Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: umkehr der beweislast, öffentliches interesse, gefahr im verzug, angemessene frist, unrichtige angabe, leichte fahrlässigkeit, aufschiebende wirkung, anhörung, richtigstellung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 KA 13/11 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 82 Abs 1 SGB 5, § 106a SGB 5,
§ 45 Abs 2 BMV-Ä, § 34 Abs 4
EKV-Ä, Art 19 Abs 4 GG
Kassenärztliche Vereinigung - Honorarberichtigung - Nachweis
der unrichtigen Abrechnung - Aufnahme in den Honorarbescheid
- Akteneinsicht in staatsanwaltliche Ermittlungsakten -
Nachholung einer unterlassenen Anhörung
Leitsatz
1.) Die sachlich-rechnerische Richtigstellung eines Honorarbescheides erfordert, dass die KV
dem Arzt für jedes Quartal, für das sie das Honorar richtig stellen will, zumindest eine
unrichtige Abrechnung in der Abrechnungs-Sammelerklärung nachweist.
2.) Der Nachweis setzt grundsätzlich voraus, dass die Antragsgegnerin die von ihr ermittelte,
fehlerhafte Abrechnung nach Leistungsart und Abrechnungsziffer bezeichnet und zusammen
mit den gegebenenfalls erforderlichen Beweismitteln und Tatsachen, aus denen sich ein
Verschulden des betroffenen Arztes ergibt, in den Honorarbe-richtigungsbescheid aufnimmt.
3.) Zum Recht einer KV auf Einsichtnahme in staatsanwaltliche Ermittlungsakten.
4.) Zur Nachholung einer unterlassenen Anhörung.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 190.875,61 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin
vom 25. Januar 2011 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig,
aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 85
Abs. 4 Satz 9 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) kraft Gesetzes ausgeschlossene
aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers (vgl. dazu Beschlüsse des
Senats vom 31. Januar 2006, L 7 B 1046/05 KA ER und vom 7. Mai 2007, L 7 B 97/06 KA
ER, jeweils zitiert nach juris) gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 13. und 27.
Juli 2010, mit denen diese die dem Antragsteller erteilten Honorarbescheide für die
Quartale I/2005 bis IV/2009 aufgehoben, das dem Antragsteller für diese Zeit
zustehende Honorar auf 0 € festgesetzt und das ihm gewährte Honorar vollständig in
Höhe von 381.751,22 € zurückgefordert hat, rechtsfehlerfrei angeordnet. Denn bei der
nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG für diese Entscheidung durchzuführenden Abwägung der
Interessen der Beteiligten ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber
dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin der Vorrang einzuräumen, weil sich die
angefochtenen Bescheide sowohl materiell als auch formell als rechtswidrig erweisen; an
der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Bescheide besteht jedoch kein besonderes
öffentliches Interesse. Daher konnte auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben.
1.) Die Antragsgegnerin war im vorliegenden Fall auf der Grundlage der bekannten
Tatsachen gemäß § 45 Abs. 2 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV Ä) bzw. § 34 Abs. 4
Ersatzkassenvertrag Ärzte (EKV-Ä) i.V.m. § 82 Abs. 1 SGB V bzw. § 106a SGB V sowie
nach § 45 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 i.V.m. § 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes
nicht
dem Antragsteller in der streitigen Zeit für vertragsärztliche Leistungen gewährte
Honorar vollständig zurückzuverlangen. Zwar berechtigen die genannten Vorschriften
die Antragsgegnerin zur Rücknahme unrichtiger und damit rechtswidriger
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die Antragsgegnerin zur Rücknahme unrichtiger und damit rechtswidriger
Honorarbescheide und zur Rückforderung zu Unrecht gezahlten Honorars. Das gilt
insbesondere in den Fällen, in denen ein ermächtigter Arzt Leistungen abgerechnet hat,
die nicht von ihm selbst, sondern von einem nicht genehmigten Assistenten oder
Vertreter erbracht worden sind; denn eine solche Vorgehensweise macht die auf einer
entsprechenden Abrechnung beruhenden Honorarbescheide sachlich-rechnerisch
unrichtig, was zur Honorarberichtigung und Rückforderung grundsätzlich ausreicht.
a) Für die Frage, ob eine Honorarabrechnung unrichtig erstellt und abgegeben und der
auf ihr beruhende Honorarbescheid deshalb ebenfalls unrichtig, d.h. rechtswidrig, ist, hat
die Erklärung des Vertragsarztes über die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung
der geltend gemachten Leistungen eine grundlegende Bedeutung. Die an sich für jede
einzelne Leistungsabrechnung gebotene Erklärung des Arztes über die
ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung dieser Leistung wird aufgrund der den
Vertragsarzt bindenden Bestimmungen untergesetzlichen Rechts durch eine sog.
Abrechnungs-Sammelerklärung ersetzt. Nach §§ 35 Abs. 2, 42 Abs. 3 BMV-Ä, §§ 34 Abs.
1, 35 EKV-Ä ist die Abgabe einer - ordnungsgemäßen - Abrechnungs-Sammelerklärung
eine eigenständige Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs des Vertragsarztes
auf Vergütung der von ihm erbrachten Leistungen. Mit ihr garantiert der Vertragsarzt,
dass die Angaben auf den von ihm eingereichten Abrechnungen zutreffen. Diese
Garantiefunktion ist gerade wegen der aufgrund des Sachleistungsprinzips im
Vertragsarztrecht auseinander fallenden Beziehungen bei der Leistungserbringung und
der Vergütung und den damit verbundenen Kontrolldefiziten unverzichtbar. Die
Richtigkeit der Angaben in den Abrechnungen kann nur in engen Grenzen überprüft
werden, und Kontrollen sind mit erheblichem Aufwand und unsicheren Ergebnissen
verbunden. Das System der Abrechnung beruht deshalb in weitem Maße auf dem
Vertrauen, dass der Arzt die erbrachten Leistungen zutreffend abrechnet. Insoweit
kommt der Abrechnungs-Sammelerklärung als Korrelat für das Recht des Arztes, allein
aufgrund eigener Erklärungen über Inhalt und Umfang der von ihm erbrachten
Leistungen einen Honoraranspruch zu erwerben, eine entscheidende Funktion bei der
Überprüfung der Abrechnung zu.
Aus dieser Funktion der Abrechnungs-Sammelerklärung als Voraussetzung der
Vergütung der von dem Vertragsarzt abgerechneten Leistungen folgt zugleich, dass die
Erklärung in den Fällen, in denen sie sich wegen abgerechneter, aber nicht oder nicht
ordnungsgemäß erbrachter Leistungen als falsch erweist, ihre Garantiewirkung nicht
mehr erfüllt, es sei denn, es läge lediglich ein Fall schlichten Versehens vor. Wenn die
Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung entfällt und damit eine
Voraussetzung für die Festsetzung des Honoraranspruches des Arztes fehlt, ist der auf
der Honorarabrechnung des Vertragsarztes in Verbindung mit seiner Bestätigung der
ordnungsgemäßen Abrechnung beruhende Honorarbescheid rechtswidrig. Die
Kassenärztliche Vereinigung (KV) ist zumindest berechtigt, wenn nicht verpflichtet, den
entsprechenden Honorarbescheid aufzuheben und das Honorar neu festzusetzen (BSG
Urteil vom 17. September 1997, 6 RKa 86/95).
b) Die Abrechnungs-Sammelerklärung als Ganzes ist bereits dann unrichtig, wenn nur
eine mit ihr abgegebene Abrechnungsposition eine unrichtige Angabe über erbrachte
Leistungen enthält. Damit entfällt für die KV grundsätzlich die Verpflichtung, als
Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides dem Arzt mehr als eine
unrichtige Abrechnung pro Quartal nachzuweisen . Sie ist rechtlich nicht gehalten, in
allen Behandlungsfällen, in denen sie unrichtige Abrechnungen vermutet, den Nachweis
der Unrichtigkeit zu führen. Im Ergebnis liegt somit das Honorar-Risiko auf der Seite des
Arztes, der in seiner Honorarabrechnung unrichtige Angaben gemacht hat (BSG Urteil
vom 17. September 1997, 6 RKa 86/95).
Wegen dieser weitgehenden Wirkung der Rechtsfolgen aus der Abgabe einer unrichtigen
Abrechnungs-Sammelerklärung sind diese auf den Fall zu beschränken, dass unrichtige
Angaben in den Behandlungsausweisen zumindest grob fahrlässig, also unter Verletzung
der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3
Halbsatz 2 SGB X), erfolgt sind. Eine vorsätzlich falsche Abrechnung ist nicht erforderlich.
Andererseits reicht für die genannte Berechtigung der KV leichte Fahrlässigkeit auf
Seiten des Arztes oder des von ihm beauftragten Personals nicht aus. Beruhen
unrichtige Angaben in der Honorarabrechnung auf einem schlichten Versehen, so
beeinträchtigt dies nicht die grundsätzliche Garantiefunktion der Abrechnungs-
Sammelerklärung und berechtigt lediglich zur rechnerischen und sachlichen
Richtigstellung der Honorarabrechnung hinsichtlich dieser Abrechnungsfehler.
c) Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Richtigstellung setzt allerdings immer
voraus, dass die KV dem Antragsteller für jedes Quartal, für das sie das Honorar
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voraus, dass die KV dem Antragsteller für jedes Quartal, für das sie das Honorar
richtigstellen will, zumindest eine unrichtige Abrechnung in der Abrechnungs-
Sammelerklärung nachweist. Nur die von der KV tatsächlich aufgedeckten
Abrechnungsfehler berechtigen sie im Rahmen der sachlich-rechnerischen
Richtigstellung zur Berichtigung eines Honorarbescheides und zur Umkehr der
Beweislast zu Lasten des Arztes (Urteil des Senats vom 10. Oktober 2007, L 7 KA 56/03;
ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. November 2002, L 5 KA 4454/00,
jeweils zitiert nach juris). Der erforderliche Nachweis setzt grundsätzlich voraus, dass die
Antragsgegnerin die von ihr ermittelte, fehlerhafte Abrechnung nach Leistungsart und
Abrechnungsziffer bezeichnet und zusammen mit den gegebenenfalls erforderlichen
Beweismitteln und Tatsachen, aus denen sich ein Verschulden des betroffenen Arztes
ergibt, in den Honorarberichtigungsbescheid aufnimmt. Denn der betroffene Arzt muss
wissen, auf welchen Abrechnungsfehler die KV die Unrichtigkeit seiner Abrechnung
stützt, weil hiervon für ihn einschneidende Rechtsfolgen abhängen: Beim Nachweis auch
nur eines Abrechnungsfehlers kann die KV von dem Vertragsarzt die sofortige
Rückzahlung des gesamten in einem Quartal abgerechneten Honorars verlangen, weil er
nicht nur der Umkehr der Beweislast, sondern auch der sofortigen Vollziehbarkeit des
Berichtigungs- und Rückforderungsbescheides ausgesetzt ist. Könnte die KV auf die
genaue Angabe des Abrechnungsfehlers in diesem Bescheid verzichten und sich für ihr
Rückforderungsbegehren trotzdem auf die Umkehr der Beweislast und die sofortige
Vollziehbarkeit stützen, wäre für den betroffenen Arzt ein effektiver Rechtsschutz vor der
Durchführung des Hauptsacheverfahrens praktisch nicht mehr möglich, weil jeder
Anknüpfungspunkt für eine Rechtsverteidigung fehlen würde. Dies wäre mit seinem
Recht aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Außerdem würde eine solche
Vorgehensweise der KV gegebenenfalls die Sozialgerichte zwingen, „ins Blaue hinein“
ohne brauchbaren Anknüpfungspunkt nach Abrechnungsfehlern zu suchen. Denn eine
Berichtigung der Honorarbescheide auf den bloßen Verdacht der fehlerhaften
Abrechnung hin lassen die oben genannten Rechtsgrundlagen aus dem SGB V, den
Mantelverträgen und dem SGB X nicht zu.
d) Die vorstehenden Anforderungen erfüllen die angefochtenen Bescheide nicht. In den
Bescheiden vom 13. und 27. Juli 2010 beschränkt sich die Antragsgegnerin mit geringen
Abweichungen in der Formulierung darauf, den für die Widerlegung der Garantiefunktion
der Abrechnungs-Sammelerklärung maßgeblichen Abrechnungsfehler damit zu
begründen, ihr sei (ein Sachverhalt) bekannt geworden, dass die vom Antragsteller im
Rahmen seiner Ermächtigung abgerechneten Leistungen seit 2005 tatsächlich nicht von
ihm persönlich erbracht worden seien. Konkrete Angaben hierzu enthalten die
angefochtenen Bescheide nicht, obwohl auch die Antragsgegnerin nicht davon ausgeht,
dass der Antragsteller überhaupt keine der abgerechneten Leistungen erbracht hat, wie
ihr Vorbringen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zeigt. Denn sie geht von
dem von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin erhobenen Vorwurf aus,
wonach der Antragsteller die abgerechneten Leistungen „regelhaft auf
Weiterbildungsassistenten des Krankenhauses“ delegiert habe.
e) Auf den Nachweis zumindest eines Abrechnungsfehlers je Quartal kann auch dann
nicht verzichtet werden, wenn die Ermittlung der Abrechnungsfehler für die
Antragsgegnerin schwierig sein sollte. Der Einwand der Antragsgegnerin, sie habe vor
Erlass der angefochtenen Bescheide von der Staatsanwaltschaft keine Akteneinsicht
erhalten können, ist nicht stichhaltig. Denn nach § 474 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3
Strafprozessordnung (StPO) stand ihr ein Recht auf Einsicht in die Ermittlungsakten zu,
weil diese Einsicht zur Feststellung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen im
Zusammenhang mit einer Straftat erforderlich ist; zumindest hätte sie unter denselben
(gegebenen) Voraussetzungen aber einen Anspruch auf Auskünfte aus den Akten der
Staatsanwaltschaft besessen (vgl. hierzu im Einzelnen: OLG Hamm, Beschluss vom 30.
April 2009, 1 VAs 11/09, zitiert nach juris). Im Falle der Gewährung der Akteneinsicht
hätte sie auch deren Übersendung erreichen und amtlich verwahrte Beweisstücke
besichtigen können (§ 474 Abs. 4 und 5 StPO). Ebenso wenig entbindet die Tatsache,
dass der Antragsteller dem Vorwurf, regelhaft die von ihm abgerechneten Leistungen an
Weiterbildungsassistenten des Krankenhauses delegiert zu haben, nach Meinung der
Antragsgegnerin nicht substantiiert entgegengetreten sei, die Antragsgegnerin vom
Nachweis eines Abrechnungsfehlers pro Quartal. Zu einem substantiierten Bestreiten ist
der Antragsteller erst nach der Angabe zumindest einer falschen Abrechnung in der
Lage, wie der Senat bereits oben dargelegt hat. Ein konkretes Bestreiten ist deshalb
derzeit weder möglich noch erforderlich.
2.) Darüber hinaus sind die angefochtenen Bescheide auch formell fehlerhaft, weil die
Antragsgegnerin den Antragsteller vor ihrem Erlass nicht nach § 24 Abs. 1 SGB X
angehört hat, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen wäre. Insoweit nimmt der Senat auf
die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug, denen er folgt (vg. § 142 Abs.
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die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug, denen er folgt (vg. § 142 Abs.
2 Satz 3 SGG).
a) Es sind keine Gründe erkennbar, die zu einem Absehen von der Anhörung berechtigt
hätten. Gefahr im Verzug oder ein öffentliches Interesse ohne Anhörung sofort zu
entscheiden, sind nicht erkennbar (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Da der Antragsteller
sich vor Erlass der Bescheide in Untersuchungshaft befand, ist schon zweifelhaft, ob er
überhaupt in der Lage gewesen wäre, Vermögenswerte der Rückforderung zu entziehen,
wie die Antragstellerin befürchtet. Außerdem hatte die Staatsanwaltschaft ein Konto mit
einem Guthaben von ca. 134.000 € arretiert, so dass ein Teil der Forderung ohnehin
gesichert war. Zumindest wäre aber eine Anhörung mit einer kurzen Frist von wenigen
Tagen möglich und ausreichend gewesen, insbesondere wenn die Antragsgegnerin den
Bescheid zutreffend begründet hätte, weil dem Antragsteller dann eine Entkräftung der
erhobenen Falschabrechnung auch in kurzer Zeit zuzumuten gewesen wäre.
b) Der Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 SGB X ist auch nicht gemäß
§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden. Dies würde nämlich voraussetzen, dass die
erforderliche Anhörung des Antragstellers nachgeholt worden ist. Das ist aber nicht der
Fall. Die Nachholung der fehlenden Anhörung setzt voraus, dass die Handlungen, die an
sich nach § 24 Abs. 1 SGB X bereits vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes hätten
vorgenommen werden müssen, von der Verwaltung bis zum Abschluss der gerichtlichen
Tatsacheninstanz vollzogen werden. Ein während des Gerichtsverfahrens zu diesem
Zweck durchzuführendes förmliches Verwaltungsverfahren liegt vor, wenn die Behörde
dem Kläger/Antragsteller in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den
entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob
sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt
festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass - ggf. nach freigestellter Aussetzung des
Verfahrens gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG - die Behörde den Kläger/Antragsteller in
einem gesonderten "Anhörungsschreiben" alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die
belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung
setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur
Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (BSG,
Urteil vom 9. November 2010, B 4 AS 37/09 R, m.w.N., zitiert nach juris). Abgesehen
davon, dass die Antragsgegnerin den gesamten Schriftwechsel mit dem Antragsteller
zur Nachholung der Anhörung nicht zu dem dem Gericht übersandten
Verwaltungsvorgang genommen hat und damit das vom Bundessozialgericht geforderte
förmliche Verwaltungsverfahren nicht dokumentiert ist, hat sich die Antragsgegnerin
nicht unter Würdigung des Vorbringens des Antragstellers im Widerspruchsverfahren
nach Ablauf der ihm gesetzten Fristen abschließend zum Ergebnis der Überprüfung
geäußert. Weder das von der Antragsgegnerin übersandte Schreiben vom 30. Dezember
2010 noch die vom Antragsteller vorgelegten Schreiben der Antragsgegnerin vom 27.
Januar 2011, 2. Februar 2011 oder 14. Februar 2011 setzen sich mit dem Vorbringen des
Antragstellers im Widerspruchsverfahren auch nur ansatzweise auseinander. Eine
abschließende Äußerung zum Ergebnis der Überprüfung nach Ablauf der zuletzt bis zum
14. Februar 2011, 24:00 Uhr gesetzten Äußerungsfrist fehlt völlig: Denn das Schreiben
der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2011 ist vor Fristablauf gefertigt worden und lässt
erkennen, dass eine inhaltliche Überprüfung nicht stattgefunden hat.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie aus §§ 52 und 53 Gerichtskostengesetz
(GKG).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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