Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 20.07.2006

LSG Berlin-Brandenburg: pflege, zusammenleben, drucksache, gleichbehandlung, schulausbildung, volljährigkeit, willkürverbot, link, sammlung, quelle

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 5 AS 1357/10 B PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 21 Abs 3 SGB 2 vom
20.07.2006, § 1603 Abs 2 S 2
BGB, § 1626 Abs 1 BGB, § 1631
Abs 1 BGB, Art 3 Abs 1 GG
Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf bei Alleinerziehung
minderjähriger Kinder - keine Gleichstellung bei volljährigen
Kindern - Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz
§ 21 Abs. 3 SGB II verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit darin volljährige Kinder, die
sich in allgemeiner Schulausbildung befinden und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben, nicht den minderjährigen Kindern gleichgestellt werden.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni
2010 wird zurückgewiesen.
Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die am 22. Juli 2010 eingegangene Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010, mit dem der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts wegen fehlender hinreichender
Erfolgsaussicht zurückgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Kläger, die als Familie zusammenleben
und laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
des Sozialgesetzbuches (SGB II) beziehen, haben aus § 73a Abs. 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit den §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 2
Zivilprozessordnung (ZPO) keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, da die
Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht.
Mit ihrer am 9. Oktober 2009 beim Sozialgericht eingegangenen Klage möchten die
Kläger für die Zeit vom 1. August 2009 bis zum 31. Dezember 2009 die Bewilligung
höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durchsetzen, indem sie sich
dagegen wenden, dass der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Juni 2009
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2009 für den genannten
Zeitraum nicht einen Mehrbedarf für Alleinerziehung in Höhe von 36 Prozent der
Regelleistungen der Klägerin zu 1), sondern nur in Höhe von zwölf Prozent dieser
Regelleistungen berücksichtigt hat.
Auf höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes in der geltend
gemachten Höhe besteht jedoch kein Anspruch. Als Anspruchsgrundlage kommen nur
die §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Satz 1, 21 Abs. 3 SGB II in Betracht. Die in § 21 SGB II
geregelten Mehrbedarfe sind nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II Bestandteil der von der
Bundesagentur für Arbeit zu erbringenden Leistungen (Bundessozialgericht, Urteil vom
2. Juli 2009, B 14 AS 54/08 R; Urteil vom 3. März 2009, B 4 AS 50/07 R; diese und die
nachfolgend zitierten Entscheidungen sind bei der Datenbank Juris abrufbar), deren
Bewilligung eine selbständige Verfügung darstellt (Bundessozialgericht, Urteil vom 7.
November 2006, B 7b AS 8/06 R).
Gemäß § 21 Abs. 3 SGB II ist für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen
Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ein
Mehrbedarf anzuerkennen, und zwar (1.) in Höhe von 36 Prozent der nach § 20 Abs. 2
SGB II maßgebenden Regelleistung, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder
mit zwei oder drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammen leben, oder (2.) in Höhe
von zwölf Prozent der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung für jedes
Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt,
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Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt,
höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden
Regelleistung.
Danach hat die Klägerin zu 1) für die Zeit vom 1. August 2009 bis zum 31. Dezember
2009 nur einen Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für
Alleinerziehung in Höhe von zwölf Prozent ihrer Regelleistungen. Denn nachdem ihre am
1. August 1991 geborene Tochter mit dem achtzehnten Geburtstag am 1. August 2009
die Volljährigkeit erreicht hatte (§ 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]), verblieb nur
noch der am 15. Mai 2002 geborene Sohn als zu berücksichtigendes minderjähriges
Kind, das im streitgegenständlichen Zeitraum bereits sieben Jahre alt war.
Der Beklagte hat die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zutreffend unter
Berücksichtigung des streitigen Mehrbedarfes berechnet. Der Klägerin zu 1) standen
gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 17. Juni
2009 über die Höhe der Regelleistungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für die Zeit ab 1.
Juli 2009 (BGBl. I S. 1342) Regelleistungen in Höhe von 359,- EUR zu. Der Mehrbedarf für
Alleinerziehung in Höhe von zwölf Prozent von 359,- EUR beträgt 43,08 EUR. Zusammen
ergibt sich ein monatlicher Betrag in Höhe von 402,08 EUR, der gemäß § 41 Abs. 2 SGB
II auf die bewilligten 402,- EUR abzurunden war.
Gegen die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über den Mehrbedarf für
Alleinerziehung kann nicht eingewandt werden, es liege ein Verstoß gegen das
Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor, da volljährige
Kinder, die sich - wie die Klägerin zu 2) - in allgemeiner Schulausbildung befänden und
das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, nach der im Unterhaltsrecht geltenden
Vorschrift des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB minderjährigen Kindern gleichzustellen seien.
Der Senat hält diese Rechtsauffassung nicht für vertretbar. Aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz, der die Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte gebietet,
ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen
unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer
strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Art. 3 Abs. 1 GG ist
jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache
ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung
nicht finden lässt (vgl. zum Beispiel Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.
September 2007, 2 BvR 1673/03, 2 BvR 2267/03, 2 BvR 1046/04, 2 BvR 584/07, 2 BvR
585/07, 2 BvR 586/07).
Sachliche Gründe für die durch § 21 Abs. 3 SGB II vorgenommene Unterscheidung
zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern unter 21 Jahren liegen jedoch auf der
Hand. Die Vorschrift knüpft mit ihrem Wortlaut („für deren Pflege und Erziehung sorgen“)
an die in den §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB geregelte elterliche Personensorge an,
die ausschließlich für minderjährige Kinder gilt und mit dem Eintritt der Volljährigkeit
entfällt. Das deckt sich auch mit der Gesetzesbegründung. Nach dem Willen des
Gesetzgebers sollte mit § 21 Abs. 3 SGB II die entsprechende Vorschrift im
Bundessozialhilfegesetz fortgeschrieben werden (BT-Drucksache 15/1516, S. 57). Dort
sah der Gesetzgeber den Mehrbedarfszuschlag dadurch als gerechtfertigt an, dass
Alleinerziehende gerade wegen der Sorge für ihre Kinder („Pflege und Erziehung“)
weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen, sowie zugleich höhere Aufwendungen für
Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen (BT-
Drucksache 10/3079, S. 5). Solche Mehraufwendungen für Pflege und Erziehung fallen
bei volljährigen Kindern nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich nicht mehr an, da
diese grundsätzlich zu einer selbständigen Lebensführung in der Lage sind. Da mit dem
Mehrbedarf nicht ein Bedarf des Kindes, sondern des Alleinerziehenden gedeckt werden
soll, geht auch die Bezugnahme der Kläger auf die Vorschrift des § 1603 Abs. 2 Satz 2
BGB ins Leere, die allein der Sicherung des Kindesunterhalts dient.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127
Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das
Bundessozialgericht angefochten werden.
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