Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 27.08.2007

LSG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, rechtliches gehör, vollziehung, auskunftspflicht, untermieter, bedürftigkeit, haushalt, wohnung, verwaltungsakt

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
28. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 28 B 1830/07 AS
ER, L 28 AS 1844/07
AS PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86b SGG, § 7 Abs 3 Nr 3 SGB
2, § 9 SGB 2, § 11 SGB 2, § 12
SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Aufhebungsbescheid -
Auskunftspflicht - Bedarfsgemeinschaft - Feststellungslast
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam
vom 27. August 2007 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs
vom 7. August 2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2007
angeordnet.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den weiteren Beschluss des Sozialgerichts
Potsdam vom 27. August 2007, mit dem das Gericht den Antrag auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren abgelehnt hat, wird
zurückgewiesen.
Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerden des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Potsdam
vom 27. August 2007 sind gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
zulässig und, soweit das Gericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt
hat, begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts beurteilt sich das Rechtsschutzgesuch des
Antragstellers allerdings nicht nach § 86 b Abs. 2 SGG, sondern nach Abs. 1 der
Vorschrift. Denn mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 30. Mai 2007, mit
dem die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den
Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Dezember 2007 in Höhe von 592,00 €
monatlich bewilligt hat, wurde für den vorgenannten Bewilligungszeitraum ein
Rechtsgrund geschaffen, aus dem der Antragsteller für die jeweiligen Monate tatsächlich
die Auszahlung der von ihm begehrten Leistungen verlangen kann. Wenn die
Antragsgegnerin meint, diese Bewilligung sei rechtswidrig, weil „die gesetzlichen
Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen nicht vorliegen, weil nach Aktenlage
davon auszugehen (sei), dass der Antragsteller mit Frau A B (B) in einer
Bedarfsgemeinschaft lebe und eine bestehende Hilfebedürftigkeit der
Bedarfsgemeinschaft nach Aktenlage nicht erkennbar und auch nicht nachgewiesen“
sei, so bedarf der Bewilligungsbescheid der Rücknahme gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 und
Satz 2 Nr. 1 (SGB II) in Verbindung mit § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch und §§ 44 ff.
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch. Dieser Bescheid, der hier unter dem 31. Juli 2007
ergangen ist, stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar, weil mit ihm in die mit dem
Bewilligungsbescheid vom 30. Mai 2007 geschaffene und den Antragsteller
begünstigende Rechtsposition eingegriffen worden ist.
Gegen den Bescheid vom 31. Juli 2007 hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt, über
den bisher noch nicht entschieden worden ist. Da dieser Widerspruch nach § 39 Nr. 1
SGB II keine aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach §
86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.
Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen wie dem Vorliegenden, in denen
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Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen wie dem Vorliegenden, in denen
Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die
aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung
ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach
pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private
Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das
öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist.
Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest
erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des streitigen Bescheides bestehen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren,
2005, Rdnr. 197 ff.). Denn an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger
Verwaltungsakte kann kein - auch gesetzlich angeordnetes - öffentliches Interesse
bestehen; umgekehrt besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der
Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes. Ist in diesem Sinne
eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, ist weiterhin Voraussetzung,
dass dem Betroffenen das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht
zugemutet werden kann, also ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht (Beschluss
des Senats vom 6. März 2007 - L 28 B 290/07 AS ER - und bereits Beschluss des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2006 - L 10 B 191/06 AS ER - ,
abrufbar unter: www.sozialgerichtsbarkeit.de).
An diesen Grundsätzen gemessen bestehen an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung
der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2007 ernsthafte Zweifel. Die Rechtmäßigkeit dieser
Entscheidung misst sich an § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), da sich eine
anfängliche Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ergibt, wenn eine
Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau B zu Beginn des
Bewilligungsabschnitts bestanden hat. Dabei kann der Umstand, dass die
Antragsgegnerin ihren Bescheid auf § 48 SGB X gestützt hat, alleine nicht zum Erfolg
des Widerspruchs führen. Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die
Aufhebung (im weiten Sinn) eines Verwaltungsaktes, gerichtet sind, ist das Auswechseln
dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (zuletzt BSG, Urteil vom 20. Oktober
2005, SozR 4-4300 § 119 Nr. 3 RdNr. 14 ff.). Die Antragsgegnerin verkennt in diesem
Zusammenhang im Übrigen, soweit sie ihren Rücknahmebescheid vom 31. Juli 2007
sinngemäß damit begründet, dass der Antragsteller seine Bedürftigkeit nicht
nachgewiesen habe, dass, anders als im Bewilligungsverfahren, im Aufhebungsverfahren
nach § 45 SGB X nicht der Antragsteller die Feststellungslast für das Vorliegen der
anspruchsbegründenden Vorraussetzungen einer Norm trägt, sondern sie die
Feststellungslast dafür trägt, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 30. Mai
2007 rechtswidrig ist. Eine solche Feststellung kann im vorliegenden Fall aufgrund
fehlender Ermittlungen seitens der Antragsgegnerin indes nicht getroffen werden.
Allerdings teilt der Senat die Auffassung der Antragsgegnerin, dass zwischen dem
Antragsteller und Frau B eine anfänglich nicht erkannte Bedarfsgemeinschaft im Sinne
des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c) SGB II besteht. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II gehört
zur Bedarfsgemeinschaft eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen in
einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung
der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und
füreinander einzustehen. Nach § 7 Abs. 3 a) SGB II wird ein wechselseitiger Wille,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn
Partner
Vorliegend sprechen die nach außen erkennbar gewordenen Umstände ganz
überwiegend dafür, dass der Antragsteller mit Frau B in einer Bedarfsgemeinschaft lebt.
Nach Aktenlage leben sie seit mindestens Januar 2001 in einer Wohnung. Im September
2005 sind der Antragsteller und Frau B in eine größere und wesentlich teurere Wohnung
umgezogen, ohne dass sich allerdings die nach Angaben des Antragsteller von ihm zu
zahlende Miete erhöht hat. Der Antragsteller und Frau B haben insoweit zwar einen
Untermietvertrag geschlossen, in diesem Mietvertrag werden indes die Räume, die dem
Antragsteller als Untermieter vermietet werden, nicht benannt. Die ihm zu zahlende
Miete wird dagegen genau angegeben. Ausweislich des Ermittlerberichtes der
Antragsgegnerin über einen Hausbesuch bei dem Antragsteller am 2. Juli 2007 besteht
auch keine räumliche Trennung der Wohnbereiche des Antragstellers und des
Wohnbereiches der Frau B. So gab der Antragsteller an, auf einem Sofa zu nächtigen,
welches nicht als Schlafcouch zu nutzen ist. Bettwäsche und Bettzeug waren
offensichtlich nicht vorhanden. Das Sofa befindet sich zudem in einem Zimmer, welches
als Wohnzimmer bezeichnet wurde und offensichtlich auch von Frau B genutzt wird. Auch
werden die Kleidung des Antragstellers und der Frau B sowie die jeweiligen persönlichen
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werden die Kleidung des Antragstellers und der Frau B sowie die jeweiligen persönlichen
Unterlagen nicht von einander getrennt verwahrt. Auch die Frage, wer die Kosten der
Versicherung für sein Auto trägt, konnte der Antragsteller nicht widerspruchsfrei
beantworten. Soweit er insoweit rügt, dass ihm kein rechtliches Gehör gewährt worden
sei, weil ihm dieser Bericht nicht zugänglich gemacht worden sei, kann der Senat offen
lassen, ob dies zutrifft. Denn jedenfalls hat der anwaltlich vertretene Antragsteller nach
Aktenlage bisher nicht einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt.
Lebt der Antragsteller danach mit Frau B in einer Bedarfsgemeinschaft, ist er nach § 9
Abs. 1 Satz 1 SGB II allerdings nur hilfebedürftig, wenn er und Frau B ihren
Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können. Die dazu nach §§ 7, 9, 11
und 12 SGB II notwendigen Feststellungen sind im Verwaltungsverfahren nicht getroffen
worden. Präsente Beweismittel, die der Senat einer Entscheidung in diesem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren zugrunde legen kann, sind deshalb nicht vorhanden. Die
Antragsgegnerin hat den Sachverhalt insoweit entweder nicht oder nicht in der
geeigneten Weise ermittelt. Denn sie hat zwar Frau B mit Schreiben vom 4. Juli 2007
aufgefordert, eine Einkommensbescheinigung vorzulegen und ihre
Vermögensverhältnisse darzulegen, aber Frau B hat hierauf mit Schreiben vom 18. Juli
2007 mitgeteilt, dass der Antragsteller nicht ihr Lebenspartner sei, sondern ihr
Untermieter und sie deshalb nicht bereit sei, die von ihr geforderten Auskünfte zu
erteilen.
Hiermit ist indes nicht der Beweis erbracht, dass die ursprüngliche
Bewilligungsentscheidung wegen fehlender Bedürftigkeit rechtswidrig ist. Da die
entsprechenden Feststellungen nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand hierzu
fehlen, bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Entscheidung. Die Antragsgegnerin hätte es deshalb nicht dabei belassen dürfen, von
Frau B mit Schreiben vom 4. Juli 2007 Auskunft über ihre Einkommens- und
Vermögenssituation zu verlangen. Die Auskunftspflichten des § 60 Abs. 1 bis 4 SGB II
sind, anders als die Mitwirkungspflichten des Hilfebedürftigen, die (nur) Obliegenheiten
darstellen, als öffentlich-rechtliche Leistungspflicht (Schuld) des Dritten ausgestaltet
(Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 60, RdNr. 7). § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II setzt
allerdings schon nach seinem Wortlaut voraus, dass Einkommen oder Vermögens des
Partners zu berücksichtigen ist, mithin, dass eine Partnerschaft im Sinne des § 7 Abs. 3
Nr. 3 Buchst. a bis c SGB II besteht. Die Beklagte ist bei Bestehen einer derartigen
Partnerschaft (hier. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs.
3 Nr. 3 Buchst. c SGB II) berechtigt, die gesetzliche Auskunftspflicht des Dritten durch
Verwaltungsakt zu konkretisieren (Blüggel, a.a.O., RdNrn. 44, 53 m.w.N.) und diesen mit
den Mitteln der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen. Die Behörde kann den Partner
als Zeugen vernehmen (§§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch ) und unter Umständen nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 Satz
1 SGB X das zuständige Sozialgericht um die Vernehmung ersuchen. Bei unterbliebener
oder pflichtwidriger Erfüllung einer bestehenden und fälligen Auskunftspflicht durch den
Partner stehen dem Leistungsträger ferner die Rechte und Befugnisse nach §§ 62 und
63 SGB II (Schadenersatz, Geldbuße bis zu zweitausend Euro) zu. Soweit in diesem
Zusammenhang vertreten wird, dass vor Einholung einer Auskunft die Zustimmung der
antragstellenden Person gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch
einzuholen ist (vgl. Armborst, info also, 2007, S, 147 ff.), trifft dies jedenfalls insoweit
nicht zu, wenn - wie in dem vorliegenden Fall - von dem Dritten lediglich Auskunft über
seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse begehrt wird.
Die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das
erstinstanzliche Verfahren kann keinen Erfolg haben. Das Verfahren hat sich erledigt. Im
Hinblick auf den in diesem Beschluss ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch der
Antragstellerin für das gesamte einstweilige Rechtschutzverfahren besteht kein
Rechtsschutzbedürfnis mehr an der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog und § 73 a SGG in Verbindung mit
§§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 der Zivilprozessordnung.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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