Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21.11.2006

LSG Berlin und Brandenburg: gesellschaft mit beschränkter haftung, eintragung im handelsregister, zugehörigkeit, ddr, anwendungsbereich, industrie, verordnung, ingenieur, hauptsache, wiedervereinigung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 21.11.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Potsdam S 14 RA 401/04
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 4 R 1035/05
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. April 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1
Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, Tatbestände von Zeiten der
Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und die im fraglichen Zeitraum
tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Dem 1947 geborenen Kläger wurde nach Abschluss seines Studiums an der F-S-Universität J am 30. Juli 1971 das
Recht verliehen, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Anschließend war der Kläger, der nicht in ein
Zusatzversorgungssystem einbezogen wurde, fortlaufend beim VEB Geräte- und Regler-Werke T, VEB GRW, als
Gruppenleiter Forschung und Entwicklung beschäftigt. Die Rechtsfähigkeit dieses Betriebes endete ausweislich der
Registernummer 110/04/149 des Registers der volkseigenen Wirtschaft des Bezirkes P am 26. Juni 1990, weil der
Betrieb mit Wirkung ab diesem Tage aufgrund der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten,
Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften (VoEigUmwV) vom 01. März 1990 (BGl. DDR I 1990, S. 107) in
drei Gesellschaften umgewandelt und aufgespalten worden war. Bei einer von diesen handelte es sich um die G- und
R-W T GmbH, die am 26. Juni 1990 in das Handelsregister des Amtsgerichts P (HRB 129 P) eingetragen wurde und
bei der der Kläger im Folgenden beschäftigt war.
Am 29. Oktober 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten für den Zeitraum vom 01. September 1971 bis zum 30.
Juni 1990 die Feststellung seiner Zugehörigkeit zu einem System der zusätzlichen Altersversorgung gemäß Anlage 1
zum AAÜG. Mit Bescheid vom 21. Januar 2004 lehnte die Beklagte die begehrte Feststellung mit der Begründung ab,
dass weder eine positive Versorgungszusage zu Zeiten der DDR bestanden habe noch am 30. Juni 1990 eine
Beschäftigung ausgeübt worden sei, die - aus bundesrechtlicher Sicht – dem Kreis der obligatorisch
Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Das AAÜG sei nicht anwendbar, da der VEB Geräte und Regler Werke T
bereits vor dem 30. Juni 1990 privatisiert worden sei. Den hiergegen am 03. Februar 2004 eingelegten Widerspruch
des Klägers, mit dem dieser geltend machte, dass der Betrieb nicht vor dem 30. Juni 1990 privatisiert, vielmehr erst
zum 01. Juli 1990 verkauft worden sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2004 unter
Vertiefung ihrer ursprünglichen Begründung zurück. Für die Beurteilung der Zugehörigkeit zur AVItech komme es
ausschließlich auf die amtliche Eintragung im Handelsregister und die Löschung im Register der volkseigenen
Wirtschaft an. Die Eintragung im Handelsregister sei jedoch am 26. Juni 1990 erfolgt (HRB 129).
Die hiergegen am 29. April 2004 erhobene Klage des Klägers hat das Sozialgericht Potsdam mit Urteil vom 21. April
2005 abgewiesen. Zur Begründung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen
ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Zugehörigkeit zur AVItech habe, weil
die allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, nämlich die Vorschriften des AAÜG nicht anwendbar seien.
Der Kläger habe am 30. Juni 1990 keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage für die AVItech gehabt.
Eine solche komme nur in Betracht, wenn die zwingenden Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das jeweilige
Versorgungssystem noch am 30. Juni 1990 aufgrund der zu diesem Datum ausgeübten Beschäftigung vorgelegen
hätten. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Die bereits am 26. Juni 1990 gegründete Firma G- und R-W T GmbH
stelle keinen volkseigenen Produktionsbetrieb im Sinne der Versorgungsordnung dar, sondern sei schon nach ihrer
Form eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Gegen dieses ihm am 13. Juni 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 07. Juli 2005 eingelegte Berufung des
Klägers, mit der er im Wesentlichen einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot rügt. Weiter meint er, dass die
Heranziehung der so genannten Stichtagsregelung unzulässig sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2004 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit
vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der
technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) anzuerkennen und die für diesen Zeitraum tatsächlich erzielten
Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Beklagten
verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegen¬stand der Entscheidung gewesen sind.
II.
Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss entscheiden, weil er diese einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Potsdam und die Beklagte haben zu Recht
entschieden, dass der Kläger keinen mit Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) durchsetzbaren
Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990
hat. Ebenso wenig hat er einen Anspruch auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte. Er
unterfällt bereits nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1 AAÜG. Da der Kläger zu keinem Zeitpunkt
aufgrund eines staatlichen Akts oder einer einzelvertraglichen Zusage in ein Versorgungssystem einbezogen worden
war, konnte er dem Anwendungsbereich des AAÜG nur unterfallen, wenn er eine fiktive Versorgungsanwartschaft im
Sinne der vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen erweiternden Auslegung des § 1
Abs. 1 Satz 2 AAÜG gehabt hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom
10. Februar 2005 – B 4 RA 48/04 R – (zitiert nach juris) die diesbezüglichen Anforderungen nochmals bestätigt und
wie folgt ausgeführt:
"Für die Anwendbarkeit des AAÜG kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf die am 30. Juni 1990
gegebene Sachlage mit Blick auf die bundesrechtliche Rechtslage am 1. August 1991, dem Inkrafttreten des AAÜG,
an. Dies folgt aus den primär- und sekundärrechtlichen Neueinbeziehungsverboten des EinigVtr. So untersagt der
EinigVtr primärrechtlich in der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst a Neueinbeziehungen ab
3. Oktober 1990. Darüber hinaus ordnet der EinigVtr in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8 - wenn
auch mit Modifikationen - die sekundärrechtliche Weitergeltung des Rentenangleichungsgesetzes der DDR (RAnglG-
DDR) an, das Neueinbeziehungen ab 1. Juli 1990 untersagt hat (§ 22 Abs. 1 Satz 1 RAnglG-DDR). Da letztlich auf
Grund dieser Regelungen Neueinbeziehungen in ein Zusatzversorgungssystem ab 1. Juli 1990 nicht mehr zulässig
waren, ist darauf abzustellen, ob der Betroffene nach den tatsächlichen Gegebenheiten bei Schließung der
Zusatzversorgungssysteme (30. Juni 1990) einen "Anspruch" auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte.
Bei dieser Bewertung ist auf die Regelungen der Versorgungssysteme abzustellen, wie sie sich aus den Texten der
Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen
gleichgestellten Betrieben (nachfolgend: VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl. S. 844) und der Zweiten
Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (nachfolgend: 2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl. S. 487) ergeben. Nach § 1
VO-AVItech iVm § 1 Abs. 1 und 2 2. DB hing ein solcher Anspruch von drei (persönlichen, sachlichen und
betrieblichen) Voraussetzungen ab. Generell war dieses System eingerichtet für - Personen, die berechtigt waren, eine
bestimmte Berufsbezeichnung zu führen und - die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar - in
einem volkseigenen oder diesem gleichgestellten Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens ... Aus
welchen Gründen vor dem 30. Juni 1990 eine der drei Voraussetzungen entfallen ist, ist unerheblich (vgl. hierzu auch:
Urteile des Senats vom 29. Juli 2004, B 4 RA 4/04 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, und B 4 RA 12/04 R; ferner
Urteil vom 8. Juni 2004, B 4 RA 56/03 R). Denn lag am 30. Juni 1990 eine der Voraussetzungen nicht vor, bestand bei
Schließung der Zusatzversorgungssysteme kein "Anspruch" auf Erteilung einer Versorgungszusage, der am 1.
August 1991 als fiktive Versorgungsanwartschaft den Anwendungsbereich des AAÜG hätte eröffnen können."
Diese Beurteilung hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen in seinem Nichtannahmebeschluss vom 26. Oktober
2005 (1 BvR 1921/04 u.a., SozR 4-8560 § 22 Nr. 1) bestätigt und die Stichtagsregelung, deren Heranziehung der
Kläger für unzulässig hält, für verfassungsgemäß erklärt.
Vorliegend scheitert ein "Anspruch" auf Erteilung einer Versorgungszusage mithin jedenfalls daran, dass der Kläger
am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb bzw. einem gleichgestellten Betrieb, sondern in
einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gearbeitet hat. Ein in der Rechtsform der GmbH geführtes Unternehmen
unterliegt gemäß der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 07.09.2006 – B 4 RA 41/05 R - zitiert nach
juris, m.w.N.) nicht dem Anwendungsbereich des zu Bundesrecht gewordenen § 1 Abs. 1 der 2. DB und damit der
AVItech, weil es sich schon nicht um einen volkseigenen Betrieb handelt. Auch gehört die G– und R-W T GmbH nicht
zu den gleichgestellten Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB. Die gegründete GmbH lässt sich keinem der dort
abstrakt genannten Betriebstypen zuordnen. Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers erfüllte damit nicht die
betrieblichen Voraussetzungen im Sinne des Versorgungsrechts. Vor diesem Hintergrund ist es irrelevant, dass der
Kläger berechtigt war, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen und wohl auch einer dieser Qualifikation
entsprechenden Beschäftigung nachgegangen ist.
Soweit der Kläger schließlich eine Ungleichbehandlung rügt, hat das Bundessozialgericht in der oben zitierten
Entscheidung vom 10. Februar 2005 (B 4 RA 48/04 R, zitiert nach juris) wie folgt klargestellt: "Eine Gleichstellung
weiterer Personen, die ... nach den zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der
Zusatzversorgungssysteme (hier: AVItech) am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine fiktive
Versorgungsanwartschaft Nichteinbezogener nicht erfüllten, ist von Verfassungs wegen nicht geboten. Der
Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der
Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne
Willkürverstoß anknüpfen und damit u.a. zu Grunde legen, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der
AVItech einbezogen werden durfte, der am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der
Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Art. 3 Abs. 1 und 3 Grundgesetz
gebietet nicht, von jenen zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versorgungssysteme sowie den
historischen Fakten, aus denen sich etwa Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie "rückwirkend" zu Lasten der
heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen (st. Rspr. des BSG, vgl. stellvertretend: Urteil vom 29. Juli 2004,
B 4 RA 4/04 R, m.w.N, vgl. hierzu auch entsprechend: BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004, 1 BvR 1557/01,
NVwZ 2005, 81)."
Diesen Ausführungen, denen der Senat sich anschließt, ist vorliegend nichts hinzuzufügen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.