Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.01.2006

LSG Berlin und Brandenburg: altersrente, rücknahme, zugehörigkeit, sozialversicherung, inhaber, ddr, leistungsklage, anwartschaft, versorgung, anfechtungsklage

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 11.01.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 13 RA 1472/01
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 6 RA 118/02
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben sich die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten, die seit dem 01. Oktober 2005 Deutsche Rentenversicherung Bund heißt, die
Rücknahme der bisherigen bestandskräftigen Rentenhöchstwertfestsetzung und die Neufeststellung eines höheren
Wertes seines Rechts auf Altersrente (für langjährig Versicherte) ab dem 01. Juni 1996 unter Zugrundelegung eines
durch den Einigungsvertrag (EV) "besitzgeschützten Zahlbetrages" oder eines "weiterzuzahlenden Betrages" nach § 4
Abs 4 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).
Der am 1931 geborene Kläger war und ist im Beitrittsgebiet wohnhaft. In der DDR war er als Hochschuldozent in die
zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen
Einrichtungen der DDR (AVIwiss) einbezogen worden (Urkunde vom 22. April 1961). Vom 01. Oktober 1964 bis zum
31. März 1965 hielt sich der Kläger zu Forschungs- und Studienzwecken in Indien auf. Seit 1969 war er ordentlicher
Professor an der Hochschule für Ökonomie in B. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete am 30. September 1991. Im
Anschluss war er bis zum 30. September 1993 bei der Entwicklungspolitischen Gesellschaft in Btätig. Ab dem 01.
Oktober 1993 bezog er Arbeitslosengeld.
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 18. Dezember 1995 (so genannter Überführungsbescheid) setzte der
Zusatzversorgungsträger die Zeiten vom 01. Januar 1960 bis zum 30. September 1964 und vom 01. April 1965 bis
zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVIwiss sowie die während dieser Zeiten tatsächlich erzielten
Arbeitsverdienste fest. Tatbestandsvoraussetzungen für eine besondere Beitragsbemessungsgrenze (§§ 5 ff AAÜG)
wurden nicht festgestellt.
Ab dem 01. Juni 1996 erkannte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß ein Recht auf Altersrente (für langjährig
Versicherte) zu (Bescheid vom 11. April 1996); dessen Wert betrug unter Zugrundelegung von 73,0507 Entgeltpunkten
(Ost) zu Beginn 2 770,08 DM; Berücksichtigung fanden dabei nach § 6 Abs 1 AAÜG die als versichert geltenden
Arbeitsverdienste bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze.
Der von ihm beim Zusatzversorgungsträger gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit dem Ziel
gestellte Überprüfungsantrag, unter Korrektur des Überführungsbescheides die Zeit in Indien vom 01. Oktober 1964
bis zum 31. März 1965 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVIwiss und damit als Tatbestand von nach § 5 AAÜG
gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten im Sinne des SGB VI sowie die dabei erzielten tatsächlichen Verdienste
festzustellen, blieb erfolglos (Bescheid vom 12. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli
1997).
Während des daraufhin angestrengten Klageverfahrens (Sozialgericht (SG) Berlin S 6 An 3723/97-1; zuletzt S 16 An
3723/97-1) hat der Zusatzversorgungsträger mit Bescheid vom 23. Juni 1998 den gesamten Zeitraum vom 01. Januar
1960 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVIwiss sowie die darin erzielten Arbeitsentgelte
festgestellt und sodann den Anspruch des Klägers anerkannt, die Zeit vom 01. Oktober 1964 bis zum 31. März 1965
als Zeit der Zugehörigkeit zur AVIwiss samt der darin erzielten Verdienste festzustellen; dieser hat das Anerkenntnis
angenommen.
In der Folge hat die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 1998 die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung der
Zeit vom 01. Oktober 1964 bis zum 31. März 1965 von Beginn an neu festgestellt. Der Kläger hat sich mit diesem
Bescheid in dem ursprünglich von ihm gegen die Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 11. April 1996
geführten Rechtsstreit (SG Berlin S 6 An 3723/97; zuletzt S 16 An 3723/97) einverstanden erklärt und das
Klageverfahren gegen die Beklagte für erledigt erklärt.
Auch der bei der Beklagten nach § 44 SGB X mit dem Ziel gestellte Antrag, unter Änderung des Rentenbescheides
vom 11. April 1996 ihm eine höhere Altersrente unter Anrechnung höherer Entgeltpunkte (Ost) für die Jahre 1991,
1993 und 1994 sowie unter Berücksichtigung seiner Ansprüche auf Zusatzversorgung zu gewähren, blieb erfolglos
(Bescheid vom 06. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2001).
Mit seiner hiergegen vor dem SG Berlin erhobenen Klage hat der Kläger zuletzt beantragt, die Beklagte unter
Änderung des Rentenbescheides vom 11. April 1996 und vom 28. Juli 1998 sowie des Bescheides vom 06. Oktober
2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2001 zu verurteilen, ihm Leistungen aus der
gesetzlichen Rentenversicherung zuzuerkennen, denen der zu dynamisierende Betrag zugrunde liegt, der für Juli 1990
zu erbringen gewesen wäre, wenn der Versorgungsfall am 01. Juni 1990 eingetreten wäre, hilfsweise, das Verfahren
auszusetzen und nach Art 100 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die
unterschiedlichen Termine des Vertrauensschutzes nach § 4 Abs 4 AAÜG und Art 2 Renten-Überleitungsgesetz
(RÜG) § 1 Abs 1 Nr 3 iV m §§ 319 a, b SGB VI mit Art 3 GG vereinbar seien.
Das SG Berlin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. Dezember 2002).
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Oktober 2002 sowie die ablehnende Entscheidung der Beklagten im
Bescheid vom 06. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2001 aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, die Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 28. Juli 1998 für Bezugszeiten ab
dem 01. Juni 1996 zurückzunehmen, die Beklagte zu verpflichten, für die Zeit ab dem 01. Juni 1996 einen höheren
Wert seines Rechts auf Altersrente unter Zugrundelegung eines durch den Einigungsvertrag (EV) "besitzgeschützten
Zahlbetrags" oder eines "weiterzuzahlenden Betrages" nach § 4 Abs 4 AAÜG festzustellen, und die Beklagte zu
verurteilen, ihm für diese Zeit entsprechend höhere monatliche Geldbeträge zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den geltend gemachten Anspruch für nicht gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (I bis II), insbesondere die
Schriftsätze der Beteiligten, die Gerichtsakten des SG Berlin (S 16 An 3723/97 und S 16 An 3723/97-1) sowie die den
Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen.
Streitig ist das Begehren des Klägers, erstens die Ablehnung des Rücknahmeanspruchs aus § 44 SGB X im
Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2001
aufzuheben (Anfechtungsklage), zweitens diese zu verpflichten, die bindend gewordene Ablehnung eines höheren
Werts auf Altersrente im Bescheid vom 28. Juli 1998 (der den vorangegangenen Bescheid vom 11. April 1996 im
Sinne von § 39 Abs 2 SGB X erledigt hat) für Bezugszeiten ab dem 01. Juni 1996 zurückzunehmen
(Verpflichtungsklage), und drittens die Beklagte zu verpflichten, für die Zeit ab dem 01. Juni 1996 einen höheren Wert
seines Rechtes auf Altersrente unter Zugrundelegung eines dynamisierbaren "besitzgeschützten Zahlbetrages" neu
festzustellen, sowie viertens die Beklagte zu verurteilen, für diese Zeit entsprechend höhere monatliche Geldbeträge
zu zahlen (eine die Verpflichtungsklage auf Neufeststellung verbrauchende Leistungsklage). Streitig ist hingegen nicht
mehr das noch zum Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gemachte und noch zu Beginn des Klageverfahrens
verfolgte Begehren auf Rücknahme der bestandskräftigen Rentenhöchstwertfestsetzung unter Neufeststellung des
Rentenhöchstwertes unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung höherer Entgeltpunkte für die in den Jahren 1991, 1993
und 1994 erzielten beitragspflichtigen Einkommen. Zum einen ist der Kläger im Berufungsverfahren auf dieses
Verlangen nicht mehr zurückgekommen ist. Zum anderen hatte er bereits im Klageverfahren mit seinem zuletzt vor
dem SG Berlin gestellten Klageantrag hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, an diesem Teil seines Begehrens
nicht mehr festhalten zu wollen und mithin schlüssig insoweit eine Teil-Rücknahme erklärt.
Die zur Durchsetzung des von ihm noch zuletzt verfolgten Begehrens erhobene Kombination von Anfechtungs-,
Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG; vgl Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-1300 § 44 RdNr
8) ist zulässig. Richtigerweise hat der Kläger vor dem Senat klargestellt, dass sein mit der Verpflichtungsklage
verfolgtes Begehren, die bisherige bestandskräftige Rentenhöchstwertfestsetzung zurückzunehmen, sich entgegen
seinem ausdrücklich vor dem SG gestellten Antrag und der Auffassung des SG nur auf die letzte bindend gewordene
bisherige Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 28. Juli 1998 bezieht, denn diese hat die frühere
Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 11. April 1996 ersetzt.
Wegen der vom Kläger vorgenommenen Bestimmung des Streitgegenstandes unterliegen der angefochtene Bescheid
vom 6. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2001 und der zur Überprüfung
gestellte Rentenbescheid vom 28. Juli 1998 nur unter dem geltend gemachten Gesichtspunkt des
Zahlbetragsschutzes der Nachprüfung im vorliegenden Rechtstreit (vgl zur Teilbarkeit des Streitgegenstandes:
Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 30. März 2004, B 4 RA 46/02 R, unveröffentlicht, vom 25. Februar 2004, B 5
RJ 62/02 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 2 und vom 31. Juli 2002, B 4 RA 113/00 R, unveröffentlicht).
Die Beklagte hat in der Sache zutreffend einen Rücknahmeanspruch des Klägers verneint, so dass die
Anfechtungsklage hiergegen, nicht begründet ist. Denn die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Aufhebung der
bindenden Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 28. Juli 1998 sind nicht erfüllt. Die Voraussetzungen des §
44 SGB X, der die Anspruchsgrundlage für einen Anspruch auf Rücknahme der nämlichen bindenden Regelung bildet,
sind nicht erfüllt, weil diese im Zeitpunkt ihres Erlasses (genauer: ihrer Bekanntgabe) rechtmäßig war. Dem Kläger
stand jedenfalls sein Recht auf Altersrente nicht in Höhe des durch EV Nr 9 Buchst b Satz 5 iVm § 4 Abs 4 Satz 1
und 2 AAÜG in der damals geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des RÜG vom 18. Dezember 1991 (BGBl
I 2207) garantierten Zahlbetrages oder des sog "weiterzuzahlenden Betrages" zu, denn § 4 Abs 4 AAÜG war auf ihn
nicht anwendbar.
Nach § 44 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X ist ein (im Sinne von § 45 Abs 1 SGB X) nicht begünstigender
Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit er anfänglich rechtswidrig ist. Er ist immer mit Wirkung für die Zukunft
zurückzunehmen (Abs 2 Satz 1 aaO), soweit er im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Rücknahme noch Rechtswirkungen
hat, also noch nicht im Sinne von § 39 Abs 2 SGB X erledigt ist. Die Rücknahme hat pflichtig für die Vergangenheit
zu erfolgen, wenn wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes "Sozialleistungen" zu Unrecht nicht erbracht oder
"Beiträge" zu Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X).
Zu Recht hat die Beklagte im Bescheid vom 28. Juli 1998 den Wert des vom Kläger in Anspruch genommenen
Rechts auf Altersrente (für langjährig Versicherte) nicht auf der Grundlage des von EV Nr 9 Buchst b Satz 5 iVm § 4
Abs 4 Satz 1 und 2 AAÜG idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1991 garantierten Zahlbetrages oder des
"weiterzuzahlenden Betrages" festgestellt, denn diese Zahlbetragsgarantien standen dem Kläger nicht zu, weil die
Anwendbarkeitsvoraussetzung des § 4 Abs 4 AAÜG, der Eintritt eines fiktiven Versorgungsfalles vor dem 1. Juli 1995
(Satz 2 aaO), nicht erfüllt war; der Kläger hat sein 65. Lebensjahr erst im Dezember 1996 vollendet, ohne vor dem 1.
Juli 1995 berufsunfähig geworden zu sein.
EV Nr 9 Buchst b, der nur einige der Maßgaben zu den Versorgungssystemen regelte, garantierte im Rahmen der dort
ausschließlich geregelten Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und
Zusatzversorgungssystemen in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets zum 31. Dezember 1991 (dazu
grundlegend: BSG SozR 3-8570 § 10 Nr 1 S 13 ff) den Personen, die am 3. Oktober 1990 aus dem
Versorgungssystem "leistungsberechtigt" waren, also irgendein Vollrecht auf eine Versorgung aus einem
Versorgungssystem hatten (sog Bestandsrentnern), den vollen Bestandsschutz, nämlich als Mindestbetrag den
Zahlbetrag, der für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen war (Satz 4).
Denjenigen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus dem Versorgungssystem "leistungsberechtigt" waren (die also
nur eine Versorgungsanwartschaft innehatten) und erst ab dem 4. Oktober 1990 wegen Eintritts des Versorgungsfalls
ein Vollrecht auf Versorgungsrente erwerben würden (sog Zugangsrentner), wurde nur ein zeitlich limitierter
Bestandsschutz eingeräumt, nämlich nur, wenn sie bis zum 30. Juni 1995 den Versorgungsfall erlitten und deshalb -
fiktiv - leistungsberechtigt geworden wären. Auch diesem Personenkreis wurde der Zahlbetrag garantiert, "der für Juli
1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen gewesen wäre, wenn der Versorgungsfall
am 1. Juli 1990 eingetreten wäre" (Satz 5). Bei der Überleitung des SGB VI am 1. Januar 1992 auf das Beitrittsgebiet
wurde zu Gunsten der Inhaber von überführten Rechten durch § 307b SGB VI (dazu: BSG Urteil vom 26. Oktober
2004 - B 4 RA 27/04 R, SozR 4-2600 § 307b Nr 5) und zuvor bei der Überleitung von Versorgungsanwartschaften in
das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets durch § 4 Abs 4 AAÜG die Zeitgrenze zwischen den
"leistungsberechtigten" Bestandsrentnern und den noch nicht "leistungsberechtigten" Zugangsrentnern der
Versorgungssysteme vom 3./4. Oktober 1990 auf den 31. Dezember 1991/1. Januar 1992 verlegt. Dadurch gelangten
auch Inhaber einer erst zum 31. Dezember 1991 überführten bloßen Versorgungsanwartschaft zusätzlich und sie nur
begünstigend in den erstmals durch das RÜG (1991) geschaffenen Schutz des sog "weiterzuzahlenden Betrages".
Die als Schranke der im EV der Bundesregierung erteilten Verordnungsermächtigung ausgestaltete
Zahlbetragsgarantie des EV Nr 9 Buchst b Satz 5, die dem "besitzgeschützten Zahlbetrag" Eigentumsschutz
vermittelt hat (vgl Bundesverfassungsgericht (BVerfG)E 100, 1, 51 f = SozR 3-8570 § 10 Nr 3), schützte das
Vertrauen der "rentennahen" Inhaber einer Versorgungsanwartschaft in den Erhalt des Werts dieser Anwartschaft nach
dem im Juli 1990 maßgeblichen Versorgungsrecht der DDR, soweit es nach dem EV zu Bundesrecht wurde, sowie
(bei Zusatzversorgten) den Wert der Anwartschaft auf Sozialpflichtversicherungsrente (vgl BSG SozR 3-8570 § 4 Nr 3
S 11 und Nr 4 S 28). Wenn der fiktive Versorgungsfall nach der Versorgungsordnung vor dem 1. Juli 1995 eintritt, wird
er so behandelt, als wäre er am 1. Juli 1990 eingetreten. Maßstab für die Höhe des fiktiven Gesamtanspruchs aus
Sozialversicherung und Zusatzversorgung sind dann die leistungsrechtlichen Regelungen des am 1. Juli 1990 im
Beitrittsgebiet geltenden Rentenversicherungs- und Versorgungsrechts, soweit es am 3. Oktober 1990 zu
Bundesrecht wurde. Ausgehend hiervon ist zu prüfen, welche Ansprüche in welcher Höhe dem Berechtigten nach den
im Juli 1990 maßgeblichen Bestimmungen zugestanden hätten. Da den Zugangsrentnern nur ein zeitlich limitierter
Bestandsschutz garantiert wurde, ist - als Anwendungsvoraussetzung des § 4 Abs 4 AAÜG - stets vorab zu prüfen,
ob nach den leistungsrechtlichen Bestimmungen des Versorgungssystems der Versorgungsfall bis zum Ablauf des
30. Juni 1995 eingetreten wäre, also die Versorgungsanwartschaft innerhalb dieses Zeitraums zu einem Vollrecht auf
Versorgung erstarkt wäre.
An dieser Rechtslage hat im Übrigen auch das 2. AAÜG-ÄndG verfassungsgemäß nichts rückwirkend geändert.
Inhaltlich unverändert blieb insbesondere der - auch vom BVerfG nicht beanstandete (dazu sogleich) - § 4 Abs 4 Satz
2 AAÜG. Danach war und ist - entgegen der Ansicht des Klägers - grundlegende Voraussetzung für die
Maßgeblichkeit des "besitzgeschützten Zahlbetrages" oder des "weiterzuzahlenden Betrages", dass der Berechtigte
einen "Anspruch aus dem Versorgungssystem" gehabt hätte, wenn die Regelungen des Versorgungssystems weiter
anzuwenden wären; ein Recht auf Rente aus dem SGB VI reicht also nicht.
Nach EV und AAÜG stand also dem am 1931 geborenen Kläger kein Recht auf einen "besitzgeschützten Zahlbetrag"
oder auf einen "weiterzuzahlenden Betrag" zu, denn er hatte bis zum Ablauf des 30. Juni 1995 keinen fiktiven
"Anspruch" aus dem Zusatzversorgungssystem nach Nr 4 der Anlage 1 zum AAÜG (AVIwiss), dem er früher angehört
hatte, erworben. Da er nicht berufsunfähig ist (§ 8 Buchst b der VO-AVIwiss vom 12. Juli 1951 (GBl 675)), hätte ihm
nach § 8 Buchst a der VO-AVIwiss erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres, also ab dem Zeitpunkt, ab dem ihm
auch kraft Gesetzes ein Recht auf Regelaltersrente nach dem SGB VI zustand, hier also im Dezember 1996, und
damit erst nach Ablauf des zeitlich limitierten Bestandsschutzes ein Recht auf zusätzliche Altersversorgung
zugestanden. Aus demselben Grunde stand er auch nicht unter dem Schutz des sog "weiterzuzahlenden Betrages".
Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt die Stichtagsregelung in § 4 Abs 4 AAÜG auch nicht gegen Art 3 Abs
1 GG. Das BVerfG hat in weiterem Zusammenhang ausgeführt, dass der Gesetzgeber innerhalb seiner
Gestaltungsbefugnis bleibe, wenn er es ablehne, zu Lasten der Versichertengemeinschaft oder der Allgemeinheit den
alters- oder schicksalsbedingten Umstand voll auszugleichen, dass Personen im erwerbsfähigen Alter bessere
Chancen haben als Rentner und Angehörige rentennaher Jahrgänge, Zugang zu ergänzenden
Alterssicherungssystemen zu finden. Es sei deshalb mit Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) vereinbar, dass die
begünstigende Wirkung der Zahlbetragsgarantie nach dem EV auf Bestandsrentner und Rentenzugänge bis zum 30.
Juni 1995 begrenzt worden sei (BVerfGE 100, 1, 46 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3 S 57 f). Unter Bezugnahme
insbesondere hierauf hat das BSG entschieden, dass gegen die Stichtagsregelung in § 4 Abs 4 AAÜG keine
verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden (BSG SozR 4-2600 § 260 Nr 1 RdNr 25 ff, insbesondere 28 mwN). Der
Senat folgt dem als überzeugend. Dabei kann nicht außer Acht gelassen werden – worauf das BSG zu Recht hinweist
–, dass auch nach Ablauf des Stichtages (30. Juni 1995) die Rentenberechtigte aus dem Beitrittsgebiet
begünstigenden Vorschriften des SGB VI und der §§ 5 bis 8 AAÜG bei der Ermittlung der Entgeltpunkte weiterhin
Anwendung finden (BSG aaO RdNr 29).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.