Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.04.2005

LSG Berlin-Brandenburg: ambulante behandlung, stationäre behandlung, arbeitsunfall, neurologie, alkoholmissbrauch, unfallversicherung, wahrscheinlichkeit, feuerwehr, zustand, kausalität

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 U 1027/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 1 S 2 SGB 7
Gesetzliche Unfallversicherung- Arbeitsunfall - Unfallkausalität:
Ursachenzusammenhang zwischen der mit der versicherten
Tätigkeit im sachlichen Zusammenhang stehenden Verrichtung
und dem Unfallereignis - Sturz nach generalisiertem
Krampfanfall bei Alkoholentzugssyndrom - epileptischer Anfall
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2005
wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und dessen Entschädigung.
Der 1960 geborene Kläger war als Wäschereiarbeiter bei der Firma L-R-AG beschäftigt.
Nach den Angaben seines Arbeitgebers in der am 23. Mai 2002 bei der Beklagten
eingegangenen Unfallanzeige sank der Kläger am 13. Mai 2002 gegen 14:00 Uhr beim
Transport eines Wäschecontainers aus ungeklärter Ursache in sich zusammen und
schlug mit dem Kopf auf dem Fußboden auf. Der Kläger wurde mit dem Rettungswagen
zunächst zur Rettungsstelle der D-Kliniken K gebracht, wo er einen generalisierten
Krampfanfall erlitt. Anschließend wurde er stationär vom 13. bis zum 19. Mai 2002 in der
neurochirurgischen Klinik des U.krankenhauses B und in den D-Kliniken K behandelt. Es
wurden folgende Diagnosen festgestellt:
- S06.9 Schädel-Hirntrauma II. Grades mit größerem Kontusionsherd re. temporal und
Umgebungsödem sowie Kontusionen bifrontal,
- S06.6 traumatische Subarachnoidalblutung und sehr schmales subdurales Hämatom
re. hemisphäriell,
- S02.2 Kalottenfraktur li. Temporal,
- S06.9 Durchgangssyndrom,
- G40.9 V.a. Zustand nach Erstmanifestation von Krampfanfällen und
- H40.9 Glaukom bds.
Im initialen Labor ergaben sich erhöhte GGT- und ALAT-Werte und es wurde der Verdacht
auf Alkoholabusus geäußert, was vom Kläger und seiner Ehefrau verneint wurde. Nach
fremdanamnestischen Angaben habe der Kläger bei der Arbeit einen (ersten)
generalisierten Krampfanfall erlitten, es bestehe eine retrograde Amnesie für das zum
Sturz führende Ereignis (siehe Arztbriefe des U.krankenhauses B vom 14. Mai 2002 und
der D-Kliniken K vom 23. Mai 2002).
Am 21. Mai 2002 gab der Kläger gegenüber dem Durchgangsarzt (DA) Dr. P an, er sei
am Unfalltag auf dem Hof des Betriebes beim Schieben eines Wäschecontainers in eine
Vertiefung getreten und gestürzt (DA-Bericht vom 22. Mai 2002), und gegenüber der
Augenärztin Dipl.-Med. S, er habe einen Abfallwagen auf den Hof gebracht und sei dabei
im Hinterhof des Betriebes gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen (Arztbericht vom
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im Hinterhof des Betriebes gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen (Arztbericht vom
04. Juni 2002). Im Fragebogen der AOK, vom Kläger ausgefüllt am 29. Mai 2002, heißt es
„Herr H ist beim Transport eines Containers aus ungeklärter Ursache in sich
zusammengefallen. Er schlug mit dem Kopf auf dem Fußboden auf…“.
Im Unfallfragebogen vom 18. Juni 2002 gab der Kläger an, er habe kurz vor Feierabend
den Abfallcontainer entleeren wollen, sei mit dem Container über eine Unebenheit
gefallen und mit dem Kopf auf dem Fußboden aufgeschlagen und habe sich eine stark
blutende Kopfplatzwunde links zugezogen.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Chefarzt der Unfallchirurgischen Klinik der D-
Kliniken, PD Dr. W, mit, der Kläger sei mit dem Rettungswagen gebracht worden,
nachdem er – laut Angaben der Feuerwehr – während der Arbeit einen generalisierten
Krampfanfall erlitten habe und auf den Schädel gefallen sei. Einen erneuten Krampfanfall
habe er in der Rettungsstelle kurz nach der Einlieferung erlitten (Schreiben vom 15. Juli
2002). Der vom Kläger als Zeuge benannte Arbeitskollege P G gab an, er habe nicht
gesehen, dass der Kläger vor dem Sturz auf den Boden einen epileptischen Anfall oder
Ohnmachtsanfall erlitten habe, er habe aber gesehen, dass sich der Kläger gekrümmt
habe und dann vorwärts auf den Boden gefallen sei (schriftliche Auskunft vom 03.
August 2003). Die Beklagte holte des Weiteren ein Vorerkrankungsverzeichnis der A B
vom 05. Juni 2002 (u. a. Arbeitsunfähigkeit vom 08. bis zum 26. Januar 2001 wegen
Störungen durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom), eine Auskunft des Zentrums für
ambulante Rehabilitation (ZAR) über die ambulante Behandlung des Klägers vom 03. Juli
bis zum 06. August 2002 mit Hinweisen auf möglichen Alkoholmissbrauch und
alkoholischen Mundgeruch bei der Entlassungsuntersuchung sowie einen Bericht der
Nervenärztin, Psychotherapeutin Dipl.-Med. F vom 21. August 2002 (Vorstellung des
Klägers am 15. April 2002 im Rahmen einer beruflichen Konfliktsituation, die zu einer
reaktiven Depression geführt habe) ein.
Der Kläger selbst teilte mit Schreiben vom 17. Juli 2002 ergänzend mit, er habe sich bei
dem Sturz mit dem Abfallcontainer eine stark blutende Platzwunde am Kopf zugezogen
und erst dann gekrampft. Die Angaben des Arztes aus den D-Kliniken K seien nicht
zutreffend, er habe noch nie einen epileptischen Anfall gehabt. Wie seiner Ehefrau
mitgeteilt worden sei, sei der Zeuge P G erst dazu gekommen, als er schon am Boden
gelegen habe und der Zeuge F R habe es aus etlichen Metern Entfernung gesehen.
Am 08. September 2002 fand eine Begehung des Betriebsgeländes nebst Befragung
des Zeugen G durch den technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten, Herrn G im
Beisein von Betriebsangehörigen und der Ehefrau des Klägers statt. In seinem Bericht
vom gleichen Tage führte Herr G aus, die Angaben des Klägers hätten nur insoweit
bestätigt werden können, dass sich der Unfall auf dem Weg zum Betriebshof in der
Betriebshalle (Schwarzbereich) neben der Sortieranlage für Hotelwäsche ereignet habe.
Die weiteren Angaben des Klägers beruhten seines Erachtens überwiegend auf
Schilderungen von dritten Personen aus einem Gespräch zwischen der Ehefrau, einem
Zeugen des Gesprächs (Herr G) und Frau B einen Tag nach dem Unfall im Betrieb. Der
Zeuge G habe keine eindeutigen Aussagen zum Eintritt bzw. zur Ursache des
Unfallereignisses machen können, habe aber den finalen Verlauf des Unfallereignisses
beobachtet und angegeben, der Verletzten sei in sich zusammengesunken, mit dem
Kopf aufgeschlagen und überwiegend auf dem Rücken vor dem Wäschecontainer liegen
geblieben. Bei seiner Begehung habe er am Unfallort keine Bodenunebenheiten in Form
einer Kante, einer Bodenerhebung bzw. –vertiefung oder einer Schräge feststellen
können; es finde sich lediglich eine Abwasserrinne aus Metall, die ebenerdig in den
Boden eingelassen sei. Der Boden sei eben und nicht rutschig gewesen. Der Verletzte
habe festes Schuhwerk getragen. Ein weiterer Arbeitskollege, Herr R der derzeit in
Urlaub sei, habe an der Aufgabestation zur Taktwaschanlage 2 gestanden und sei damit
weiter weg als der Zeuge G gewesen. Dem Bericht lag eine entsprechende Skizze des
fraglichen Betriebsbereichs mit dem Weg des Klägers und dem Standort der Zeugen bei,
des Weiteren wurde die Stelle durch Fotoaufnahmen dokumentiert.
Mit Bescheid vom 01. Oktober 2002, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 19.
Dezember 2002, lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des
Ereignisses vom 13. Mai 2002 ab, weil das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht sicher
festgestellt werden könne. Zwar gebe der Kläger an, er sei über eine Unebenheit
gestolpert und mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen. Demgegenüber gebe der
Arbeitgeber an, der Kläger sei beim Transport eines Containers aus ungeklärter Ursache
in sich zusammengesunken. Im Entlassungsbrief des D-Kliniken K vom 23. Mai 2002
werde als Unfallursache ein epileptischer Anfall mitgeteilt. Nach dem Bericht des PD Dr.
W (D-Kliniken K) vom 15. Juli 2002 habe der Kläger während der Arbeit – laut Angaben
der Feuerwehr – einen generalisierten Krampfanfall erlitten und sei auf den Schädel
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der Feuerwehr – einen generalisierten Krampfanfall erlitten und sei auf den Schädel
gefallen, in der Rettungsstelle habe er kurz nach der Aufnahme einen weiteren
Krampfanfall erlitten. Bei der Befragung am Unfallort hätten weder der Kläger noch der
Zeuge G eindeutige Aussagen zum Eintritt bzw. zur Ursache des Sturzes machen
können. Die Ermittlungen hätten keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Sturz auf eine
äußere Ursache (Bodenunebenheit) zurückzuführen sei. Unter Berücksichtigung der
medizinischen Unterlagen bestehe vielmehr die Möglichkeit, dass die Krampfanfälle ihre
Erklärung in einer unfallfremden Krankheitsanlage des Klägers hätten. So seien im
Vorerkrankungsregister Störungen durch Alkohol/Abhängigkeitssyndrom, Psychoneurose
und eine depressive Neurose dokumentiert, wobei letztere Diagnose eine
Arbeitsunfähigkeit vom 10. April bis zum 10. Mai 2002 verursacht habe, also bis kurz vor
dem angeschuldigten Ereignis.
Mit seiner hiergegen bei dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat der Kläger
sein Begehren auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung weiterverfolgt und vorgetragen, es handele sich um einen echten
Arbeitsunfall. Er habe kurz vor Dienstschluss einen Abfallcontainer wegbringen wollen,
um ihn auf dem Hof zu entleeren, wobei der Container auf eine Unebenheit gefahren
und er mit dem gesamten Container zum Sturz gekommen sei. Der Container sei mit
Pappe voll geladen gewesen, er sei etwa 1,8 Meter hoch, 1,0 Meter lang und 0,5 Meter
breit, habe kleine Räder, die sich verhakeln könnten. Im Boden gebe es eine
Abflussrinne, auf der ein schmaler Metallrost gelegen habe. Ob sich die Räder verhakt
hätten, wisse er nicht. Der Arztbrief des Dr. H vom 10. Juni 2002 über die Diagnose
„Symptomatischer Krampfanfall mit Sturz“ stütze sich auf fremdanamnestische
Angaben. Vor dem Sturz habe er sich normal wohl gefühlt und nie vorher irgendwelche
Krampfanfälle gehabt.
Das SG hat eine Auskunft des PD Dr. W (D-Kliniken K) vom 02. Januar 2004 und
Befundberichte (BB) der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 06. Januar 2004
(tagesklinische Behandlung vom 08. bis zum 26. Januar 2001 im Krankenhaus H wegen
Entzugssyndrom bei Delta-Alkoholismus, depressiver Verstimmung, alkoholtoxische
Hepatose), des Facharztes für Chirurgie S vom 06. Januar 2004, des Arztes für
Allgemeinmedizin W vom 08. Februar 2004 (u. a. Behandlung wegen Kollaps auf der
Arbeit bei Infekt am 04. Februar 2002) und der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie F
vom 26. März 2004 eingeholt sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers mit dem
Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G vom 08. Januar 2004 beigezogen.
Des Weiteren hat das SG die Arbeitskollegen des Klägers P G und F R als Zeugen
vernommen.
Der Zeuge G hat angegeben, der Kläger habe neben dem Abfallcontainer gestanden,
etwa mit dem Rücken zum Container, und habe den Container in dem Moment nicht
geschoben. Der Kläger habe krumm dagestanden und habe dann einen Kopfsprung
nach vorn gemacht und er – der Zeuge – habe ihn dann in die stabile Seitenlage
gebracht, bis die Feuerwehr gekommen sei. Der Container habe gestanden und sei nicht
umgefallen. Die Container hätten vier Räder, es sei schon vorgekommen, dass die
Container kaputt gewesen seien. Der Boden sei eben gewesen, es sei eine Abflussrinne
vorhanden, auf die Metallgitter aufgeschraubt seien.
Der Zeuge R hat angegeben, der Kläger habe den Container mit Müll rausfahren wollen,
dabei sei er falsch herum gegangen und habe sich so komisch verkrampft, habe dann
eine Rolle gemacht, wie einen „Köpper“ nach hinten und einen Laut von sich gegeben,
als wenn ein Hirsch röhre, dabei die Arme gehoben, als ob er Schwung nehme. Es habe
dann richtig gekracht und er habe am Kopf geblutet. Der Container sei nicht umgefallen.
Mit Urteil vom 28. April 2005 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der
Kläger habe keinen Anspruch auf Heilbehandlung, Verletztengeld oder Verletztenrente
wegen der Folgen des Ereignisses vom 13. Mai 2002, denn es sei keine äußere
Einwirkung im Sinne eines Arbeitsunfalls nachgewiesen, die in einem rechtlich
wesentlichen inneren Zusammenhang mit den bei dem Sturz erlittenen Verletzungen
am Kopf stünden. Nach dem Ergebnis der Beweiserhebung sei der vom Kläger
behauptete Unfallhergang – Sturz mit dem Container nach vorn – nicht nachgewiesen.
Im Gegenteil sei durch die Aussagen der Zeugen G und R bewiesen, dass sich der Kläger
ohne erkennbare äußere Einwirkung verkrampft bzw. krumm dagestanden und eine Art
Kopfsprung gemacht habe. Beide Zeugen hätten das Kerngeschehen übereinstimmend
geschildert und hätten angegeben, der Sturz des Klägers habe sich nicht unmittelbar
beim Schieben des Containers ereignet, sondern es habe eine Zäsur davor gegeben.
Der Kläger habe unmittelbar vor dem Sturz gestanden (Aussage G) bzw. habe den
Container losgelassen (Aussage R). Beide Zeugen hätten auch übereinstimmend
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Container losgelassen (Aussage R). Beide Zeugen hätten auch übereinstimmend
ausgesagt, der Kläger habe sich verkrampft bzw. krumm dagestanden und einen
„Kopfsprung“ bzw. „Roller“ gemacht, sie hätten also eine ausgefallene Einzelheit, ein so
genanntes originelles Detail, das ein gewichtiges Indiz für die Glaubhaftigkeit der
Aussage sei, geschildert. Ob der „Kopfsprung“ bzw. „Roller“ nun nach vorn oder nach
hinten erfolgt sei, sei demgegenüber nicht erheblich. Auch hätten beide Zeugen
übereinstimmend ausgesagt, dass der vom Kläger geschobene Container nicht
umgestürzt sei. Soweit der Kläger demgegenüber angebe, der Container sei auf eine
Unebenheit gefahren und er sei mit dem Container zum Sturz gekommen, stehe diese
Aussage im Widerspruch zu den glaubhaften Aussagen der beiden Zeugen. Im
Entlassungsbericht der D-Kliniken K werde ausgeführt, dass bei dem Kläger eine
retrograde Amnesie für das zum Sturz führende Ereignis bestanden habe. Auch sei nicht
plausibel, aus welchen Gründen der Container gestürzt sein solle. Insbesondere sei nicht
erwiesen, dass sich die (beweglichen) Räder des Containers in der Abflussrinne oder
anderswo verkantet hätten. Nach dem Bericht des technischen Aufsichtsbeamten
hätten am Unfallort keine Bodenunebenheiten festgestellt werden können. Betrieblich
bedingte körperliche Belastungen hätten den Eintritt des Körperschadens nicht rechtlich
wesentlich mitbestimmt. Der grundsätzlich versicherten betrieblichen Tätigkeit
(Schieben des Containers) komme keinerlei Stellenwert für das zu der Kopfverletzung
führende Geschehen zu. Vielmehr sei der „Kopfsprung“ bzw. „Roller“ aus innerer
Ursache erfolgt. Im Entlassungsbericht der D-Kliniken K werde ein Verdacht auf Zustand
nach Erstmanifestation von Krampfanfällen diagnostiziert. Es seien keinerlei betriebliche
Umstände nachgewiesen, welche als rechtlich wesentliche Mitursache für den
„Kopfsprung“ in Frage kämen.
Mit der Berufung hält der Kläger an seinem Begehren auf Gewährung von
Entschädigungsleistungen wegen der Folgen des Sturzes vom 13. Mai 2002 fest. Die
Beklagte habe nicht genau genug ermittelt, der Unfall sei nicht nachgestellt, der
Unfallcontainer sei nicht auf Defekte, der genaue Unfallort sei nicht festgestellt und
untersucht worden. Der Zeuge G habe den genauen Unfallhergang nicht gesehen, er
und der Zeuge R seien erst nach seiner Schicht eingesetzt gewesen und hätten erst
kurz vor seinem Schichtende die sehr große Halle betreten. Die Zeugen seien nicht in
der direkten Nähe des Unfallortes und des Unfallgeschehens gewesen. Es könne nicht
zutreffen, dass er aus ungeklärter Ursache in sich zusammengesunken und mit dem
Kopf auf den Fußboden aufgeschlagen sei, da er sich eine Schädelfraktur auf der oberen
linken Schädelseite zugezogen habe; wäre er lediglich in sich zusammengesunken, hätte
diese Verletzung nie entstehen können. Auch hätten die Zeugen G und R sich in
Widersprüche verwickelt (Kopfsprung nach vorn und „Köpper“ nach hinten), ferner
würden ihre Angaben keinesfalls einen Krampfanfall belegen. Der Hinweis des Zeugen R,
er habe sich komisch verkrampft, sei unglaubwürdig, da der Unfall sich in
Sekundenschnelle abgespielt habe und die Entfernung zwischen dem Standort des
Zeugen zum Unfallort mindestens 30 bis 40 Meter betrage habe. Auch sei nicht
erklärbar, wie eine Person, die gerade einen Krampfanfall erleide, einen „Köpper“ oder
einen Kopfsprung machen und dabei die Arme heben solle. Vielmehr habe er den
Unfallhergang plausibel dargestellt, indem er zügig einen schweren Container auf vier
Rädern aus der Halle geschoben habe und es plötzlich nicht mehr weiter gegangen sei,
so dass er auf Grund des Schwunges zum Sturz gekommen sei. Möglicherweise habe er
dabei kurz die Arme gehoben um sich abzufangen, sei nach vorne gestolpert, so dass es
fast wie ein Sprung ausgesehen habe. Im Bericht des technischen Aufsichtsbeamten
seien der Zustand des Containers (defekte Räder) und der Zustand des Metallgitters
über der Abflussrinne unerwähnt geblieben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2005 und den Bescheid vom 01.
Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2002
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 13. Mai 2002 als
Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass ein Krampfanfall Ursache des Sturzes und damit
der Verletzungen des Klägers gewesen sei
Der Senat hat den Facharzt für Neurologie Prof. Dr. P M mit der Erstellung eines
Sachverständigengutachtens beauftragt, der nach Untersuchung des Klägers am 11.
Dezember 2007 und nach dem am 18. Januar 2008 abgeleiteten EEG folgende
Gesundheitsstörungen festgestellt hat:
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- Alkoholkrankheit (F10.2) mit abgelaufenem Delir (F10.4),
- epileptisches Anfallsleiden (G40.6) und
- organisches Psychosyndrom (F07.2), vorwiegend durch das Schädel-Hirn-Trauma mit
multiplen Hirnkontusionen (S06.2) und abgeheilter traumatischer Subarachnoidalblutung
(S06.6) und ebenfalls abgeheilter traumatischer Subduralblutung (S06.5) bedingt,
verstärkt durch alkoholbedingte Hirnschädigung.
Der Sachverständige hat ausgeführt, die Gesundheitsstörungen seien nicht ursächlich
durch das Ereignis vom 13. Mai 2002 verursacht worden, sondern insgesamt durch einen
chronischen Alkoholmissbrauch und die dadurch bedingten Hirnschäden. Dies gelte auch
für die traumatisch bedingten Hirnschäden, die Folgen eines durch den
Alkoholmissbrauch verursachten Krampfanfalls und dadurch bedingten Sturz seien. Die
Zeugen G und R hätten, wenn auch im Detail mit unterschiedlichen Angaben, ohne
Zweifel den Ablauf eines aus innerer Ursache erfolgten Krampfanfalls geschildert,
nämlich eine krampfhafte Veränderung der Körperhaltung und der Körperstellung, sowie
ein Hinstürzen, das nicht einem Fallen nach einem Stolperereignis oder Ähnlichem
gleiche. Besonders bedeutsam sei, dass der Zeuge R einen Schrei „wie ein röhrender
Hirsch“ gehört habe, ein derartiger Schrei sei sehr charakteristisch für einen Initialschrei
bei einem epileptischen Krampfanfall. Medizinisch gebe es keinen vernünftigen Zweifel
daran, dass ein epileptischer Krampfanfall Ursache des Sturzes gewesen sei. Eine
kardiovaskuläre Ursache sei im höchsten Maße unwahrscheinlich, da man dabei
üblicherweise in sich zusammenfalle und nicht steif nach irgendeiner Seite. Für einen
epileptischen Anfall spreche zudem die Schwere der bei dem Sturz erlittenen
Verletzungen. Bei einem Sturz wegen Stolperns stünden dem Menschen reflexartige
Schutzbewegungen zur Verfügung, die den Kopf bei Stürzen auf ebene Erde meist vor
schwersten Verletzungen bewahren könnten. Dagegen komme es bei einem
epileptischen Anfall in der Anfangsphase, wenn der Betroffene noch stehe, zu einer
tonischen Verkrampfung des Körpers. Der Patient stürze dann mit steifer Körperhaltung
reflexlos um und könne dabei sehr heftig mit dem Kopf aufschlagen. Eine derartige
tonische Verkrampfung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit der Hintergrund für die von den
Zeugen bemerkten Auffälligkeiten beim Sturz, die der Zeuge G mit „Kopfsprung nach
vorn“ und der Zeuge R mit „Köpper nach hinten“ beschrieben habe. Schließlich sei auch
das von dem Kläger für den nächsten Tag angegebene Gefühl eines Muskelkaters für
einen Krampfanfall sehr charakteristisch, denn die heftige Innervation der Muskulatur
führe zu Mikroverletzungen in der Muskulatur, wie sie auch nach einem intensiven
Training vorkämen. Ein derartiges Muskelkatergefühl sei als Folge eines Sturzes nicht
erklärbar. Der Krampfanfall, dem nach der Aufnahme in die D-Kliniken K eine zweiter
gefolgt sei, stehe in einem Kausalbezug zum Alkoholmissbrauch und sei als
Entzugskrampf zu verstehen. Hierfür sprächen auch die mehrfach abgeleiteten EEG´s.
Charakteristisch für einen Alkoholentzugskrampf bzw. eine Alkoholepilepsie sei auch,
dass es im anfallsfreien Intervall keine EEG-Veränderungen gebe. Nach den
medizinischen Unterlagen liege beim Kläger seit vielen Jahren ein zunächst von ihm
abgestrittener erheblicher Alkoholabusus vor, welcher bereits im Jahr 2001 zu einem
protrahierten Entzugssyndrom geführt habe (Gutachten vom 27. Januar 2008).
Der Kläger hat sich zu dem Gutachten von Prof. Dr. M dahingehend geäußert, dass
dieser sein Gutachten auf unrichtige Tatsachenfeststellungen gründe. Die Feuerwehr
habe nur Vermutungen über das Unfallereignis angestellt, der Zeuge G habe ausgesagt,
er habe den Unfall gar nicht gesehen und der Zeuge R habe viel zu weit weg gestanden.
Bei der Diagnose der erstbehandelnden Klinik – Krampfanfall mit Sturz – handele es sich
um eine aus der Luft gegriffene Annahme des behandelnden Arztes, da Ärzte und
medizinisches Personal erst nach dem Sturz vor Ort gewesen seien.
Der Sachverständige hat hierzu unter dem 20. Mai 2008 Stellung genommen und ist bei
seiner Beurteilung geblieben.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 15. Juli 2008 zu seiner Absicht, durch
Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden, angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten die form- und fristgerecht eingelegte
Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie
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Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie
einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Dem Kläger steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, ein Anspruch gegen die
Beklagte auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung wegen des Ereignisses vom 13. Mai 2002 nicht zu.
Die Gewährung von Entschädigungsleistungen in Form von Verletztengeld (§§ 45 ff
Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]), Verletztenrente (§§ 56 ff SGB VII) und
Heilbehandlung (§§ 26, 27 SGB VII) setzt einen Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1
SGB VII voraus. Ein Arbeitsunfall ist nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ein Unfall infolge einer
den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit
(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper
einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden (Gesundheitserstschaden)
führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).
Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des
Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw.
sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von
außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat
(Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den
Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen
von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens
(haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines
Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom
04. September 2007 - B 2 U 28/06 R -, m. w. N., in Juris).
Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme
derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende
und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier
typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR
2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des
Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg;
die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwischenglieder.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den
Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit
genügt nicht. Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung
des Versicherungsschutztatbestands nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der
versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als
Unfallmerkmale.
Das Ereignis vom 13. Mai 2002 stellt keinen Arbeitsunfall dar, da nicht alle der zuvor
genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII
versichert, die von ihm gegen Ende seiner Arbeitsschicht vorgenommene Verrichtung –
Schieben eines mit Pappe und Altpapier beladenen Rollcontainers durch die
Betriebshalle – ist der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Durch den Sturz hat er auch
einen Unfall erlitten. Das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis liegt nicht nur
bei einem besonderes ungewöhnlichen Geschehen, sondern auch bei einem alltäglichen
Vorgang, wie das Stolpern über die eigenen Füße oder das Aufschlagen auf den Boden
vor, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (BSG, Urteile vom 30.
Januar 2007 – B 2 U 23/05 R – und 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 -, m. w. N., jeweils in
Juris). Infolge des Sturzes hat der Kläger auch eine Kopfverletzung und damit einen
Gesundheitserstschaden erlitten.
Es fehlt jedoch an der Unfallkausalität, d. h. der Kausalität zwischen der mit der
versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des
Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen
Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der
wesentlichen Bedingung (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 -, m. w. N., a.
a. O.).
Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende
Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als
Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht
hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non).
Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für
einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die
Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg
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Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg
verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den
anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (vgl. Urteil des BSG vom 09.
Mai 2006 – B 2 U 1/07 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Da Verschulden bei der Prüfung
eines Versicherungsfalles in der gesetzlichen Unfallversicherung unbeachtlich ist, weil
verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt ( § 7 Abs. 2 SGB VII),
erfolgt im Sozialrecht diese Unterscheidung und Zurechnung nach der Theorie der
wesentlichen Bedingung. Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche
Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen
Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungsamt, AN 1912, S
930 f; übernommen vom BSG in BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; stRspr vgl. u. a.
Urteile des BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, sowie
vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, a. a. O.). Welche Ursache wesentlich ist und welche
nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung
der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai
2006 – B 2 U 1/05 R -, a. a. O.).
Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der vorgenommenen Verrichtung –
Schieben eines mit Pappe und Altpapier beladenen Rollcontainers durch die
Betriebshalle – und dem Sturz des Klägers kann hier einen Kausalzusammenhang im
Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht begründen. Sonstige Indizien für
einen durch den Schiebevorgang ausgelösten Sturz liegen nicht vor. Weder sind ein
Defekt des Rollcontainers, ein Verhaken der Rollen beim Schieben, ein Kippvorgang oder
Ähnliches, noch ein Vertreten oder Stolpern des Klägers belegt. Seine – wechselnden -
Schilderungen zum Unfallhergang (Treten in eine Vertiefung, Verhaken der Räder des
Rollcontainers in der Abwasserrinne, Umkippen des Containers….) haben sich nicht
erweisen lassen. Bodenunebenheiten im Unfallbereich in Form einer Kante, einer
Bodenerhebung bzw. –vertiefung oder einer Schräge wie auch eine Rutschigkeit des
Bodens waren bei der Besichtigung des Unfallbetriebes durch den Technischen
Aufsichtsbeamten G am 08. September 2002 nicht feststellbar und sind auch in den
hierbei gefertigten Fotos nicht zu erkennen. Der Kläger trug bei der Arbeit festes
Schuhwerk. Nach der von dem Technischen Aufsichtsbeamten G am 08. September
2002 angefertigten Skizze wie auch der Skizze, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung des SG war, befanden sich zum Zeitpunkt des Sturzes weder der Kläger
noch der Rollcontainer auf oder an der ebenerdig im Boden eingelassenen
Abwasserrinne aus Metall. Zeugen, die eventuelle Schwierigkeiten des Klägers beim
Manövrieren des Rollcontainers oder ein Stolpern bzw. Vertreten beobachtet haben
könnten, existieren nicht. Vielmehr haben die einzigen Zeugen, die den Sturz gesehen
haben, d. h. die Arbeitskollegen G und R, übereinstimmend angegeben, dass der Kläger
unmittelbar vor dem Sturz keinen Kontakt zum Rollcontainer gehabt habe und der
Container auch nicht umgekippt sei.
Der Senat legt - wie bereits das SG - seiner Beurteilung des Sachverhaltes vor allem die
Angaben der vom SG angehörten Zeugen G und R zugrunde. Anhaltspunkte, die Zweifel
der Glaubwürdigkeit der Zeugen begründen könnten, lassen sich weder aus dem
Vernehmungsprotokoll des SG, noch aus den Akten oder dem Vortrag des Klägers
entnehmen. Wie das SG zutreffend anhand der Lehre von der Vernehmungspsychologie
im Hinblick auf die Qualitätsmerkmale der Aussagen und die Einordnung gewisser
Unstimmigkeiten auseinander gesetzt hat, sind die im Kernbereich übereinstimmenden
Schilderungen der Zeugen glaubhaft. Auch wenn sie nicht den gesamten Ablauf –
Beladen des Abfallcontainers und Schieben durch die Betriebshalle – beobachtet haben,
so konnten sie jedoch von ihrem jeweiligen Standpunkt aus das unmittelbar dem Sturz
vorausgehende Geschehen erfassen. Dagegen vermochte der Senat es nicht, seine
Entscheidungsfindung auf die – wechselnden – Schilderungen des Klägers zum
Unfallhergang zu stützen. Schließlich litt dieser nach den Angaben der behandelnden
Ärzte auf Grund der Schädelverletzungen an einer retrograden Amnesie und konnte sich
an den genauen Ablauf des Sturzes nicht erinnern. Wie der Sachverständige Prof. Dr. M
überzeugend dargelegt hat, handelt es sich bei den widersprüchlichen Schilderungen
des Klägers zum Hergang des Sturzes um eine bei retrograden Amnesien dieser
Ausprägung typische Konfabulation, d. h. von aus Schilderungen anderer entwickelter
Vorstellungen und retrospektiver Kausalisierung.
Für den Senat steht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 SGG),
insbesondere den Aussagen der Zeugen G und R und dem Gutachten des
medizinischen Sachverständigen, des Facharztes für Neurologie Prof. Dr. M, vom 27.
Januar 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 20. Mai 2008 fest, dass der Kläger
am 13. Mai 2002 gegen 14:00 einen (ersten) generalisierten Krampfanfall mit Sturz
erlitten hat. Der Senat hat keine Zweifel, dass die Feststellungen und
Schlussfolgerungen des Sachverständigen zutreffen. Diese basieren auf einer eigenen
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Schlussfolgerungen des Sachverständigen zutreffen. Diese basieren auf einer eigenen
Untersuchung des Klägers sowie einer sorgfältigen Auswertung der in den Akten
enthaltenen medizinischen Unterlagen und Zeugenaussagen und berücksichtigen den
aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Insbesondere hat sich der
Sachverständige eingehend mit den Aussagen der Zeugen G und R auseinandergesetzt
und aus medizinischer Sicht bestätigt, dass sie ohne Zweifel den Ablauf eines den Sturz
verursachenden Krampfanfalls geschildert haben, nämlich eine krampfhafte
Veränderung der Körperhaltung und der Körperstellung sowie ein Hinstürzen, das nicht
einem Fallen nach einem Stolperereignis oder Ähnlichem gleicht. Trotz mancher
Abweichung im Detail und trotz des Umstandes, dass der Zeuge R in größerer
Entfernung gestanden hat, kommt nach den Darlegungen des Sachverständigen dem
Umstand, dass der Zeuge einen Schrei des Klägers „wie ein röhrender Hirsch“ gehört
hat, besondere Bedeutung zu. Ein derartiger Schrei ist sehr charakteristisch für einen
Initialschrei bei einem epileptischen Krampfanfall. Hinzu kommt, worauf der Prof. Dr. M
explizit hinweist, dass die Schwere der bei dem Sturz erlittenen Verletzungen gegen
einen Sturz wegen Stolperns sprechen, denn in einem derartigen Fall stehen dem
Menschen reflexartige Schutzbewegungen zur Verfügung, die den Kopf bei Stürzen auf
ebene Erde vor schwersten Verletzungen bewahren können. Bei einem epileptischen
Anfall kommt es dagegen in der Anfangsphase, wenn der Betroffene noch steht, zu einer
tonischen Verkrampfung des Körpers. Der Patient stürzt dann mit steifer Körperhaltung
reflexlos um und kann dabei sehr heftig mit dem Kopf aufschlagen. Eine derartige
tonische Verkrampfung ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Hintergrund für die von
den Zeugen bemerkten Auffälligkeiten beim Sturz des Klägers, die der Zeuge G mit
„Kopfsprung nach vorn“ und der Zeuge R mit „Köpper nach hinten“ beschrieben haben.
Schließlich ist auch das vom Kläger für den Tag nach dem Sturz angegebene Gefühl
eines Muskelkaters für einen Krampfanfall sehr charakteristisch, denn die heftige
Innervation der Muskulatur führt zu Mikroverletzungen in der Muskulatur, wie sie auch
nach einem intensiven Training vorkommen. Ein derartiges Muskelkatergefühl ist als
Folge eines Sturzes nicht erklärbar. Demzufolge sprechen hier alle Aspekte dafür, dass
der Kläger einen epileptischen Anfall erlitt und infolgedessen stürzte und nicht – wie er
vorträgt – erst stolperte und stürzte und dann wegen der Schwere der Kopfverletzungen
einen epileptischen Anfall erlitt.
Für den am 13. Mai 2002 zum Sturz des Klägers führenden Krampfanfall sind äußere
Ursachen nicht erkennbar. Vielmehr stützen die Feststellungen des Facharztes für
Neurologie Prof. Dr. M in seinem Gutachten vom 27. Januar 2008 die Annahme, dass der
Krampfanfall Ausdruck einer Alkoholentzugssymptomatik war. Wie schon im Rahmen der
tagesklinischen Behandlung im Krankenhaus H im Jahre 2001 festgestellt wurde, litt der
Kläger schon vor dem Sturz an einem Delta-Alkoholismus (Alkoholkrankheit mit
Abhängigkeit und Abstinenzunfähigkeit) mit alkoholtoxischer Hepatose. Auch später
waren wiederholt stationäre Behandlungen erforderlich, u. a. vom 23. Dezember 2003
bis zum 02. Januar 2004 wegen eines Alkoholentzugssyndroms bei Alkoholabhängigkeit
und mit generalisiertem Krampfanfall (siehe Arzt-Kurzbericht des V Krankenhaus H vom
02. Januar 2004). Der jahrelange chronische Alkoholmissbrauch hatte bereits im Jahr
2001 zu einem behandlungsbedürftigen protrahierten Entzugssyndrom und
möglicherweise auch schon zu einem früheren Anfall („Kollaps“ am Arbeitsplatz am 04.
Februar 2002) geführt. Bei der initialen Laboruntersuchung nach der Aufnahme in den D-
Kliniken K am 13. Mai 2002 wurden GammaGT und ALAT (zwei Leberenzyme, die u. a. bei
Alkoholismus erhöht sind) erhöht gefunden. Die im Anschluss an den Sturz mehrfach
abgeleiteten EEG’s sprechen ebenfalls dafür, dass die am 13. Mai 2002 erlittenen
Krampfanfälle durch den Alkoholmissbrauch verursacht und als Entzugskrämpfe zu
verstehen sind, denn sie ergaben keinen Anhalt für einen epilepsiespezifischen Fokus
bzw. Potentiale (siehe Berichte des U.krankenhaus B über die stationäre Behandlung
vom 27. Mai bis zum 10. Juni 2002 und des ZAR über die ambulante Behandlung des
Klägers vom 03. Juli bis zum 06. August 2002). Charakteristisch für einen
Alkoholentzugskrampf bzw. eine Alkoholepilepsie ist, dass es im anfallsfreien Intervall
keine EEG-Veränderungen gibt. Eine kardiovaskuläre Ursache für den Sturz vermochte
der Sachverständige dagegen auszuschließen, da man dabei üblicherweise in sich
zusammenfalle und nicht steif nach irgendeiner Seite falle.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Sturz am 13. Mai 2002 und die dabei
erlittenen schweren Schädelverletzungen wesentlich durch eine innere Ursache –
Krampfanfall bei Alkoholentzugsyndrom - und nicht durch eine versicherte Tätigkeit –
Schieben eines Abfallcontainers – verursacht worden sind. Ansprüche auf
Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sind daher nicht
gegeben.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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