Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.06.2005

LSG Berlin-Brandenburg: klage auf unterlassung, sachliche zuständigkeit, nötigung, wiederholungsgefahr, hauptsache, erpressung, ausschluss, androhung, kopie, wissentlich

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 1 B 1050/05 KR ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird unter Abänderung des Beschlusses des
Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2005 für die I. und die II. Instanz auf jeweils 7.500,00 €
festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten sich um eine von der Antragstellerin im Wege der einstweiligen
Anordnung vom Antragsgegner begehrte Unterlassungsverpflichtung. Der
Antragsgegner ist ein Verband von Unternehmen der häuslichen Krankenpflege. Er berät
und vertritt die Mitgliedsunternehmen unter anderem beim Abschluss von Verträgen mit
den Krankenkassen.
Zwischen der Antragstellerin und Berliner Pflegediensten waren und sind zahlreiche
Rechtsstreitigkeiten rechtshängig. Der äußeren Anlass für das hiesige Verfahren ist ein
Angebot der Antragstellerin an die Pflegedienste auf Abschluss eines
Versorgungsvertrages im Sinne des § 132 a Abs. 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V).
Der Antragsgegner als Verband riet seinen Mitgliedern, das Angebot abzulehnen. Er
schrieb deshalb am 8. April 2005 zumindest an sein Mitglied AB, weil dieser das Angebot
der Antragstellerin angenommen hatte. Wegen des genauen Inhaltes des Briefes wird
auf die bei Gericht eingereichte Kopie (Blatt 40) verwiesen. Die Antragstellerin nahm
dieses Schreiben sowie den Umstand, dass zur gleichen Zeit beim Sozialgericht Berlin
zahlreiche Klagen und Anträge von Versicherten anhängig gemacht worden waren, zum
Anlass für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie behauptet, das
bemängelte Schreiben sei an mehrere Pflegedienste gesandt worden, jedenfalls nicht
nur an einen. Sie ist der Auffassung, nachfolgende Passagen in dem Schreiben vom 8.
April stellten zivilrechtliche unerlaubte Handlungen bzw. eine Nötigung gemäß §§ 826,
823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. § 240 Strafgesetzbuch (StGB) dar
(„Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Sie bis auf weiteres gegenüber der City BKK
nicht vertreten können und Ihre uns erteilte Verhandlungsvollmacht dahin einschränken.
Außerdem gibt es Überlegungen des Vorstandes, auch die Verhandlungsvollmachten für
andere Kostenträger einzuschränken bzw. zurückzugeben“; „Wir bitten Sie, zu prüfen,
inwieweit Sie sich vorstellen können, den Vertrag mit der City BKK zu beenden. In Ihre
Überlegungen bitten wir Sie, auch die aktuelle Entwicklung einzubeziehen, insbesondere
die Entscheidung des Sozialgerichts und die Ergebnisse des Schiedsverfahrens“;
„unabhängig davon bitten wir Sie, uns gegenüber zu erklären, dass Ihre Einrichtung
unter Berücksichtigung der Wahlfreiheit keine Patienten von anderen
Mitgliedseinrichtungen übernehmen wird“). Es werde auch in Rechte der Antragstellerin
eingegriffen, da dazu aufgefordert werde, die Pflege der Versicherten der Antragstellerin
aufzugeben. Das Verhalten des Antragsgegners sei unter § 826 BGB zu subsumieren,
weil Versicherte und Gerichte instrumentalisiert würden.
Die Antragstellerin hat beantragt:
„Dem Antragsgegner wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 € für
den Fall, dass diese nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu zwei Jahren
untersagt, folgende Behauptungen in Wort und Schrift gegenüber Dritten, im
geschäftlichen Verkehr und sonst wie, insbesondere den bei der Antragstellerin
versicherten Personen, insbesondere gegenüber den bei dem Antragsgegner
organisierten Mitgliedern zu verbreiten, dass der Antragsgegner in Zukunft seinen
Mitgliedern nicht mehr zu einem rechtswidrigen Verhalten in der Weise auffordert, dass
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Mitgliedern nicht mehr zu einem rechtswidrigen Verhalten in der Weise auffordert, dass
diese zu Vertragsbruch aufgefordert werden, als dass sie die Versicherten der
Antragstellerin nicht mehr pflegen, bzw. auf Weisung des Antragsgegners mit der
Antragstellerin keine Pflegeverträge abschließen werden. Ferner wird der Antragsgegner
es unterlassen, den bei ihm organisierten Mitgliedern damit zu drohen, dass er solange
nicht mehr für sie tätig wird, und insofern seine Verhandlungsvollmacht einschränkt,
solange die Mitglieder Versicherte der Antragstellerin vertreten und/oder mit der
Antragstellerin Kontakt aufnehmen.“
Der Antragsgegner behauptet, die Klagen bzw. Anträge von Versicherten nicht initiiert zu
haben.
Mit Beschluss vom 24. Juni 2005 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Es seien weder Anordnungsanspruch noch ein
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Eine Anspruchsgrundlage für das
Unterlassensbegehren sowie eine Wiederholungsgefahr seien nicht ersichtlich.
In ihrer Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die Verneinung einer
Wiederholungsgefahr. Das bemängelte Schreiben sei nicht nur an einen Pflegedienst
übersandt worden. Überdies reiche bereits ein Rechtsverstoß aus. Der Beschluss des
Sozialgerichts sei aufzuheben.
II. Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Beschwerde ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtschutzbedürfnis. Es ist
davon auszugehen, dass es der Antragstellerin – entgegen dem Wortlaut des
Schriftsatzes vom 13. September 2005 – nicht nur um die Aufhebung des
erstinstanzlichen Beschlusses geht, vielmehr nach wie vor auch um die begehrte
Unterlassensverpflichtung.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Sozialgericht nach § 51 Abs. 2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) sachlich zuständig gewesen ist. Nach § 202 SGG i. V. m. §
17 a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) prüft das Gericht, das über ein
Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der
beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Hauptsacheverfahren in diesem Sinne sind auch
solche des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-Keller SGG
§ 51 Randnr. 71 mit Nachweisen auch zur Gegenauffassung). Nach Sinn und Zweck des
§ 17 a Abs. 5 GVG soll die Prüfung der Rechtswegzuständigkeit in der zweiten Instanz
unterbleiben, wenn und weil diese in der ersten Instanz geprüft und bejaht worden ist.
Dies kann auch unausgesprochen mit der Sachentscheidung erfolgen (vgl. OVG Berlin,
Beschluss vom 23. Februar 1993 – 8 S 379/92 – Juris mit Verweis auf BT-Drucksache
11/7030 S. 38). Gerade in eiligen Verfahren soll damit eine Verzögerung der
Sachentscheidung vermieden werden.
Das Sozialgericht hat hier stillschweigend die sachliche Zuständigkeit angenommen.
Es hat den Antrag zu Recht in der Sache zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für den
Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es fehlt
bereits an einem Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin hat gegenüber dem
Antragsgegner keinen Unterlassungsanspruch nach §§, 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §
240 StGB, 1004 BGB entsprechend. Das Sozialgericht hat bereits zutreffend darauf
hingewiesen, dass das Schreiben vom 8. April 2005 den Tatbestand einer (versuchten)
Nötigung im Sinne des § 240 Abs. 1, Abs. 2 StGB nicht erfüllt. Von einer verwerflichen
Androhung eines empfindlichen Übels kann nicht ausgegangen werden. Es spricht nichts
dafür, dass sich der Antragsgegner überhaupt rechtswidrig verhalten hat (vgl. zu diesem
Ausschluss einer Nötigung oder Erpressung: BSG, Urteil vom 25. September 2001 – B 3
KR 14/00 R – SozR 3-2500 § 125 Nr. 7).
Weiter würde selbst bei einer Nötigung ein Unterlassungsanspruch der Antragstellerin
nach §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. 240 StGB, 1004 BGB entsprechend ausscheiden.
Anspruchsberechtigte eines Unterlassungsbegehrens wäre die Antragstellerin selbst
dann nicht, weil sie nicht der Rechtsgutinhaber wäre (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 64. A.
2005 § 823 Rdnr. 22). Hierauf hat das Sozialgericht ebenfalls bereits hingewiesen. Ein
„empfindliches Übel“ ist hier allenfalls beim Nötigungsopfer denkbar.
Es scheidet auch die Gefahr einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826
BGB aus. Die Antragstellerin behauptet selbst nicht, dass der Antragsgegner das
Schreiben vom 8. April willentlich und wissentlich abgeschickt hat, um dem Adressaten
oder der Antragstellerin einen Schaden zuzufügen. Sie hat auch nicht ausdrücklich
behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner die
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behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner die
zahlreichen Klagen bzw. Eilanträge von Versicherten veranlasst hat. Ob und unter
welchen Umständen ein etwaiges Instrumentalisieren der Versicherten ein unlauteres
Mittel wäre, braucht deshalb nicht näher problematisiert zu werden.
Das Sozialgericht hat auch richtig einen Anordnungsgrund verneint. Für eine
Wiederholungsgefahr ist nichts ersichtlich.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Streitwert war nach dem doppelten Auffangstreitwert zu bemessen (§§ 53 Abs. 3 Nr.
4, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz [GKG]), weil der Sachverhalt keine anderweitige
Schätzung ermöglicht. Vom doppelten Auffangstreitwert ist nach § 39 GKG auszugehen,
weil der Sache nach zwei Unterlassungen gefordert werden. Vom vollen
Auffangstreitwert war ein Abzug von 25 % vorzunehmen, weil es sich einerseits um ein
Eilverfahren gehandelt hat, dieses andererseits jedoch einen die Hauptsache
ersetzenden Charakter hat. Bis heute ist nämlich eine Klage auf Unterlassung nicht
erhoben worden.
Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für die erste Instanz folgt aus § 63 Abs. 3
GKG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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