Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 25.09.2008

LSG Berlin und Brandenburg: verordnung, krankenkasse, meer, ärztliche behandlung, ambulante behandlung, medizinische indikation, medizinische rehabilitation, vertragsarzt, entstehung, hotel

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 25.09.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 89 KR 334/05
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 22/08
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für einen sechswöchigen Aufenthalt des Klägers und einer
Begleitperson am Toten Meer in Israel.
Der 1937 geborene Kläger war vom 1. November 2004 bis zum 30. April 2006 krankenversichertes Mitglied der
beklagten Krankenkasse. Er leidet u.a. an einem Lichen ruber planus, einer Follikueitis mit Furunkeln, einer
Spinalstenose, degenerativen Veränderungen des gesamten Stütz- und Bewegungsapparates, einer
Kleinhirninsuffizienz nach traumatischer Kleinhirnblutung mit schwerer Geh- und Gleichgewichtsbehinderung, einer
chronischen obstruktiven Bronchitis, Funktionseinschränkungen beider Schultergelenke nach mehrfachen
Rotatorenmanschettenrupturen beidseits, einer Adipositas und einer Hypertonie. Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen
und erhält Leistungen der Pflegestufe II nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (Pflegeversicherung, SGB XI).
Mit Schreiben vom 5. Januar 2005 beantragte er bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine stationäre
Rehabilitationsleistung am Toten Meer in Israel und fügte zur näheren Begründung auf einem Vordruck der Beklagten
eine Bescheinigung seiner behandelnden Hautärztin C S vom 6. Januar 2005 sowie einen ergänzenden ärztlichen
Bericht dieser Ärztin vom selben Tag bei, in denen diese eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme am Toten Meer
wegen der vorgenannten Erkrankungen und zur allgemeinen Stabilisierung des Gesundheitszustandes des Klägers
sowie im Hinblick auf eine erfolgreiche frühere Rehabilitationsmaßnahme am Toten Meer im Jahre 2004 für dringend
erforderlich hielt. Der Kläger reiste vom 20. März bis zum 1. Mai 2005 zur Klimaheilbehandlung ans Tote Meer in
Israel. Er bewohnte mit einer Begleitperson zwei Einzelzimmer im S M D S Hotel und wurde im E M Center behandelt.
Dieses veranlasste eine kontrollierte Sonnenbestrahlung, Bäder im Toten Meer, den Einsatz von Fett- und
Feuchtigkeitscremes, Salben und Tabletten zur Hautbehandlung, Schlammpackungen und Massagen. Hierfür
entstanden ihm Kosten in Höhe von insgesamt 10.076,00 EUR.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 24. Januar 2005, bestätigt durch den
Widerspruchsbescheid vom 21. März 2005, im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für
eine Kostenerstattung schon deshalb nicht vorlägen, weil eine ambulante Behandlung ausreichend gewesen wäre und
es zudem an dringenden medizinischen Gründen für eine stationäre Rehabilitationsleistung vor Ablauf von vier Jahren
nach der zuletzt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführten stationären
Rehabilitationsmaßnahme im Jahre 2004 fehle. Auch die Voraussetzungen für eine Rehabilitationsmaßnahme in Form
der Anschlussheilbehandlung lägen nicht vor.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 24. Oktober 2006 abgewiesen. Eine
Kostenerstattung sei nicht möglich, weil die Beklagte die Leistungen weder als ambulante noch als stationäre
Rehabilitationsleistungen zu Unrecht abgelehnt habe. Denn die Einrichtung, in der der Kläger behandelt worden sei,
sei weder wohnortnah noch bestehe zwischen ihr und der Beklagten der vom Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB
V) geforderte Versorgungsvertrag. Außerdem habe der Kläger die gebotene ambulante hautärztliche Behandlung nicht
ausgeschöpft und keine Gründe vorgebracht, die eine Rehabilitationsleistung vor Ablauf der gesetzlichen Wartezeit
erforderlich erscheinen ließe. Schließlich seinen keine Gründe dafür erkennbar, die eine Leistungserbringung im
Ausland notwendig gemacht hätten, die das SGB V grundsätzlich ausschließe.
Gegen das ihm am 16. November 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den 18. Dezember 2006 Berufung
eingelegt. Er ist der Auffassung, dass die durchgeführte Behandlung auch vor Ablauf der Wartezeit medizinisch
notwendig gewesen sei und zum Erfolg geführt habe. Eine Erfolg versprechende Behandlungsalternative im Inland
habe nicht bestanden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die
Kosten für einen Kuraufenthalt am Toten Meer vom 20. März 2005 bis zum 1. Mai 2005 mit einer Begleitperson i.H.v.
10.076,00 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Beklagten
verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch
Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält und die Beteiligten sowohl zu den nach Auffassung des Senats entscheidungserheblichen Gesichtspunkten als
auch zur Verfahrensweise gehört worden sind.
Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden; es hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Die das Begehren des Klägers ablehnenden Bescheide sind rechtmäßig und verletzen ihn nicht in seinen Rechten.
Denn er hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihm für seinen Aufenthalt und seine Behandlung am Toten Meer
entstandenen Kosten.
Als Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung kommen hier ausschließlich § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt., Satz 2
SGB V, § 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in Betracht. Nach den in diesen Vorschriften im
Wesentlich gleichlautend formulierten Voraussetzungen sind dem Versicherten die für eine von ihm selbstbeschaffte
Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse zu erstatten, wenn die Krankenkasse diese Leistung zu Unrecht
abgelehnt hat, die Leistung notwendig und die Ablehnung für die Entstehung der Kosten ursächlich war. Diese
Voraussetzungen liegen hier nicht vor: die Beklagte hat die vom Kläger begehrte Kostenübernahme für eine stationäre
Rehabilitationsmaßnahme am Toten Meer in Israel nicht zu Unrecht abgelehnt (nachfolgend 1.); außerdem war die
Ablehnung nicht ursächlich für die Aufwendungen des Klägers (nachfolgend 2.).
1. Die Beklagte hat die Kostenübernahme für die begehrte Rehabilitationsmaßnahme schon deshalb zu Recht
verweigert, weil es an einer ausreichenden vertragsärztlichen Verordnung fehlte.
a) Nach § 15 Abs. 1 SGB V wird die ärztliche Behandlung von Ärzten erbracht. Sind Hilfeleistungen anderer Personen
erforderlich, dürfen sie nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden. Die
Erforderlichkeit ärztlicher Verordnungen für die Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, insbesondere in
Rehabilitationseinrichtungen, ist durch § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V noch einmal ausdrücklich bestimmt worden.
Erst durch die vertragsärztliche Verordnung wird das dem Versicherten durch § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
gewährte Rahmenrecht auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu einem Anspruch auf die vom Vertragsarzt
bestimmte Rehabilitationsmaßnahme - unter Beachtung des der Krankenkasse nach § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB V
zustehende Ermessens - konkretisiert. Daraus folgt, dass dem Versicherten ohne vertragsärztliche Verordnung (noch)
kein Anspruch auf die begehrte Rehabilitationsmaßnahme zusteht (vgl. hierzu und zum Folgenden: Urteil des Senats
vom 19. Dezember 2007- L 9 KR 150/03 -, zitiert nach juris).
b) Die Notwendigkeit der vertragsärztlichen Verordnung und weitere Anforderungen an die Verordnung und an den
verordnenden Arzt ergeben sich aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation (Rehabilitations-Richtlinien - RehaRL -) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 SGB V vom 16.
März 2004. Diese binden nicht nur den Arzt bei seiner vertragsärztlichen Tätigkeit, sondern bestimmen auch den
Anspruch des Versicherten auf Rehabilitationsleistungen näher. Nach §§ 5 und 6 RehaRL ist der Versicherte zunächst
vom einem Vertragsarzt, der gemäß § 11 RehaRL die besondere Qualifikation zur Beratung des Versicherten sowie
zur Verordnung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation besitzen muss, über die Leistungen der
medizinischen Rehabilitation zu beraten und die Krankenkasse auf dem in der Anlage 1 zur RehaRL vorgesehenen
Vordruck darüber zu informieren, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation notwendig sein können. Stellt der
Vertragsarzt eine medizinische Indikation für eine Rehabilitation fest, hat er diese gemäß § 6 Abs. 3 RehaRL mit
Zustimmung des Versicherten auf dem ihm zur Verfügung stehenden Vordruck gemäß Anlage 2 RehaRL zu
verordnen. Die Verordnung setzt gemäß § 7 Abs. 1 RehaRL voraus, dass der Vertragsarzt die
Rehabilitationsbedürftigkeit, die Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose auf der Grundlage
realistischer, für den Versicherten alltagsrelevanter Rehabilitationsziele feststellt und dokumentiert. Nach § 12 Abs. 1
Satz 1 RehaRL darf die Krankenkasse die beantragte Rehabilitationsmaßnahme nur bewilligen, wenn die vorgenannte
Verordnung auf dem hierfür vorgesehen Vordruck vorliegt.
Die Einhaltung dieser Voraussetzungen lässt sich hier nicht feststellen. Die den Kläger behandelnde Hautärztin, deren
Qualifikation zur Prüfung und Verordnung von Rehabilitationsmaßnahmen nicht erkennbar ist, hat den Kläger nach den
vorliegenden ärztlichen Berichten weder ausreichend beraten noch die Verordnungsvoraussetzungen des § 7 RehaRL
geprüft und ihr Vorliegen auf dem maßgeblichen Vordruck dokumentiert. Damit fehlt es an einer wesentlichen
Leistungsvoraussetzung.
c) Der Versicherte, der auf eine in Attesten, Berichten oder anderen ärztlichen Bescheinigungen ausgesprochene
Empfehlung, Befürwortung oder Anregung seines behandelnden Arztes als ausreichender vertragsärztlicher
Verordnung vertraut, ist mit seinem Begehren auf medizinische Rehabilitation im sozialgerichtlichen Prozess aber
nicht endgültig gescheitert. Denn in einem Streit auf Bewilligung dieser Leistung mit seiner Krankenkasse kann die
hierfür erforderliche qualifizierte Verordnung noch grundsätzlich bis zum Schluss der letzten mündlichen
Tatsachenverhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) nachgeholt werden, weil es sich bei der Verordnung um
eine anspruchsbegründende Voraussetzung handelt, die zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des
Rehabilitationsanspruchs gehört.
d) Allerdings gibt es für diese Möglichkeit Grenzen, die sich aus dem materiellen Recht ergeben. Beschafft sich der
Versicherte die Maßnahme selbst, müssen die Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitation im Zeitpunkt der
Beschaffung, d. h. i.d.R. im Zeitpunkt der zivilrechtlichen Vereinbarung der medizinischen Maßnahme mit dem
Leistungserbringer, spätestens im Zeitpunkt der Leistung selbst, vorliegen. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem
Wortlaut des § 13 Abs. 3 SGB V, der einen Kostenerstattungsanspruch in solchen Fällen von der "Unrechtmäßigkeit
der Leistungsablehnung" abhängig macht. Die Ablehnung einer begehrten Leistung ist aber nur dann unrechtmäßig,
wenn sie rechtswidrig ist, was das Bestehen eines Leistungsanspruchs voraussetzt, der jedoch gerade erst durch die
oben näher beschriebene Verordnung entstehen kann. Fehlt im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung die
erforderliche vertragsärztliche Verordnung, kann diese nicht nachgeholt werden und der Anspruch ist endgültig
ausgeschlossen. Dies gilt selbst dann, wenn die beklagte Krankenkasse nicht auf das Fehlen der erforderlichen
vertragsärztlichen Verordnung hingewiesen hat. Denn § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V, § 15 Abs. 1 SGB IX, die als
kodifizierte sozialrechtliche Herstellungsansprüche einen Rückgriff auf diesen ungeschriebenen richterrechtlichen
Anspruch im Übrigen ausschließen, lassen einen Kostenerstattungsanspruch auch in solchen Fällen nicht zu (BSG,
1. Senat, Urteil vom 2. November 2007 - B 1 KR 14/07 R -, zitiert nach juris m.w.N.).
2. Darüber hinaus ist die Ablehnung der Kostenübernahme für die beantragte stationäre Rehabilitation aber auch nicht
ursächlich für die dem Kläger entstandenen Kosten geworden. Denn der Kläger hat ausweislich der von ihm
vorgelegten Rechnungen in Israel in einem Hotel gewohnt und die Leistungen außerhalb des Hotels in einer
medizinischen Einrichtung erhalten. Damit hat er keine stationären, sondern allenfalls ambulante medizinische
Rehabilitationsleistungen in Anspruch genommen (vgl. die Definition der stationären Rehabilitation in § 40 Abs. 2 SGB
V), die er bei der Beklagten jedenfalls nicht ausdrücklich beantragt und die diese nicht abgelehnt hat. Die Ablehnung
stationärer Leistungen ist damit nicht kausal für die Entstehung von Kosten für ambulante Leistungen geworden. Die
Kausalität der Ablehnung für die Entstehung der Kosten ist aber Tatbestandsvoraussetzung für den
Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V und § 15 Abs. 1 SGB IX. Will ein Kläger
gegenüber seiner Krankenkasse einen Anspruch auf Kostenerstattung für selbstbeschaffte Kosten einer ambulanten
Rehabilitationsmaßnahme geltend machen, muss er bei seiner Krankenkasse einen entsprechenden Antrag stellen
und die Bescheidung durch die Krankenkasse abwarten, bevor er sich die Leistung selbst beschafft; die Beantragung
und Bescheidung anderer, z.B. stationärer Leistungen, reicht hierfür nicht aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG vorlag.