Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 02.05.2006

LSG Berlin-Brandenburg: mündliche prüfung, besondere härte, ausbildung, staatsprüfung, prüfungsordnung, vergleich, examen, rechtswissenschaft, bestandteil, studienordnung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 5 B 447/06 AS ER, L
5 B 479/06 AS PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86b Abs 2 SGG, § 7 Abs 1 SGB
2, § 7 Abs 5 S 2 SGB 2, § 60
BAföG
Voraussetzungen eines besonderen Härtefalles i. S. von § 7 Abs.
5 S. 2 SGB 2
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
02. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
1. Das Beschlussrubrum war dahingehend zu korrigieren, dass die Arbeitsgemeinschaft
JobCenter R. selbst Antragsgegnerin und nicht lediglich Vertreterin der Bundesagentur
für Arbeit und des Landes Berlin als Leistungsträger ist, denn das JobCenter ist -
entgegen der Meinung des Sozialgerichts und mit der inzwischen einhelligen Auffassung
der übrigen Senate des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg - jedenfalls als
nichtrechtsfähige Personenvereinigung im Sinne des § 70 Nr. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beteiligtenfähig. Eines Rückgriffs auf die hinter dem
JobCenter stehenden Körperschaften bedarf es nicht (vgl. hierzu ausführlich
Senatsbeschluss vom 11. August 2005, L 5 B 51/05 AS ER sowie Beschluss des 10.
Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2005, L 10 B 44/05 AS ER).
2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin
vom 02. Mai 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 SGG zulässig, konnte in der Sache
jedoch keinen Erfolg haben. Das Sozialgericht Berlin hat seinen Antrag, ihm ab
Antragstellung bis zum Abschluss der Hauptsache, jedenfalls bis März 2006, laufend
Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu gewähren, zu
Recht abgewiesen.
Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass
sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht
werden. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Bezogen auf den entscheidenden Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht Berlin
am 16. Februar 2006 ist für die Zeit bis einschließlich 15. Februar 2006 bereits das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes ausgeschlossen. Für diesen Zeitraum kann kein
eiliges Regelungsbedürfnis (mehr) bestehen, weil dem Antragsteller durch die Versagung
der Leistungen für die Vergangenheit keine wesentlichen Nachteile mehr entstehen
können, die sich durch den Erlass der auf eine zukünftige Regelung gerichteten
einstweiligen Anordnung noch abwenden ließen. Denn der Antragsteller hat in der Zeit,
für die er im Wege des Erlasses der einstweiligen Anordnung Leistungen nach dem SGB
II begehrt, seinen Lebensunterhalt aus eigenen oder fremden Mitteln gedeckt, sodass er
hierfür auf die begehrten Leistungen zur Grundsicherung nicht mehr angewiesen ist. Für
die Wiederherstellung dazu aufgewandten eigenen Vermögens kann die begehrte
einstweilige Anordnung nicht ergehen, weil die damit verbundenen Nachteile bereits
eingetreten sind und deshalb nicht mehr abgewendet werden können, was
Voraussetzung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b SGG ist. Dies gilt
gleichermaßen, soweit der Antragsteller Schulden eingegangen sein sollte. Die dem
Antragsteller bis zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht entstandenen
Nachteile können deshalb nur im Rahmen eines eventuellen Hauptsacheverfahrens
beseitigt werden.
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beseitigt werden.
Für die Zeit ab dem 16. Februar 2006 steht dem Antragsteller indes kein
Anordnungsanspruch zu, d.h. es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die
Antragsgegnerin im Klageverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu
verpflichtet werden wird, ihm die begehrten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren.
Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten diejenigen Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch
des Sozialgesetzbuches, die das 15., nicht aber das 65. Lebensjahr vollendet haben,
erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Keinen Anspruch auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes haben nach Absatz 5 Satz 1 der
Vorschrift hingegen Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§
60 bis 62 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähig sind. Dies ist jedoch bei
dem Antragsteller der Fall. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im
erstinstanzlichen Beschluss Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Richtig sind die Antragsgegnerin sowie das Sozialgericht Berlin weiter davon
ausgegangen, dass bei dem Antragsteller kein besonderer Härtefall im Sinne des § 7
Abs. 5 Satz 2 SGB II vorliegt, der es der Antragsgegnerin ermöglichen würde, dem
Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes darlehensweise zu
gewähren. Es bedarf insoweit keiner Klärung, ob in Anlehnung an den zum früheren § 26
BSHG herrschenden Streit das Vorliegen einer besonderen Härte nur dann anzunehmen
ist, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das
regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung
verbunden ist und vom Gesetzgeber so bewusst in Kauf genommen wurde (vgl.
BVerwGE 94, 224), oder diesbezüglich stets eine typisierende Betrachtungsweise
geboten ist (vgl. Nachweise bei Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rn. 47). Denn so wie im Falle
des Antragstellers nicht zu erkennen ist, dass die Folgen des Anspruchsausschlusses
über das damit in aller Regel verbundene Maß hinausgehen, so liegt bei ihm auch keine
von den insoweit relevanten Fallgruppen – neben z.B. einer Verlängerung der Dauer der
Ausbildung wegen Geburt und Erziehung eines Kindes oder zu langer Studien- und
Ausbildungsdauer infolge einer Erkrankung oder Behinderung insbesondere ein
unmittelbar bevorstehendes Ausbildungsende - vor. Überzeugend hat das Sozialgericht
Berlin insoweit dargelegt, warum nicht davon auszugehen sei, dass der Antragsteller sich
in der akuten Examensphase befinde. Diesen Ausführungen schließt der Senat sich nach
eigener Prüfung ebenso an (§ 142 Abs. 2 Satz 2 SGG) wie er den Darlegungen des 18.
Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg im Parallelverfahren des Bruders
des hiesigen Antragstellers (L 18 B 341/06 AS ER) folgt. Dieser hat bei vergleichbarer
Sachlage ausgeführt:
„… Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller in der akuten
Examensphase befände. Er legt derzeit die Schwerpunktbereichsprüfung im Rahmen
seines juristischen Studiums an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) ab, wobei die
mündliche Prüfung bereits im Jahr 2005 erfolgte und die Klausur schon am 20. Februar
2006 geschrieben wurde (schriftliche Erklärung des Antragstellers vom 21. Februar 2006;
Zulassung der HUB zur Schwerpunktbereichsprüfung vom 30. Mai 2005). Das Thema für
die noch ausstehende Studienarbeit im Schwerpunktbereich „Zeitgeschichte des
Rechts“ ist dem Antragsteller hingegen noch gar nicht ausgehändigt worden (vgl. zuletzt
Schriftsatz vom 13. März 2006). Folgt schon hieraus, dass derzeit eine zeitliche
Belastung durch die Schwerpunktprüfung zumindest in dem Umfang, der einer
ergänzenden Erwerbstätigkeit entgegenstünde, gar nicht bestehen kann, fehlt es im
Übrigen auch an einer Zulassung des Antragstellers zur ersten juristischen
Staatsprüfung, die dieser (erst) im Juli 2006 beantragen will. Von einer „akuten
Examensphase“, in der bei einer Versagung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts der Abbruch des Studiums zu besorgen wäre, kann daher in dem
vorliegend streitbefangenen Zeitraum vom Zeitpunkt des Antragseingangs an von
vornherein nicht ausgegangen werden, und zwar ungeachtet dessen, dass das Ergebnis
der Schwerpunktbereichsprüfung in die erste juristische Staatsprüfung einfließt. Dass der
Antragsteller sich durch zusätzliche Klausurenkurse und Repetitorien auf das Examen
vorbereitet, ist naturgemäß Bestandteil jeder (langfristigen) studentischen
Prüfungsvorbereitung, die aber keinesfalls eine besondere Härte im Vergleich zu den
übrigen Studierenden darstellt. …“
Schließlich rechtfertigt auch das Beschwerdevorbringen des Antragstellers keine andere
Entscheidung. Soweit der Antragsteller glauben machen will, dass er aus gesetzlichen
Gründen die Prüfung frühestens im März 2007 abgeschlossen haben könne, geht dies
fehl. Es mag sein, dass er nach der aktuellen Prüfungsordnung erstmals zu diesem
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fehl. Es mag sein, dass er nach der aktuellen Prüfungsordnung erstmals zu diesem
Zeitpunkt seine Prüfung abgeschlossen haben kann. Dies besagt jedoch nicht, dass er
daran gehindert gewesen wäre, sein Studium nach der zuvor geltenden
Prüfungsordnung innerhalb der für den Studiengang Rechtswissenschaft nach § 3 der
von ihm vorgelegten Studienordnung einschließlich der ersten Prüfung neun Semester
betragenden Regelstudienzeit zum Ende zu bringen.
Im Übrigen vermag es der Senat durchaus nachzuvollziehen, dass es für den
Antragsteller wünschenswert wäre, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Die vom
Gesetzgeber vorgesehenen Leistungen zur Ausbildungsförderung hat er jedoch bereits
in Anspruch genommen. Dass er sein Studium nicht innerhalb der geförderten
Regelstudienzeit abgeschlossen hat, ist nicht auf außergewöhnliche Umstände wie eine
schwere Erkrankung o.ä., sondern auf das Studienverhalten des Antragstellers
zurückzuführen. Dies kann nicht auf Kosten des Steuerzahlers zu einer weitergehenden
Finanzierung führen, als das BAföG dies vorsieht. Denn Sinn des Gesetzes ist es, so wie
früher die Sozialhilfe nunmehr auch die Grundsicherung von den finanziellen Lasten einer
Ausbildungsförderung freizuhalten. Die Leistungen zur Grundsicherung dienen nicht dem
Zweck, gleichsam eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene sicherzustellen,
nachdem die primär dafür vorgesehenen Leistungen nicht mehr gewährt werden
können. Diese Bestimmungen würden andernfalls durch die Gewährung von Leistungen
nach dem SGB II zweckwidrig unterlaufen.
3. Soweit das Sozialgericht Berlin mit seinem angefochtenen Beschluss auch die
Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, ist dies ebenfalls nicht zu
beanstanden. Zur Überzeugung des Senats lag hier für die Zeit bis zum 15. Februar
2006 offensichtlich kein Anordnungsgrund und für die Zeit ab dem 16. Februar 2006
offensichtlich kein Anordnungsanspruch vor, sodass auch keine theoretische
Erfolgsaussicht im einstweiligen Verfügungsverfahren bestand (§ 73a SGG i.V.m. § 114
Zivilprozessordnung – ZPO -). Da dementsprechend auch die Beschwerde des
Antragstellers von Anfang an keine hinreichende Erfolgsaussicht hatte, war auch die
Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und folgt dem Ergebnis in der
Sache selbst.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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