Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: heizung, datenbank, darlehen, wohnung, vermieter, untermiete, räumung, zwangsvollstreckung, unterlassen, selbsthilfe

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 5 AS 1325/10 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 5 S 1 SGB 2, § 22 Abs
5 S 2 SGB 2, § 22 Abs 5 S 4 SGB
2, § 2 SGB 2, § 3 Abs 3 S 1
Halbs 1 SGB 2
Arbeitslosengeld II - Darlehen bei Mietschulden -
Gerechtfertigkeitsprüfung - einstweiliger Rechtsschutz -
fehlender Anordnungsgrund
Leitsatz
Bei Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 9 Abs. 1 SGB II enthaltenen
Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige
grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat, kann
von einer gerechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede sein, wenn der
Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf
unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten ist, die Notlage für die
Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft
getilgt werden können.
Ein Anordnungsgrund kann im Falle der begehrten Mietschuldenübernahme grundsätzlich
erst ab der Ankündigung der Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung angenommen
werden.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
21. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die am 22. Juli 2010 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr am 25.
Juni 2010 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2010, mit dem
das Begehren, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
ihre Mietschulden in Höhe von 5.323,94 EUR zu übernehmen, zurückgewiesen worden
ist, hat keinen Erfolg.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die im Jahre 1957 geborene Antragstellerin,
die seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht und
deren wiederholter Antrag auf Übernahme der ausweislich einer Schuldenaufstellung des
Vermieters vom 27. April 2010 seit März 2009 entstandenen Mietschulden mit Bescheid
des Antragsgegners vom 6. Mai 2010 abgelehnt worden ist, hat weder einen
Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund – also ein eiliges Regelungsbedürfnis
– mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen
Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG], 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden §§ 7 Abs. 1
Satz 1, 19 Satz 1, 22 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sind nicht
erfüllt. Nach der zuletzt genannten Vorschrift sollen Schulden übernommen werden,
wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit droht, wobei
Geldleistungen zur Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II als Darlehen
erbracht werden sollen.
Dabei kann offen bleiben, ob eine drohende Wohnungslosigkeit bereits deswegen
ausgeschlossen ist, weil eine solche Situation wegen des entspannten
Wohnungsmarktes in Berlin nicht zu befürchten ist (vgl. Landessozialgericht Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2010, L 29 AS 2052/09 B ER, abrufbar bei der
Datenbank Juris). Jedenfalls ist die Mietschuldenübernahme hier nicht gerechtfertigt. Bei
Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 9 Abs. 1 SGB II enthaltenen
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Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 9 Abs. 1 SGB II enthaltenen
Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige
grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat,
kann von einer gerechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede
sein, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand
mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten
ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die
Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können (vgl. Landessozialgericht Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER, abrufbar bei der
Datenbank Juris).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die begehrte Mietschuldenübernahme
ausgeschlossen. Die Antragstellerin mietete die gegenwärtig bewohnte
Dreizimmerwohnung, die eine Wohnfläche von 74 Quadratmetern umfasst und für die
derzeit monatlich eine Bruttowarmmiete in Höhe von 498,- EUR zu entrichten ist, mit
Wirkung ab dem 15. April 2007 an, ohne vorher die Zustimmung des zuständigen
Leistungsträgers einzuholen. Seit dem 1. April 2010 bewohnt sie die Wohnung mit ihrer
pflegebedürftigen Mutter, deren Pflege sie seither selbst übernommen hat. Bei dieser
Sachlage kann die Antragstellerin die Schulden gemeinsam mit ihrer Mutter begleichen,
zumal die Mutter nach den Ausführungen der Antragstellerin zu einer Beteiligung an der
Schuldentilgung bereit ist und seit dem 1. Juli 2010 auch tatsächlich zu diesem Zweck
einen monatlichen Betrag in Höhe von 100,- EUR beiträgt. Die laufenden Aufwendungen
für Unterkunft und Heizung sind durch laufende Einnahmen gesichert. Der
Antragsgegner berücksichtigt derzeitig für die Antragstellerin Regelleistungen in Höhe
von 359,- EUR und die von ihm für angemessen gehaltenen Aufwendungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe von 378,- EUR. Die 1938 geborene Mutter entrichtet
eine monatliche Untermiete in Höhe von 108,- EUR. Soweit danach noch eine
Deckungslücke in Höhe von 12,- EUR hinsichtlich der Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung besteht (498,- EUR – 378,- EUR – 108,- EUR = 12,- EUR), kann die
Antragstellerin diesen Betrag aus den in den Regelleistungen enthaltenen Ansparbetrag
in Höhe von etwa 50,- EUR bezahlen. Die bestehenden Schulden können aus den
weiteren vorhandenen Einnahmen getilgt werden. Die Mutter der Antragstellerin verfügt
über monatliche Renteneinnahmen in einer Gesamthöhe von 751,04 EUR. Bei
Berücksichtigung eines nach dem Sozialhilferecht anzuerkennenden monatlichen
Regelsatzes von 359,- EUR (§ 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch [SGB XII] in
Verbindung mit § 1 Nr. 1 der Verordnung zur Festsetzung der Regelsätze nach dem
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch [Regelsatzfestsetzungsverordnung] vom 30. Juni 2009
[GVBl. S. 316]) und der Untermiete in Höhe von 108,- EUR (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII)
hat die Mutter einen Gesamtbedarf von 467,- EUR. Demnach verbleibt von ihren
Einnahmen nach Abzug des anzuerkennenden Gesamtbedarfes noch ein Betrag in Höhe
von 284,04 EUR, mit dem die Schulden abgetragen werden können. Zudem kann von
der Antragstellerin grundsätzlich erwartet werden, dass sie den verbleibenden
Ansparbetrag in Höhe von 38,- EUR (50,- EUR – 12,- EUR = 38,- EUR) für die
Schuldentilgung einsetzt. Unter Berücksichtigung dieser Mittel hat die Antragstellerin die
Möglichkeit, mit dem Vermieter im Rahmen des anhängigen Räumungsrechtsstreits eine
Abzahlungsvereinbarung unter Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses abzuschließen.
Einem Anordnungsgrund steht entgegen, dass die Räumung der Wohnung im Wege der
Zwangsvollstreckung hier noch nicht konkret angekündigt worden ist. Vor diesem
Zeitpunkt kann ein eiliges Regelungsbedürfnis grundsätzlich nicht angenommen werden,
da es der Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes dann noch nicht bedarf.
Denn der Hilfesuchende hat bis zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, den
Wohnungsverlust außergerichtlich dadurch abzuwenden, dass er seine umfassende
Selbsthilfepflicht aus § 2 SGB II erfüllt, indem er zum Beispiel versucht, mit dem
Vermieter eine Ratenzahlungsvereinbarung unter Aufrechterhaltung des Mietvertrages
zu schließen, indem er auch ohne eine solche Ratenzahlungsvereinbarung jedenfalls aus
dem in den Regelleistungen enthaltenen Ansparbetrag tatsächlich Raten erbringt,
insbesondere schließlich, indem er sich in dem gebotenen Umfang um eine Arbeit
bemüht, damit er die Mietschulden unter Einsatz des Arbeitsentgeltes abzahlen kann.
Der Senat übersieht dabei nicht, dass die Antragstellerin ausweislich eines Schreibens
des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Bezirksamts P von B vom 14. Juli 2009 an einer
chronischen psychischen Erkrankung und ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung des
Praktischen Arztes Dr. K vom 3. Dezember 2009 an einer Psoriasis leidet. Es bestehen
jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie gegenwärtig aus gesundheitlichen Gründen
ihren Selbsthilfepflichten nicht nachkommen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das
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Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das
Bundessozialgericht angefochten werden.
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