeitstätigkeit könne sie bei regelmäßiger und selbständiger Therapie und Pflege der
Haut diesen Zustand weiter beibehalten. Während der Zeit, in der sie nicht als
Krankenschwester gearbeitet habe, sei es zu keiner Besserung des Handekzems
gekommen. Die Klägerin habe mit der beruflich erworbenen Krankheit weitergearbeitet.
Auch aktuell drohe keine Gefahr einer berufsbedingten Hautkrankheit unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass die Tätigkeiten als Hygienefachschwester und
Lehrkrankenschwester einen großen Teil organisatorischer Arbeit beinhalteten.
Mit Bescheid vom 19 Februar 2004 lehnte die Beklagte „die Rücknahme des
Verwaltungsaktes vom 15. April 1970 ab“. Ein Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit als
Krankenschwester habe nicht bestanden, da mit einer ausreichend antientzündlichen
Lokaltherapie eine Stabilisierung des Hautzustandes habe erfolgen können.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und bezog sich auf ein Attest von Frau Dr.
L vom 1. Juni 2006, die ausführte, dass es sich um eine durch den Beruf verursachte
Hauterkrankung mit wiederholten Rückfällen handele. Die Beklagte beauftragte sodann
den Hautarzt, Allergologen und Umweltmediziner Prof. S mit einer gutachterlichen
Stellungnahme nach Aktenlage. Prof. S führte in seiner Stellungnahme vom 16. Juni
2004 aus, dass eindeutig berufsbedingt Sensibilisierungen vom Typ IV auf Formaldehyd,
Glutaraldehyd, Glyoxal-Trimer und 4-Aminomethylbenzolsulfonamid vorlägen. Auch er
verneinte einen aktuellen Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit als Hygienefachschwester, da
die Klägerin ihren Hautzustand trotz des persistierenden Ekzems einigermaßen
erträglich halten könne. Längere Unterbrechungen der Berufstätigkeit hätten zu keiner
Besserung oder wesentlichen Abheilung geführt.
Dem Bericht des Berufshelfers B vom 2. Dezember 2004 ist zu entnehmen, dass auch
dieser die Fortführung der Tätigkeit als Hygieneschwerster bei Beachtung der
empfohlenen Hautschutzmaßnahmen für möglich erachtet.
Mit Bescheid vom 25. August 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der
Begründung heißt es, mit Verwaltungsakt vom 15. April 1970 sei die Anerkennung der
Hautkrankheit als Berufskrankheit abgelehnt worden, weil die Erkrankung nicht zur
völligen Aufgabe der beruflichen Tätigkeit als Krankenschwester geführt habe. Als
Lehrschwester habe die Klägerin weiterhin im Krankenpflegedienst arbeiten können,
unzweifelhaft habe auch bei diesen Tätigkeiten eine Hautbelastung, wenn auch geringer
als bei der früheren Tätigkeit, bestanden. Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens habe
sich gezeigt, dass die Klägerin als Hygienefachkraft nur einer geringen Hautbelastung
ausgesetzt sei und diese Tätigkeit ausgeübt werden könne. Eine Voraussetzung zur
Anerkennung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit, nämlich der Zwang zur
Unterlassung aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein könnten, läge nicht vor. Der
Widerspruchsausschuss weise darauf hin, dass der ursächliche Zusammenhang
zwischen der Hauterkrankung bei Sensibilisierung auf Formaldehyd und der Tätigkeit als
Op-Schwester sehr wohl anerkannt worden sei. Es fehle jedoch der objektive Zwang zur
Aufgabe aller gefährdenden Tätigkeiten.
Deswegen hat die Klägerin am 5. September 2005 Klage zum Sozialgericht Berlin
erhoben. Sie ist der Ansicht, dass sie ihren Lehrberuf als Krankenschwester wegen der
berufsbedingten Hauterkrankung habe aufgeben müssen. Hieran ändere der Umstand,
dass sie als Lehrschwester gearbeitet habe, nichts. Für diese Tätigkeit habe sie sich neu
qualifizieren müssen.
Das Sozialgericht hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein
Gutachten von dem Dermatologen und Allergologen Prof. Dr. M eingeholt. Der
Sachverständige hat in dem Gutachten von 16. Juli 2006 ausgeführt, dass bei der
Klägerin ein subakut-akutes chronisch- rezidivierendes, kumulativ-toxisches
Händeekzem mit Streuherden bei diversen Typ-IV-Sensibilisierungen und bei atopischer
Diathese bestehe. Zumindest die Typ-IV-Sensibilisierung gegen Formaldehyd sei mit
großer Wahrscheinlichkeit berufsbedingt anzusehen. Übereinstimmend mit dem
Gutachten von Prof. S werde die Hauterkrankung derzeit als mildgradiges Ekzem
eingestuft, bei dem es mit konsequenter Pflege und Therapie intermittierend zur
Abheilung der Hauterscheinungen komme. Es ergebe sich eine MdE von 10 v. H. Es
könne eine wesentliche Besserung der Hauterkrankung bei entsprechender Behandlung
erfolgen.
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Mit Urteil vom 18. April 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit sich die
Klage auf Verpflichtung zur Aufhebung des Bescheides vom 15. April 1970 richtete,
wurde sie als unzulässig abgewiesen, nachdem im Rahmen der mündlichen Verhandlung
zuvor der Hinweis ergangen war, dass es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 15.
April 1970 im Hinblick auf die Ablehnung einer Berufskrankheit nicht um einen
Verwaltungsakt gehandelt habe. Der Bescheid vom 19. Februar 2004 sei jedoch als
ablehnender Erstbescheid über das Vorliegen der Berufskrankheit nach Nr. 5101 der
Anlage zur BKV anzusehen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung lägen jedoch
nicht vor.
Gegen das ihr am 11. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. Juni 2008
Berufung eingelegt. Es stehe fest, dass sie ihren Beruf als Krankenschwester habe
aufgeben müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. April 2008 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 19. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.
August 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.
April 1970 zu verurteilen, ihre Hautkrankheit als Berufskrankheit anzuerkennen und ihr
Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Nach wie vor sei zu konstatieren,
dass ein Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit als Krankenschwester im Jahr 1969 mangels
Unterlassung nicht aller möglicherweise hautgefährdenden beruflichen Tätigkeiten bis
Ende der Berufstätigkeit im Jahr 2004 nicht angenommen werden könne und sich
insoweit auch kein Zwang zur Aufgabe der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als
Hygienefachkraft begründen lasse.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die
Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Entscheidung des Beklagten vom
15. April 1970 sowie des Bescheides vom 19. Februar 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25. August 2005. Die Bescheide sind rechtmäßig. Ein
Anspruch auf Anerkennung ihrer Hautkrankheit als BK ist nicht gegeben, deshalb kann
sie auch keine Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung
beanspruchen.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 19. Februar 2004
ist, soweit die Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 15. April 1970 streitig ist, § 44
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im
Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen
nicht vor. Anders als das Sozialgericht geht der Senat davon aus, dass der Entscheidung
vom 15. April 1970 Regelungscharakter im Hinblick auf die Anerkennung der BK
zukommt und daher ein Verwaltungsakt vorliegt. Bei der Auslegung von behördlichen
Verwaltungsmaßnahmen ist in Anwendung der für Willenserklärungen maßgeblichen
Grundsätze (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) vom objektiven
Sinngehalt der Erklärungen auszugehen, wie sie der Empfänger bei verständiger
Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (Engelmann
in von Wulffen, SGX 5. Aufl. 2005, § 31 RdNr. 26 mwN), wobei der der Bestandskraft
(Bindungswirkung ) zugängliche Verfügungssatz zugrunde zu legen ist und zur Klärung
seines Umfanges die Begründung des Bescheides zu berücksichtigen ist (vgl. BSG Urteil
vom 16. November 2005 – B 2 U 28/04 R -).
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Ausgehend hiervon lässt sich vorliegend feststellen, dass sich das Schreiben vom 15.
April 1970 im Wesentlichen mit zwei Komplexen befasst. Im ersten Teil wird der Klägerin
mitgeteilt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Entschädigung des Hautleidens
als Berufskrankheit nicht erfüllt seien. Unabhängig hiervon wurde der Klägerin von der
Beklagten im zweiten Teil des Schreibens Berufshilfe für die Fortbildung zur
Lernschwester gewährt. Insoweit heißt es, die Beklagte „gewährt Ihnen (der Klägerin),
daher auf Grund des durch das Hautleiden bedingten Wechsels der Schwesterntätigkeit
gemäß §§ 547 und 567 RVO Berufshilfe“. Die Hilfe beinhaltete das Schulgeld, die
Aufnahmegebühr, die Kosten des Lehrmaterials, Fahrgeld, Beiträge zur freiwilligen
Krankenversicherung während der Ausbildung sowie eine Wirtschaftshilfe. Weiterhin
erklärte sich die Beklagte bereit, auch die Kosten der privaten Lehranstalt, die die
Klägerin zur Erlangung der Mittleren Reife besucht hatte, als berufsfördernde
Maßnahmen anzuerkennen. Dieser Teil des Schreibens ist mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehen.
Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte auch im Hinblick auf zu gewährende
Entschädigungsleistungen, die bei Anerkennung einer BK möglich waren, bereits im Jahr
1970 eine verbindliche ablehnende Regelung getroffen hat. Aus dem eindeutigen
Wortlaut der Ausführungen im ersten Teil des Schreibens ergibt sich, dass die Beklagte
die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entschädigung des Hautleidens als nicht erfüllt
angesehen hat, d. h. das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Berufskrankheit
nicht anerkannt hat. Der Annahme einer Regelung steht insoweit auch nicht entgegen,
dass die Beklagte diese Ausführungen nach dem Wortlaut des Schreibens zunächst
lediglich als Mitteilung verstanden wissen und nur bei Nichteinverständnis durch die
Klägerin einen rechtmittelfähigen Bescheid erlassen wollte. Die Beklagte hatte klar zum
Ausdruck gebracht, dass auch bei einem „Bescheid mit Rechtsmittelbelehrung“ keine
andere Entscheidung in der Sache ergehen werde, damit hatte sie ihre Entscheidung
und somit eine verbindliche Reglung im Sinne eines Verwaltungsakts bereits getroffen.
Auch wenn die bereits getroffene Entscheidung hier in die äußere Form einer Mitteilung
gekleidet war, spricht dies nicht gegen einen Verwaltungsakt. Die Beklagte hatte deutlich
zum Ausdruck gebracht, dass sie die bereits getroffene Regelung nur dann in der
äußeren Form eines Bescheides verlautbaren wollte, wenn die Klägerin sich im
Klagewege gegen diesen hätte wenden wollen. Im Falle eines Einverständnisses der
Klägerin mit der Ablehnungsentscheidung hielt man deren Bekanntgabe in der Form
eines Bescheids offenbar für unnötig. Dies findet seinen Grund aber nicht darin, dass
eine verbindliche Regelung nicht gewollt war, sondern darin, dass nach den
Vorstellungen zum Verfahrensrecht vor 40 Jahren eine ausreichende Verbindlichkeit
durch das Einverständnis der Klägerin mit der Ablehnungsentscheidung bereits
hergestellt war. Letztlich hat sich diese Annahme dann auch bis zum Jahr 2001 als
tragfähig erwiesen, so dass die Beklagte im Rahmen des Überprüfungsverfahrens aus
der Sicht des Senats zu Recht davon ausgegangen ist, am 15. April 1970 einen
ablehnenden Bescheid erlassen zu haben. Bei objektiver Würdigung der Umstände ist
daher von einer ablehnenden Entscheidung der Beklagten, die eine Regelung eines
Einzelfalles vornimmt, also einem Verwaltungsakt auszugehen. Auch die Beklagte geht
in dem Bescheid vom 19. Februar 2004 von dem Vorliegen eines Verwaltungsaktes aus.
Der Bescheid war aber nicht rechtswidrig im Sinne von § 44 SGB X. Die Ablehnung von
Entschädigungsleistungen wegen eines als BK anzuerkennenden Hautleidens im Jahr
1970 erfolgte zu Recht. Auf das Verfahren waren die Vorschriften der RVO anzuwenden.
§ 547 RVO bestimmte, dass der Träger der Unfallversicherung nach dem Eintritt des
Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen, u. a. Verletztengeld
oder Übergangsgeld und Verletztenrente gewährte. Als Arbeitsunfall galt gemäß § 551
Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind Krankheiten,
welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
bezeichnet und die ein Versicherter bei einer in den §§ 539, 540 und 543 – 545 RVO
genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine solche Bezeichnung
nahm die Berufskrankheitenverordnung (BKV) mit den so genannten
Listenerkrankungen vor. Nach Nr. 46 der Anlage 1 zur BKV vom 20. Juni 1968 (BGBl I
721) in der bis zum 31. Dezember 1976 geltenden Fassung gehörten zu den
Berufskrankheiten schwere und wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur
Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben.
Das Merkmal des Unterlassens aller gefährdenden Tätigkeiten setzt in der Regel voraus,
dass die Tätigkeit, die zur Erkrankung geführt hat, aus arbeitsmedizinischen Gründen
nicht mehr ausgeübt werden soll und dass der Versicherte die schädigende Tätigkeit und
solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wideraufleben
der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich objektiv aufgegeben hat, wobei das
Motiv des Versicherten unerheblich ist. Nach der Rspr. des BSG ist das Merkmal der
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Motiv des Versicherten unerheblich ist. Nach der Rspr. des BSG ist das Merkmal der
Aufgabe der belastenden Tätigkeiten erst dann erfüllt, wenn alle belastenden Tätigkeiten
in vollem Umfang aufgegeben wurden (BSG, Urteil vom 22. August 2000, B 2 U 34/99 R,
zitiert nach Juris). Dabei können bei Vorliegen einer MdE von mindestens um 10 v. H.
auch Schutzmaßnahmen ausreichen, wenn bei Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit
gewährleistet ist, dass die gefährdenden Noxen sicher gemieden werden (vgl. Urteil des
BSG vom 9. Dezember 2003 – B 2 U 5/03 R – zitiert nach Juris Rdnr. 22 = SozR 4-5671
Anl. 1 Nr. 5101 Nr. 1).
Nach der Rspr. des BSG hat der Unterlassungszwang zwei Funktionen: Zum einen soll
damit eine typisierende Festlegung des Schweregrades der Krankheit erfolgen, um
Bagatellerkrankungen, auch wenn sie kausal auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen
sind, von einer Anerkennung und Entschädigung als BK auszuschließen. Vor allem aber
soll ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz verhindert
und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten
Entschädigungspflicht verhütet werden (vgl. BSGE 84, 30, 39 = SozR 3-2200 § 551 Nr.
12 S 44; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 10, 24). Der zuletzt genannte Zweck wird nicht nur
dann erreicht, wenn der Versicherte seine Berufstätigkeit aufgibt, sondern auch dann,
wenn die schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz durch geeignete
Schutzmaßnahmen beseitigt werden und deshalb die Gefahr einer Verschlimmerung
oder des Wiederauflebens der Krankheit durch Fortsetzung der Berufstätigkeit nicht
mehr droht. Von daher böte es sich an, die Formulierung in § 9 Abs. 1 Satz 2, 2. HS SGB
VII bzw. in den einschlägigen Vorschriften der BKV auf die konkreten Arbeitsbedingungen
zu beziehen und das Unterlassungserfordernis als erfüllt anzusehen, wenn der
Arbeitsplatz so umgestaltet wurde, dass die für die Entstehung, die Verschlimmerung
oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlichen Faktoren vollständig und dauerhaft
ausgeschaltet sind (vgl. BSG Urteil vom 9. Dezember 2003 RdNr. 22).
Damit steht fest: Es muss nicht nur ein objektiver Zwang zur Aufgabe der gefährdenden
Tätigkeit bestanden haben. Vielmehr muss die gefährdende Tätigkeit auch tatsächlich
aufgegeben worden sein, sei es durch Aufgabe der Tätigkeit an sich oder durch
Vermeidung der Gefahrstoffe am konkreten Arbeitsplatz. Dies dürfte die Klägerin
verkennen, wenn sie im Verfahren zur Begründung des Anspruchs darauf hinweist, dass
sie falsch beraten worden sei, am „neuen“ Arbeitsplatz ebenfalls den gleichen
Gefahrstoffen ausgesetzt war, wie als Op-Schwester, wenn auch im geringeren Umfang.
Von der medizinischen Notwendigkeit (Zwang), die hier ebenfalls nicht gegeben war, die
gefährdenden Noxen zu meiden, einmal abgesehen, steht die bis 31. Dezember 2004
ausgeübte Tätigkeit, bei der die Klägerin nach übereinstimmender Auffassung aller
Gutachter den beruflich relevanten Schadstoffen weiter ausgesetzt war, der
Anerkennung einer BK Nr. 46 bzw. 5101 entgegen. Es steht dem Versicherten nicht frei,
bei objektiv bestehendem Zwang zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit, diese weiter
auszuüben und sich entschädigen zu lassen.
Soweit die Klägerin im Verfahren wiederholt vorgetragen hat, dass sie die Tätigkeit als
OP-Schwester doch aufgegeben habe und daher die Tatbestandsvoraussetzung der
Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten erfüllt sei, unterliegt sie einem
Rechtsirrtum. Entscheidend ist nicht die Aufgabe eines bestimmten Berufsbildes,
sondern die Meidung der Gefahrstoffe. Eine Exposition gegenüber den schädlichen
Stoffen bestand aber sowohl in der Tätigkeit als Op-Schwester als auch in der der
Lehrschwester. Deshalb fehlt es an der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit, ganz
abgesehen davon, dass ein Zwang zur Aufgabe wegen der nur mild ausgeprägten
Hauterkrankung nicht bestand.
Von einer entsprechenden Exposition gehen sowohl der Sachverständige Prof. S in
seinem Gutachten vom 19. Januar 2004 als auch der im Verfahren vor dem Sozialgericht
nach § 109 SGG bestellte Gutachter Prof. M in dem Gutachten vom 16. Juli 2006 aus.
Beide Gutachter führen aus, dass die Klägerin auch bei ihrer Tätigkeit als Lehr- bzw.
Hygieneschwester weiterhin u. a. mit Formalin, Metall, Metallschutzmitteln,
Reinigungsmitteln, Desinfektionsmitteln und Terpentin – wenn auch in geringerem
Ausmaß –in Berührung gekommen ist. Dies wird auch von der Klägerin nicht bestritten.
Somit lagen die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit mit
Entschädigungsleistungen aufgrund des Hautleidens nicht vor.
Soweit das Sozialgericht mit den von ihm genannten Gründen vertretbaren Gründen
davon ausgegangen ist, dass neben einer – seiner Auffassung ins Leere gehenden –
Überprüfungsentscheidung nach § 44 SGB X auch eine Erstentscheidung im Hinblick auf
die BK Nr. 5101 im angefochtenen Bescheid vom 19. Februar 2004 zu sehen ist,
begegnet die Klageabweisung ebenfalls keinen Bedenken.
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Bis zum 31. Dezember 2004 war die Klägerin während ihrer Tätigkeit den Gefahrstoffen
ohne ausreichende Schutzvorrichtungen weiter ausgesetzt (vgl. insoweit den Bericht des
Berufshelfers vom 2. Dezember 2004, nach welchem die Klägerin das richtige
Desinfizieren der Hände mit den Mitteln, gegen die sie allergisch ist, regelmäßig
vorgeführt hat). Im Übrigen folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen des Prof.
Dr. S in dem Gutachten vom 19. Januar 2004, nach denen sich derzeit kein Zwang zur
Aufgabe der Tätigkeit als Hygieneschwester begründen lässt. Der Sachverständige hat
ausgeführt, dass mit ausreichend antientzündicher Lokaltherapie der Hautzustand der
Klägerin stabil zu halten sei. Zudem sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen,
dass neben berufsrelevanten Typ-IV-Sensibilisierungen auch diverse nicht
berufsrelevante Typ-IV-Sensibilisierungen zur Unterhaltung des Handekzems
beigetragen hätten. Neben der konsequenten Pflege mit Urea-haltigen Externa wird eine
Therapie mit nichtsteroidalen antientzündlichen Externa wie Elidel oder Protopic
empfohlen, womit eine Abheilung der Hautveränderungen der Hände und des Körpers
erreicht werden könne. Insoweit hat auch Prof. Dr. M ausgeführt, dass die
Hauterkrankung der Klägerin selbst heute intermittierend abheile, obwohl die Erkrankung
durch konsequente Therapie wesentlich zu bessern wäre. Dazu kommt es deshalb nicht,
weil die Klägerin diesen Therapieansätzen sehr skeptisch gegenüber steht.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und
trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG
genannten Gründe vorliegt.
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