Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.04.2005

LSG Berlin-Brandenburg: nachzahlung von beiträgen, erwerbsunfähigkeit, besondere härte, innere medizin, psychisches leiden, widerspruchsverfahren, anwartschaft, verschulden, verwaltungsakt

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
17. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 17 R 557/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 197 Abs 3 SGB 6, § 85 Abs 2 S
1 Nr 2 SGG, § 42 S 1 SGB 10, §
62 Halbs 2 SGB 10
Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler -
erstinstanzliche Entscheidung im Widerspruchsverfahren -
Zuständigkeit
Leitsatz
Die Widerspruchsstelle ist funktional und sachlich unzuständig, über ein erstmals im
Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht vor der Ausgangstelle zu entscheiden.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2005
abgeändert.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. April 2002 wird aufgehoben soweit
darin von der Beklagten eine Zulassung zur nachträglichen Zahlung von Beiträgen in
Fällen besonderer Härte nach § 197 Abs. 3 SGB VI abgelehnt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits
zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente nach
Zulassung zur Entrichtung von freiwilligen Beiträgen für zurückliegende Zeiträume
streitig.
Die am 1948 geborene Klägerin absolvierte von 1964 bis 1967 eine Ausbildung zur
Friseurin und war sodann bis Oktober 1967 im erlernten Beruf tätig. Anschließend
entrichtete sie Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für eine
Beschäftigung als Prüferin, Reinigungskraft, Locherin, Stanzerin, Büroarbeiterin und
zuletzt von 1982 an als Briefverteilerin bei der Deutschen Post. Das letzte
Arbeitsverhältnis endete am 30. April 1998. Die Klägerin bezieht seither eine Rente von
der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP). Das Versicherungskonto der
Klägerin bei der Beklagten weist den letzten Pflichtbeitrag zur gesetzlichen
Rentenversicherung für den Monat April 1998 auf.
Am 31. März 1998 hatte die Klägerin erstmals bei der Beklagten die Gewährung einer
Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit beantragt. Nach ärztlicher Begutachtung
hatte die Beklagte die Rentengewährung aus medizinischen Gründen mit Bescheid vom
29. Juni 1998 abgelehnt und der Klägerin empfohlen, sich wegen der weiteren Erhaltung
der Anspruchsvoraussetzungen bei dafür zuständigen und konkret benannten Stellen
beraten zu lassen. Zudem war dem Bescheid ein Merkblatt zur Aufrechterhaltung des
Versicherungsschutzes beigefügt. Den dagegen gerichteten Widerspruch hatte die
Beklagte nach Einholung eines neurochirurgisch-orthopädischen Gutachtens mit
Widerspruchsbescheid vom 15. September 1998 zurückgewiesen.
Unter dem 5. November 1998 erklärte sich die Klägerin bereit, zur Aufrechterhaltung
ihrer Anwartschaft auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
freiwillige Beiträge zu entrichten. Mit Zulassungsbescheid vom 6. April 1999 teilte die
Beklagte der Klägerin mit, sie sei berechtigt, ab 1. Mai 1998 freiwillige Beiträge zur
gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen. Mit der laufenden Zahlung vom
vorgesehenen Zeitpunkt an werde die Anwartschaft aufrechterhalten. Beigefügt war eine
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vorgesehenen Zeitpunkt an werde die Anwartschaft aufrechterhalten. Beigefügt war eine
Beitragsrechnung für rückständige Beiträge von Mai 1998 bis April 1999 über 1.513,40
DM. Weiterhin heißt es in dem Bescheid, die freiwilligen Beiträge für die Zeit von Mai bis
Dezember 1998 könnten in der gewählten Beitragshöhe bis zum 9. August 1999 gezahlt
werden. Eine Zahlung nach diesem Zeitpunkt für den vorgenannten Zeitraum sei
rechtsunwirksam. Am 6. Mai 1999 erteilte die Klägerin der Beklagten die Ermächtigung,
Beiträge zur Rentenversicherung im Lastschriftverfahren einzuziehen. Nach in den
Verwaltungsakten der Beklagten dokumentierten Telefonvermerken teilte die Klägerin
am 17. Mai 1999 mit, sie könne die rückständigen Beiträge nicht in einer Summe zahlen,
weshalb sie insoweit bitte, nicht von der Einzugsermächtigung Gebrauch zu machen. Die
Beklagte teilte der Klägerin unter dem gleichen Datum mit, wegen der von ihr
zurückgenommenen Einzugsermächtigung sei die Abbuchung eingestellt worden. Für die
weitere Beitragszahlung sei die Klägerin nunmehr selbst verantwortlich. Bei einem
weiteren Telefongespräch am 18. Mai 1999 erklärte die Klägerin, sie wolle die Beiträge
für 1998 einzahlen und werde dann eventuell eine neue Einzugsermächtigung erteilen.
Die Klägerin zahlte im Folgenden - erstmalig am 29. September 1999 - freiwillige
Beiträge für den Zeitraum von Januar 1999 an, glich jedoch die rückständigen Beiträge
für den Zeitraum von Mai bis Dezember 1998 nicht aus.
Im September 1999 hatte die Klägerin erneut Antrag auf Gewährung einer Rente wegen
Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit gestellt, der nach medizinischer Begutachtung von der
Beklagten mit Bescheid vom 16. November 1999 abgelehnt worden war. Auch in diesem
Verwaltungsakt hatte die Beklagte der Klägerin empfohlen, sich - sofern sie eine
versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausübe - wegen der weiteren Erhaltung der
versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente bei den im
Einzelnen benannten Stellen zu informieren. Zudem war der Klägerin wiederum ein
Merkblatt zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes übersandt worden.
Widerspruch hatte die Klägerin nicht eingelegt.
Im November 2000 beantragte sie erneut die Gewährung einer Rente wegen Berufs-
bzw. Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch die Ärztin
für Innere Medizin R-S. Nach dem am 11. Januar 2001 erstellten Gutachten sind der
Klägerin noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig zumutbar.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2001 lehnte die Beklagte die Rentengewährung aus
versicherungsrechtlichen Gründen ab und führte im Wesentlichen aus, in dem letzten
Rentenantrag vorausgehenden Fünf-Jahres-Zeitraum lägen nur 2 Jahre und 6
Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die Erfüllung
der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sei auch nicht nach
Sondervorschriften entbehrlich. Darüber hinaus liege auch keine Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit vor.
Am 16. März 2001 legte die Klägerin - noch unvertreten - Widerspruch gegen den
Ablehnungsbescheid ein und machte geltend, nach dem ihr vorliegenden
Versicherungsverlauf sei der fragliche Zeitraum mit 52 Monaten belegt. Mit Schreiben
vom 23. März 2001 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten die Klägerin darauf hin,
dass nur Pflichtbeiträge und nicht die geleisteten freiwilligen Beiträge insoweit
Berücksichtigung finden könnten. Mit am 30. Mai 2001 bei der Beklagten
eingegangenem Schreiben ihrer Bevollmächtigten begründete die Klägerin den bereits
eingelegten Widerspruch näher und beantragte gleichzeitig, ihr die Nachentrichtung der
Beiträge für Mai bis Dezember 1998 zu gestatten. Sie machte geltend, es liege ein
Härtefall vor, denn wenn in diesem Verfahren festgestellt werde, dass sie eine
Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht beziehen
könne, werde auch die VAP die Zahlungen einstellen. Sie werde dann zum Sozialfall
werden. Als sie den Zulassungsbescheid zur freiwilligen Versicherung erhalten habe, sei
sie in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Situation gewesen und habe wegen großer
Schulden die rückständigen Beiträge jedenfalls nicht im Wege einer Einmalzahlung
aufbringen können. Die Beklagte sei zudem verpflichtet, sie im Wege eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zur Zahlung der rückständigen Beiträge
zuzulassen, denn sie sei nicht darauf hingewiesen worden, dass die Nichtzahlung auch
nur eines Beitrages zum Verlust sämtlicher Ansprüche führe. Hätte sie die Folgen der
Nichtzahlung erkannt, so hätte sie mit den sie bedrängenden Banken gesprochen und
eine andere Zahlungsvereinbarung getroffen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Ein Fall mangelnder Information liege nicht vor, denn im Zulassungsbescheid sei die
Klägerin unmissverständlich darauf hingewiesen worden, dass sie nur mit einer
laufenden Beitragsleistung vom vorgesehenen Zeitpunkt an die Anwartschaft auf eine
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufrecht erhalten könne. Im Übrigen komme
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Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufrecht erhalten könne. Im Übrigen komme
eine Nachzahlung von Beiträgen im Wege der Härtefallregelung nur dann in Betracht,
wenn der Versicherte an der rechtzeitigen Zahlung schuldlos verhindert gewesen sei.
Daran fehle es hier. Die Klägerin habe erst jetzt ihre damaligen finanziellen Probleme,
die sie an der Nachentrichtung gehindert hätten, dargelegt. Hätte sie ihre
wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorher geäußert, hätte sich „seinerzeit ein Weg finden
lassen können“. Nach nochmaliger Rücksprache mit dem zuständigen Fachbereich sei
der Widerspruchsausschuss zu der Auffassung gelangt, dass in Ausübung
pflichtgemäßen Ermessens kein Fall einer besonderen Härte vorliege, weil die Klägerin
die nicht rechtzeitige Beitragszahlung selbst verschuldet habe. Im Übrigen sei die
Klägerin auch nach dem Ergebnis der medizinischen Feststellungen weder berufs- noch
erwerbsunfähig.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 10. Mai 2002 Klage erhoben und an
ihrem auf Zulassung zur Zahlung von freiwilligen Beiträgen für den Zeitraum von Mai bis
Dezember 1998 sowie auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente gerichteten
Begehren festgehalten. Sie hat geltend gemacht, sie sei 1998/1999 infolge des Baus
eines Eigenheims hoch verschuldet und in einer ausweglosen finanziellen Situation
gewesen. Wegen der darauf zurückzuführenden psychischen Überlastung sei sie nicht in
der Lage gewesen, sich um ihre Angelegenheiten ausreichend zu kümmern.
Das Sozialgericht hat nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte die
Klage mit Urteil vom 13. April 2005 abgewiesen. Zur Begründung der Entscheidung hat
es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne keine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit beanspruchen, weil in dem der Rentenantragstellung
vorausgehenden Fünf-Jahres-Zeitraum (16. November 1995 bis 15. November 2000) ihr
Versicherungskonto weniger als die gesetzlich für eine Rentengewährung erforderlichen
36 Pflichtbeitragsmonate aufweise. Auch unter Berücksichtigung sonstiger Vorschriften
seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nicht
erfüllt, weil das Versicherungskonto der Klägerin im Zeitraum Mai bis Dezember 1998
eine Lücke aufweise. Die Klägerin sei nicht berechtigt, diese Lücke nachträglich durch
Zahlung von freiwilligen Beiträgen zu schließen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen
könnten freiwillige Beiträge grundsätzlich bis zum 31. März des Jahres gezahlt werden,
das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen. Diese Frist sei verstrichen. Zwar sehe das
Gesetz vor, dass in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der
Anwartschaft auf eine Rente, der Antrag des Versicherten auf Zahlung von Beiträgen
auch nach Ablauf der benannten Frist zuzulassen ist, wenn der Versicherte an der
rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert war. Es liege zwar ein Fall
besonderer Härte im genannten Sinne vor, die Klägerin sei aber nicht unverschuldet an
der rechtzeitigen Zahlung der Beiträge für Mai bis Dezember 1998 gehindert gewesen.
Verschulden in diesem Sinne, das Vorsatz und auch Fahrlässigkeit umfasse, liege auch
vor, wenn die rechtzeitige Beitragsentrichtung aufgrund von Rechtsunkenntnis oder
infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten unterblieben sei. Die Klägerin habe sich auch
nicht bemüht, mit der Beklagten eine Zahlungsvereinbarung über die nach zu
entrichtenden Beiträgen zu schließen. Dass sie daran aus psychischen Gründen
gehindert gewesen sein könnte, dafür lägen keinerlei Anhaltspunkte vor. Sie habe weder
ihre Rentenanträge auf ein psychisches Leiden gestützt noch sei sie in entsprechender
fachärztlicher Behandlung gewesen. Es fehle auch an den Voraussetzungen für einen
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, denn der Beklagten könne keine Verletzung
einer Beratungspflicht vorgeworfen werden. Insbesondere der Bescheid vom 6. April
1999 über die Zulassung zur freiwilligen Beitragszahlung enthalte eine
unmissverständliche und auch für Laien verständliche Belehrung darüber, unter welchen
Voraussetzungen die Anwartschaft auf eine Rente wegen Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit aufrecht erhalten werden könne.
Gegen das ihr am 26. Mai 2005 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am
23. Juni 2005 eingelegten Berufung, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Sie macht
nochmals geltend, 1999 sei ihr die Nachzahlung für 1998 aus wirtschaftlichen Gründen
nicht möglich gewesen. Von Januar 1999 an habe sie jedoch fortlaufend Beiträge
entrichtet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2005 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 22. April 2002 zu verurteilen, sie zur nachträglichen
Zahlung von freiwilligen Beiträgen für den Zeitraum von Mai bis Dezember 1998
zuzulassen und ihr nach Entrichtung dieser Beiträge Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab
1. November 2000 zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten
des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 23 RJ 1175/02 haben dem Senat
vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hat die
Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. April 2002 zu Unrecht
abgewiesen. Die in diesem Bescheid von der Widerspruchsstelle der Beklagten
getroffene Entscheidung, eine Zulassung zur Zahlung von freiwilligen Beiträgen für Mai
bis Dezember 1998 nach § 197 Abs. 3 Sozialgesetzbuch 6. Buch - SGB VI - wegen einer
besonderen Härte könne nicht erfolgen, weil die Klägerin nicht ohne Verschulden an
einer rechtzeitigen (vgl. 197 Abs. 2 SGB VI) Beitragsentrichtung gehindert gewesen sei,
ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Widerspruchsstelle der
Beklagten war funktional und sachlich unzuständig „erstinstanzlich“ über das erstmals
im Widerspruchsverfahren von der Klägerin geltend gemachte Begehren auf nochmalige
Zulassung zur Zahlung von Beiträgen für den benannten Zeitraum zu entscheiden.
Streitgegenstand des Klageverfahrens ist das prozessuale Begehren der Klägerin, die
Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidungen in dem Bescheid
vom 26. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2002 zu
verurteilen, ihr nach Zulassung zur Zahlung von freiwilligen Beiträgen für Mai bis
Dezember 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Dieses Begehren verfolgt
die Klägerin in zulässiger Kombination von Anfechtungs-, Verpflichtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die - erstmalige - Entscheidung der Widerspruchsstelle der Beklagten im
Widerspruchsbescheid, eine besondere Härte im Sinne von § 197 Abs. 3 SGB VI liege
nicht vor, war wegen sachlicher und funktioneller Unzuständigkeit der
Widerspruchsbehörde aufzuheben. Die Klägerin hatte in dem auf Gewährung einer Rente
gerichteten Verfahren erstmals im Widerspruchsverfahren gegenüber der Beklagten
geltend gemacht, dass und aus welchen Gründen sie zur Zahlung von Beiträgen auch
nach Ablauf der in § 197 Abs. 2 SGB VI genannten Frist zuzulassen ist. Über diesen
Antrag ist außer von der Widerspruchsstelle keine Entscheidung durch die Beklagte
getroffen worden. Zwar verweist sie in ihrem Bescheid vom 26. Februar 2001 auf Seite 2
darauf, dass auch kein Fall vorliege, in dem eine Beitragszahlung für bislang nicht
belegte Zeiträume noch zulässig sei, dabei handelt es sich aber schon deshalb nicht um
eine Entscheidung nach § 197 Abs. 3 SGB VI, weil ein derartiges Verfahren von einem -
damals von der Klägerin noch nicht gestellten - Antrag abhängig ist (vgl. Peters in
Kasseler Kommentar § 197 Rdnr. 20). Die Widerspruchsstelle hat im
Widerspruchsverfahren auch keine Entscheidung der Ausgangsstelle herbeigeführt. Die
Ausführungen auf Seite 3 des Widerspruchsbescheides, es sie eine nochmalige
Rücksprache mit dem zuständigen Fachbereich erfolgt, belegen dies jedenfalls nicht,
denn sodann wird lediglich dargelegt, dass der Widerspruchsausschuss – und eben nicht
die Ausgangsstelle - zu einer bestimmten Auffassung gelangt ist. Die
Widerspruchsstelle, die im vorliegenden Verfahren gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht
mit der den Bescheid erlassenden Ausgangsstelle identisch ist, ist funktional und
sachlich unzuständig, über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes
Recht „erstinstanzlich“ zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler ist im Sinne von § 62
Halbsatz 2, § 42 Satz 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch - SGB X - beachtlich und begründet
einen Aufhebungsanspruch (vgl. ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -
BSG - Urteile vom 30. März 2004 -B 4 RA 48/01 R-, 18. Oktober 2005 -B 4 RA 21/05 R-
und 18. Mai 2006 -B 4 RA 40/05 R-), auf den der Anspruchsinhaber, der über die
gesetzliche Ordnung der funktionalen und sachlichen Zuständigkeit nicht verfügen kann,
nicht verzichten kann und der gegenüber dem behaupteten materiellen subjektiven
Recht auf eine Leistung vorrangig ist.
Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin unbegründet.
Die auf Zulassung zur Zahlung von wirksamen freiwilligen Beiträgen nach § 197 Abs. 3
SGB VI gerichtete Klage ist unzulässig, weil es - jedenfalls aufgrund der teilweisen
Aufhebung des Widerspruchsbescheides im Berufungsverfahren - an einer anfechtbaren
Verwaltungsentscheidung fehlt. Als „echte“ Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5
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Verwaltungsentscheidung fehlt. Als „echte“ Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5
SGG ist das Zulassungsbegehren ebenfalls unstatthaft, weil diese Klageart u. a.
voraussetzt, dass über die begehrte Leistung ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat.
Die Entscheidung über eine Zulassung nach § 197 Abs. 3 SGB VI ist von der Beklagten
jedoch durch Bescheid zu regeln.
Unbegründet und deshalb zu Recht vom Sozialgericht abgewiesen worden ist die auf
Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente gerichtete Klage. Es fehlt schon an den
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rentenart. Die aufgrund
der Rentenanträge der Klägerin von der Beklagten geführten medizinischen Ermittlungen
geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit vor
November 2000 eingetreten sein könnte. Jedenfalls seither sind aber unter
Berücksichtigung der bislang von der Klägerin wirksam entrichteten freiwilligen Beiträge
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente
aufgrund der 1998 bestehenden Lücke im Versicherungsverlauf der Klägerin nicht mehr
gegeben. Dies ist auch unter den Beteiligten unstreitig. Ob diese Lücke durch eine
nachträgliche Beitragsentrichtung von der Klägerin noch wirksam geschlossen werden
kann, konnte vom Senat - wie bereits dargelegt - in diesem Verfahren nicht
zulässigerweise beurteilt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und berücksichtigt den
von der Klägerin erzielten Teilerfolg.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und
2 SGG nicht vorliegen.
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