Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 04.03.2009

LSG Berlin-Brandenburg: versicherungspflicht, krankenversicherung, systematische auslegung, rehabilitation, sachleistung, öffentlich, bekanntmachung, leistungsfähigkeit, erwerbsfähigkeit, geldleistung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 KR 7/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 1 Nr 6 SGB 5, § 5 Abs 7
SGB 5, § 35 Abs 3 SGB 7, § 7 S
1 SGB 9, § 33 Abs 1 SGB 9
(Krankenversicherung - Versicherungspflicht - Rehabilitand -
Fachhochschulstudium - Berufsförderungsmaßnahme -
Förderung auf Zuschussbasis - Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben nach § 35 Abs 3 SGB 7)
Leitsatz
Auch Empfänger von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 35 Abs. 3 SGB VII
unterliegen der Versicherungspflicht der Rehabilitanden nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20.
Oktober 2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. April 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003 geändert. Es wird festgestellt, dass die
Klägerin in der Zeit vom 01. Dezember 2001 bis zum 30. November 2002 der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterlag.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben als Gesamtschuldner die
außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin in der Zeit vom 01. Dezember
2001 bis zum 30. November 2002 versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 6
Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) war.
Die 1963 geborene Klägerin kann seit einem im Oktober 1999 erlittenen Verkehrsunfall
ihren erlernten Beruf als Physiotherapeutin nicht mehr ausüben. Bis zum 30. November
2001 war sie durch den Bezug von Verletztengeld bei der Beklagten pflichtversichert.
Das von der Klägerin im Rahmen der beruflichen Neuorientierung gewählte
Fachhochschulstudium im Fach Sozialpädagogik überschritt nach Auffassung der
Beigeladenen zu 1) den im Gesetz für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA)
vorgesehenen Höchstzeitraum von zwei Jahren. Aufgrund dessen schloss sie mit der
Klägerin unter dem 21. Dezember 2001 einen Vertrag mit u. a. folgendem Inhalt:
1.Vertragsgegenstand
Vertragsgegenstand sind Leistungen für die von Frau H selbst gewählte
Berufsförderungsmaßnahme nach § 35 Abs. 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch -
Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII)
2. Leistungen
2.1. Die BGW fördert die unter 1. genannte Maßnahme (Teilförderung). Im Rahmen
der Teilförderung werden Kosten bis maximal einer fiktiven angemessenen Maßnahme
nach § 35 Abs. 1 SGB VII erstattet (Referenzmaßnahme).
Referenzmaßnahme:
Art der Maßnahme:
Umschulung zur Kauffrau für Grundstücks- und
Wohnungswirtschaft
Maßnahmestätte:
Fortbildungsakademie für Wirtschaft
Maßnahmeort:
Berlin
Maßnahmebeginn: 01.02.2002
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Maßnahmebeginn: 01.02.2002
Maßnahmedauer:
24 Monate
2.2. Die Kosten für die Referenzmaßnahme betragen 67.133,60 DM
(Höchstförderbetrag). Wegen der Berechnung dieses Höchstförderbetrages wird auf die
Anlage 1 zu diesem Vertrag verwiesen.
2.3. Bis zu diesem Höchstförderbetrag wird die BGW zahlen:
a) Für die Kosten der Lebenshaltung von insgesamt 56.160,00 DM (28.714,15 EUR)
und
Einzelnachweis
10.973,60 DM (5.610,71 EUR).
Auf die Anlage 2 zu diesem Vertrag wird verwiesen.
2.3.1 Der unter 2.3.a) genannte Gesamtbetrag für die Kosten der Lebenshaltung
wird auf 48 Monate verteilt. Vom 01.12.2001 bis 30.11.2005 ergibt sich ein
Auszahlungsbetrag von 1.170,00 DM (598,21 EUR).
Mit Bescheid vom 05. Februar 2002 bewilligte die Beigeladene zu 1) der Klägerin ferner
ab dem 01. Dezember 2001 auf unbestimmte Zeit Rente in Höhe von monatlich 714,20
Euro. Bereits am 4. Oktober 2001 hatte die Klägerin nach eigenen Angaben „die
Berufsförderungsmaßnahme zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben […] mit dem
Besuch einer Bibelschule als Vorbereitung auf die Einstufungsprüfung ins 3. Semester
des Studiums zum Sozialpädagogen“ begonnen und ab März 2002 „offiziell an der
′Werkstatt′ der FHP als Prüfungsvoraussetzung teilnehmen“ müssen. Mit
Zulassungsbescheid der Fachhochschule Potsdam (FHP) vom 25. September 2002
wurde die Klägerin zum Wintersemester 2002/2003 in das 3. Fachsemester im
Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik zugelassen.
Aufgrund einer entsprechenden Erklärung der Klägerin führte sie die Beklagte in der Zeit
vom 01. Dezember 2001 bis zum 30. November 2002 als freiwilliges Mitglied. Im
Rahmen eines die Beitragshöhe in diesem Zeitraum betreffenden
Widerspruchsverfahrens vertrat die Klägerin die Auffassung, sie sei aufgrund ihres
Fachhochschulstudiums nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V pflichtversichert. Mit Bescheid vom
10. April 2003 verneinte die Beklagte eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9
SGB V, da die Klägerin das 30. Lebensjahr bereits vollendet habe und keinen der im
Gesetz genannten Verlängerungstatbestände erfülle. Nachdem die Klägerin, die ab dem
01. Dezember 2002 bei der Beigeladenen zu 2) freiwillig versichert war, der Beklagten
daraufhin mitgeteilt hatte, sie halte auch nach dem Schreiben vom 10. April 2003 ihren
Widerspruch aufrecht, stellte die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 10. Juli
2003 u.a. fest, dass die Klägerin in ihrem „ab dem Wintersemester 2001/2002
aufgenommenen Studium nicht der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der
Studenten“ unterliege. Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Klägerin die Beklagte
u.a. verpflichtet sehen wollte, für sie „die Pflichtversicherung als Rehabilitandin gemäß §
5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V für die Zeit vom 01. Dezember 2001 bis zum 30. November 2002
durchzuführen“, wies das Sozialgericht Potsdam mit Urteil vom 20. Oktober 2005 ab, da
die Klägerin nicht Teilnehmerin an LTA im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V sei. Die
Teilförderung des von der Klägerin durchgeführten Studiums stelle wegen der
Überschreitung des in § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) genannten
Zweijahreszeitraums keine „echte“ LTA im Sinne von § 33 SGB IX i.V.m. § 35 Abs. 1 SGB
VII, sondern eine anderweitige Leistung dar. Darüber hinaus seien Leistungen zur
beruflichen Rehabilitation grundsätzlich als Sachleistungen zu gewähren, wozu die
Teilförderung seitens der Beigeladenen zu 1) nicht zähle. Im Übrigen sei für die Kammer
nicht nachvollziehbar, dass sich die Klägerin nun darauf beziehe, die Beigeladene zu 1)
hätte infolge der Versicherungspflicht Beiträge abführen müssen, obwohl ausweislich des
auch von der Klägerin geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages vom 21.
Dezember 2001 zu den zusätzlich erstattungsfähigen Leistungen auch die Beiträge zur
Kranken- und Pflegeversicherung gehörten.
Gegen dieses ihr am 17. November 2005 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der
Klägerin vom 13. Dezember 2005. Sie ist der Auffassung, auch die im Rahmen von § 35
Abs. 3 SGB VII geförderten Maßnahmen fielen noch in den Bereich der LTA. Hiervon gehe
ausweislich der amtlichen Begründung auch der Gesetzgeber aus. Mit der Dauer der von
ihr durchgeführten Maßnahme zu argumentieren, gehe fehl, da § 37 SGB IX länger als
zwei Jahre dauernde Maßnahmen nicht ausschließe. Auch eine höherwertige Maßnahme
im Sinne von § 35 Abs. 3 SGB VII bleibe eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Die von der Beigeladenen vorgenommene Differenzierung zwischen „echten“ und
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Die von der Beigeladenen vorgenommene Differenzierung zwischen „echten“ und
„anderen“ LTA könne weder dem Gesetz noch der hierzu ergangenen Rechtsprechung
noch den einschlägigen Kommentierungen entnommen werden. Sie sei aufgrund eines
Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungsrechtlich ohnehin nicht haltbar.
Es sei nicht einzusehen, warum derjenige Rehabilitand, der sich entsprechend seiner
Neigung für eine höherwertige Ausbildung entscheide, schlechter gestellt werden solle.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Oktober 2005 und den Bescheid der
Beklagten vom 10. April 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003
abzuändern und festzustellen, dass sie in der Zeit vom 1. Dezember 2001 bis zum 30.
November 2002 in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Die Beklagte schließt sich der Rechtsauffassung des Sozialgerichts sowie der beiden
Beigeladenen an.
Die Beigeladene zu 1) vertritt die Auffassung, die Teilförderung sei keine Sachleistung,
da der Versicherungsträger die Maßnahme nicht bewillige, sondern im Wege eines
Zuschusses lediglich eine vom Versicherten selbst gewählte Bildungsmaßnahme - zu
einem Teil - fördere. Der Versicherte beschaffe sich alle Leistungen selbst und erhalte für
seine Kosten und für seinen Lebensunterhalt einen Zuschuss. Durch die Förderung auf
Zuschussbasis verliere die Maßnahme ihren Charakter als eine vom
Unfallversicherungsträger gewährte LTA; bei der von der Klägerin gewählten
Qualifizierungsmaßnahme handele es sich um ein normales Studium. Da in der
Teilförderung eine „echte“ Leistung zur Teilhabe im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB VII nicht
vorliege, seien weder Übergangsgeld zu zahlen noch Beiträge zur Sozialversicherung
abzuführen. Dementsprechend sei schon im öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 21.
Dezember 2001 bei der Aufzählung der durch den maßnahmebedingten Fördertopf
abgedeckten bzw. bezuschussten Ausgaben ausdrücklich die studentische Kranken- und
Pflegeversicherung aufgeführt. § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V erfasse nach seinem Wortlaut nur
den Personenkreis, welcher im Rahmen einer Sachleistung zur Teilhabe am Arbeitsleben
an einer Maßnahme teilnehme. Die Teilförderung sei jedoch gerade keine Sachleistung.
Die Beigeladene zu 2) meint, eine vom Unfallversicherungsträger im Rahmen eines
öffentlich-rechtlichen Vertrages gewährte Ermessensleistung könne LTA nach den §§ 33
bis 38 SGB IX nicht gleichgestellt werden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens
der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten L 9 KR 7/08 und L 4 B 144/03 KR ER des
früheren Landessozialgerichts für das Land Brandenburg sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Senatsberatung
waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts und der Bescheid der
Beklagten vom 10. April 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003
sind insoweit aufzuheben, als sie die Versicherungspflicht der Klägerin in der
gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit vom 1. Dezember 2001 bis zum 30.
November 2002 verneint haben.
I. Streitgegenstand ist nur noch die Frage, ob die Klägerin in der Zeit vom 01. Dezember
2001 bis zum 30. November 2002 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung unterlag. Soweit die Klägerin sich im Klageverfahren auch gegen
die Höhe der von der Beklagten für denselben Zeitraum festgesetzten Beiträge in der
freiwilligen Krankenversicherung wandte und mit ihrem Berufungsantrag zunächst auch
die nur die Beitragshöhe betreffenden Bescheide der Beklagten vom 05. Dezember
2002, 06. Dezember 2002, 14. Januar 2003, 24. Januar 2003 - bei der Erwähnung eines
Bescheides vom 2 0 . Januar 2003 dürfte es sich um einen Tippfehler handeln - und vom
20. März 2003 begehrt, hielt sie hieran im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens
nicht mehr fest. Denn nach ihrem ausdrücklichen Vorbringen im die Berufung
begründenden Schriftsatz vom 13. April 2006 richtet sich die Berufung (nur) gegen die
verweigerte Feststellung einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V durch
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verweigerte Feststellung einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V durch
die Beklagte und das Sozialgericht.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte im noch angegriffenen
Bescheid vom 10. April 2003 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003)
lediglich eine Versicherungspflicht der Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V geprüft hat,
da es sich hierbei nur um ein Begründungselement innerhalb des o.g.
Streitgegenstandes handelt.
II. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V sind versicherungspflichtig Teilnehmer an Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben sowie an Abklärungen der beruflichen Eignung oder
Arbeitserprobung, es sei denn, die Maßnahmen werden nach den Vorschriften des
Bundesversorgungsgesetzes erbracht. Diese Vorschrift, die im Zuge der Einfügung des
Sozialgesetzbuches/Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -
(SGB IX) dessen Begrifflichkeiten übernahm („Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“
statt bisher „berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation“), setzt abweichend von § 3
Nr. 3 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (SGB VI) für die Versicherungspflicht nicht den
Bezug von Übergangsgeld voraus (Bundessozialgericht – BSG – SozR 3-2500 § 5 Nr. 38;
Peters, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 5 SGB V Rn. 72; a.A.
Ulmer, in: Beck’scher Online-Kommentar § 5 SGB V Rn. 18). § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V
knüpft darüber hinaus - anders als der für jugendliche Behinderte geltende
Beitragspflichttatbestand in § 168 Abs. 1 Satz 2 des bis zum 31. Dezember 1997
geltenden Arbeitsförderungsgesetzes (hierzu BSG SozR 4100 § 168 Nr. 15) - nach
seinem Wortlaut auch nicht mehr an die Durchführung der Leistungen in einer
bestimmten Einrichtung an (Zipperer, in: Orlowski u.a., GKV-Kommentar § 5 Rn. 39).
Voraussetzung einer Versicherungspflicht ist somit lediglich eine Leistung zur Teilhabe
am Arbeitsleben, an der der behinderte Mensch tatsächlich teilnimmt (Peters, in:
Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 5 SGB V Rn. 72; Sommer, in:
Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II - Sozialgesetzbuch V, § 5 Rn. 176).
Was im Einzelnen zu den LTA zählt, bestimmt sich - wie sich aus den
übereinstimmenden Begriffen ergibt - aus Teil 1, Kapitel 5 des SGB IX („Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben“, §§ 33 - 43 SGB IX). Nach § 33 Abs. 1 SGB IX werden zur
Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die
Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend
ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen
und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.
1.) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben unterlag die Klägerin in der Zeit vom 1.
Dezember 2002 bis zum 30. November 2002 der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V.
a.) Allerdings erscheint die Kombination der Begriffe „Teilnehmer“ und „Leistungen“ auf
den ersten Blick verunglückt. Herkömmlicher sozialrechtlicher Terminologie entsprochen
hätte einerseits die Verbindung der Begriffe „Empfänger“ und „Leistungen“, etwa zu
„Leistungsempfänger“, wie z.B. in §§ 14 Abs. 3 Satz 2, 183 Satz 1 SGG, §§ 17 Abs. 3
Sozialgesetzbuch/ Erstes Buch (SGB I), §§ 21 Abs. 4, 96 Abs. 3, 99 Abs. 1
Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X), oder andererseits die Kombination der Begriffe
„Teilnahme“ und „Maßnahme“, wie z.B. in §§ 19 Abs. 1 Nr. 3g SGB I, §§ 74, 263 Abs. 3
Satz 3 SGB VI und insbesondere im Arbeitsförderungsrecht (siehe nur §§ 2 Abs. 2 Satz 2
Nr. 3, 4 Abs. 5, 14, 16 Abs. 2, 35 Abs. 3, 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 50 Nr. 2, 57 Abs. 2
Satz 3, 68 Abs. 3 Satz 2, 69 Satz 2, 71 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch –
SGB III -). Die „Teilnahme“ an „Leistungen“ findet – soweit ersichtlich – erstmals mit der
Einführung des SGB IX und der bereits erwähnten Ersetzung der „berufsfördernden
Maßnahmen zur Rehabilitation“ durch die „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“
Eingang in das Sozialgesetzbuch (§§ 21 Abs. 1, 33 Abs. 3 Nr. 3 und 4, 35 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 und 3, 36 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 2, 44 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 45 Abs. 3, 73 Abs. 2 Nr. 1,
111 Abs. 3 Nr. 5 SGB IX; § 64 SGB I). Insbesondere im SGB IX findet sich vielfach jedoch
auch noch die Verbindung der Begriffe „Teilnahme“ und „Maßnahme“ (§§ 41 Abs. 2 Nr.
2, 73 Abs. 2 Nr. 4, 81 Abs. 4 Nr. 3, 102 Abs. 3 Nr. 1e, 132 Abs. 2 Nr. 3, 133, 136 Abs. 2
Nr. 1 und 2, 138 Abs. 4, 159a SGB IX). Damit hat der Gesetzgeber des SGB IX zwar die
Unterscheidung zwischen Maßnahmen (Veranstaltungen, an denen der Behindert
teilnimmt) und Leistungen (Dienst-, Sach- und Geldleistungen, die im Zusammenhang
mit einer Reha-Maßnahme gewährt werden), wie sie im Gesetz über die Angleichung der
Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG), einem Vorgänger des SGB IX, angelegt waren
(hierzu: BSG SozR 3-2500 § 5 Nr. 38), aufgegeben. Bei näherer Betrachtung fällt
allerdings auf, dass die „Teilnahme“ an „Leistungen“ schwerpunktmäßig in Teil 1 des
SGB IX, der insbesondere das sozialrechtliche Rehabilitationsrecht zum Gegenstand hat,
Verwendung findet, während die „Teilnahme“ an „Maßnahmen“ vor allem in Teil 2 des
SGB IX, der das Schwerbehindertenrecht beinhaltet, also vor allem Regelungen des
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SGB IX, der das Schwerbehindertenrecht beinhaltet, also vor allem Regelungen des
Arbeitsrechts und zur Feststellung zum Grad der Behinderung, aufzufinden ist. Der
Begriff der „Maßnahme“ wird darüber hinaus im SGB IX hauptsächlich für Handlungen
und Vorgänge gebraucht, die sich unmittelbar an die Terminologie des SGB III
anschließen (Arbeitsbeschaffungs-, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme,
Maßnahme der beruflichen ([Weiter-]Bildung) bzw. vom Arbeitgeber oder – ohne
unmittelbaren Bezug zum Leistungsanspruch eines Rehabilitanden – von einer Behörde
zu veranlassen sind.
Diejenigen Regelungen des SGB IX, die im selben Zusammenhang die Begriffe
„Leistungen“ und „Maßnahme“ verwenden, lassen keinen Rückschluss über eine
verallgemeinerungsfähige Abgrenzung zu. So scheint „Leistungen“ teilweise ein
Oberbegriff für „Maßnahmen“ und anderes zu sein (§§ 33 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 8 Nr. 2
SGB IX), teilweise bleibt offen, ob die im RehaAnglG enthaltene Differenzierung
aufrechterhalten werden sollte oder die Vermeidung von sprachlichen Wiederholungen
ausschlaggebend für die jeweilige Begriffswahl war (§§ 30 Abs. 2, 41 Abs. 2 Nr. 2 und 3,
56 Abs. 2 SGB IX). Insgesamt gesehen liefert die Auslegung des SGB IX anhand der
verwendeten Begriffe somit keine eindeutigen Ergebnisse.
b.) Das Fachhochschulstudium der Klägerin diente offensichtlich dem in § 33 Abs. 1 SGB
IX genannten Ziel, ihre Erwerbsfähigkeit entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu
verbessern und hierdurch ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.
Dass das Studium im Katalog des § 33 Abs. 3 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2004
geltenden, hier maßgeblichen Fassung nicht aufgeführt wird, ist daher unschädlich. Im
Übrigen weist die einschränkende Formulierung („insbesondere“) auch darauf hin, dass
diese Vorschrift keinen abschließenden Katalog der LTA beinhaltet.
Hinzu kommt, dass gemäß § 7 Satz 1 SGB IX die Vorschriften dieses Buches für die
Leistungen zur Teilhabe (nur) gelten, soweit sich aus dem für den jeweiligen
Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetz nichts Abweichendes ergibt. Eine
abweichende Regelung ergibt sich im vorliegenden Fall aus § 35 Abs. 3 SGB VII. Danach
kann, wenn eine von Versicherten angestrebte höherwertige Tätigkeit nach ihrer
Leistungsfähigkeit und unter Berücksichtigung ihrer Eignung, Neigung und Tätigkeit nicht
angemessen ist, eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben bis zur Höhe des
Aufwandes gefördert werden, der bei einer angemessenen Maßnahme entstehen würde.
Unter Berufung auf diese Vorschrift unterstützte die Beigeladene zu 1) das
Fachhochschulstudium der Klägerin einschließlich der vorgeschalteten Maßnahmen bis
zu einem Betrag von 67 133,60 DM. Wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt,
bleibt jedoch auch das in dieser Weise geförderte Studium „eine Maßnahme zur Teilhabe
am Arbeitsleben“. Dieser unmissverständliche Wortlaut würde ignoriert, ginge man
davon aus, dass „durch die Förderung auf Zuschussbasis […] die Maßnahme ihren
Charakter als eine vom Unfallversicherungsträger gewährte Leistung zur Teilhabe am
Arbeitsleben“ verlöre (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. November 2008, Az.: L
3 U 68/05, veröffentlicht in Juris, m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Beklagten und
insbesondere der Beigeladenen zu 1) ändern sich die Zielrichtung und der Charakter der
Maßnahme weder dadurch, dass sie von der Beigeladenen zu 1) in Durchbrechung des
im Rehabilitationsrecht geltenden Grundsatzes der Vollförderung nur teilweise gefördert
wird, noch dadurch, dass anstelle einer Sach- eine Geldleistung erbracht wird.
Soweit insbesondere in der Literatur aus dem zuletzt genannten Umstand gefolgert wird,
dass eine solche „unechte“ Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht die
Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V nach sich ziehen könne (Benz NZS 97,
355; Römer, in: Hauck/ Noftz SGB VII § 35 Rn. 55), überzeugt dies aus mehreren
Gründen nicht. Zum einen hängt die Versicherungspflicht nach dem Wortlaut von § 5
Abs. 1 Nr. 6 SGB V nicht von einer Qualifikation der Teilhabeleistung als Geld- oder
Sachleistung ab. Zum anderen hat bereits der Gesetzgeber nicht nur unerhebliche
Abweichungen vom im Rehabilitationsrecht grundsätzlich geltenden Sachleistungsprinzip
vorgesehen. Geldleistungsansprüche in Form von Kostenerstattungsansprüchen
bestehen bei zögerlicher Bearbeitung durch die Verwaltung (§ 15 Abs. 1 Sätze 1 bis 3
SGB IX) sowie bei Unaufschiebbarkeit der Leistungserbringung und bei rechtswidriger
Leistungsablehnung (§ 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). § 9 Abs. 2 SGB IX lässt unter weiteren
Voraussetzungen Geld- anstelle von Sachleistungen zu, wenn der Leistunberechtigte
dies beantragt. Auch das persönliche Budget nach § 17 Abs. 2 SGB IX ist seiner Natur
nach eine Geldleistung (Brodkorb, in: Hauck/Noftz, SGB IX § 17 Rn. 12). Geldleistungen
stellen daher keine seltene Ausnahme oder gar einen Fremdkörper innerhalb des Rechts
der LTA dar; auch sie sind LTA.
Unbeachtlich und ohne Auswirkung auf die von Gesetzes wegen bestehende, durch
vertragliche Regelungen daher nicht beeinflussbare Versicherungspflicht nach § 5 SGB V
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vertragliche Regelungen daher nicht beeinflussbare Versicherungspflicht nach § 5 SGB V
muss sein, dass die Beigeladene zu 1) nach Ziffer 2.2 in Verbindung mit Anlage 1 des
Vertrages vom 21. Dezember 2001 zur Ermittlung des Höchstförderbetrages als Kosten
der so genannten Referenzmaßnahme auch die bei Zahlung von Übergangsgeld sich
ergebenden Sozialversicherungsbeiträge in Rechnung gestellt hat. Insofern verbietet §
32 SGB I privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des
Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften des SGB abweichen.
Dass die Zahlungen der Beigeladenen zu 1) an die Klägerin aus dem Vertrag vom 21.
Dezember 2001 den Charakter einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben verlieren
sollen, nur weil sie auf der Grundlage einer Ermessensvorschrift erbracht werden - so die
Rechtsauffassung der Beigeladenen zu 2) -, ist nicht nachvollziehbar und wurde von der
Beigeladenen zu 2) auch nicht näher begründet. Einen Rechtssatz, dass
Ermessensleistungen nicht zu den LTA zählen, kennt das geltende Recht nicht.
c.) Dieses Ergebnis wird durch eine systematische Auslegung bestätigt. Dass auch
bereits der Gesetzgeber ein Studium als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne
von § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V in Betracht gezogen hat, ergibt sich aus § 5 Abs. 7 SGB V.
Nach dieser Kollisionsvorschrift ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 oder 10 SGB V nicht
versicherungspflichtig, wer nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 8, 11 oder 12 versicherungspflichtig
oder nach § 10 SGB V versichert ist. Eine solche Konkurrenzregelung wäre nicht
erforderlich, wenn es der Gesetzgeber für ausgeschlossen gehalten hätte, dass die
Teilnahme an einem Studium zugleich die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 und
nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V nach sich ziehen kann. Auch die Vorschriften über die
Beitragshöhe und -tragung stehen einer Versicherungspflicht der durch § 35 Abs. 3 SGB
VII Geförderten nicht entgegen. So gilt gemäß § 235 Abs. 1 Satz 5 SGB V für nach § 5
Abs. 1 Nr. 6 SGB V versicherungspflichtige Teilnehmer, die kein Übergangsgeld erhalten,
sowie für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 SGB Versicherungspflichtigen als beitragspflichtige
Einnahme ein Arbeitsentgelt in Höhe von 20 v. H. der monatlichen Bezugsgröße nach §
18 SGB IV. Zu tragen sind diese Beiträge gemäß § 251 Abs. 1 SGB V durch die Träger
der gesetzlichen Unfallversicherung, da sie auch bei einer Teilförderung zuständiger
Rehabilitationsträger im Sinne dieser Vorschrift bleiben.
2.) Die Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V umfasst jedoch nicht nur die
Zeit des Studiums ab Beginn des Wintersemester am 1. Oktober 2002, sondern auch
den vorausgehenden Zeitraum, in dem die Klägerin – dies ist zwischen den Beteiligten
unstreitig - die Voraussetzungen für eine studienzeitverkürzende Einstufung in das 3.
Fachsemester schuf.
Gemäß § 14 Abs. 1 des Brandenburgischen Hochschulgesetzes (BbgHG) vom 20. Mai
1999 (GVBl. I 99, 130ff) können Studienbewerberinnen und Studienbewerber in einer
besonderen Hochschulprüfung (Einstufungsprüfung) nachweisen, dass sie über
Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die eine Einstufung in ein höheres Fachsemester
rechtfertigen. Die im IV. Abschnitt (§§ 30 bis 36) der Diplomprüfungsordnung für den
Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik an der Fachhochschule Potsdam (Amtliche
Bekanntmachung FHP Nr. 29 a vom 17. Oktober 2000 auf der Grundlage der Amtlichen
Bekanntmachung Nr. 15 vom 3. Juli 1996 unter Einarbeitung der Änderungssatzung vom
24. August 2000) geregelte Einstufungsprüfung hat die Klägerin ausweislich des
Zulassungsbescheids vom 25. September 2002 bestanden. Hierfür besuchte die
Klägerin in der Zeit vom 4. Oktober 2001 bis zum 26. Juni 2002 das 1. Schuljahr der
Bibelschule „“, absolvierte ein 13-wöchiges Vorpraktikum im Wintersemester 2001/2002
und bestand im Sommersemester 2002 eine studienbegleitende Klausur im
Studienbereich 3 - „Menschliche Entwicklung und soziales Umfeld“ – (vgl. § 6 der
Studienordnung für den Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik an der FHP, Amtliche
Bekanntmachung der FHP Nr. 37 vom 17. Oktober 2000). Auch diese Maßnahmen
zählen zu den im Rahmen von § 35 Abs. 3 SGB VII von der Beklagten geförderten
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Teilnahme der Klägerin hieran zieht die
Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V nach sich.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis
des Rechtsstreites. Diese Vorschrift schließt es nicht aus, die außergerichtlichen Kosten
des obsiegenden Versicherten (teilweise) einer beigeladenen Behörde aufzuerlegen. Für
die Inanspruchnahme eines Beigeladenen im Rahmen des § 193 SGG gelten zwar nicht §
197 a Abs. 2 Satz 1 SGG oder § 154 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); der
hinter diesen Vorschriften stehende Gedanke – Berücksichtigung des Begehrens des
Beigeladenen und des Ausgangs des Rechtsstreits – kann aber für die Entscheidung des
Gerichts eine Rolle spielen (Meyer-Ladewig/Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, 9.A., § 193 Rn. 11). Der Beigeladenen zu 1) im vorliegenden Fall
teilweise Kosten aufzuerlegen, erscheint sachgerecht, obwohl sie keinen Antrag gestellt
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teilweise Kosten aufzuerlegen, erscheint sachgerecht, obwohl sie keinen Antrag gestellt
hat. Denn sie hat zum einen durch ihre unzutreffende Rechtsauffassung, die Klägerin
unterliege als Rehabilitandin nicht der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 SGB V, das
hiesige Verfahren ausgelöst. Zum anderen hätte sie - wie bereits erwähnt - gemäß § 251
Abs. 1 SGB V die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung allein zu tragen.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG)
zugelassen.
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