Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2008

LSG Berlin-Brandenburg: rückforderung, behörde, zivilprozessordnung, heizung, verordnung, link, sammlung, quelle, rechtsnatur, mutwilligkeit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
25. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 25 B 411/08 AS PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 73a SGG, § 33 Abs 1 SGB 10, §
45 SGB 10, § 48 SGB 10, § 50
SGB 10
Prozesskostenhilfe - hinreichende Erfolgsaussicht - Aufhebung
bzw Rückforderung von Leistungen des SGB 2 gegenüber dem
einzelnen Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft -
Bestimmtheitsgebot
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2008 wird aufgehoben.
Der Klägerin wird für das Verfahren erster Instanz ab dem 7. Januar 2008
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten bewilligt.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die nach §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde ist
begründet.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen nach den hierfür
einschlägigen §§ 73a SGG, 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) vor.
Nach § 114 S. 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er
nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der
Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG gelten die Vorschriften der ZPO über die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe entsprechend für das sozialgerichtliche Verfahren.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche
Verfahren liegen bei der Klägerin vor. Das Sozialgericht hat im angefochtenen Beschluss
zu Unrecht eine hinreichende Erfolgsaussicht im vorstehenden Sinn verneint.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungskonform
auszulegen. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gebietet in Verbindung mit dem unter
anderem in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem
aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitgehende
Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des
Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen
Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt
und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der
Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der
Rechtsverfolgung oder -verteidigung ins Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben
dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Ersten Senats vom 28. November 2007 – 1 BvR 68/07, 1BvR 70/07, 1
BvR 71/07 -, rech. bei juris Rn. 8 ff.). Deshalb dürfen insbesondere schwierige, bislang
nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden
werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von
Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden
können ( BVerfG a.a.O. und Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli
1993 - 1 BvR 1523/92 -, NJW 1994, 241, 242). Demnach ist ausgehend vom für das
Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende
Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen
Rechtsstandpunkt aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden
Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht
gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-
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gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG - Kommentar, 9. Auflage 2008, § 73 a Rn. 7a).
Dies zugrunde gelegt ergeben sich vorliegend hinreichende Erfolgsaussichten. Die im
angefochtenen Bescheid enthaltene Teilaufhebung der ursprünglichen, das
zwischenzeitlich erzielte Unterhaltseinkommen des Sohns der Klägerin noch nicht
berücksichtigenden Leistungsbewilligung erscheint nicht ohne weiteres rechtmäßig. Die
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, sei es, dass er auf § 45 oder § 48 des
Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) gestützt wird, unterliegt zumindest
Zweifeln, weil er entgegen § 33 Abs. 1 SGB X schon nicht hinreichend bestimmt sein
dürfte.
Bei dem in § 33 Abs. 1 SGB X geregelten Bestimmtheitsgebot handelt es sich um eine
Ausprägung des aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechtsstaatsprinzips, das der
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dient. Gegenstand, Ziel und Regelungsgehalt der
Entscheidung müssen demgemäß für den Adressaten so eindeutig und vollständig sein,
dass er sein Handeln danach ausrichten und die rechtlichen Konsequenzen der
Entscheidung in vollem Umfange abschätzen kann. Dies bedeutet für Aufhebungen und
Rückforderungen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten
Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II), dass die entsprechenden Bescheide aus einer
Vielzahl von Einzelfallregelungen bestehen müssen. Insbesondere muss eine solche
Teilaufhebung beziehungsweise Rückforderung zum Ausdruck bringen, welchem
einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gegenüber Leistungen für welchen genauen
Leistungszeitraum in jeweils welcher Höhe aufgehoben beziehungsweise zurückgefordert
werden. Demgegenüber erscheint es rechtlich zweifelhaft, den Aufhebungsbetrag für
eine Bedarfsgemeinschaft insgesamt und für einen mehrmonatigen Leistungszeitraum
nur der Gesamtsumme nach auszuweisen. Die Behörde dürfte bei einer derart
pauschalen Regelung übersehen, dass der Aufhebungs- beziehungsweise
Rückforderungsbescheid aus einer Vielzahl von Einzelfallregelungen bestehen muss,
nämlich nicht nur aus der jeweiligen Neuregelung der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für den einzelnen Monat, sondern auch im Hinblick auf jedes einzelne
Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das allein Anspruchinhaber sein kann (vgl. BSG, Urteil
vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R -, rech. bei juris, Rn. 11 f.). Denn das
Aufhebungsrecht ist nur das Spiegelbild des Leistungsanspruches, in Verbindung mit
einer hier anknüpfenden Rückforderung nur die Umkehrung des Gläubiger-Schuldner-
Rechtsverhältnisses ohne Änderung der Rechtsnatur des Rechts selbst. Die Angabe der
Gesamtsumme hat vor diesem Hintergrund keinen eigenen Regelungsgehalt, sie
erleichtert lediglich die Abwicklung (vgl. etwa Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 3.
April 1990 - 8 A 231.88 -, recherchiert bei juris).
Der angefochtene Bescheid dürfte so verstandenen Bestimmtheitsanforderungen nicht
ohne weiteres genügen, indem er zwar die überzahlten Regelleistungen und Kosten für
Unterkunft und Heizung monatsweise ausweist, jedoch nicht verdeutlicht, für welches
Mitglied der aus der Klägerin und ihren beiden minderjährigen Kindern bestehenden
Bedarfsgemeinschaft die Leistungen jeweils teilweise aufgehoben und zurückgefordert
werden sollen.
Gleichsam unterliegt der Bescheid auch Bedenken in materiellrechtlicher Hinsicht, soweit
mit ihm ausschließlich die Klägerin quasi gesamtschuldnerisch wegen ihrem Sohn
zugeflossenen Kindesunterhalts in Anspruch genommen werden sollte. Denn der
Kindesunterhalt dürfte gemäß § 9 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB II gerade nicht als Einkommen
der Klägerin, sondern nur ihres Sohns anzusehen sein. Dies hätte die Behörde zunächst
einmal nur berechtigt, gegenüber dem Sohn der Klägerin die Leistungsbewilligung
teilweise aufzuheben. Hiernach wäre der Beklagte gegenüber der Klägerin zur
Teilaufhebung und Rückforderung nur insoweit berechtigt gewesen, als der
Kindesunterhalt zum Fortfall der Hilfebedürftigkeit des Sohns und dazu geführt hätte,
dass das für ihn gezahlte Kindergeld gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II (teilweise) zum
Einkommen der Klägerin wurde, welches dann noch nach § 13 SGB II in Verbindung mit §
3 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II-Verordnung der im verfahrensgegenständlichen Zeitraum
geltenden Fassung (Alg II-V) um die so genannte Versicherungspauschale von 30,00 €
zu bereinigen gewesen wäre.
Für eine Mutwilligkeit im Sinne von §§ 73a SGG, 114 S. 1 ZPO liegt nichts vor. Da die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin erst mit den Anlagen zu
einem am 7. Januar 2008 zu den Gerichtsakten gelangten Schriftsatz gemäß § 118 Abs.
2 S. 1 ZPO glaubhaft gemacht worden sind und mithin erst ab diesem Zeitpunkt
Bewilligungsreife gegeben gewesen ist, ist Prozesskostenhilfe erst ab eben diesem
Zeitpunkt zu bewilligen gewesen.
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Angesichts der schwierigen, von einem Laien wie der Klägerin kaum zu erfassenden
Rechtslage ist es gemäß §§ 73a SGG, 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)
erforderlich, der Klägerin ihre Prozessbevollmächtigte als Rechtsanwältin beizuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs.
1 S. 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in
Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO, § 177 SGG.
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