Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 25.08.2005

LSG Berlin und Brandenburg: eltern, rumänisch, republik moldau, soziale sicherheit, familie, aviv, zugehörigkeit, russisch, kommission, anhörung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 25.08.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 12 RA 1833/98
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 RA 19/00
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Altersrente an den Kläger streitig.
Der. 1923 in I, Bessarabien (heute Republik Moldau) geborene Kläger ist als Jude Verfolgter des Nationalsozialismus
im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Nach dem Ende der Verfolgung lebte und arbeitete er in I und
C, bis er 1980 nach Israel auswanderte, wo er seither als israelischer Staatsangehöriger lebt.
Am 29. November 1995 beantragte er beim israelischen Rentenversicherungsträger eine Rente aus der deutschen
Rentenversicherung. Er gab dazu im Laufe des Verfahrens unter Bezugnahme auf mehrere Zeugenerklärungen an, bis
zu seinem 16. Lebensjahr 1939 in I. das Gymnasium des Heiligen Dimitrus besucht zu haben, in dem Deutsch erste
Fremdsprache gewesen sei. Anschließend habe er 1940/1941 Buchhalterkurse besucht, bevor er sich von Juli 1941
bis Februar 1945 auf der Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung befunden habe. Anlässlich der von der
Beklagten veranlassten Sprachprüfung (am 18. November 1996 und am 15. Dezember 1996) hat er weiter angegeben,
seine aus I. bzw. C stammenden Eltern hätten Deutsch, Russisch und Rumänisch gesprochen. Seine Großeltern
väterlicherseits stammten aus T, das der wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt der Deutschen in Bessarabien
gewesen sei. Im Elternhaus des Vaters sei daher Deutsch gesprochen worden. Seine Mutter habe als Kind einige
Jahre in Wien gelebt. Seine Mutter habe Privatstunden in Deutsch erteilt. Die Umgangssprache im Elternhaus und im
persönlichen Lebensbereich sei Deutsch und Rumänisch gewesen. Unterrichtssprache im Gymnasium sei Rumänisch
und Französisch gewesen. Seine im Jahre 1922 geborene spätere Ehefrau, die er 1947 geheiratet habe, habe
Russisch, Deutsch und Rumänisch gesprochen. Umgangssprache in der Ehe sei Russisch gewesen, dies sei auch
die Muttersprache seiner Kinder. Seit seiner Flucht nach Russland habe er kein Deutsch mehr gesprochen. Die
Kommission stellte bei der Anhörung fest, dass der Antragsteller ein entwöhntes Deutsch spreche. Obwohl er nur
wenig Deutsch in der Schule gelernt und seine schriftlichen Deutschkenntnisse nicht angewandt habe, sei er in der
Lage gewesen, eine Schriftprobe zu erstellen. Er habe Deutsch unbefangen mit teilweisem Verständnis gelesen. Die
Kommission sei der Meinung, dass er sein Deutsch aus dem Elternhaus habe und im Zeitpunkt der Verfolgung der
deutschen Sprache und Kultur verbunden gewesen sei.
Mit Bescheid vom 9. Mai 1997 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Rente an den Kläger ab. Er habe keine in das
Ausland zahlbaren Beitragszeiten zurückgelegt und sei zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem
Zusatzabkommen zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen in Verbindung mit § 17 a
Fremdrentengesetz (FRG) nicht berechtigt. Er habe zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme auf sein
Herkunftsgebiet am 2. Januar 1939 nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört. Sowohl die
vorliegenden Schriftproben als auch die mündliche Ausdrucksweise sowie das Ergebnis der Leseprüfung wiesen
darauf hin, dass zwar eine Verbundenheit zur deutschen Sprache zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen
Einflussnahme vorgelegen habe, jedoch keine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Den hiergegen
gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 1998 zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Berlin erhoben.
Das Sozialgericht hat im Wege der Rechtshilfe die Zeugen J S, J L und S F vernehmen lassen. Wegen der
Vernehmung des Zeugen S F durch das Sozialgericht Kassel am 4. Dezember 1998 wird auf Blatt 39 bis 41 der
Gerichtsakten, wegen der Vernehmung des Zeugen J L auf die Vernehmungsniederschrift des Generalkonsulats der
Bundesrepublik Deutschland in New York vom 23. Juni 1999 (Blatt 50 bis 52 der Gerichtsakten) und wegen der
Vernehmung des Zeugen J S sowie der Anhörung des Klägers vor dem Amtsgericht Tel Aviv am 3. Februar 1999 auf
die beglaubigte Übersetzung der Sitzungsniederschrift auf Blatt 67 bis 70 der Gerichtsakten Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. April 2000 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf
Zahlung einer Altersrente nach vorheriger Zulassung zur Nachent-richtung von Beiträgen. Für ihn seien keine
Beitragszeiten nach § 17 a FRG anzuerkennen, da er zum maßgeblichen Zeitpunkt (dem Beginn der
nationalsozialistischen Einflussnahme auf sein Heimatgebiet im Monat Juli 1941) zwar bereits das 16. Lebensjahr
vollendet gehabt, nicht aber dem dSK angehört habe. Er sei in einem mehrsprachigen Elternhaus aufgewachsen und
besitze Kenntnisse der deutschen Sprache, es sei jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass er diese wie eine
Muttersprache überwiegend im persönlichen Lebensbereich verwendet habe. Hiergegen sprächen zunächst seine
eigenen Angaben. Er habe zunächst mitgeteilt, dass Deutsch seine Hauptfremdsprache sei. Er habe Deutsch im
Gymnasium erlernt. Nach den Schilderungen vor der Sprachprüfungskommission gehörten auch die Großeltern
offensichtlich nicht dem dSK an, da mit ihnen – entgegen dem vom Kläger behaupteten sonstigen Sprachgebrauch –
jiddisch gesprochen worden sei. Im Sprachprüfungsprotokoll fänden sich auch keine eindeutigen Angaben zu den
Muttersprachen der Eltern. Im Übrigen habe der Kläger den Sprachgebrauch innerhalb der Familie nachvollziehbar
dahin geschildert, dass die Eltern mit seiner jüngeren Schwester hauptsächlich russisch und rumänisch gesprochen
hätten. Ein überwiegender Gebrauch der deutschen Sprache innerhalb der Familie sei vor diesem Hintergrund nicht
plausibel. Die vom Kläger abgelegten Schriftproben seien sehr fehlerhaft. Auch unter Berücksichtigung des langen
Zeitablaufs könne nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits 18 Jahre
alt gewesen sei und sich die Kenntnisse der deutschen Sprache, soweit sie tatsächlich wie eine Muttersprache
überwiegend gebraucht worden sei, bis zu diesem Alter verfestigt haben dürften. Entsprechend habe die
Sprachprüfungskommission nur eine Verbundenheit zum dSK, nicht eine Zugehörigkeit bestätigt. Die
Zeugenerklärungen könnten zur Glaubhaftmachung des bei Mehrsprachigkeit erforderlichen überwiegenden Gebrauchs
der deutschen Sprache nicht beitragen, denn sie widersprächen teilweise den Angaben des Klägers, wenn dargelegt
werde, dass die Eltern mit den Kindern ganz überwiegend deutsch gesprochen hätten. Es würden zwar gute
Sprachkenntnisse vor allem der Mutter geschildert, die jedoch im Hinblick auf den mehrjährigen Aufenthalt in Wien
und den beruflichen Hintergrund zu erklären seien.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der unter Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vortrags
weiterhin geltend macht, er gehöre dem dSK an und sei bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nach
Nachentrichtung von Beiträgen Rentenberechtigter. Die Sprachprüfung habe ein insgesamt positives Votum erbracht.
Die um viele Jahre jüngere Schwester habe vor allem deswegen Rumänisch erlernt, da sie während der rumänischen
Besetzung begonnen habe die Schule zu besuchen. Deshalb hätten die Eltern beschlossen, dass sie von Beginn an
Rumänisch erlernen sollte. Zudem habe der Kläger im Laufe seines Lebens noch ein weitere Sprache, nämlich
Hebräisch lernen müssen, so dass die Deutschkenntnisse im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund getreten
seien. Schließlich bestätigten die Zeugen, insbesondere auch der im Berufungsverfahren gehörte Zeuge T, die
Angaben des Klägers zum Gebrauch der deutschen Sprache innerhalb der Familie.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. April 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 1997 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. April 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm nach
vorheriger Zulassung zur Nachentrichtung Altersrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Der Senat hat im Wege der Rechtshilfe den Zeugen J T vom Amtsgericht Tel Aviv vernehmen lassen. Wegen der
Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf Blatt 143 bis 145 der Gerichtsakten Bezug genommen. Die Akte des
Sozialgerichts Berlin (S 12 RA 1833/98-2) und die Rentenakten der Beklagten ( ...) haben vorgelegen und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und
der beigezogenen Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers gegen das angefochtene Urteil ist unbegründet, weil die Glaubhaftmachung der
Zugehörigkeit zum dSK im Rahmen von § 17a FRG als der einzigen insoweit ersichtlichen Rechtsgrundlage für die
Berücksichtigung der angegebenen sowjetischen Versicherungszeiten vor dem Einsetzen der deutschen Verfolgung
im Juli 1941 wie auch eines Nachentrichtungsrechtes als Voraussetzung der Zahlbarmachung einer Rente nach Israel
(Art. 11a S. 1 des Zusatzabkommens zum Abkommen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über
Soziale Sicherheit in der Fassung vom 12.02.1995, in Kraft getreten am 01.06.1996, BGBl. 1996 II, S. 299, 1033)
nicht gelungen ist. Die Ausführungen des Sozialgerichts sind im rechtlichen Ansatz wie in der Beweiswürdigung
gleichermaßen zutreffend. Der Senat macht sie sich nach eigener Prüfung zu Eigen und verzichtet auf eine
wiederholende Darstellung, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Berufungsvortrag und die weiteren Erkenntnisse im Tatsächlichen im Laufe des Berufungsverfahrens erlauben
keine abweichende Einschätzung: Die Beweiswürdigung ergibt nach wie vor, dass der Kläger seine dSK-Zugehörigkeit
zum Zeitpunkt des Einsetzens der deutschen Verfolgung in ihrem Herkunftsgebiet nicht glaubhaft gemacht hat. Die
Angaben in der handschriftlichen Erklärung des Klägers vom 9. Juli 2000 und anlässlich der Sprachprüfung decken
sich nicht in allen Punkten mit seinen Angaben anlässlich der Zeugenvernehmung in Tel Aviv. Der Senat geht aber
davon aus, dass diesen als unmittelbare Angaben ein höherer Beweiswert zukommt als den schriftlichen Angaben,
die im Übrigen im Laufe des Verfahrens – wie bereits vom SG dargestellt – unterschiedlich waren. Mit diesen
Angaben vor dem Amtsgericht in Tel Aviv ist aber hervorzuheben, dass die Eltern des Klägers ihrerseits offenbar
nicht zur deutschsprachigen Minderheit in Bessarabien gehört haben. Umgangssprache im jeweiligen Elternhaus der
Eltern war vielmehr Jiddisch, denn wenn die Großeltern zu Besuch kamen wurde nach Angaben des Klägers jiddisch
gesprochen. Wenn die Umgangssprache der Großeltern Jiddisch war, ist schon nicht nachvollziehbar, dass die Eltern
nicht nur in ihrem beruflichen Umfeld, sondern auch im persönlichen Bereich vorwiegend deutsch gesprochen haben
sollen. Da der Heimatort des Klägers nicht zu den Gegenden Bessarabiens gehört, in denen Deutsch eine
vorherrschende Sprache war, ist auch von daher nicht erklärlich, dass Umgangssprache der Eltern mit ihrem Sohn
gerade Deutsch gewesen sein soll. Es liegt vielmehr auch bezüglich der Erziehung des Klägers nahe, dass – wie er
es für die Erziehung seiner jüngeren Schwester geschildert hat - das Schwergewicht in dem mehrsprachigen
Elternhaus auf der Vermittlung der rumänischen, später der russischen Sprache gelegen hat. Die Sprachprüfung hat
schließlich kein Ergebnis ergeben, dass entgegen diesem Bild einen Schluss auf die überwiegende Zugehörigkeit zum
dSK zulassen würde. Die Bewertung der mündlichen und schriftlichen Deutschkenntnisse durch die Kommission ist
erkennbar zurückhaltend. Zutreffend weist das Sozialgericht darauf hin, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt
bereits 18 Jahre alt war und seine Sprachkenntnisse in der von ihm in diesem Zeitpunkt vorwiegend benutzten
Sprache bereits so verfestigt hätten sein müssen, dass die vielen anlässlich der Sprachprüfung erkennbar
gewordenen Fehler nicht nachvollziehbar sind. Soweit seine handschriftlich abgefassten Schriftsätze an die Beklagte
und seine Prozessbevollmächtigte weitaus flüssiger formuliert sind als der anlässlich der Prüfung erstellte Text, ist
dies ohne Weiteres mit der Inanspruchnahme von Hilfsmitteln zu erklären.
Aus den Aussagen der Zeugen ergibt sich nichts anderes. Auch insoweit schließt sich der Senat der vom SG
vorgenommen Würdigung an. Keiner der Zeugen gehört dem deutschen Sprach- und Kulturkreis an. Der Kläger
unterhielt sich mit ihnen vorwiegend auf jiddisch und rumänisch, wie sich aus seinen Angaben und den Angaben der
Zeugen ergibt. Da die Mutter des Klägers die Nachhilfelehrerin des Zeugen S F war, ist es gut nachvollziehbar, dass
ihm bekannt war, dass in der Familie des Klägers auch deutsch gesprochen wurde. Zum überwiegenden
Sprachgebrauch in der Familie konnte er aber keine eindeutigen Angaben machen. Auch der Zeuge J L gehörte
seinerseits offenbar nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis an, was sich ebenfalls daraus ergibt, dass die
Mutter des Klägers seine Nachhilfelehrerin war. Da er 5 Jahre älter als der Kläger ist, bestand zwischen ihnen nach
seinen Angaben keine enge Freundschaft, so dass der Senat sich außerstande sieht, aus seiner Aussage, er habe
sich auch auf deutsch mit dem Kläger unterhalten, Rückschlüsse auf den überwiegenden Sprachgebrauch des
Klägers zu ziehen. Die Zeugen J S und J T sprechen selbst kein Deutsch, so dass ihre Angaben keinen sicheren
Rückschluss zum vorwiegenden Gebrauch des Deutschen in der Familie des Klägers zulassen. So gibt der Zeuge S
zum Beispiel an, die Eltern hätten mit beiden Kindern vorwiegend Deutsch gesprochen, was der Kläger selbst nie
behauptet hat. Schließlich hat der im Berufungsverfahren gehörte Zeuge T zwar angegeben, der Kläger habe auch
einen deutschsprachigen Freundeskreis gehabt, den er, der Zeuge, aber nicht kenne. Der Kläger hat bei seiner
Anhörung in Tel Aviv selbst jedoch nicht behauptet, deutschsprachige Freunde gehabt zu haben, so dass der insoweit
ohnehin vagen Erklärung des Zeugen kein selbständiger Beweiswert zukommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.