Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.05.2006

LSG Berlin-Brandenburg: ulcus duodeni, anerkennung, versorgung, diagnose, psychologisches gutachten, innere medizin, icd, bedrohung, belastung, gutachter

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 13 VS 1016/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 80 SVG, § 81 Abs 1 SVG, § 85
SVG
Soldatenversorgung - posttraumatische Belastungsstörung als
Wehrdienstbeschädigung nach SFOR-Einsatz - Erforderlichkeit
einer exakten Diagnose nach einem internationalen
Diagnosesystem
Leitsatz
Auch im Versorgungsrecht ist zur Anerkennung einer psychischen Störung als
Schädigungsfolge eine exakte Diagnose nach einem der internationalen Diagnosesysteme
erforderlich (im Anschluss an BSG vom 9. Mai 2006, Az. B 2 U 1/05R).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober
2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer psychischen Erkrankung sowie einer
entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa bzw. Morbus Crohn) als
Wehrdienstbeschädigung sowie die Gewährung von Versorgungsansprüchen nach dem
Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre
Hinterbliebenen (Soldatenversorgungsgesetz - SVG -).
Der 1974 geborene Kläger diente in der Zeit vom 01. Januar 1993 bis 31. Dezember
1997 als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. In der Zeit vom 04. Februar bis 11. April
1997 befand er sich im Rahmen eines SFOR (Stabilisation Force)-Einsatzes im
ehemaligen Jugoslawien. Zu seinen Aufgaben gehörten nach den Angaben gegenüber
der später befragenden Gutachterin H (Gutachten vom 08. Januar 2001) Patrouillen im
Gelände, die Kontrolle von geschützten Objekten, Verkehrskontrollen, Kontrollen von
Konvois bzw. Begleitung solcher von den verschiedenen verfeindeten
Bevölkerungsgruppen, Kontrollen von deren Waffen und Kasernen, außerdem hätte die
Truppe Wachfunktionen für die drei Präsidenten bzw. Bürgermeister Sarajevos und beim
Papstbesuch gehabt; nach Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. Z (Gutachten vom
10. Juni 2004) gehörten zu seinem Aufgabenbereich Kontakte zur einheimischen
Bevölkerung, Patrouillenfahrten, die Bewachung von zivilen Objekten und die Sicherung
hochrangiger Truppenbesuche.
Ende Juli 1997 traten beim Kläger eine Durchfallneigung mit zehn bis zwölf
Stuhlabgängen am Tag mit dunklen Blutspuren sowie krampfartige Schmerzen im
Abdomen auf, die in der Folgezeit zu verschiedenen stationären Aufenthalten führten
und als Colitis ulcerosa diagnostiziert wurden.
Im Januar 1998 erfolgte deshalb eine erste ärztliche Mitteilung über eine mögliche
Wehrdienstbeschädigung; ferner beantragte der Kläger Versorgung nach §§ 80 ff. SVG.
Die Beklagte holte zunächst eine stabsärztliche Stellungnahme des Dr. S ein, der am
18. März 1998 ausführte, dass sich nach Aktenlage beim Kläger kein Hinweis auf
toxische Schädigungen, auf eine durch äußere Umstände verursachte erhebliche
Herabsetzung der Resistenz oder auf infektiöse oder andere Krankheiten fänden, die die
Immunitätslage nachhaltig verändert hätten. Die Beklagte holte daraufhin eine
Stellungnahme des seinerzeitigen Kompaniechefs A ein, der am 10. Mai 1998 ausführte,
dass Form und Menge der Verpflegung zu jeder Zeit derjenigen entsprochen habe, wie
sie im Heimatland gereicht werde; Wasser habe in Flaschen in ausreichender Menge zur
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sie im Heimatland gereicht werde; Wasser habe in Flaschen in ausreichender Menge zur
Verfügung gestanden; zu keiner Zeit seien irgendwelche Umstände bekannt geworden,
dass Wasser oder Lebensmittel in irgendeiner Form verdorben geschweige denn
verseucht gewesen sein sollten. Die aufgetretenen Belastungen für alle Soldaten des
gepanzerten Einsatzverbandes seien durch keinen der Soldaten als überhart empfunden
worden oder hätten sich im Nachhinein als psychologisches Problem erwiesen. Dies sei
aus der ärztlichen Befragung unmittelbar nach Rückkehr aus dem Einsatzland sowie aus
einer Befragung aus Anlass des vorliegenden Falles hervorgegangen. Die einzigen
physisch und psychisch anspruchsvollen Aufträge seien die Absicherung des
Papstbesuches sowie die Absicherung der Präsidentschaftstreffen gewesen, die drei
Tage bzw. jeweils einen Tag gedauert hätten. Die vom Kläger gemachten Angaben zu
einer sehr hohen psychischen Belastung könnten weder durch seine Soldaten noch
durch ihn bestätigt werden.
Die Beklagte forderte ferner die den Kläger betreffenden Gesundheitsunterlagen der
Dienststellen an, holte Befundberichte behandelnder Ärzte und ein truppenärztliches
Gutachten des Dr. K vom 18. August 1998 ein und zog ein Vorerkrankungsverzeichnis
der AOK Berlin bei, aus dem u. a. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Ulcus duodeni für den
5. bis 19. April 1991 und 23. April bis 17. Mai 1991 ersichtlich sind.
Der Kläger überreichte ein „Psychologisches Gutachten“ (ohne Datum) des Dipl.-Psych.
K aus dem Krankenhaus L, O Krankenhaus, der eine posttraumatische
Belastungsstörung mit depressiven Symptomen bei gemäßigt introvertierter
Persönlichkeit als Reaktion auf eine Situation längerer Dauer mit außergewöhnlicher
Bedrohung und infolge Verlustes des Arbeitsplatzes diagnostizierte. Die Beklagte zog
ferner die Patientenakte des Bezirksamtes M, Gesundheitsamt bei, holte eine
Stellungnahme der Med.-Dir’in S vom 23. Dezember 1999 ein und lehnte sodann durch
Bescheid vom 7. März 2000 die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem
SVG sowie einen Ausgleich nach § 85 SVG ab. Die Voraussetzungen für eine so
genannte „Kann-Versorgung“ hinsichtlich der Colitis ulcerosa seien nicht gegeben, weil
eine physische oder lang andauernde psychische Belastung, die nach Art, Dauer und
Schwere als geeignet angesehen werden könnte, die Resistenz in erheblichem Maße zu
beeinflussen, nicht habe festgestellt werden können.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers, der eine Stellungnahme des
behandelnden Dipl.-Psych. K vom 06. Juli 2000 beibrachte, wies die Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2002 zurück.
Das Sozialgericht hat Entlassungsberichte der stationär behandelnden Krankenhäuser
und Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt sowie im Termin vom 04. März
2004 den Dipl.-Psych. K als sachverständigen Zeugen vernommen. Das Sozialgericht
hat sodann durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Z ein Gutachten
eingeholt, der unter dem 10. Juni 2004 zu dem Ergebnis kam, dass sowohl eine beim
Kläger bestehende posttraumatische Belastungsstörung als auch eine Colitis ulcerosa
durch den Wehrdienst verursacht worden seien. Der Gesamtgrad der Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 50 v. H.. Die Tatsache, dass der Kläger Beschwerden der
posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. traumatisierende Erlebnisse während
seiner Wehrdienstzeit nicht geäußert habe, sei nicht ungewöhnlich; es entspräche
häufiger klinischer Erfahrung, dass eine Verbalisation traumatischer Inhalte bei vielen
Betroffenen erst mit Verzögerung, manchmal auch überhaupt nicht möglich sei. Die
Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Oberfeldarztes und Internisten Dr. U
beigebracht, der das Kriterium A der PTBS für nicht erfüllt und die Voraussetzungen zur
Anerkennung der Colitis ulcerosa ebenfalls für nicht hinreichend sicher erfüllt erachtete.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte durch Bescheid vom 24. April 2002 auch
die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge einer
Wehrdienstbeschädigung abgelehnt.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2005 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die
beim Kläger sicherlich bestehende psychische Erkrankung sei nicht dem Risikobereich
des Versorgungsrechtes zuzuweisen. Weder die Vorgaben der Anhaltspunkte für die
ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertenrecht (Teil II SGB IX) (AHP 2004, Rdnr. 71 Abs. 1, S. 213) für die
Anerkennung psychischer Traumen noch die Voraussetzungen für die Anerkennung
einer posttraumatischen Belastungsstörung nach der Internationalen Statistischen
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision (ICD
10), Kap. V F 43.1, seien erfüllt. Der Kläger habe keine Belastungen im Sinne dieser
Voraussetzungen erlitten. Die von ihm nach seinen Schilderungen erlebten
Geschehnisse seien in keiner Weise als Belastungen im vorgenannten Sinne zu
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Geschehnisse seien in keiner Weise als Belastungen im vorgenannten Sinne zu
qualifizieren. Geschehnisse, die eventuell geeignet wären, als solche Belastungen
qualifiziert zu werden, seien ihm vielmehr nur über Schilderungen Dritter bzw. aus den
Medien zur Kenntnis gelangt. Sämtliche vom Kläger zu den verschiedensten Zeitpunkten
geschilderten Erlebnisse in Bosnien seien ersichtlich nicht als Situationen zu
qualifizieren, in denen der Kläger - quasi als Opfer - passiv Umständen und Verhältnissen
ausgesetzt gewesen sei, die „mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein
verbunden“ gewesen seien oder die mit einer „außergewöhnlichen Bedrohung“ des
Klägers einhergegangen seien. Auch die Anerkennung der beim Kläger bestehenden
Colitis ulcerosa als Wehrdienstbeschädigung käme nicht in Betracht, da weder
aktenkundig sei, dass der Kläger erheblichen körperlichen Belastungen oder
Witterungseinflüssen im Sinne der Voraussetzungen der so genannten „Kann-
Versorgung“ ausgesetzt gewesen sei, noch habe er unter einer Erkrankung gelitten, die
eine erhebliche Herabsetzung der Resistenz hätte verursachen können, noch sei er im
Laufe seines Auslandseinsatzes in Bosnien lang dauernden schweren und tief in das
Persönlichkeitsgefüge eingreifenden psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen. Im
Übrigen sei entgegen der Darstellung der Gutachter Dr. Z und H der Kläger bereits im
Jahre 1991 über mehrere Wochen hinweg wegen einer Ulcus duodeni-Erkrankung
arbeitsunfähig erkrankt gewesen, was von ihm allerdings, ebenso wie
Entwicklungsauffälligkeiten, gegenüber Dr. Z und Frau H ebenso wie bei der Musterung
negiert worden sei.
Gegen dieses am 30. November 2005 zugegangene Urteil richtet sich die am 30.
Dezember 2005 eingegangene Berufung des Klägers.
Das Gericht hat während des Berufungsverfahrens das Land Berlin gemäß § 75 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen. Der Beigeladene hatte aufgrund eines bei ihm
gestellten Antrages im Verwaltungsverfahren Gutachten der Ärztin für Psychiatrie und
Neurologie H vom 08. Januar 2001 und des Arztes für Innere Medizin Dr. D vom 05. März
2001 eingeholt. Frau H kam zu dem Ergebnis, dass sich insgesamt das klinische Bild
einer posttraumatischen Belastungsstörung ergebe, „wobei jedoch nach den Kriterien
von DSM 4 die Voraussetzungen des Kriteriums A nicht erfüllt sind. Eine
Extremtraumatisierung hat nicht vorgelegen ...“, der Einsatz sei geordnet und ohne
äußere dramatische Vorfälle verlaufen. Die MdE betrage ab September 2000 10 v. H.
aufgrund einer „posttraumatischen Belastungsreaktion mit intrusiven Symptomen,
Vermeidungen und depressiver Symptomatik“. Nachdem Oberfeldarzt Dr. Z in einer
versorgungsmedizinischen Stellungnahme ausgeführt hatte, dass ein psychisch
traumatisierendes Ereignis weder aktenkundig noch anzunehmen und auch vom Kläger
nicht angegeben worden sei und dass es aus versorgungsmedizinischer Sicht nicht
erlaubt sei, aus dem Vorliegen einer Gesundheitsstörung auf deren Ursache zu
schließen, führte Frau H mit Rückäußerung vom 31. Juli 2001 aus, aufgrund des Fehlens
des Kriteriums A für die posttraumatische Belastungsstörung die Schädigungsfolge auch
anders definiert zu haben, nämlich als Belastungsreaktion. Dr. D kam zu dem Ergebnis,
dass die entzündliche Dickdarmerkrankung mit einer MdE von 30 v. H. zu bewerten sei.
Sowohl der Beginn als auch der Verlauf der Erkrankung seien als offiziell belegt
anzusehen. Bezüglich der Ursache müsse auf die durchaus verstärkten körperlichen,
aber auch vor allem psychischen Belastungen während des Bosien-Einsatzes verwiesen
werden; insoweit werde auf das Gutachten der Frau H Bezug genommen. In einer
Rückäußerung vom 02. August 2001 führte Dr. D weiter aus, dass der Einsatz im
Ausland grundsätzlich eine stärkere Belastung darstelle als der normale Wehrdienst.
Durch Bescheid vom 04. Januar 2002 in der Fassung eines Widerspruchsbescheides vom
21. April 2006 lehnte die Beigeladene den Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem
SVG wegen der Colitis ulcerosa dennoch ab, da die Voraussetzungen der Kann-
Versorgung nicht erfüllt seien. Hiergegen richtet sich das derzeit noch anhängige
Klageverfahren zum Az. S 45 VS 88/06.
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, dass das Gericht ohne erkennbare
bzw. nachvollziehbare Erwägungen von den erstellten Gutachten abgewichen sei. Es sei
auch weder medizinisch noch psychoanalytisch erwiesen, dass die im Jahre 1991
diagnostizierte Ulcus duodeni-Erkrankung tatsächlich eine ernsthafte Vorerkrankung
dargestellt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2005 sowie den Bescheid
der Beklagten vom 07. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.
Januar 2002 sowie den Bescheid vom 24. April 2002 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Colitis ulcerosa als
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verurteilen, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Colitis ulcerosa als
Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und für die Zeit von Juli bis Dezember 1997
Versorgung auf der Grundlage einer MdE von 80 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die
Anerkennung der Erkrankungen als Wehrdienstbeschädigung nicht gegeben seien.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beigeladene schließt sich der Auffassung der Beklagten an.
Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten durch den Arzt für
Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B eingeholt, der mit Datum vom 15. Dezember 2006
ausführte, dass beim Kläger ein heftig abgewehrtes „angstbereit-depressives Syndrom“
bei einer „selbstunsicher-unreifen“ und zur psychosomatischen Reaktionslage
neigenden Persönlichkeit bestehe. Eine anamnestisch gesicherte Colitis ulcerosa und ein
Morbus Crohn befänden sich derzeit in Remission. Im Vordergrund ständen
belastungsabhängige Beschwerden nach kniegelenksnahen Knocheninfarkten rechts als
wahrscheinliche Behandlungskomplikation mit Folge einer vorzeitigen Arthrose des
rechten Kniegelenks. Keines der Leiden sei mit Wahrscheinlichkeit durch den Wehrdienst
verursacht oder verschlimmert worden. Die Diagnose einer posttraumatischen
Belastungsstörung könne nicht bestätigt werden. Die posttraumatische
Belastungsstörung (F 43.1) formuliere als Eingangskriterium, dass die Betroffenen einem
kurz- oder langanhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung
oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt gewesen seien, das bei nahezu jedem
tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde (sog. A-Kriterium einer PTBS der ICD-10 [F
43.1]). Die im vorliegenden Fall bekannt gewordenen Ereignisse könnten nicht
existenziell bedrohlich im Sinne des A-Kriteriums der ICD-10 genannt werden, sie
erfüllten nicht das Kriterium eines Traumas. Ohne dieses pathogenetische
Zwischenstück der PTBS könnten jedoch bei vorbestehender Disposition für
psychosomatische Leiden die Darmerkrankungen und mittelbar die kniegelenksnahen
Knocheninfarkte ebenfalls nicht auf den Wehrdienst und den Auslandseinsatz
zurückgeführt werden. Eine lang dauernde, schwere und tief in das Persönlichkeitsgefüge
eingreifende psychische Belastung als Voraussetzung einer Kann-Versorgung habe nicht
vorgelegen. Da ein wesentlich traumatisierendes Moment im Ausgeliefertsein erkannt
werden müsse und hierbei - wo nicht die sprichwörtliche Katastrophe plötzlich
hereinbreche - die Dauer der Belastung Bedeutung gewinne, sei die Frage aufzuwerfen,
ob ein Auslandseinsatz von weniger als zehn Wochen als langdauernd charakterisiert
werden könne; gemessen an dem, was über diese Zeit bekannt geworden sei, reiche
dieser Zeitraum nicht, um in eine eigene vernichtende Qualität umzuschlagen. Im
Übrigen dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die psychosomatische Anamnese mit
Nachweis eines Ulcus duodeni (Zwölffingerdarmgeschwür) in das 17. Lebensjahr des
Klägers zurückreiche. Auch hierbei handele es sich um eine Erkrankung des Magen-
Darm-Traktes, auch diese sei psychosomatisch wesentlich mitbestimmt. Die Aussage
von einer bis dato leeren Anamnese könne damit nicht aufrechterhalten werden, was in
den vorliegenden Gutachten keine Berücksichtigung finde. Die wesentliche Ursache für
die Entwicklung der Colitis ulcerosa sei in der psychosomatischen und insofern auch
psychopathologischen Disposition zu erkennen, nicht in den besonderen Belastungen
des Auslandseinsatzes. Den Vorgutachtern könne nicht gefolgt werden. Der
behandelnde Psychologe K setze in seiner Argumentationskette letztlich ein ihm selbst
nach Jahren therapeutischer Kontakte verborgen gebliebenes Trauma ein; dies sei nicht
zu verifizieren und zugleich von suggestiver Kraft. Seine vor der 47. Kammer im März
2004 zu Protokoll gegebene Aussage sei nicht anders zu verstehen, als dass auch er
das Eingangskriterium zur Feststellung einer PTBS durch die bekannt gewordenen
Erlebnisse nicht als erfüllt sehen könne und er daher auf das Unbekannte zurückgreife.
Ferner bestimme nicht die persönliche Disposition, was wie eingreifend wirke und ggf.
destabilisiere, denn ansonsten definierte nicht die Qualität eines Ereignisses das
Trauma, sondern die subjektive Bedeutungsgebung, was nicht den Vorgaben der ICD-10
entspreche. Auch Dr. Z gehe von einer nicht verifizierten und auch nur sehr begrenzt
untersuchten Grundannahme eines Traumas aus, welches dem A-Kriterium einer PTSD
in keiner Weise genügen könne. Nicht gewürdigt finde sich auch der Vorlauf
psychosomatischer Leiden (Ulcus duodeni 1991), nicht eingehend untersucht die
Entwicklung des Klägers vor dem potentiell schädigenden Ereignis.
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Der Kläger hat hierzu eingewandt, die von ihm wiedergegebenen Vorfälle nicht nur vom
Hörensagen, sondern selbst erlebt zu haben. Auch habe er nie ein Darmgeschwür
besessen, sondern eine Magen-Darm-Grippe. Er akzeptiere das von Dr. B erstellte
Gutachten nicht und verweise auf die Gutachter, die eine PTBS anerkannt hätten.
Dr. B hat hierzu in einer ergänzenden Stellungnahme vom 30. April 2007 ausgeführt, in
seinem Gutachten unterschieden zu haben, was an Belastungen unmittelbarem Erleben
entsprochen habe und was Mitteilungen Dritter zu entnehmen gewesen sei. Auch habe
sich seine Beurteilung nicht wesentlich lediglich auf die Dauer des Auslandseinsatzes
gestützt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte und den der Verwaltungsakten der Beklagten (4 Bände) und der
Beigeladenen sowie der Gerichtsakte S 45 VS 88/06, die vorlagen und Gegenstand der
mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Versorgung wegen einer Wehrdienstbeschädigung gemäß den §§ 80, 81, 85 SVG. Der
angefochtene Bescheid vom 07. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 25. Januar 2002 und der - gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens gewordene
- Bescheid vom 24. April 2002 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen
Rechten.
Nach § 81 Abs. 1 SVG ist eine Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche
Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung
des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen
Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Entsprechend diesen gesetzlichen Bestimmungen
ist für die vorliegend streitige Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige
Kausalkette zu prüfen: Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender
Vorgang muss zu einer primären Schädigung geführt haben, die wiederum die geltend
gemachten Schädigungsfolgen bedingt hat. Dabei müssen sich die drei
Tatsachenkomplexe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen,
während für den ursächlichen Zusammenhang grundsätzlich eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit ausreicht (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25. März 2004,
Az.: B 9 VS 1/02 R, SozR 4-3200 § 81 Nr. 1).
Eine Wehrdienstbeschädigung des Klägers besteht nicht. Eine posttraumatische
Belastungsstörung liegt beim Kläger nicht vor. Das Gericht folgt hierzu den
Feststellungen des Dr. B in dessen Gutachten vom 15. Dezember 2006, denen es sich
anschließt. Die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung setzt nach der
maßgebenden ICD 10, Punkt F 43.1 „ein belastendes, außergewöhnliches Ereignis oder
eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder
katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen
würde“ und damit ein entsprechend schweres Ereignis voraus (BSG, Urteil vom 09. Mai
2006, Az.: B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Wie Dr. B zu Recht ausgeführt hat,
handelt es sich hierbei definitionsgemäß um ein äußeres Ereignis, das nicht durch die
persönliche Disposition bestimmt wird und welches nicht über eine subjektive
Bedeutungszuschreibung aufgeweicht werden sollte. Ereignisse außergewöhnlicher
Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes, die bei nahezu jedem tiefgreifende
Verzweiflung auslösen würden, sind durch den Kläger jedoch zu keinem Zeitpunkt
geschildert worden. Der Kläger ist weder selbst in Kampfhandlungen involviert worden
noch Zeuge eines gewaltsamen Todes anderer geworden. Das Beobachten von Kindern
in einem Minenfeld erreicht diesen Schweregrad genauso wenig wie das Anlegen auf
Personen, die sich später als Jugendliche herausstellten, ohne dass geschossen worden
ist. Auch dass der Kläger, wie in seiner Stellungnahme zum Gutachten des Dr. B vom 04.
April 2007 ausgeführt, in die Nähe von (entschärften) Panzerminen und sonstiger
Munition kam, kann nicht als außergewöhnliche Bedrohung in diesem Sinne eingestuft
werden, auch würden diese Geschehnisse nicht bei jedem eine tiefe Verzweiflung
hervorrufen. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Angaben des Kompaniechefs A
vom 10. Mai 1998, wonach keiner seiner Soldaten, die in dem entsprechenden Bataillon
ihren Dienst leisteten und am Einsatz teilnahmen, irgendwelche Schädigungen
davongetragen hat.
Den anders lautenden Schlussfolgerungen des behandelnden Dipl.-Psych. K war nicht zu
folgen. Dieser hat im Termin vom 04. März 2004 ausgeführt, davon auszugehen, dass
ihm der Kläger nicht alle traumatischen Erlebnisse geschildert habe, und damit dem von
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ihm der Kläger nicht alle traumatischen Erlebnisse geschildert habe, und damit dem von
ihm gefundenen Ergebnis einer PTBS lediglich von ihm unterstellte und nicht durch den
Kläger behauptete Vorkommnisse zugrunde gelegt; hierauf kann die Diagnose der PTBS
jedoch nicht gestützt werden. Nicht gefolgt werden konnte auch der Gutachterin H, die
erkannte, dass das A-Kriterium der PTBS nicht erfüllt ist, und deshalb eine
Umformulierung der Diagnose in: „Posttraumatische Belastungsreaktion“ vornahm. Eine
derartige Vorgehensweise ist nicht zulässig. Für den Bereich der Unfallversicherung ist
anerkannt, dass zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge eine exakte
Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme
(ICD-10; DSM IV) erforderlich ist (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, a. a. O.). Nichts anderes
gilt für den Bereich des Versorgungsrechts für die Anerkennung einer psychischen
Störung als Schädigungsfolge; nur bei einer solchen Vorgehensweise sind die ärztlichen
Feststellungen nachvollziehbar und die Gleichheit der Rechtsanwendung gewährleistet.
Hierbei kommt nach den Vorgaben der maßgebenden AHP (in der derzeit einschlägigen
Fassung 2005) als Folge psychischer Traumen zwar nicht nur die PTBS in Betracht (Nr.
71 (1), 2. Abs., S. 213). Eine anders lautende Diagnose der beim Kläger bestehenden
Erkrankungen, die durch den Wehrdienst verursacht worden sein könnte, ist jedoch durch
die Gutachter nicht gestellt worden. Eine „posttraumatische Belastungsreaktion mit
intrusiven Symptomen, Vermeidung und depressiver Symptomatik“ findet sich in dem
Diagnosesystem der ICD-10 nicht. Vielmehr kommt, wenn die Voraussetzungen der
PTBS nicht erfüllt sind, die Diagnose einer „akuten Belastungsreaktion“ (F 43.0) in
Betracht, die jedoch nach der Beschreibung im Diagnosemanual im Allgemeinen
innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Eine Auseinandersetzung mit diesen
Vorgaben erfolgte durch die Gutachterin H nicht. Dr. B hingegen begründet auch unter
Heranziehung der Kriterien der AHP, dass beim Kläger ausgeprägte Belastungen, die mit
dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren, nicht vorgelegen haben.
Auch setzen die AHP bei anhaltenden Störungen tief in das Persönlichkeitsgefüge
eingreifende und in der Regel lang dauernde Belastungen voraus (a.a.O., S. 213); auch
insoweit hat Dr. B überzeugend begründet, weshalb dies nicht gegeben war.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung der Colitis ulcerosa und - als
Behandlungskomplikation - der Kniegelenkserkrankung, was lediglich als so genannte
Kann-Versorgung nach Nr. 39 der jeweils einschlägigen AHP (derzeit Ausgabe 2005; hier
Abs. 7 Nr. 15 [Crohn-Krankheit] und 16 [Colitis ulcerosa], S. 153) in Betracht kommt,
sind ebenfalls nicht erfüllt. Die für die Colitis ulcerosa und die mittlerweile festgestellte
Crohn-Krankheit gleichlautenden Voraussetzungen sind nach Nr. 107 Abs. 4 AHP 2005
(S. 234 f.):
Körperliche Belastungen oder Witterungseinflüsse, die nach Art, Dauer und Schwere
geeignet gewesen wären, die Resistenz des Klägers herabzusetzen, sind weder seitens
des Klägers vorgetragen worden noch sonst bekannt geworden. Insbesondere hat der
Kompaniechef A in seiner Stellungnahme vom 10. Mai 1998 zur Belastung ausgeführt,
dass diese von keinem seiner Soldaten des gepanzerten Einsatzverbandes als überhart
empfunden worden sei. Krankheiten, bei denen eine erhebliche Herabsetzung der
Resistenz in Frage kommt, ließen sich aufgrund der umfangreichen medizinischen
Ermittlungen der Beklagten nicht feststellen. Langdauernde, tief in das
Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychische Belastungen im Sinne der Kann-
Versorgung waren ebenfalls nicht zu bejahen. Insoweit wird auf die Ausführungen zur
posttraumatischen Belastungsstörung Bezug genommen. Die Belastungen sind nicht
gleichzusetzen mit dem Bestehen psychischer Erkrankungen, wie sie Dr. B in seinem
Gutachten als angstbereit-depressives Syndrom bei selbstunsicher-unreifer und zur
psychosomatischen Reaktionslage neigenden Persönlichkeit festgestellt hat, da diese
nicht wesentlich im Sinne der Kausalitätslehre auf den Wehrdienst und Auslandseinsatz
zurückgeführt werden können und daher nicht dem Bereich des Versorgungsrechts
zuzurechnen sind.
Den Einwänden des Klägers konnte nicht gefolgt werden. Auch insoweit wird auf die
überzeugenden Ausführungen des Dr. B in dessen Rückäußerung vom 30. April 2007
verwiesen, denen das Gericht folgt. Soweit der Kläger im Übrigen vorträgt, nie an einer
Ulcus-duodeni-Erkrankung gelitten zu haben, es habe sich lediglich um eine Magen-
Darm-Grippe gehandelt, so steht dem die anderslautende Bezeichnung des die
Arbeitsunfähigkeit (AU) bescheinigenden Arztes ebenso entgegen wie die lange Dauer
der deswegen bescheinigten AU.
Ergänzend wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im erstinstanzlichen
Urteil Bezug genommen, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt.
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Nach alledem war die Berufung des Klägers daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der
Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht
vor.
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