Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 22.06.2006

LSG Berlin und Brandenburg: ausbildung, darlehen, erlass, staatsangehörigkeit, auskunft, besuch, beihilfe, eltern, schule, zukunft

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 22.06.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 102 AS 2466/06 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 14 B 409/06 AS ER
Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird als unzulässig verworfen, soweit sie Zeiträume vor Erlass dieser
Entscheidung betrifft. Im Übrigen werden auf die Beschwerde der Antragsgegnerin der Beschluss des Sozialgerichts
Berlin vom 4. Mai 2006 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Kosten sind
nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners ist als unzulässig zu verwerfen, soweit sie zum Zeitpunkt der Entscheidung
bereits in der Vergangenheit liegende Zeiträume betrifft (§ 572 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 202 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]); insoweit fehlt ihr das erforderliche Rechtsschutzinteresse.
Die (einstweilige) Anordnung des Sozialgerichts hat sich insoweit erledigt. Die Antragsgegne-rin hat kein rechtlich
schützenswertes Interesse an ihrer Aufhebung. Sie war aufgrund dieser Anordnung und der Ablehnung der
Aussetzung ihrer Vollziehung verpflichtet, vorläufig Leis-tungen zu erbringen. Soweit es ihr darum gehen sollte,
dementsprechend ausgezahlte Beträge zurückzuerhalten und festgestellt zu wissen, dass sie – endgültig – nicht zur
Gewährung dieser Leistung verpflichtet sei, steht das gerichtliche Eilverfahren dafür nicht zur Verfügung.
Eine einstweilige Anordnung ist stets nur ein Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen einer daraufhin erbrachten
Leistung. Ob dem von der einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig zusteht, ist gegebenenfalls
im Hauptsacheverfahren zu klären, sofern die Entscheidung der Behörde nicht ohnehin bestandskräftig wird (so
bereits Beschlüsse des Senats vom 4. November 2005 – L 14 B 1147/05 AS ER – und vom 2. Februar 2006 – L 14 B
1307/05 AS ER – im Anschluss an den Beschluss des Thüringischen OVG vom 17. Juli 1997 – 2 ZEO 356/97 –,
FEVS 48 [1998], 129 [130]; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – L 10 B 1144/05 AS
ER –; vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 15. September 1997 – 2 SN 11/97 –, NVwZ 1998, 85).
Im Übrigen – soweit in der Zukunft liegende Zeiträume betroffen sind – ist die Beschwerde zu-lässig (§§ 172 Abs. 1,
173 Satz 1 SGG) und begründet. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) haben Auszubil-dende, deren Ausbildung
im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes "dem Grunde nach" förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs. Aufgrund dieser
Bestimmung kann die An-tragstellerin von der Antragsgegnerin keine Leistungen beanspruchen.
Es kann offen bleiben, ob die Überlegung des Sozialgerichts zutreffend ist, § 7 Abs. 5 SGB II finde – aufgrund der
Regelung in § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II – auch dann keine Anwendung auf Auszubildende, wenn – außer "auf Grund von
§ 2 Abs. 1 a des Bundesausbildungsförderungs-gesetzes" (BAFöG) – auch aus weiteren (persönlichen) Gründen
(Überschreiten der Förde-rungshöchstdauer, Lebensalter, ausländische Staatsangehörigkeit o.a.) kein Anspruch auf
Aus-bildungsförderung besteht. Selbst wenn dies richtig wäre, wären der Antragstellerin nur dann Leistungen nach
dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs zu gewähren, wenn sie eine in § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAFöG bezeichnete
Ausbildungsstätte besuchen würde; denn nur dann könnte "auf Grund von § 2 Abs. 1 a BAFöG" kein Anspruch auf
Ausbildungsförderung bestehen. Dies ist aber nicht der Fall. Die Antragstellerin besucht vielmehr – wie sich auch aus
der Auskunft der Emil-Fischer-Schule vom 6. Juni 2006 ergibt – eine in § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAFöG genannte
Bildungseinrichtung (Berufsfachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossenen Berufsaus-bildung nicht
voraussetzt und die in einem mindestens zweijährigen [vorliegend sogar dreijäh-rigen] Bildungsgang einen
berufsqualifizierenden Abschluss [vorliegend staatlich geprüfte Hauswirtschaftsassistentin] vermittelt).
Diese Ausbildung ist "dem Grunde nach" – unabhängig davon, ob die Antragstellerin bei ihren Eltern bzw. bei ihrer
Mutter wohnt – im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes förderungsfähig, so dass die Antragstellerin
keinen Anspruch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs
hat, ohne dass es darauf an-kommt, ob ihr Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zustehen.
Darüber, ob ihr möglicherweise – wegen Vorliegens eines "besonderen Härtefalls" – Leistun-gen zur Sicherung des
Lebensunterhalts als Darlehen zu gewähren sind (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II; auf diese Möglichkeit hatte bereits die
Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2006 hingewiesen), ist im vorliegenden Verfahren nicht zu
befinden, da die Antrag-stellerin weder bei der Antragsgegnerin noch beim Sozialgericht die Gewährung von Leistun-
gen als Darlehen (sondern ausschließlich als nicht zurückzuzahlende Beihilfe) beantragt und auch keine "besonderen
Härtegründe" geltend gemacht hat.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).