Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21.09.2007

LSG Berlin und Brandenburg: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, öffentliches interesse, besondere härte, interessenabwägung, prozessökonomie, vollzug, hauptsache, ermessen, mahnung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 21.09.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 59 AS 16409/07 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 32 B 1599/07 AS ER
der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 2007 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten
Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der
Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung über den Antrag an das Sozialgericht (SG) in entsprechender
Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (Antragsabweisung durch die erste Instanz ohne
Sachentscheidung) begründet.
Das SG hat den Antrag vom 20. Juli 2007 in der Fassung des Schriftsatzes vom 6. August 2007 richtig als Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG verstanden: Es geht der Antragstellerin um die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der im Schriftsatz vom 6. August 2007 (zusätzlich) erhobenen Klage gegen den Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 5. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2007 bzw. der
Feststellung von deren aufschiebender Wirkung. Das SG hätte den Antrag jedoch nicht als unzulässig behandeln
dürfen, sondern hätte über die Begründetheit des Begehrens entscheiden müssen.
Es fehlt nicht am Rechtsschutzbedürfnis: Zum einen geht es nicht nur um vergangene Zeiträume, weil der Bescheid
vom 5. Juli 2007 seine belastende Wirkung weiterhin entfaltet. Im Bescheid wird zum einen der ursprüngliche
Bewilligungsbescheid teilweise zurückgenommen. Zusätzlich fordert der Antragsgegner jedoch den aus seiner Sicht
zuviel gewährten Betrag von 629,- EUR nach § 50 Abs. 1 SGB X zurück. Die Antragstellerin soll jetzt zahlen. Sie wird
darauf hingewiesen, dass nach vergeblicher Mahnung die Zwangsvollstreckung und/oder Inkassokosten drohen.
Zum anderen kann einem Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG das Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich nicht wegen
mangelnder Eilbedürftigkeit fehlen. Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
eines Widerspruches oder einer Klage ist nach dem Gesetz unabhängig von der Frage statthaft, ob die Angelegenheit
der Sache nach dringlich ist. Es ist sogar fraglich, ob die Dringlichkeit im Rahmen der Begründetheitsprüfung vom
Gericht als Teil der im gerichtlichen Ermessen stehenden Interessenabwägung maßgeblich berücksichtigt werden
kann. Die gerichtliche Interessenabwägung hängt nämlich primär von den mutmaßlichen Erfolgsaussichten des
Rechtsmittels in der Hauptsache ab. Nach § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG soll der gesetzlich angeordnete Sofortvollzug
ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Es besteht
grundsätzlich kein öffentliches Interesse am Vollzug rechtswidriger Verwaltungsakte, selbst wenn diese für den
Betroffenen keine besondere Härte darstellen und die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit nicht eilig ist.
Da der Sachverhalt hier noch nicht geklärt ist, hält der Senat eine Zurückverweisung auch unter Berücksichtigung der
Prozessökonomie für geboten, damit der Antragstellerin nicht eine Instanz verloren geht.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des SG vorbehalten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).