Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.03.2008

LSG Berlin und Brandenburg: gleichbehandlung im unrecht, grundsatz der gleichbehandlung, ddr, zugehörigkeit, umwandlung, handelsregister, techniker, verordnung, industrie, kreis

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 19.03.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 27 R 3401/05
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 3 R 407/07
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den Zeitraum vom 08. Dezember 1969 bis zum 30. Juni 1990 als
Zeit der Zugehörigkeit des Klägers zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz
(Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes [AAÜG] -
AVItech -) und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellen muss.
Der 1944 geborene Kläger schloss am 30. August 1963 die Facharbeiterprüfung zum Mechaniker erfolgreich ab. Nach
dem Besuch der Ingenieurschule für technische Glasverarbeitung I erwarb er am 18. Juli 1969 die Berechtigung, die
Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis arbeitete der Kläger
in dem hier maßgeblichen Zeitraum vom 08. Dezember 1969 bis zum 11. August 1972 als Fertigungstechnologe bei
VEB Statex und VEB Relaistechnik. Seit dem 19. September 1972 war er als Entwicklungstechnologe bzw.
Entwicklungsingenieur im Kombinat VEB Elektro- Apparate-Werke Berlin-Treptow (im Folgenden: VEB EAW) tätig.
Am 27. Juni 1990 wurde die E-A-W B GmbH in das Handelsregister beim Amtsgericht Charlottenburg eingetragen. Die
Gesellschaft entstand durch Umwandlung aus dem EAW.
Im Rahmen der Bearbeitung eines Kontenklärungsantrags des Klägers erließ die Beklagte den Bescheid vom 26.
Januar 2005, mit dem sie den Antrag auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem
Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG als Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG ablehnte, weil dieses
Gesetz auf den Kläger nicht anwendbar sei. Die Voraussetzungen des § 1 AAÜG seien nicht erfüllt. Es sei keine
Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG entstanden. Weder habe eine positive Versorgungszusage
zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am 30. Juni 1990, dem Zeitpunkt der Schließung der
Zusatzversorgungssysteme, eine Beschäftigung ausgeübt worden, die dem Kreis der obligatorisch
Versorgungsberechtigten zuzurechnen wäre. Der VEB EAW sei bereits vor dem 30. Juni 1990 privatisiert worden. Der
Kläger sei daher nicht mehr im Geltungsbereich der AVItech tätig gewesen. Den dagegen eingelegten Widerspruch
wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2005 zurück.
Mit seiner dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er sei von
September 1972 an in dem VEB EAW als Technologe und Ingenieur beschäftigt gewesen. Bei diesem Betrieb habe
es sich um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie gehandelt. Er bestreite mit Nichtwissen, dass sein
Beschäftigungsbetrieb vor dem 30. Juni 1990 privatisiert worden sei. Selbst wenn man die Angaben der Beklagten
unterstellen wolle, erscheine die Ablehnung rechtswidrig. Die Beklagte habe selbst angegeben, dass der Betrieb
aufgrund der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in
Kapitalgesellschaften vom 01. März 1990 umgewandelt worden sein solle. Es könne mithin nicht zu seinem Nachteil
ausgelegt werden, wenn der Beschäftigungsbetrieb zwar vor dem 30. Juni 1990, aber doch auf der gleichen
Rechtsgrundlage wie die anderen volkseigenen Betriebe der DDR privatisiert worden sei. Hierin sehe er eine nicht
gerechtfertige Ungleichbehandlung. Während Versorgungsanwartschaften für gleichartig qualifizierte Beschäftigte in
anderen volkseigenen Produktionsbetrieben bei einer Privatisierung nach dem 30. Juni 1990 erhalten geblieben seien,
gingen seine Versorgungsanwartschaften ersatzlos verloren, ohne dass ihm hierfür ein Äquivalent erwachsen wäre.
Durch Urteil vom 14. Dezember 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der
Kläger habe keinen Anspruch auf Einbeziehung in das AAÜG hinsichtlich seiner Beschäftigungszeiten bis zum 30.
Juni 1990, denn dies setze unter anderem eine Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb am 30. Juni 1990
voraus. Da die erste Eintragung der E-A-W GmbH am 27. Juni 1990 in das Handelsregister erfolgt sei, komme eine
Einbeziehung des Klägers in das AAÜG nicht in Betracht.
Gegen das am 01. März 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 28. März 2007 eingelegte Berufung des Klägers,
mit der er geltend macht, es sei unzulässig, ihm als einzigen ehemaligen Beschäftigten des VEB EAW die
Anerkennung der Beitragszeit nach dem AAÜG unter Berufung auf die vor dem 30. Juni 1990 erfolgte Umwandlung
des Betriebs zu verwehren, während alle anderen gleichartig beschäftigten und qualifizierten Kollegen die Zeiten ihrer
Zugehörigkeit zu diesem Betrieb als Beitragszeiten anerkannt bekommen hätten. Der Grundsatz des Ausschlusses
der Gleichbehandlung im Unrecht sei in dem hier vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Dies würde nämlich dazu
führen, dass eine Rechtsanwendung überhaupt nur noch in einem Einzelfall erfolgen würde. Die Rechtsanwendung
wäre dann nur noch eine willkürliche Ausnahme und nicht mehr die Regel. Er fordere deshalb, ebenso wie seine
Kollegen behandelt zu werden. Der VEB EAW habe seinerzeit mehrere tausend Beschäftigte gehabt. Wie viele von
diesen Techniker und Ingenieure gewesen seien, entziehe sich seiner Erkenntnis. Es scheine jedoch nicht zu hoch
gegriffen, deren Zahl mit mehr als 100 anzunehmen. Er gehe davon aus, dass es der Amtsermittlungspflicht der
Beklagten und des erstinstanzlichen Gerichts obliege zu ermitteln, wie viele Anträge auf Einbeziehung in das
Zusatzversorgungssystem für Beschäftigte des früheren Betriebs gestellt und wie diese beschieden worden seien.
Der Vergleich der Zahlen dürfe offenbaren, dass die Rechtsanwendung in seinem Fall tatsächlich der Ausnahmefall
gewesen und er dadurch gegenüber zumindest fast allen Kollegen benachteiligt worden sei.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2006 und unter Aufhebung des
Bescheids vom 26. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2005 zu verurteilen, die
Zeit vom 08. Dezember 1969 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit seiner Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung der
technischen Intelligenz festzustellen und entsprechend dem AAÜG die Entgelte mitzuteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte führt aus, die Tatsache, dass möglicherweise verschiedene andere Mitarbeiter des
streitgegenständlichen Betriebes Urkunden über eine zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz
erhalten hätten, sei unbeachtlich. Zum Kreis der Versorgungsberechtigten habe nämlich auch gehört, wer aufgrund
eines Einzelvertrags Anspruch auf eine Zusatzversorgung gehabt habe. Damit könne nicht ausgeschlossen werden,
dass andere Mitarbeiter aufgrund dieser Regelung, ohne die abstrakt-generellen Voraussetzungen der VO-AVItech zu
erfüllen, seinerzeit einbezogen worden seien. Gegenüber diesem Personenkreis könne der Kläger eine Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht herleiten.
Mit gerichtlichen Schreiben vom 17. April, 04. und 08. Juni 2007 hat der Senat die Beteiligten zu der beabsichtigten
Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er
hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat, wie das Sozialgericht
zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Feststellung der Zeit vom 08. Dezember 1969 bis zum 30. Juni 1990
als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und der in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten
Arbeitsentgelte.
In dem Verfahren nach § 8 AAÜG, das einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sozialgesetzbuch
Sechstes Buch (SGB VI) ähnlich und außerhalb des Rentenverfahrens durchzuführen ist (vgl. Urteil des BSG vom 18.
Juli 1996 - 4 RA 7/95 -), ist die Beklagte nur dann zu den von dem Kläger begehrten Feststellungen verpflichtet, wenn
dieser dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG nach § 1 Abs. 1 unterfällt. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist
in einem weiteren Schritt festzustellen, ob er Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, die einem
Zusatzversorgungssystem, hier der AVItech, zuzuordnen sind (§ 5 AAÜG).
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit
zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme
einen Verlust der Anwartschaft bei Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt
dieser Verlust als nicht eingetreten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht
erfüllt; er hätte vorausgesetzt, dass der Kläger in der DDR zunächst durch einen staatlichen Akt in ein
Versorgungssystem (hier: in die AVItech) einbezogen und dann zu einem späteren Zeitpunkt entsprechend den
Regelungen des Systems ausgeschieden wäre. Er war aber zu keinem Zeitpunkt auf Grund eines staatlichen Akts
oder einer einzelvertraglichen Zusage in ein Versorgungssystem einbezogen worden.
Dem Anwendungsbereich des AAÜG konnte der Kläger daher nur unterfallen, wenn er eine fiktive
Versorgungsanwartschaft i. S. der vom BSG vorgenommenen erweiternden Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG
gehabt hätte. Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Für die Anwendbarkeit des AAÜG kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG vom 10. Februar
2005 - B 4 RA 48/04 R - m. w. N.) auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage mit Blick auf die bundesrechtliche
Rechtslage am 01. August 1991, dem Inkrafttreten des AAÜG, an. Dies folge aus den primär- und
sekundärrechtlichen Neueinbeziehungsverboten des Einigungsvertrags (EV). So untersage der EV primärrechtlich in
der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst. a Neueinbeziehungen ab dem 03. Oktober 1990.
Darüber hinaus ordne der EV in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8 - wenn auch mit Modifikationen
- die sekundärrechtliche Weitergeltung des Rentenangleichungsgesetzes der DDR (RAnglG-DDR) an, das
Neueinbeziehungen ab dem 01. Juli 1990 untersagt habe (§ 22 Abs. 1 S. 1 RAnglG-DDR). Da letztlich auf Grund
dieser Regelungen Neueinbeziehungen in ein Zusatzversorgungssystem ab dem 01. Juli 1990 nicht mehr zulässig
gewesen seien, sei darauf abzustellen, ob der Betroffene nach den tatsächlichen Gegebenheiten bei Schließung der
Zusatzversorgungssysteme (30. Juni 1990) einen "Anspruch" auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte.
Bei dieser Bewertung sei auf die Regelungen der Versorgungssysteme abzustellen, wie sie sich aus den Texten der
VO-AVItech (Gbl. S 844) und der 2. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung
der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (2. DB) (Gbl.
S 487) ergäben. Nach § 1 VO-AVItech i. V. m. § 1 Abs. 1 und 2 2. DB hänge ein solcher Anspruch von drei
(persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab. Generell sei gemäß § 1 der VO-AVItech und der 2.
DB erforderlich 1. die Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und 2.
die Ausführung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) und zwar 3. in einem volkseigenen
Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens im Sinne von § 1 Abs. 1 der 2. DB oder in einem
durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung). Maßgeblich sei hierbei das
Sprachverständnis der Deutschen Demokratischen Republik am 02. Oktober 1990 (vgl. Urteil des BSG vom 09. April
2002 - B 4 RA 31/01 R -).
Die Voraussetzungen für einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage haben bei dem Kläger zum
Stichtag, also am 30. Juni 1990, nicht vollständig vorgelegen. Der Senat kann deshalb ausdrücklich offen lassen, ob
er der oben zitierten Rechtsprechung des BSG folgt. Denn nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(- 1 BvR 1921/04 -, - 1 BvR 203/05 -, - 1 BvR 445/05 - und - 1 BvR 1144/05 - vom 26. Oktober 2005) ist die
Gleichbehandlung mit Inhabern einer Versorgungszusage verfassungsrechtlich nicht geboten.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger am Stichtag nicht in einem VEB gearbeitet, sondern in
einer GmbH, die am 27. Juni 1990 in das Handelsregister eingetragen worden ist (siehe dazu auch das Urteil des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. November 2007, L 1 R 1563/06, zum VEB EAW).
Eine abweichende Entscheidung lässt sich nicht allein damit begründen, dass im Fall des Klägers eine Abkehr von
dem Grundsatz, wonach es keine Gleichbehandlung im Unrecht gibt, gerechtfertigt ist. Der Kläger behauptet
pauschal, dass alle Ingenieure und Techniker des ehemaligen VEB EAW durch Entscheidungen des
Zusatzversorgungsträgers in die AVItech einbezogen worden seien und nur in seinem Fall eine ablehnende
Entscheidung getroffen worden sei. Deshalb dürfe er nicht benachteiligt werden. Diese Auffassung lässt sich aber mit
dem verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 3 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen.
Abgesehen davon, dass der Kläger lediglich eine pauschale Behauptung aufstellt, hat die Beklagte zutreffend darauf
hingewiesen, die Einbeziehung von Ingenieuren und Technikern des VEB EAW könne auch darin begründet sein,
dass verschiedenen Mitarbeitern bereits zu Zeiten des Bestehens der DDR aufgrund eines Einzelvertrages eine
Versorgungszusage erteilt worden ist. Der Gleichheitsgrundsatz kann außerdem keine Grundlage für eine - vorsätzlich
- rechtswidrige Anwendung gesetzlicher Vorschriften geben.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.