Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.09.2008

LSG Berlin-Brandenburg: ausländisches recht, ddr, schutzwürdiges interesse, industrie, zugehörigkeit, produktion, geschäftsbericht, vormerkung, rationalisierung, verordnung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
16. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 16 R 1723/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 AAÜG, § 8 AAÜG
Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung
der technischen Intelligenz der DDR
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26.
September 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr.
1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG)
verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers vom 4. Oktober 1971 bis 30. Juni
1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI)
sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.
Der 1947 geborene Kläger erwarb in der früheren Deutschen Demokratischen Republik
(DDR) nach einem Studium an der Technischen Hochschule „O G“ M die Berechtigung,
die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ zu führen (Urkunde vom 11. August 1971). Er war
anschließend ab 4. Oktober 1971 als Objektingenieur bei dem Volkseigenen Betrieb
(VEB) Waschmittelwerk Genthin (4. Oktober 1971 bis 30. August 1976) und bei der
Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Plaste- und Elasteverarbeitung Berlin (31.
August 1976 bis 14. August 1978) beschäftigt. Ab 15. August 1978 war der Kläger als
Ingenieur bei dem VEB Rationalisierung und Projektierung Berlin (im Folgenden VEB
Rapro) beschäftigt, und zwar wie folgt: bis 31. August 1983 als wissenschaftlicher
Mitarbeiter, vom 1. August 1983 bis 31. Januar 1985 als Leiter des Büros Grundsatz- und
Prozessgestaltung und vom 1. Februar 1985 bis über den 30. Juni 1990 hinaus als
Mitarbeiter Realisierungsvorbereitung (Änderungsvertrag vom 29. Januar 1985). Mit
Wirkung vom 1. Januar 1988 war der Kläger der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung
(FZR) beigetreten (Beitragszahlung bis monatlich 1.200,- Mark der DDR). Eine
Versorgungszusage hatte er nicht erhalten.
Mit Bescheid vom 5. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.
November 2005 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Feststellung von
Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab
mit der Begründung, dass der Kläger am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung in einem
volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens im Sinne der
einschlägigen Versorgungsordnung und auch nicht in einem diesen Betrieben
gleichgestellten Betrieb ausgeübt habe. Das AAÜG sei daher auf den Kläger nicht
anwendbar. Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Anwendbarkeit des AAÜG
festzustellen sowie die Beklagte zu verpflichten, die „geltend gemachten
Beschäftigungszeiten“ als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem
Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG festzustellen. Er hat die
Gemeinsame Verfügung Nr. 5/73 des Ministeriums für Allgemeinen Maschinen-,
Landmaschinen- und Fahrzeugbau über die Bildung des VEB Rationalisierung Berlin vom
21. Dezember 1973 sowie das Statut des VEB Rapro vom 22. April 1983 vorgelegt;
hierauf wird Bezug genommen. Nach Beiziehung der in dem Parallelverfahren S 7 RA
7335/02 - L 12 RA 24/03 (SG Berlin/LSG Berlin) zu den Akten genommenen Unterlagen
zum VEB Rapro (u. a. Auszüge aus der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR -
Ausgabe 1985 -; Rahmenrichtlinie des Ministeriums für Allgemeinen Maschinen-,
Landmaschinen- und Fahrzeugbau vom 24. November 1980 für die Erprobung von
Vorschlägen zur besseren Leistungsbewertung und ökonomischen Stimulierung im VEB
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Vorschlägen zur besseren Leistungsbewertung und ökonomischen Stimulierung im VEB
Rapro, Werbeprospekt des VEB Rapro und Geschäftsbericht des VEB Rapro für das
Planjahr 1989 vom 27. Februar 1990) hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit
Gerichtsbescheid vom 26. September 2008 die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist
ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen
Anspruch auf Vormerkung von Zugehörigkeitszeiten zur AVTI nebst den insoweit
tatsächlich erzielten Arbeitsentgelten für die Zeit vom 4. Oktober 1971 bis 30. Juni 1990.
Das AAÜG sei auf den Kläger nach § 1 Abs. 1 AAÜG nicht anwendbar. Die betrieblichen
Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVTI seien am Stichtag, dem 30. Juni
1990, nicht erfüllt. Bei dem VEB Rapro habe es sich nicht um einen volkseigenen
Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens gehandelt. Er sei auch kein
gleichgestellter Betrieb nach Maßgabe der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) zur
Verordnung über die AVTI vom 24. Mai 1951 (GBl. Nr. 62 S. 487) gewesen. Nicht die
industrielle Produktion habe dem VEB Rapro das Gepräge gegeben, sondern die
Erbringung von Dienstleistungen. Der VEB Rapro sei schwerpunktmäßig als
Generalunternehmer für Planung, Projektierung und Realisierung von Industrieanlagen
tätig gewesen. Dies folge aus den vorliegenden Betriebsunterlagen, wie etwa dem
Geschäftsbericht für das Jahr 1989 und der Zusammenstellung zur Warenproduktion. In
dem vom Kläger als Einheit dargestellten Prozess der Errichtung von gesamten
Industrieanlagen seien nur insoweit unmittelbar Sachgüter produziert worden, als die
Anlagen durch den Bau von Gebäuden und die Ausstattung mit Maschinen und
sonstigen Gegenständen realisiert worden seien. Da das Versorgungsrecht der DDR
aber gerade an die Herstellung von Sachgütern anknüpfe, sei dieser Vorgang von dem
Entwurf, der Abnahme und der Übergabe von Industrieanlagen zu unterscheiden. Auf
einen möglicherweise weiteren Produktionsbegriff der Sozialistischen Wirtschaftslehre in
der DDR komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Der Beschäftigungsbetrieb des
Klägers habe die notwendigen Einzelkomponenten der Industrieanlagen (Maschinen,
Werkzeuge, sonstige Einrichtungsgegenstände und Gebäude) nicht selbst hergestellt
oder zusammengesetzt, sondern auf andere Betriebe als Zulieferer zurückgegriffen und
neben der Leitung lediglich Anpassungsarbeiten selbst vorgenommen. Schwerpunkt der
betrieblichen Aufgaben sei daher nicht die eigentliche Produktion gewesen, sondern
deren Planung, intellektuelle Anleitung und Koordinierung, die als Dienstleistung
anzusehen sei (Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Februar 2006 - L 12
RA 24/03 -; BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R – juris).
Mit der Berufung verfolgt der Kläger (nur) noch sein Begehren auf Vormerkung von
Zugehörigkeitszeiten zur AVTI vom 4. Oktober 1971 bis 30. Juni 1990 weiter. Er trägt vor:
Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten habe es sich bei seinem
Beschäftigungsbetrieb am Stichtag um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der
Industrie bzw. des Bauwesens gehandelt. Zugrunde zu legen sei insoweit das
Sprachverständnis der DDR am 30. Juni 1990 und mithin der im Gegensatz zur
einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) weitere
Produktionsbegriff der Sozialistischen Wirtschaftslehre. Das SG sei dem insoweit
gestellten Beweisantrag zur Klarstellung dieses Sprachverständnisses zu Unrecht nicht
gefolgt, obgleich dieses Sprachverständnis der Versorgungsordnung nach der
Rechtsprechung des BSG selbst als bloße Tatsache zu verstehendes „ausländisches
Recht“ anzusehen sei (Verweis auf BSG, Urteile vom 18. Oktober 2007 - B 4 RS 25/07 R -
, - B 4 RS 28/07 R -). Das BSG habe auch den Bau kompletter Produktionsanlagen, der
durch die Bau- und Montagekombinate durchgeführt worden sei, zum Bereich der
Produktionsbetriebe des Bauwesens gezählt. Auch diese Bau- und Montagekombinate
hätten als Generalauftragnehmer (GAN) fungiert.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2008
aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 5. April 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2005 zu verpflichten, die
Beschäftigungszeiten vom 4. Oktober 1971 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der
Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetz und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten
Arbeitsentgelte festzustellen,
hilfsweise zur Klärung der Begriffsbestimmung der Tatsache „Volkseigener
Produktionsbetrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 der 2. Durchführungsbestimmung“ Beweis
zu erheben durch Vernehmung von Prof. Dr. J R, M, B, als Zeugen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat Unterlagen zur Betriebstätigkeit des VEB Rapro aus dem Verfahren S 7
RA 7335/02 – L 12 RA 24/03 (SG Berlin/LSG Berlin-Brandenburg) in das Verfahren
eingeführt; hierauf wird verwiesen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die zum Verfahren
eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Zusatzversorgungshilfsakte der Beklagten, die Akten des SG Berlin S 7 RA 7335/02 -
L 12 RA 24/03 (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich erhobenen Anfechtungs- und
Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 SGG) (nur) noch hinsichtlich der begehrten
Vormerkung von Zugehörigkeitszeiten zur AVTI nebst der insoweit erzielten
tatsächlichen Entgelte für die Zeit vom 4. Oktober 1971 bis 30. Juni 1990 weiter verfolgt,
ist nicht begründet.
Die Klagen sind zwar in dem noch aufrecht erhaltenen Umfang zulässig. Insbesondere
besteht ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einem gesonderten gerichtlichen
Verfahren gegen die Beklagte zur isolierten Überprüfung der von ihr insoweit
abgelehnten Datenfeststellungen nach dem AAÜG. Denn neben der vorliegenden Klage
auf Vormerkung der begehrten Daten ist ein weiteres Verfahren gegen die Beklagte auf
Verurteilung zur Zahlung höherer Rente nicht anhängig (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23.
August 2007 – B 4 RS 7/06 R = SozR 4-1500 § 54 Nr 11).
Die Klagen sind jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen mit den von ihm
erhobenen Klagen durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 iVm Abs. 1 AAÜG
auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der
Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß §
8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 4. Oktober 1971 bis 30. Juni 1990. Das AAÜG ist
auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 01. August 1991, dem
Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch iSv § 1 Satz 1
AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem
Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 01. August 1991 nicht Inhaber
einer Versorgungsanwartschaft iSv § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte – unstreitig –
bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihm war
auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden. Die
Beklagte hat zudem in dem angefochtenen Bescheiden eine positive
Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG nicht getroffen.
§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen,
dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus
bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage am 01.
August 1991 einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt
hätten (st. Rspr. des BSG: vgl. zB BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 3/06 R =
SozR 3-8570 § 1 Nr 16 mwN). Ein derartiger fiktiver Anspruch ist aber nur dann zu
bejahen, wenn am Stichtag (30. Juni 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt
worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem
betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (st. Rspr. des BSG: vgl. zB BSG, Urteil
vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R = SozR 4-8570 § 1 Nr 1; BSG, Urteil vom 26.
Oktober 2004 – B 4 RA 23/04 R = SozR 4-8570 § 1 Nr 6). Allein maßgebend sind insoweit
die Texte der Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten
Betrieben (AVTI-VO) vom 17. August 1950 (GBl. S. 844) und § 1 Abs. 1 der 2. DB, soweit
diese am 3. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden sind. Die genannten
Vorschriften der DDR sind dabei unabhängig von deren Verwaltungs- und
Auslegungspraxis allein nach bundesrechtlichen Kriterien auszulegen (vgl. BSG SozR 3-
8570 § 1 Nr 3 S. 22; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – juris). Von diesen
Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch im Bereich der AVTI nur vor, wenn
der Betreffende zum Stichtag am 30. Juni 1990 drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss 1.
die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen
(persönliche Voraussetzung), 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit
oder Beschäftigung verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und 3. die
Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich
der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb
ausgeübt haben (betriebliche Voraussetzung: vgl. hierzu z. B. BSG SozR 3-8570 § 1 Nrn
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ausgeübt haben (betriebliche Voraussetzung: vgl. hierzu z. B. BSG SozR 3-8570 § 1 Nrn
3, 6).
Der Kläger war zwar am 30. Juni 1990 berechtigt, die ihm durch staatlichen
Zuerkennungsakt verliehene Berufsbezeichnung „Ingenieur“ zu führen. Ob er als
„Mitarbeiter Realisierungsvorbereitung“ an dem genannten Stichtag dieser
Berufsbezeichnung entsprechend beschäftigt war, kann jedoch dahinstehen. Denn
jedenfalls die betriebliche Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Kläger war am 30. Juni 1990
weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (§ 1
Abs. 1 der 2. DB) noch in einem gleichgestellten Betrieb (§ 1 Abs. 2 der 2. DB)
beschäftigt.
Ob die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am
maßgeblichen Stichtag Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war (vgl. BSG, Urteil vom 18.
Dezember 2003 – B 4 RA 20/03 R = SozR 4-8570 § 5 Nr. 3). Ausschlaggebend hierfür
sind die tatsächlichen Gegebenheiten am 30. Juni 1990. Arbeitgeber des Klägers im
vorgenannten Sinne war am Stichtag der VEB Rapro. Bei diesem Beschäftigungsbetrieb
des Klägers handelte es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der
Industrie oder des Bauwesens. Denn der Hauptzweck des Beschäftigungsbetriebs des
Klägers, auf den abzustellen ist, bestand nicht in der regelmäßig wiederkehrenden,
serienmäßigen Massenproduktion von Sachgütern oder Bauleistungen (zu diesem
Erfordernis vgl. z. B. BSG, Urteil vom 08. Juni 2004 – B 4 RA 57/03 R = SozR 4-8570 § 1
Nr 3). Im Hinblick auf die in der Präambel zur AVTI-VO zum Ausdruck gekommene
Zielsetzung des Versorgungssystems war allein die Beschäftigung in einem Betrieb, der
die Massenproduktion von Gütern zum Gegenstand hatte, von Bedeutung für die
Einbeziehung in die Versorgung. Dem lag das so genannte fordistische
Produktionsmodell zu Grunde, das auf stark standardisierter Massenproduktion und
Konstruktion von Gütern mit Hilfe spezialisierter, monofunktionaler Maschinen beruhte.
Der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den
Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. August
2007 – B 4 RS 3/06 R = SozR 4-8570 § 1 Nr 16).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war indes der Hauptzweck der betrieblichen
Tätigkeit des VEB Rapro am Stichtag die Durchführung von Investitionsvorhaben auf
dem Gebiet des Anlagenbaus als GAN auf vertraglicher Grundlage. Wie aus den
beigezogenen Unternehmensunterlagen anschaulich erhellt (vgl.
Unternehmensprospekt des VEB Rapro, Unternehmensprospekt des
Nachfolgeunternehmens r GB, Statut des VEB Rapro, Geschäftsbericht des VEB Rapro
für das Planjahr 1989), hatte der VEB Rapro dabei die Aufgabe, komplette Anlagen für
Schlacht- und Versorgungsbetriebe, Werke für Kraftfahrzeugmontage und
Gesundheitseinrichtungen zu planen und zu realisieren. Die dabei erbrachten Leistungen
bestanden im Wesentlichen in der Projektierung der Anlagen, der Organisation und
Leitung des Bau- und Montageprozesses und in der Abnahme und Übergabe der
„schlüsselfertigen“ Anlage sowie der Einweisung des Erwerbers, wie sie auch in § 2 des
Statuts des VEB Rapro als Gegenstände der wirtschaftlichen Tätigkeit des Betriebs
bezeichnet werden. Dem VEB Rapro gaben damit Dienstleistungen in Gestalt der
Projektierung von Anlagen in kleinerer Stückzahl über langfristige Zeiträume das
Gepräge, nicht aber die damit dem Investitionsauftraggeber durch die Fertigstellung der
Anlage erst ermöglichte Massenproduktion von Gütern (vgl. BSG, Urteil vom 23. August
2007 aaO). Dass dem VEB Rapro selbst keine Massenproduktion von Gütern oblag, folgt
bereits aus der vorliegenden Referenzliste der realisierten Anlagen, die zuletzt für das
Jahr 1989 nur die Errichtung einer Industrieanlage zur Herstellung von Vergasern für Pkw-
Motoren für den VEB Berliner Vergaser- und Filterwerke, die Errichtung eines Werkes zur
Produktion von Verdichtern für den VEB dkk Scharfenstein sowie die Erarbeitung des
„Know-hows“ und von „Consulter-Leistungen“ für die Lizenzproduktion von
Krankenhausbetten und Zubehör in Ägypten ausweist. Auch die für die Fertigstellung der
kompletten Anlagen benötigten Sachgüter (zB Hallen) produzierte der VEB Rapro im
Wesentlichen nicht selbst. Er bediente sich dazu vielmehr seiner Kooperationspartner im
Industriebausektor (zB des Metallleichtbaukombinats L bei der Realisierung von
Montagewerken für Kraftfahrzeuge), und zwar nach der Prämisse „Tausende Erzeugnisse
der Investitionsgüterindustrie – Hunderte Produzenten und Lieferanten – Ein
Generallieferant“ (Prospekt des VEB Rapro). Demgemäß weist der Geschäftsbericht für
das Jahr 1989 vom 17. Februar 1990 auch einen im Verhältnis zur weit überwiegenden
„nichtindustriellen“ Warenproduktion (insgesamt 1,2004 Milliarden Mark – M - der DDR)
nur untergeordneten Umfang der „Nettoproduktion“ von 35 Millionen M aus.
Dieser hauptsächlich verfolgte Betriebszweck entsprach daher den Vorgaben der
Verordnung über die Vorbereitung und Ausführung von Investitionen vom 30. November
1988 (Inv-VO; GBl. I Nr 26), nach deren § 30 GAN für einen Investitionsauftraggeber
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1988 (Inv-VO; GBl. I Nr 26), nach deren § 30 GAN für einen Investitionsauftraggeber
komplette nutzungsfähige Anlagen, Gebäude und bauliche Anlagen oder Wohnkomplexe
als Finalprodukte errichten oder rekonstruieren. Die Verantwortung der GAN umfasst
dabei die Forschung und Entwicklung, die Mitwirkung an der Ausarbeitung realer
technischer und ökonomischer Vorgaben für die Vorbereitung der Investition sowie an
der Vorbereitung der Grundsatzentscheidung einschließlich der dazu erforderlichen
Projektierung, die Erarbeitung der Ausführungsprojekte einschließlich der Koordinierung
der Ausführungsprojekte ihrer Kooperationspartner, die Errichtung der
Investitionsvorhaben einschließlich der Leitung und Durchführung des Probebetriebs mit
Leistungsnachweis und die Anleitung des Personals des Investitionsauftraggebers im
Anlaufzeitraum (§ 30 Abs. 2 Inv-VO). Im Einklang damit steht auch, dass der VEB Rapro
in der „Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR“ (Ausgabe 1985) der
Wirtschaftsgruppe 63310 zugeordnet worden war. Dies waren technologische
Projektierungsbetriebe (selbständige Organisationen zur technischen Projektierung und
Betreuung in allen Zweigen der materiellen Produktion).
Der Kläger war am Stichtag auch nicht in einem Betrieb beschäftigt, der gemäß § 1 Abs.
2 der 2. DB einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens
gleichgestellt war. Betriebe der Rationalisierung und Projektierung sind dort ebenso
wenig aufgeführt wie GAN (vgl. BSG aaO).
Eine erweiternde Auslegung über die in § 1 Abs. 1 AAÜG angelegte Modifikation hinaus,
die eine Einbeziehung des Klägers in das AAÜG ermöglichte, ist nicht erlaubt, so dass
ein Analogieverbot besteht (vgl. BSG, Urteil vom 07. September 2006 – B 4 RA 41/05 R
= SozR 4-8570 § 1 Nr 11; BSG, Beschluss vom 13. Februar 2008 – B 4 RS 133/07 B –
juris - mwN). Diese verfassungsrechtliche Wertung des BSG, die der Senat seiner
Entscheidung zugrunde legt, hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt (vgl. z. B.
BVerfG, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 = SozR 4-8570 § 5 Nr 4;
Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 = SozR 4-8560 § 22 Nr 1).
Dem hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers war nicht zu entsprechen. Dieser
Beweisantrag ist bereits unzulässig, da er sich nicht auf aufklärungsbedürftige Tatsachen
bezieht. Entgegen der Auffassung des Klägers sind nämlich die heranzuziehenden
abstrakt-generellen Vorschriften der Versorgungsordnung und der hierzu ergangenen 2.
DB nicht im Rahmen der Tatsachenfeststellung als „ausländisches Recht“ festzustellen,
sondern als sekundäres und partielles Bundesrecht der rechtlichen Beurteilung zugrunde
zu legen. Denn bei der – hier streitigen - fiktiven Einbeziehung in die AVTI im Rahmen
des § 1 Abs. 1 AAÜG ist die Rechtslage am 1. August 1991 maßgebend und damit
betrifft die Auslegung des Begriffs „Produktionsbetrieb“ die Auslegung von –
sekundärem – Bundesrecht (anders als bei § 5 AAÜG; siehe dazu: BSG, Urteil vom 18.
Oktober 2007 – B 4 RS 28/07 R = SozR 4-8570 § 5 Nr 10).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen
nicht vor.
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