Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.03.2009

LSG Berlin und Brandenburg: heizung, zivilprozessordnung, verbrauch, mutwilligkeit, vertretung, hauptsache, auflage, prozessbeteiligter, verfassungskonform, rechtsstaatsprinzip

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 30.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 1141 AS 22293/08
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 25 B 2135/08 AS PKH
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Oktober 2008 aufgehoben.
Dem Kläger wird für das Verfahren erster Instanz ab dem 29. September 2008 Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung
von Raten oder aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung von Rechtsanwalt H bewilligt. Kosten
des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die nach §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen nach den hierfür einschlägigen §§ 73a SGG,
114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) vor.
Nach § 114 S. 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen
kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG gelten die Vorschriften der ZPO über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
entsprechend für das sozialgerichtliche Verfahren.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzlich Verfahren liegen beim Kläger
vor. Das Sozialgericht hat im angefochtenen Beschluss insbesondere zu Unrecht eine hinreichende Erfolgsaussicht
im vorstehenden Sinn verneint.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
gebietet in Verbindung mit dem unter anderem in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip
und dem aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitgehende Angleichung der
Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der
Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten
vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der
Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder -verteidigung ins
Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen
(BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. November 2007 – 1 BvR 68/07, 1BvR 70/07, 1 BvR
71/07 -, rech. bei juris Rn. 8 ff.). Deshalb dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und
Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von
Prozesskostenhilfe auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden
können (BVerfG a.a.O. und Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 1993 - 1 BvR 1523/92 -, NJW
1994, 241, 242). Demnach ist ausgehend vom für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine
hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund
der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in
tatsächlicher Hinsicht gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-Ladewig/
Keller/ Leitherer, SGG - Kommentar, 9. Auflage 2008, § 73 a Rn. 7a).
Dies zugrunde gelegt ergeben sich vorliegend hinreichende Erfolgsaussichten. Fraglich ist im vorliegenden
Rechtsstreit, in welchem der Kläger um höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der
Kosten für Unterkunft und Heizung nach den Vorschriften des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II)
streitet, ob bei den nach § 22 Abs. 1 SGB II zu erbringenden Leistungen für Unterkunft und Heizung diejenigen
Warmwasserkosten vollständig in Abzug zu bringen sind, welche dem Kläger für April und Juli bis September 2008
mit der Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung vom 13. Juli 2007 in Rechnung gestellt wurden und welche sich zu
30 % aus Grundkosten und zu 70 % aus Verbrauchkosten zusammensetzen. Das von den Beteiligten im
erstinstanzlichen Verfahren in Bezug genommene Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Februar 2008 – B
14/ 11b AS 15/07 R – gibt zumindest keinen endgültigen Aufschluss über die hier streitentscheidende Frage. Das
BSG hat in der vorgenannten Entscheidung lediglich ausgeführt, dass, wenn es über die Einrichtung getrennter Zähler
oder sonstiger Vorrichtungen technisch möglich sei, die Kosten für Warmwasserbereitung konkret zu erfassen, auch
diese konkreten Kosten von den geltend gemachten Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
abzuziehen seien (zitiert nach juris Rn. 27). Hieraus folgt indes nicht zwangsläufig, dass neben dem individuell
erfassten Verbrauch auch die Grundkosten, welche nach der vorgenannten Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung
30 % der Warmwassergesamtkosten ausmachen und gerade nicht über getrennte Zähler oder sonstige Vorrichtungen
individuell erfasst werden, als konkrete Warmwasserbereitungskosten im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung
abgezogen werden dürften. Jedenfalls ist die Klärung dieser Frage dem Verfahren in der Hauptsache vorzubehalten.
Für eine Mutwilligkeit im Sinne von §§ 73a SGG, 114 S. 1 ZPO liegt nichts vor.
Angesichts der schwierigen, von einem Laien wie dem Kläger kaum zu erfassenden Rechtslage ist es gemäß §§ 73a
SGG, 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zudem erforderlich, dem Kläger einen Rechtsanwalt beizuordnen.
Anders als das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss vermag der Senat im vorliegenden Fall auch keinen
Bagatellcharakter zu erkennen, welcher der Bewilligung der Prozesskostenhilfe beziehungsweise dem Erfordernis
einer rechtsanwaltlichen Vertretung gemäß § 121 Abs. 2 ZPO entgegenstehen könnte. Indem der Kläger nämlich für
vier Monate jeweils um 13,54 EUR höhere Leistungen begehrt, liegt der Beschwerdegegenstandswert bereits über 50
EUR und erscheint die klägerische Beschwer nicht mehr geringfügig.
Da Prozesskostenhilfe erst mit am 29. September 2008 beim Sozialgericht eingegangenem Schriftsatz nebst den
nach § 117 Abs. 2 S. 1 ZPO erforderlichen Anlagen beantragt worden ist, hat erst ab eben diesem Zeitpunkt
Bewilligungsreife vorgelegen und kommt eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Zeit davor nicht in Betracht.
Raten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge waren nicht festzusetzen, weil der Kläger weder über
einzusetzendes Einkommen noch über Vermögen verfügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs. 1 S. 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2
Satz 1, Abs. 3 ZPO, § 177 SGG.