Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.03.2007

LSG Berlin-Brandenburg: verordnung, zertifizierung, programm, irreführende werbung, form, software, ermächtigung, trennung, versorgung, diagnose

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 B 115/08 KA ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 1 SGB 5, § 73 Abs 8 S
7 SGB 5 vom 26.03.2007, § 29
Abs 3 BMV-Ä, § 15 Abs 3 EKV-Ä,
Art 12 Abs 1 GG
(Vertragsärztliche Versorgung - Anwendung von
Abrechnungssoftware - Erlaubnisvorbehalt -
Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 73 Abs 8 S 7 SGB 5 -
Gebot der Trennung von Werbung und Programmfunktionalität -
Wirtschaftlichkeitsgebot)
Leitsatz
Die Pflicht zur Zertifizierung von Praxisverwaltungssoftware berührt die Berufsfreiheit der
Hersteller solcher Software, ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil erhebliche
Gemeinwohlbelange es gebieten, dass Vertragsärzte nur manipulationsfreie Praxissoftware
nutzen.
Im Lichte des Wirtschaftlichkeitsgebots aus § 12 Abs. 1 SGB V erscheint das Anliegen, den
Vorgang der ärztlichen Verordnung von Arzneimitteln von werblicher Einflussnahme strikt zu
trennen, geradezu zwingend.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
12. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 304.000,- Euro
festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin erstellt und vertreibt Praxisverwaltungssoftware für niedergelassene
Ärzte und begehrt im einstweiligen Rechtsschutz die Verpflichtung der Antragsgegnerin
zur vorläufigen Zertifizierung des Programms C nach § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V.
Die Vertragsparteien der Bundesmantelverträge - die Antragsgegnerin und die
Spitzenverbände der Krankenkassen (nunmehr: der GKV-Spitzenverband) - haben mit
derzeitigem Stand vom 15. Dezember 2008 (Version 2.3) einen Katalog über
Anforderungen an Datenbanken und Software für Vertragsarztpraxen
(„Anforderungskatalog“) erstellt und als Anlage zu den Bundesmantelverträgen
veröffentlicht (Deutsches Ärzteblatt vom 12. Dezember 2008, S. A 2723 sowie bei
www.kbv.de/rechtsquellen/bundesmantelverträge). Der Anforderungskatalog führt
bestimmte Pflichtfunktionen auf, unter anderem in Bezug auf Werbung, die nur noch in
Form gesonderter, direkt erkennbarer und mit einer einzigen Aktion entfernbarer
Werbefenster zulässig ist.
Im Rahmen einer „Sichtprüfung“ der werbehaltigen Version des Programms C stellte die
Antragsgegnerin am 26. Juni 2008 neun Abweichungen vom Anforderungskatalog fest,
die sie der Antragstellerin in einem Schreiben vom 27. Juni 2008 unterbreitete. So werde
u. a. die Pflichtfunktion P3-210 („Anzeige von Werbung“) nicht beachtet, die in der
seinerzeitigen Fassung lautete:
Werbung ist nur in Form von Werbefenstern zulässig. Diese müssen als
Werbefenster/Anzeigenfenster deklariert sein und dürfen nicht irreführend als
Informationsfenster dargestellt werden. Sie müssen für den Anwender direkt als
Werbung erkennbar sein. Hinter einer Werbung darf keine Funktion hinterlegt sein, die zu
einer Verordnung führt.
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Es muss sichergestellt sein, das der Anwender die Funktionalitäten des PVS auch bei
Werbeeinblendungen uneingeschränkt nutzen kann.
In der Fassung vom 15. Dezember 2008 hat die Pflichtfunktion P3-210 folgenden
Wortlaut (unterstrichen ist die Ergänzung):
Werbung ist nur in Form von Werbefenstern zulässig. Diese müssen als
Werbefenster/Anzeigenfenster deklariert sein und dürfen nicht irreführend als
Informationsfenster dargestellt werden. Sie müssen für den Anwender direkt als
Werbung erkennbar sein. Hinter einer Werbung darf keine Funktion hinterlegt sein, die
weder unmittelbar noch mittelbar beispielsweise zum Ausstellen einer Verordnung, einer
Veränderung auf dem Rezept (z.B. Änderung des aut-idem-Status) oder einer
Übernahme in die Hausapotheke führt. Hinter einer Werbung darf keine Funktion
hinterlegt sein, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf Grundeinstellungen
bzw. die Konfiguration des Praxisverwaltungssystems oder der Datenbank (z.B.
Filtereinstellungen bei Suchfunktionen) hat.
Es muss sichergestellt sein, das der Anwender die Funktionalitäten des PVS auch bei
Werbeeinblendungen uneingeschränkt nutzen kann.
Zur Begründung wurde ausgeführt: Das Drücken der Taste F4 führe in eine für den
Verordnungsvorgang geeignete Auswahlliste mit Präparaten des werbenden Herstellers.
Verstoßen werde auch gegen die Pflichtfunktion P3-410, die lautet:
Es dürfen keine Substitutionsvorschläge/Verordnungsvorschläge (z.B. im
Zusammenhang mit der Diagnosestellung) automatisch erfolgen. Der verordnende Arzt
muss die Verordnung/Substitution eigenständig aktiv bestimmen.
Der Verstoß bestehe darin, dass bei der Angabe des ICD-Codes l 10-90 (essentielle
Hypertonie) in der Verordnungssituation eine Anzeige/Werbung des Produktes P mit dem
Text „P bei essentieller Hypertonie. → Info F4“ eingeblendet worden sei. Nach Drücken
der Tasten F4 gefolgt von RETURN sei das Präparat P gelistet worden und habe direkt auf
dem Muster 16 verordnet werden können. Auf dem gleichen Wege habe es in die
Hausapotheke übernommen werden können.
Eine Zertifizierung könne erst erfolgen, wenn die aufgeführten Verstöße nachweislich
korrigiert seien.
In einem Schreiben vom 29. Juli 2008 erklärte die Antragstellerin hierauf, sieben der
neun Beanstandungen zu erfüllen und die Nachweisanforderungen zu erbringen, die
beiden auf die Pflichtfunktionen P3-210 und P3-410 bezogenen Anforderungen aber nicht
zu befolgen und die Programmgestaltung insoweit unverändert zu lassen. Es werde
beantragt, das Programm auch in dieser Form zu zertifizieren. Gegen die Pflichtfunktion
P3-210 werde nicht verstoßen, weil kein unmittelbarer Zusammenhang bestehe
zwischen hinterlegter Funktion und ärztlicher Verordnung; erst die eigenverantwortliche
ärztliche Entscheidung löse die Verordnung aus. Ein Manipulationsvorgang liege insoweit
nicht vor. Auch die Beanstandung zur Pflichtfunktion P3-410 erfolge ungerechtfertigt.
Das Programm biete keinen Substitutions- oder Verordnungsvorschlag. Eingeblendet
werde lediglich nicht manipulative Werbung. Der Arzt müsse eigenständige Schritte auf
dem Weg zur Verordnung vornehmen.
Mit Bescheid vom 19. August 2008 lehnte die Antragsgegnerin die Zertifizierung des
Programms CompuMED-M1-Arcos ab, weil die Mängel zu den Pflichtfunktionen P3-210
und P3-410 nicht behoben seien. Dass das Drücken der Taste F4 in eine für den
Verordnungsvorgang geeignete Auswahlliste mit Präparaten des werbenden Herstellers
führe, bewirke eine reduzierte, auf das beworbene Produkt zugeschnittene
Handlungssituation und stelle eine Manipulation der ärztlichen Handlungsfreiheit dar.
Dem wolle die Pflichtfunktion P3-210 entgegen wirken. Gegen die Pflichtfunktion P3-410
werde verstoßen, weil das Programm einen eindeutigen Zusammenhang zwischen
Diagnose und Verordnungsvorschlag herstelle.
Über den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 17. September 2008 ist noch nicht
entschieden. Am 23. September 2008 hat die Antragstellerin um die Gewährung von
Eilrechtsschutz nachgesucht. In der Begründung von Widerspruch und Eilantrag vertieft
die Antragstellerin ihre Auffassung, dass kein Verstoß gegen die beiden Pflichtfunktionen
P3-210 und P3-410 vorliege. Eine Gefahr der Manipulation liege jeweils nicht vor, weil der
Arzt eigenverantwortlich weitere Schritte bis zur Verordnung eines Arzneimittels
vornehmen müsse. Die Pflichtfunktionen P3-210 und P3-410 gingen im Übrigen über die
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vornehmen müsse. Die Pflichtfunktionen P3-210 und P3-410 gingen im Übrigen über die
gesetzliche Ermächtigung hinaus und stellten eine unverhältnismäßige Überregulierung
dar, die die Antragstellerin in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit verletze. Ein
Anordnungsgrund sei gegeben, weil die entstehenden wirtschaftlichen Nachteile durch
Kundenverlust irreversibel seien. Das fragliche Programm werde derzeit von etwa 500
Kunden genutzt und erziele einen jährlichen Umsatz von etwa 708.000 Euro. Auch
unterliege die Antragstellerin einem erheblichen Schadensersatzrisiko, wenn sie im Falle
der ausbleibenden Zertifizierung nicht mehr in der Lage sein sollte, den Software-Pflege-
Verträgen mit ihren Kunden nachzukommen.
Mit Beschluss vom 12. November 2008 hat das Sozialgericht Berlin den Eilantrag
zurückgewiesen, den Streitwert auf 250.000 Euro festgesetzt und zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt: Der Anforderungskatalog gehe nicht über den vom Gesetz
vorgegebenen Rahmen hinaus. Das Programm C vermische in unzulässiger Weise
Werbung und Funktion. Die Taste F4 sei mit regulären Programmfunktionen belegt, löse
aber auch die Öffnung von Werbung aus. Der werbebehaftete Weg führe den Nutzer
besonders leicht zur Verordnung des beworbenen Medikaments. Hierin liege eine
Manipulation auch des kundigen Nutzers. Dieser werde verleitet, über die Doppelfunktion
der Tasten, aber vor allem über den einfachen und kurzen Weg der Verordnung, das
beworbene Medikament auszuwählen. Hierbei sei vor allem die Zeitersparnis auf dem
Weg zu der Verordnung zur Manipulation geeignet. Dieses werde besonders deutlich,
wenn bei Eingabe des Codes für die Erkrankung ein Verordnungsvorschlag des
beworbenen Medikaments erscheine, alle anderen Medikamentenvorschläge jedoch nur
über einen aufwändigeren Weg für den Nutzer erreichbar seien. Hierin liege eine
Verletzung der Pflichtfunktionen P3-410 und P3-210, so dass zu Recht ein manipulativer
Eingriff zu beanstanden ist. Auch die vom Arzt jeweils noch einzugebenden
Bestätigungen änderten daran nichts, denn entscheidend sei, dass der Arzt als Nutzer
über die Werbung auf den Weg der Verordnung des beworbenen Medikaments gebracht
werde und dabei keine aktive Gestaltung mehr vornehmen müsse. Vor dieser Art der
Einflussnahme wolle der Gesetzgeber den Arzt jedoch gerade schützen.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 14. November 2008 Beschwerde eingelegt, mit der
sie ihr Begehren weiter verfolgt. Die fragliche Software sei, anders als vom Sozialgericht
unterstellt, nicht manipulativ, denn sie führe den Arzt nicht in die Irre; dieser bliebe
vielmehr jederzeit Herr des Verordnungsgeschehens. Das Sozialgericht habe den Begriff
der Manipulation falsch verstanden. Es bestehe ein Anspruch auf Zertifizierung.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. November 2008 aufzuheben und
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das
Softwareprogramm C in der mit Schreiben der Antragstellerin vom 29. Juli 2008
beschriebenen und beantragten Funktionalität für die Verordnung von Arzneimitteln
durch Vertragsärzte bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache
vorläufig nach § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V zu zertifizieren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Das
Vorbringen der Antragstellerin belege, dass das Arzneimittelverordnungsverhalten der
Ärzte durch die Arzneimittelsoftware bewusst gesteuert werden solle. Dies zu verhindern
sei der Wille des Gesetzgebers. Ein Preisvergleich, der mit Werbung vermischt sei, sei
nicht objektiv. „Manipulativ“ sei Praxissoftware schon dann, wenn der Arzt durch
sachfremde, werbende Angaben beeinflusst werde. Das Verständnis der Antragstellerin
zum Begriff der Manipulation sei zu sehr durch das Wettbewerbsrecht geprägt.
Die drei Berufsrichter des Senats haben den Rechtsstreit am 11. Februar 2009 mit den
Beteiligten mündlich erörtert.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den
Inhalt der dreibändigen Gerichtsakte Bezug genommen, der, soweit wesentlich,
Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 SGG), hat aber keinen Erfolg. Zutreffend
hat das Sozialgericht den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt.
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Der Antrag ist unbegründet, denn jedenfalls ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft
gemacht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Erlass der begehrten
Regelungsanordnung kann nicht beansprucht werden, weil die Voraussetzungen für eine
Zertifizierung des Programms C nicht vorliegen.
1. Die Pflicht zur Zertifizierung ärztlicher Praxissoftware folgt in Form eines Verbots mit
Erlaubnisvorbehalt unmittelbar aus dem Gesetz, indem § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V (in der
Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung [GKV-WSG] vom 26. März 2007 [gültig ab 1. April 2007, BGBl. I
2007, S. 378]) ausdrücklich bestimmt, dass Vertragsärzte für die Verordnung von
Arzneimitteln nur solche elektronischen Programme nutzen dürfen, die die
Informationen nach den Sätzen 2 und 3 sowie über das Vorliegen von Rabattverträgen
nach § 130 a Abs. 8 enthalten und die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für
die vertragsärztliche Versorgung zugelassen sind. Der Gesetzesbefehl lautet mithin
ausdrücklich dahin, dass ein Zulassungsverfahren im Hinblick auf bestimmte, im Gesetz
benannte Aspekte durchzuführen ist. Dem liegt die Absicht des Gesetzgebers zugrunde,
dass nur solche Praxissoftware zum Einsatz kommt, die einen manipulationsfreien
Preisvergleich von Arzneimitteln ermöglicht und gleichzeitig alle Informationen enthält,
die für die Verordnung in der vertragsärztlichen Versorgung von Bedeutung sind (BT-Drs.
16/194, S. 9; vgl. hierzu und zur Verfassungsmäßigkeit von § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V
schon die Beschlüsse des Senats vom 27. Oktober 2008, L 7 B 57/08 KA ER sowie L 7 B
82 bis 85/08 KA ER).
Die einzelnen Zertifizierungsvoraussetzungen regeln die Bundesmantelverträge (§ 29
Abs. 3 bis 5 BMV-Ä bzw. § 15 Abs. 3 bis 5 BMV-Ä/EKV) in Verbindung mit dem
Anforderungskatalog. Der Senat hat keine Bedenken an der Vereinbarkeit dieses
Regelungswerks mit höherrangigem Recht. Der durch die gesetzliche Regelung
gegebene Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) ist
gerechtfertigt, weil der Gebrauch manipulationsfreier Praxissoftware durch Vertragsärzte
einen erheblichen Gemeinwohlbelang darstellt (vgl. hierzu schon die Beschlüsse des
Senats vom 27. Oktober 2008). Der Gesetzgeber hat die Partner der
Bundesmantelverträge ausdrücklich zu Detailregelungen ermächtigt (§ 73 Abs. 8 Satz 8
SGB V), die diese in Gestalt des Anforderungskataloges vorgenommen haben. Nach
derzeitigem Beurteilungsstand sieht der Senat den Anforderungskatalog damit von einer
hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung gedeckt; es ist nicht erkennbar, dass einzelne
Regelungen - insbesondere die hier fraglichen Pflichtfunktionen P3- 210 und P3-410 -
über die gesetzliche Ermächtigung hinausgingen und willkürlich Anforderungen setzten,
die nicht von Umfang und Zweck der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt wären.
2. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Zertifizierung der Praxissoftware C, denn
diese verstößt gegen die im Anforderungskatalog aufgeführten Pflichtfunktionen P3-210
und P3-410. Zertifizierbarkeit ist damit nicht gegeben. Die Verstöße gegen die
Regelungen des Anforderungskataloges sind eindeutig, wovon der Senat sich im
Rahmen des Erörterungstermins vom 11. Februar 2009 überzeugen konnte.
a) Die Software bietet einen direkten Weg von Produktwerbung zum
Verordnungsformular, worin ein Verstoß gegen die Pflichtfunktion P3-210 liegt, und zwar
sowohl in deren alter Fassung bei Bescheiderlass als auch in deren neuer Fassung vom
15. Dezember 2008. Ein Verstoß liegt schon darin, dass das Programm die Werbung
nicht in Form eines gesonderten - und gesondert „wegklickbaren“ - Werbefensters
anbietet, sondern in Form einer Textzeile, die als Arzneimittelalternative erscheint, sowie
der Benutzer ein bestimmtes Arzneimittel angewählt hat. Die Werbung ist mit einer
Funktion hinterlegt, die unmittelbar über wenige Tastenkombinationen zu der
Verordnung des beworbenen Arzneimittels führt. Die Pflichtfunktion P3-210 will genau
dies verhindern, was an sich auch von der Antragstellerin nicht bestritten wird.
b) Auch ein Verstoß gegen die Pflichtfunktion P3-410 liegt unzweifelhaft vor. Nach
Eingabe einer bestimmten Diagnose in Gestalt des entsprechenden ICD-Codes erfolgt
unmittelbar ein Hinweis auf ein beworbenes Arzneimittel, das sodann über wenige
Tastenkombinationen ins Verordnungsformular übertragen werden kann. Hierin liegt ein
Verstoß gegen das Verbot, Verordnungsvorschläge automatisch auf Diagnosestellungen
folgen zu lassen.
c) Die Anforderungen P3-210 und P3-410 sind auch inhaltlich nicht zu beanstanden,
denn sie tragen dem Willen des Gesetzgebers Rechnung, die von Vertragsärzten
genutzte Praxissoftware manipulationsfrei zu halten. Unter Manipulation versteht der
Senat dabei nicht nur „bösartig“ irreführende Werbung, die den Benutzer eines
Programms gleichsam unbemerkt zur Verordnung eines beworbenen Arzneimittels
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Programms gleichsam unbemerkt zur Verordnung eines beworbenen Arzneimittels
verleitet. Manipulativ ist vielmehr schon jegliche Vermischung von reiner
Programmfunktionalität und Elementen der Werbung, selbst wenn es dem Benutzer
nicht unbenommen ist, die Werbung zu ignorieren und bewusst unbeworbene
Arzneimittel zu verordnen. Die Vermischung von Programmfunktionalität und Werbung
ist bei dem zur Zertifizierung gestellten streitgegenständlichen Programm ohne Zweifel
gegeben, indem ein direkter Weg von dem beworbenen Produkt zum
Verordnungsformular besteht und eine ärztlich eingegebene Diagnose unmittelbare
Produktwerbung nach sich zieht.
Der Senat hält eine strikte Trennung von Werbung und Programmfunktionen für
sachgerecht im Sinne der gesetzgeberischen Intention, Praxissoftware nur
manipulationsfrei anzubieten. Die Idee der Trennung von Werbung und
Programmfunktionen ist auch in einem größeren Maßstab betrachtet frei von Willkür,
denn beispielsweise im Rundfunkrecht gilt ebenfalls das uneingeschränkte strikte Verbot
der Trennung von Werbung und Programm (vgl. § 7 Abs. 2 und 3 des Staatsvertrages für
Rundfunk und Telemedien [Rundfunkstaatsvertrag]vom 31. August 1991, zuletzt
geändert durch den Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 19. Dezember
2007). Im vertragsarztrechtlichen Zusammenhang erhält das Trennungsgebot seine
besondere Rechtfertigung durch das in § 12 Abs. 1 SGB V geregelte
Wirtschaftlichkeitsgebot: Ärztlich verordnete Leistungen dürfen das Maß des
Notwendigen nicht überschreiten, um eine wirtschaftliche Funktionsweise der
Gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten. In diesem Licht erscheint das
Anliegen, den Vorgang der ärztlichen Verordnung von Arzneimitteln von werblicher
Einflussnahme strikt zu trennen, geradezu zwingend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§
52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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