Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 22.04.2008

LSG Berlin und Brandenburg: wohnung, miete, heizung, hauptsache, vergleich, altersrente, erlass, notlage, fälligkeit, zivilprozessordnung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 22.04.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 8 AS 19001/07 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 5 B 510/08 AS ER
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Januar 2008 werden
zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller, ein Ehepaar, begehren (noch) die einstweilige Übernahme von Mietschulden in Höhe von 2.247,73
Euro in monatlichen Raten zu jeweils 300,00 Euro ab April 2008.
Der früher selbständige Antragsteller ist seit 2004 ohne eigenes Einkommen; die Antragstellerin wurde zum Ende des
Jahres 2006 arbeitslos und bezog im Jahr 2007 Arbeitslosengeld I. Wovon der Lebensunterhalt derzeit bestritten wird,
ist unbekannt.
Seit November 2004 wohnen die Antragsteller in einer von der Antragstellerin angemieteten 123 m² großen 4,5-
Zimmerwohnung, für die seit August 2006 ein Gesamtmietzins von 637,68 Euro zu zahlen ist (Im Einzelnen:
Nettokaltmiete 478,96 Euro, Zuschlag für einen Lagerraum 20,00 Euro, Modernisierungszuschlag 2,22 Euro,
Betriebskostenvorschuss 136,50 Euro). Außerdem sind für Gas monatlich 179,00 Euro zu entrichten. Seit dem 1.
April 2005 ist ein 31 m² großer abgetrennter Teil der Wohnung für monatlich insgesamt 225,00 Euro an den Sohn der
Antragsteller untervermietet.
Im Januar 2007 beantragte der Antragsteller Leistungen nach dem SGB II. Dabei gab er an, mit seiner Ehefrau in
einer 92 m² großen 2-Zimmerwohnung zu wohnen, für die eine Nettomiete von 478,96 Euro zu zahlen sei. Im März
2007 wies der Antragsgegner ihn darauf hin, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch seien und nur bis
einschließlich Juni 2007 anerkannt und übernommen werden könnten. Unter den 13. Juni 2007 teilte der
Antragsgegner mit, dass ab Juli 2007 kein Leistungsanspruch mehr bestehe. Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 hob der
Antragsgegner den Bescheid vom 13. Juni 2007 auf und gewährte auch für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30.
September 2007 monatlich 8,09 Euro für Kosten der Unterkunft.
Am 23. April 2007 beantragte der Antragsteller die Übernahme von Mietrückständen in Höhe von 800 Euro. Unter dem
4. Juni 2007 erklärte er, der Rückstand sei auf mehr als zwei Monatsmieten angewachsen. Mit Bescheid vom 3. Juli
2007 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Mietschulden ab und führte zur Begründung aus, auch nach der
Bitte um Übernahme derselben seien keine korrekten Zahlungen an die Vermieterin geleistet worden. Im Übrigen sei
die Miete unangemessen hoch, so dass eine ordnungsgemäße Zahlung an die Vermieterin auch künftig nicht
sichergestellt sei. Schließlich drohe auch keine Obdachlosigkeit, weil die Vermieterin noch keine Kündigung
ausgesprochen habe.
Gegen die Bescheide vom 28. Juni und vom 3. Juli 2007 legte der nun anwaltlich vertretene Antragsteller Widerspruch
ein und trug vor, der Antragsgegner habe das Einkommen der Antragstellerin fehlerhaft angerechnet und wohl auch
deshalb nicht die vollen Kosten für Unterkunft und Heizung erstattet.
Am 16. August 2007 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Berlin um die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes mit dem Ziel der Gewährung eines monatlichen Mietdarlehens in Höhe von 656,46 Euro seit dem 1.
Januar 2007 nachgesucht und ausgeführt, der Rückstand habe sich bis zum 13. August 2007 auf 2.021,44 Euro
erhöht. Zwar habe die Antragstellerin eine Kapitallebensversicherung. Diese diene aber der Altervorsorge und könne
daher nicht zur Tilgung der Mietschulden und zur Deckung der laufenden Kosten eingesetzt werden. Ein Auszug aus
der Wohnung sei ihnen nicht zuzumuten, denn sie hätten in den letzten Jahren etwa 15.000,00 Euro in sie investiert,
die dann verloren seien. Außerdem werde der Antragsteller ab Oktober 2008 Altersrente beziehen, so dass eine
regelmäßige Mietzahlung ebenso wie die Rückzahlung eines Darlehens dann gesichert seien. Die Vermieterin habe
zwischenzeitlich fristlos gekündigt und Räumungsklage erhoben.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2008 hat das Sozialgericht Berlin, das den Antragstellern Prozesskostenhilfe bewilligt
hatte, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der
Antragsgegner habe die Übernahme der Mietschulden schon deshalb zu Recht abgelehnt, weil die Wohnung
unangemessen teuer sei. Es komme hinzu, dass die Antragsteller über Monate hinweg ihren Zahlungsverpflichtungen
nicht nachgekommen seien, obwohl der Antragsgegner seinen Berechnungen die tatsächlichen Kosten für Unterkunft
und Heizung zugrunde gelegt habe. Schon im Jahr 2006, als die Antragstellerin noch gearbeitet habe und ein Teil der
Wohnung bereits an den Sohn untervermietet gewesen sei, hätten die Antragsteller es zur Entstehung erheblicher
Mietrückstände kommen lassen. Schließlich werde der Antragsteller zwar ab Oktober Altersrente erhalten. Allerdings
werde die Antragstellerin dann nicht mehr im Arbeitslosengeld I-Bezug stehen.
Gegen den am 31. Januar 2008 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 28. Februar 2008 Beschwerde
eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Zwischenzeitlich hat die Antragstellerin den Rechtsstreit mit ihrer Vermieterin vergleichsweise beendet. Vor dem
Amtsgericht Neukölln hat sie sich verpflichtet, neben der laufenden Miete eine Ratenzahlung in Höhe von 300,00 Euro
monatlich im Voraus bis spätestens zum dritten Werktag zu zahlen, beginnend mit dem Monat April 2008. Solange
sie ihren Zahlungsverpflichtungen pünktlich nachkommt, ist der Räumungsanspruch gehemmt. Gerät sie länger als
zehn Tage in Verzug, ist der gesamte Betrag sofort fällig und die Vermieterin zur Vollstreckung des
Räumungsanspruchs berechtigt. Das Protokoll der Sitzung vom 12. März 2008, in welcher der Vergleich geschlossen
wurde, ist dem Senat mit Schriftsatz vom 17. April 2008 übersandt worden. Die Antragsteller tragen vor, seit Beginn
des Jahres 2008 die Miete in voller Höhe gezahlt zu haben, so dass bei Gewährung des Darlehens eine dauerhafte
Sicherung der Wohnung erreicht werden könne.
Die Antragsteller beantragen, ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen und
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung eines Mietdarlehens in Höhe von 2.247,73 Euro
in monatlichen Raten zu jeweils 300,00 Euro ab April 2008 zu verpflichten.
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde; er hält die erstinstanzliche Entscheidung für
zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
(zwei Bände) und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Gz.: ) verwiesen, der Gegenstand der
Beratung und Entscheidung gewesen ist.
II.
Die Beschwerden der Antragsteller haben keinen Erfolg. Sie sind zwar gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Erlass der
begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt, denn die Antragsteller haben - auch in dem gegenüber dem
ursprünglichen Antrag nunmehr reduzierten Umfang - keinen Anspruch auf die endgültige oder auch nur
darlehensweise Übernahme ihrer Mietschulden durch den Antragsgegner.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands
im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der
vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2,
294 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Die zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung in Zusammenhang
mit Leistungen nach dem SGB II bzw. XII betont hat (Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, S. 927 ff), sowohl
auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch
alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Im Vordergrund steht dabei
für den Senat die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der
Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), um differierende Entscheidungen im Eil- und Hauptsacheverfahren möglichst zu
vermeiden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch,
sondern im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Möglichen abschließend zu prüfen, besonders wenn
das einstweilige Verfahren im Wesentlichen oder vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und
einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je
absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf
dem Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Hieran gemessen haben die Antragsteller für die von ihnen begehrte einstweilige Anordnung weder einen
Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund in einem die (zeitweise) Vorwegnahme der Hauptsache
rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.
Nach § 22 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) können, sofern Leistungen für Unterkunft und
Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder
Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Dem vor dem Amtsgericht Neukölln geschlossenen
Vergleich zufolge waren spätestens am Donnerstag, dem 3. April 2008, 937,68 Euro an die Vermieterin zu zahlen. Da
der Vergleich für den Fall eines Verzugs von mehr als zehn Tagen die Fälligkeit der Gesamtforderung zur sofortigen
Zahlung sowie die Vollstreckbarkeit des Räumungsanspruchs vorsieht, ist fraglich, ob die Antragsteller im jetzigen
Zeitpunkt überhaupt noch in der Wohnung wohnen. Da sie über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht einmal den
laufenden Zahlungsverpflichtungen ordnungsgemäß nachgekommen sind, spricht wenig dafür, dass sie nun zusätzlich
zu dem fälligen Mietzins die erste Rate in der vereinbarten Höhe von 300,00 Euro geleistet haben. Vorgetragen ist
dazu nichts, obwohl im Zeitpunkt der Abfassung des Schriftsatzes, 14 Tage nach Fälligkeit der Miete und der ersten
Rate, Ausführungen hätten gemacht und auch erwartet werden können. Ist die Wohnung geräumt, so hat sich das
Begehren der Antragsteller ohnehin erledigt, denn dann kann - von allen anderen Voraussetzungen abgesehen -
jedenfalls die Sicherung der Unterkunft nicht mehr erreicht werden (vgl. auch Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22
Rdnr. 112 m.w.N.). Ist die Wohnung nicht geräumt, so haben die Antragsteller es offensichtlich vermocht, aus eigener
Kraft die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Auch in diesem Fall hat sich das Begehren erledigt, denn eine
Notlage, die eine Übernahme der Schulden und eine gerichtliche Regelung erforderlich machen würde, besteht dann
nicht (mehr). Es fehlt in diesem Fall am Anordnungsanspruch wie auch am Anordnungsgrund.
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch abgesehen von der durch den Abschluss des Vergleichs nun
bestehenden Situation kein Anspruch auf die begehrte einstweilige Anordnung bestanden hat und besteht: Wie der
Antragsgegner zutreffend ausgeführt hat, sind Leistungen nach § 22 Abs. 5 SGB II zur Sicherung einer in Bezug auf
die Kosten nicht angemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt (vgl. auch dazu Berlit a.a.O.,
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Januar 2008, L 26 B 203/07 AS ER, zitiert nach juris,
m.w.N.). Wie auch die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zeigt, soll einem langfristigen Erhalt unangemessen
teurer Wohnungen entgegen gewirkt werden. Darauf, dass ihre Wohnung zu kostspielig ist, sind die Antragsteller
seitens des Antragsgegners bereits im März 2007 hingewiesen worden. Dennoch haben sie seitdem nichts
unternommen, um die Kosten zu senken. Vielmehr haben sie, jedenfalls bis Ende des Jahres 2007, weitere
Mietrückstände entstehen lassen und darauf beharrt, dass diese wie auch die laufenden Kosten von anderen als ihnen
selbst zu tragen seien.
Schließlich werden inzwischen wohl seitens des Antragsgegners auch keine Leistungen für Unterkunft und Heizung
mehr erbracht, so dass die Antragsteller (auch) schon deshalb keinen Anspruch auf Übernahme der Mietschulden
haben dürften (§ 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II).
Nach alledem kam die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mangels Erfolgsaussichten
nicht in Betracht (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG; sie spiegelt den
Ausgang des Verfahrens wider.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).