Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.09.2008

LSG Berlin und Brandenburg: psychiatrisches gutachten, missbrauch, psychotherapeutische behandlung, innere medizin, trauma, angriff, psychotherapie, entschädigung, versorgung, erstellung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 09.09.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Potsdam S 9 VG 164/05
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 11 VG 33/08
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die 1960 geborene Klägerin ist von Beruf Bauzeichnerin, arbeitete zuletzt als Grafikerin bis zur Geburt ihres Sohnes
im Jahre 1988 und war danach im Wesentlichen ohne Beschäftigung. Seit März 1998 bezieht sie eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit.
Einen ersten Antrag nach dem OEG stellte die Klägerin am 03./12. Februar 1999. Sie gab an, im Kindesalter von
ihrem Vater vergewaltigt und missbraucht worden zu sein. Der Beklagte zog ein neurologisch-psychiatrisches
Gutachten der Frau Dr. A, gefertigt für den Rentenversicherungsträger, bei, aus dem sich als Diagnosen eine schwere
psychische Fehlentwicklung bei Verdacht auf frühe Störung und vasomotorische Cephalgien ergaben. Die Klägerin
habe berichtet, sie sei vom sechsten Lebensmonat bis zum sechsten Lebensjahr von ihrem Vater missbraucht
worden. Dies rekapituliere sie aus ihrem Lebensmuster, Belege von außen fänden sich für diese Behauptung nicht.
Der Beklagte holte weiter einen Befundbericht der Dipl. Psych. O, eingegangen am 09. Juni 1999, ein, in dem diese
ausführte, der Vater der Klägerin habe diese regelmäßig mit zu sich nach Hause genommen. Dort müsse es zum
sexuellen Missbrauch gekommen sein. Das von ihr geschilderte psychische, körperliche und soziale Erleben sei auf
eine ganz frühe, bereits in der Schwangerschaft begonnene, Persönlichkeitsstörung zurückzuführen. Diese sei noch
zusätzlich durch den sexuellen Missbrauch verstärkt worden. Sie habe mit der Klägerin schrittweise die
Psychogenese erarbeitet, schließlich seien die Erinnerungsbilder vom sexuellen Missbrauch gekommen. Eine reale
Erinnerung liege jedoch nicht vor, der Vater lebe nicht mehr, so dass eine Verifizierung nicht möglich sei.
Mit Bescheid vom 11. August 1999 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, der Nachweis
eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs sei nicht erbracht. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 30. September 2003 stellte sie einen erneuten Antrag, in dem sie einen 1985 aufgetretenen Gebärmutterhalskrebs
als Folge der Gewalttat bezeichnete. Neue Beweise für den sexuellen Missbrauch im Kindesalter lägen ihr nicht vor.
Dem Antrag blieb mit ablehnendem Bescheid vom 29. Oktober 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 15. Dezember 2003 der Erfolg versagt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, eine Rücknahme des
Bescheides vom 11. August 1999 komme nicht in Betracht, da dieser rechtmäßig sei.
Unter dem 20./29. März 2005 stellte die Klägerin erneut einen Überprüfungsantrag. Beigefügt war ein an den Weißen
Kreis gerichteter Antrag auf Kostenübernahme für eine Psychotherapie der Psychologischen Psychotherapeutin W
vom 08. Mai 2004. Die Klägerin habe bereits über mehrere Jahre psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen,
wovon sie profitiert habe, da sie dadurch überhaupt erst erinnert habe, dass sie in der Kindheit gequält worden sei. Sie
habe die damit aufkommenden Gefühle aber nicht verarbeiten können. Sie sei über Jahre hinweg sexuell auf
sadistische Weise von ihrem Vater gequält worden. Dies habe vermutlich be-reits im Säuglingsalter begonnen. Weiter
war dem Antrag ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung durch Dr. J und
Frau Dr. W vom 17. Januar 2005 beigefügt. Dort ist ausgeführt, die Klägerin habe in der Anamneseerhebung von ihrer
freudlosen Kindheit, dem gewalttätigen Vater, der lieblosen Mutter und dem sexuellen Missbrauch berichtet.
Mit Bescheid vom 13. April 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 lehnte der Beklagte
den Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 11. August 1999 und Gewährung von Leistungen nach dem OEG
erneut ab.
Mit der hiergegen am 30. Juni 2005 zum Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Neben einer möglichen Versorgung bedeute die Anerkennung einer Entschädigung für sie die Wiedergutmachung für
das erlittene Unrecht.
Das Sozialgericht hat Behandlungsberichte des Klinikums E vom 24. März und 07. April 2001 beigezogen, die als
Diagnosen jeweils eine histrionische Persönlichkeitsstörung und Panikstörung nennen. Nach Beiziehung von
Befundberichten der Psychologischen Psychotherapeutin W vom 31. Oktober 2005, der Dipl. Psych. S vom 14.
November 2005, der Dipl. Med. H, Fachärztin für Innere Medizin, vom 09. November 2005, dem ein Reha
Entlassungsbericht der H Klinik über die Rehabilitation vom 19. Februar bis 10. März 1998 sowie ein Bericht der Dr. J
vom 13. Mai 1992 beilag, hat das Sozialgericht einen Erörterungstermin anberaumt. Im Termin vom 03. Februar 2006
hat die Klägerin die Adresse ihrer 70 jährigen Mutter zur weiteren Abklärung des Sachverhalts nicht angegeben. Zu
weiteren Familienmitgliedern bestehe kein Kontakt mehr.
Nachdem sie mit Schreiben vom 29. März 2006 erklärt hatte, dass sie mit einer Begutachtung nicht einverstanden
sei, weil sie eine Retraumatisierung befürchte, hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 26. September 2006
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zu Recht
festgestellt habe, dass der Bescheid vom 11. August 1999, mit welchem der Antrag auf Anerkennung der
bestehenden Gesundheitsstörungen als Folge einer nach dem OEG entschädigungspflichtigen Gewalttat abgelehnt
wurde, rechtmäßig sei. Zwar stelle der sexuelle Missbrauch von Kindern einen rechtswidrigen tätlichen Angriff im
Sinne des § 1 Abs. 1 OEG dar. Die Tatbestandsvoraussetzungen seien auch dann erfüllt, wenn der Täter keine
nennenswerte Kraft aufwenden müsse, um den Widerstand des Opfers zu überwinden, sondern sein Ziel auch
dadurch erreiche, dass er den Widerstand seines Opfers durch Täuschung, Überredung oder sonstige Mittel ohne
besonderen Kraft-aufwand breche oder gar nicht erst aufkommen lasse. Die von der Klägerin behaupteten sexuellen
Handlungen erfüllten damit die Anforderungen des § 1 Abs. 1 OEG. Eine Entschädigung setze aber voraus, dass der
rechtswidrige tätliche Angriff mit dem notwendigen Vollbeweis feststellbar sei. Nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme könne das Vorliegen eines solchen Missbrauchs nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur
Aufklärung des Sachverhalts aber nicht mit dem erforderlichen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Sie selbst habe an den von ihr behaupteten Tathergang keine konkreten Erinnerungen. Tatzeugen habe sie nicht
benennen können, da die Taten stets ohne Beisein und Kenntnis anderer Personen begangen worden sein sollen. Den
Missbrauch rekapituliere sie allein aus dem Lebensmuster und dem Ergebnis von psychotherapeutischen Sitzungen,
ohne dass sich hierfür tatsächliche Belege finden ließen. Auch die Angaben der sie behandelnden Ärzte über einen
sexuellen Missbrauch durch den Vater gründeten allein auf ihren Angaben, ohne dass hierdurch der Nachweis des
Vorliegens eines solchen Missbrauchs erbracht worden sei. Insbesondere habe keiner der befassten Ärzte und
Therapeuten nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass der behauptete tätliche Angriff zweifelsfrei stattgefunden
habe und aufgrund welcher medizinischen Erkenntnisse diese Feststellung zu treffen sei. Eine weitere
Beweiserhebung durch Beauftragung eines Sachverständigen sei nicht möglich gewesen, da sie eine solche
Begutachtung ausdrücklich abgelehnt habe. Die Feststellungen zum Vorliegen eines Missbrauchsereignisses könnten
auch nicht unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung aus § 15 Abs. 1 KOVVfG getroffen werden. Zwar gelte
diese Vorschrift gemäß § 6 Abs. 3 OEG auch für die Entschädigung nach dem OEG und nicht nur im
Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren. Dies helfe im vorliegenden Fall aber nicht weiter, da
die Vorschrift voraussetze, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem
Wissen machen könne, was bei der Klägerin jedoch nicht der Fall sei. Die von der Rechtsprechung anerkannten
Ausnahmetatbestände lägen nicht vor.
Gegen dieses ihr am 26. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08. November 2006 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, dass die vorliegenden Leiden, die langjährige psychotherapeutische Behandlung und ihr Lebensmuster
Beweis genug für den erfolgten Missbrauch seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 26. September 2006 und den Bescheid des Beklagten vom 13. April 2005
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, seinen
Bescheid vom 11. August 1999 aufzuheben und ihr Versorgung nach dem OEG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt der Bescheide und das Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme.
Nachdem die Klägerin sich im Erörterungstermin vom 13. Juni 2007 zur Mitwirkung an einer Begutachtung
bereiterklärt hat, hat das Gericht nach Beiziehung von Befundunterlagen aus dem Evangelischen Krankenhaus H vom
26. Juli 2007 und der R Klinik vom 30. August 2007 Dr. L, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, mit der
Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nachdem dieser mitgeteilt hatte, den aussagepsychologischen Teil der
Beweisanordnung nicht beantworten zu können, da dies durch einen Spezialisten erfolgen sollte, hat das Gericht Prof.
Dr. phil. M S, Fachpsychologe für Rechtspsychologie, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Unter dem 03.
Juli 2008 hat dieser in seiner aussagepsychologischen Stellungnahme (Glaubhaftigkeitsgutachten) im Ergebnis
ausgeführt, dass Angaben der Klägerin über sexuelle Missbrauchshandlungen durch ihren Vater an ihr im
Vorschulalter durch aussagepsychologische Methodik nicht positiv substantiiert werden könnten, so dass ein
Gutachten nach Aktenlage erstellt worden sei. Es ergäbe sich, dass ein Realitätsgehalt der Vorstellungen der Klägerin
über den sexuellen Missbrauch weniger wahrscheinlich sei, als dass sie im Rahmen von psychotherapeutischer
Bearbeitung diverser psychischer Probleme entsprechende vermeintliche Erinnerungen (Scheinerinnerungen)
entwickelt habe.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der
Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegen und
waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Beklagte es im
angefochtenen Bescheid vom 13. April 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 zu
Recht abgelehnt hat, den Bescheid vom 11. August 1999 zurückzunehmen. Dieser hat sich vielmehr als rechtmäßig
erwiesen.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgungsleistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem
Bundesversorgungsgesetz (BVG), da ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff auf sie im Sinne des
behaupteten sexuellen Missbrauchs im Alter von sechs Monaten bis zum sechsten Lebensjahr nicht nachweisbar ist.
Zu Recht hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil daher ausgeführt, dass es an den Voraussetzungen des § 1
Abs. 1 OEG fehlt und vorlie-gend auch die Beweiserleichterung nach § 15 Abs. 1 KOVVfG in Verbindung mit § 6 Abs.
3 OEG nicht zum Tragen kommt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf das ausführlich und
umfassend begründete Urteil, versehen mit zahlreichen zutreffenden Fundstellen aus der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG), verwiesen.
Nach den im Berufungsverfahren angestellten Ermittlungen des Senats ergibt sich nichts anderes. Zur Überzeugung
des Gerichts hat der Sachverständige Prof. Dr. S zu Recht ausgeführt, dass vorliegend nicht angenommen werden
kann, dass die Behauptungen der Klägerin zu ihrem sexuellen Missbrauch einen realen Inhalt haben. Nachvollziehbar
hat der Gutachter zunächst begründet, dass es keiner persönlichen Exploration bedurfte, da eine solche nur dann zu
erfolgen habe, wenn überhaupt Aussicht bestehe, im konkreten Fall mit aussagepsychologischer Methodik zu einer
positiven Substantiierung des Erlebnisgehalts des behaupteten Geschehens (hier des Missbrauchs) zu gelangen. Er
hat dies für den Senat überzeugend damit begründet, dass für zwei aussagepsychologisch relevante Befund- bzw.
Analysebereiche (Aussagepersonen und Aussagegenese) in den Akten Informationen vorlägen, die zur Abgabe einer
aussagepsychologischen Bewertung ausreichten. Er hat dann ausgeführt, dass durch die Explo-ration der Klägerin zur
Sache keine weiteren Informationen mit aussagepsychologischer Aussagekraft zu erwarten seien. Dem folgt der
Senat. Die beiden prinzipiellen Kategorien von potentiellen Falschaussagen bestehen in der Hypothese einer
bewussten Falschaussage (Lügenhypothese) und in der Hypothese einer Falschaussage, die auf subjektiv als wahr
erlebten Vorstellungen (Scheinerinnerung) beruht, für die aber dennoch die entsprechende Erlebnisgrundlage fehlt.
Eine positive Glaubhaftigkeitsfeststellung aufgrund einer aussagepsychologischen Begutachtung besteht danach in
der begründeten Zurückweisung der Lügen- bzw. Suggestionshypothese. Die Exploration der Klägerin zur Sache kann
keinen Erkenntnisfortschritt bringen, der zu einer Zurückweisung der Lügenhypothese führen könnte. Dazu hat der
Gutachter zur Überzeugung des Senats richtig ausgeführt, dass eine detailreiche und anschauliche Schilderung des
Geschehens, die grundsätzlich eine hohe Aussagequalität belege, vor dem großen zeitlichen Abstand des
behaupteten Ereignisses nicht mehr als Indikator für tatsächliches Erleben interpretiert werden könne. Überzeugend
führt er dann aus, dass eine zum Zeitablauf passende Aussagequalität daher eher prototypisch, d. h. pauschal und
unanschaulich, ausfallen müsste. Insofern könne eine Exploration in Bezug auf die Lügenhypothese bestenfalls zu
einem aussagepsychologischen non liquet führen. Überzeugend ist dann ausgeführt, dass eine anschauliche
Schilderung vor dem Hintergrund des Zeitablaufes auch nur zwei Annahmen zuließe. Sie seien entweder deutlicher
Lügenhinweis, weil deutliche detailgenaue Erinnerungen nach einem entsprechenden Zeitablauf nicht mehr vorlägen,
oder seien Indikator für das Vorliegen von Scheinerinnerungen, könnten zur Zurückweisung oder Bestätigung der
Lügenhypothese also ebenfalls nichts beitragen.
Die aktenkundigen persönlichkeitsdiagnostischen Befunde und Anknüpfungstatsachen über die Entstehung der
Vorstellung der Klägerin begründen dagegen nicht nur die Suggestionshypothese, sondern verweisen darüber hinaus
positiv auf das Vorliegen einer Scheinerinnerung. Zur Überzeugung des Senats hat der Gutachter richtig
herausgearbeitet, dass die Vorstellungen über den sexuellen Missbrauch im Rahmen der psychotherapiegestützten
Bearbeitung tatsächlich bestehender psychischer Probleme entstanden sind. So wurde in den verschiedenen
Psychotherapien nach Ursachen des bestehenden Zustandes gesucht, die sich schließlich auf einen Missbrauch
fokussiert haben, den die Klägerin trotz tatsächlich fehlender Erinnerungen als besonders plausibel annehmen
musste, weil diese Vorstellungen die Akzeptanz von Fachleuten wie den behandelnden Psychotherapeutinnen
gefunden haben. Zu Recht weist Prof. Dr. S darauf hin, dass Frau Dipl. Psych. W in ihrem Bericht vom 08. Mai 2005
unreflektiert über das behauptete Kindheitsgeschehen schreibt und unter Vernachlässigung des wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes den Realitätsgehalt der Vorstellungen, die in der Psychotherapie erst erlangt wurden, nicht infrage
stellt. Entsprechendes gilt für die Psychotherapie durch die Psychotherapeutin O. Auch diese hat nicht einmal im
Ansatz in Erwägung gezogen, dass die potentiell suggestive Wirkung ihres Vorgehens zu den Vorstellungen
beigetragen haben könnte. So führt Frau O im Bericht vom 09. Juni 1999 aus, dass die Erarbeitung der
Psychogenese schließlich zu den Erinnerungsbildern vom sexuellen Missbrauch geführt habe. Auch wenn sie
einräumt, dass eine reale Erinnerung der Klägerin nicht vorliegt, fehlt im Bericht die kritische Hinterfragung, dass die
gesamte Scheinerinnerung wesentliche Folge der Behandlung gewesen sein könnte, die nach Ursachen für den
psychischen Zustand gesucht hat. Zur Überzeugung des Senats zu Recht hat Prof. Dr. S daher festgestellt, dass
möglicher Realitätsgehalt und Suggestionshypothese vorliegend nicht einmal als gleichermaßen denkbar
nebeneinander stehen was für eine Entschädigung nach dem OEG ebenfalls nicht ausreichen würde , sondern dass
das Vorliegen einer Scheinerinnerung wahrscheinlicher ist als die Möglichkeit, dass die Angaben auf tatsächlichem
Erleben beruhen.
Der Einwand der Klägerin, dass Prof. Dr. S nicht kompetent für die Erstellung des Gutachtens gewesen sei, weil er
kein Traumatologe sei, liegt neben der Sache. Vorliegend geht es zunächst nicht um die Kausalität zwischen einem
erlebten Trauma und den vorliegenden Gesundheits-störungen, sondern um die Frage, ob überhaupt ein Trauma
vorgelegen hat. Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben der Klägerin ist Prof. Dr. S als seit Jahren auch
in Strafprozessen mit Glaubwürdigkeitsgutachten in Missbrauchsfällen befasster Sachverständiger ohne Zweifel
kompetent.
Abschließend ist die Klägerin darauf hinzuweisen, dass der Senat für die Prüfung von Ursachenzusammenhang
zwischen einem ggf. belegten Trauma und den nun vorliegenden Gesundheitsstörungen Dr. L beauftragt hätte, der
lediglich mitgeteilt hatte, für die aussagepsychologische Fragestellung nicht kompetent zu sein. Nach den
Ausführungen des Prof. Dr. S erübrigt sich aber die Aufklärung eines Zusammenhanges zwischen einem erlebten
Trauma im Sinne eines Missbrauchs und den nun vorliegenden Gesundheitsstörungen, da gerade eben dieses
Trauma, hier der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff im Sinne des OEG, nicht mit der erforderlichen an
Sicherheit grenzenden hohen Wahrscheinlichkeit bewiesen ist.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.