Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.09.2001

LSG Berlin und Brandenburg: grundstück, verwertung, schutz der wohnung, gesundheit, form, lebenshaltung, teilung, verkehrswert, alter, arbeitslosenhilfe

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 28.09.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 64 AL 47/99
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 10 AL 15/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für den Zeitraum vom 12. September 1998 bis zum 28. März
1999.
Der 1943 geborene Kläger war zuletzt vom 16. März 1994 bis zum 15. März 1996 als Computertechniker in einer
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigt und bezog anschließend Arbeitslosengeld (Alg) nach einem
Bemessungsentgelt von 960,-- DM. Nach der Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme mit Bezug von
Unterhaltsgeld vom 14. Oktober 1996 bis zum 10. Oktober 1997 erhielt der Kläger erneut antragsgemäß bis zum 12.
September 1998 Alg, dem ein Bemessungsentgelt von zuletzt 1.080,-- DM zugrunde lag.
Am 12. August 1998 beantragte der Kläger Anschluss-Alhi. Dabei gab er an, er und seine Ehefrau, die Alhi beziehe,
verfügten über Bankguthaben von insgesamt 6.641,-- DM, zwei nach dem 60. Lebensjahr fällige
Kapitallebensversicherungen mit einem Rückkaufswert von 4.400,-- DM und 4.680,-- DM und ein Grundstück mit einer
Grundstücksgröße von 1.034 m², das als Wochenendgrundstück der Erholung der Familie diene. Den Verkehrswert
des Grundstücks bezifferte er mit 3.850,-- DM. Diese Summe entsprach dem Kaufpreis, den der Kläger im Jahre 1986
in Mark der DDR für das Grundstück entrichtet hatte.
Auf Rückfrage der Beklagten teilte der Kläger ergänzend mit, nach Auskunft des Immobilien-Maklers C Lbetrage der
Verkehrswert des Grundstücks ca. 230,-- DM pro m².
Mit Bescheid vom 23. Oktober 1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf Alhi ab. Der Kläger verfüge unter
Berücksichtigung eines Freibetrages von 16.000,-- DM über ein Vermögen von 237.511,-- DM, das verwertbar und
dessen Verwertung zumutbar sei. Werde das zu berücksichtigende Vermögen durch das Arbeitsentgelt geteilt, nach
dem sich die Höhe der Alhi richte (1.080,-- DM), sei der Kläger für 219 Wochen nicht bedürftig.
Mit dem Widerspruch hiergegen machte der Kläger geltend, das Vermögen bestehe aus einem Gartengrundstück, auf
dem Obst und Gemüse auf biologischer Grundlage angebaut würden und das eine ständige Erholungsmöglichkeit für
die Familie darstelle. Sein 1984 geborener Sohn sei Allergiker mit hoher Infektanfälligkeit. Für ihn wie für seine Frau
sei wegen derer Infektanfälligkeit der regelmäßige Aufenthalt in stadtfernerer Umgebung wegen der sauberen Luft
notwendig zur Stabilisierung der Gesundheit. Hierzu reichte er ein Attest des Arztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Dr. B vom 5. November 1998 ein. Des Weiteren bestätigte die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. H Bunter dem 1.
November 1998, dass der Sohn des Klägers Allergiker sei, für den wegen einer Milchallergie ein kontinuierlicher
Aufenthalt im Freien eine Prophylaxe gegen Osteoporose darstelle.
Durch Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Verwertung des
Wochenendgrundstückes sei möglich, da es im Wege eines Verkaufs übertragen oder für ein Darlehen in Form einer
dinglichen Sicherheit belastet werden könne. Die Verwertung sei nicht unzumutbar. Der Regelung des § 6 Abs. 3 Satz
2 Nr. 7 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO) sei zu entnehmen, dass nur das selbst bewohnte Hausgrundstück zum
Schonvermögen gehöre, die Verwertung eines zu Erholungszwecken genutzten Grundstückes dagegen grundsätzlich
zumutbar sei.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin (SG) machte der Kläger ergänzend geltend, es sei nicht berücksichtigt
worden, dass das Grundstück der Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage diene. Hierzu zähle auch die
Stärkung der Gesundheit seiner Angehörigen. Auf dem Grundstück befinde sich ein Holzhaus mit einem Pappdach,
Wasser- und Elektroanschluss ohne Heizmöglichkeit aus dem Jahre 1938 mit einer Wohnfläche von 28,2 m². In der
Regel hielte sich die Familie wöchentlich auf dem Grundstück auf. Vom 29. März 1999 bis zum 28. März 2000 war der
Kläger erneut abhängig beschäftigt.
Durch Urteil vom 7. Dezember 2000 wies das SG die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Alhi, weil er für
einen Zeitraum von 219 Wochen nicht bedürftig sei. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 Alhi-VO sei nur die Verwertung
eines Hausgrundstückes von angemessener Größe, das der Eigentümer bewohne, nicht zumutbar. Hierbei stehe der
Schutz der Wohnung im Sinne der Erfüllung eines Grundbedürfnisses im Vordergrund, nicht der Schutz der Immobilie
als Vermögensgegenstand. Demgegenüber bilde das Wochenendgrundstück des Klägers auch unter Berücksichtigung
seiner Angabe, das Grundstück wegen der eingeschränkten Gesundheit der Ehefrau und des Sohnes zu
Erholungszwecken zu nutzen, nicht dessen Lebensmittelpunkt. Es sei auch nicht feststellbar, dass die Verwertung
des Grundstückes unzumutbar sei, weil es sich um Vermögen zum Aufbau oder zur Sicherung einer angemessen
Lebensgrundlage oder zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung handele (§ 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3
Alhi-VO). Eine derartige Zweckbestimmung lasse sich den Angaben des Klägers nicht entnehmen, da das Grundstück
im Wesentlichen der Erholung und Erhaltung der Gesundheit diene. Die Verwertung sei schließlich nicht nach der
Generalklausel des § 6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-VO unzumutbar, weil sie offensichtlich unwirtschaftlich sei oder unter
Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen
billigerweise nicht erwartet werden könne. Die vom Kläger geltend gemachten Nutzungsgründe könnten auch
verwirklicht werden, wenn kein oder nur ein mit einer dinglichen Schuld belastetes Eigentum am Grundstück bestehe.
Mit der Berufung macht der Kläger geltend, es sei unverständlich, dass selbst die Lebensversicherungen als
verfügbares Vermögen angerechnet würden. Die Verwertung des Grundstückes sei nicht zumutbar, da es eine
angemessene Lebenshaltung sicherstelle. Im Hinblick auf sein Alter stelle es auch eine angemessene
Alterssicherung dar.
Auf Hinweis des Senats darauf, dass auch ein kleineres Grundstück den Erholungszwecken genügen dürfte, hat der
Kläger geltend gemacht, eine Teilung des Grundstückes sei kaum möglich. Die Breite des Grundstückes betrage ca.
22 m, ein Anteil von 94 m² liege im Straßenbereich außerhalb der Umzäunung; bis zur Hälfte der Länge stünden hohe
Bäume; etwa auf der Mitte stehe das Gartenhaus. Aus seiner Sicht sei weder eine Quer- noch eine Längsteilung
denkbar.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 1998
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm
vom 13. September 1998 bis zum 28. März 1999 Alhi zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des SG - S 64 AL
47/99 -) und der Leistungsakten der Beklagten (zur Stamm-Nr. ) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alhi im Zeitraum vom 13. September 1998 bis zum 28. März 1999.
Nach § 190 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch (SGB) III hat Anspruch auf Alhi nur, wer bedürftig ist. Nicht bedürftig ist
gemäß § 193 Abs. 2 SGB III ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen oder das Vermögen seines
nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Wann dies der Fall ist, ist
auf der Grundlage der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III in §§ 6 bis 9 Alhi-VO geregelt.
Nach § 6 Abs. 1 Alhi-VO ist Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrenntlebenden Ehegatten zu
berücksichtigen, soweit es verwertbar ist, die Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens, dessen
Verwertung zumutbar ist, jeweils 8.000,-- Deutsche Mark übersteigt. Die Verwertung ist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-
VO zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer
angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden
kann. Nicht zumutbar ist nach § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 Alhi-VO die Verwertung eines Hausgrundstücks von
angemessener Größe, das der Eigentümer bewohnt oder eines Vermögens, das nachweislich zum alsbaldigen Erwerb
eines solchen Hausgrundstückes bestimmt ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da der Kläger das
Grundstück nicht bewohnt. Durch § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 Alhi-VO soll die selbst genutzte Familienwohnung vor dem
Zwang zum Wohnungswechsel als Folge der Verwertung geschützt werden, nicht aber eine Zweitwohnung, wenn die
andere Wohnung den Lebensmittelpunkt bildet (so auch Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 25. März 1999 - B 7
AL 28/98 R - = SozR 3-4220 § 6 Nr. 7).
Die Verwertung des Grundstückes ist auch nicht nach § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alhi-VO unzumutbar. Danach ist die
Verwertung von Vermögen, das zur Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage oder zur Aufrechterhaltung einer
angemessenen Alterssicherung bestimmt ist, unzumutbar. Zwar macht der Kläger geltend, das Grundstück sei zur
Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage bestimmt, da es der Aufrechterhaltung der Gesundheit diene. Zur
Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage ist Vermögen jedoch nur dann bestimmt, wenn es dem Aufbau oder
der Sicherung einer angemessenen finanziellen Erwerbsquelle dienen soll, aus der in Zukunft Einkommen bezogen
werden kann (so auch BSG, Urteil vom 17. Oktober 1996 - 7 RAr 2/96 - = SozR 3-4100 § 137 Nr. 7). Einen derartigen
Zweck verfolgt der Kläger jedoch nicht.
Das Grundstück als solches stellt auch keine angemessene Alterssicherung in der Form dar, dass es als
Alterswohnsitz genutzt werden soll. Aufgrund der gegenwärtigen tatsächlichen Verhältnisse ist eine Nutzung als
Alterswohnsitz nicht möglich und vom Kläger auch nicht beabsichtigt. Unabhängig davon könnte das Grundstück als
Kapitalwert zur Alterssicherung in der Form bestimmt werden, dass das Kapital im Alter verbraucht werden soll. Auch
dies setzt jedoch eine entsprechende subjektive Zweckbestimmung voraus, die darin besteht, das Grundstück später
verwerten zu wollen. Diese Zweckbestimmung hat der Kläger nicht vorgetragen, sondern er beabsichtigt, auch im
Alter das Grundstück als Erholungsstätte zu nutzen.
Der geltend gemachte Zweck, das Grundstück zur Stabilisierung der Gesundheit zu nutzen, macht seine Verwertung
nicht unzumutbar. Allerdings kommt § 6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-VO die Funktion einer Härteklausel für die Beantwortung
der Frage zu, in welchen Fällen die Verwertbarkeit eines Vermögensgegenstandes auch außerhalb der ausdrücklich
geregelten Spezialtatbestände oder wegen seiner Benötigung für eine angemessene Lebenshaltung im Übrigen unbillig
ist. Im Rahmen der Unbilligkeit kann die besondere Bedeutung des Grundstückes für die Familie des Klägers
berücksichtigt werden. Zum Zwecke einer Stabilisierung der Gesundheit wird jedoch allenfalls ein kleines
Gartengrundstück benötigt. Demnach ist eine Verwertung des Grundstückes jedenfalls in der Form zumutbar, dass
das Grundstück geteilt wird oder im Fall der Unmöglichkeit der Teilung insgesamt veräußert wird und ein dem Zweck
angemessenes Grundstück erworben wird. Da durch die Teilung oder den Verkauf weitere Kosten entstehen, die
pauschalierend mit 10 % des Gesamtwertes des Grundstücks angesetzt werden, ist ein Betrag in Höhe von 40 % des
Grundstückswertes als zumutbar verwertbares Vermögen zu berücksichtigen. Ausgehend von einem von der
Beklagten ermittelten Verkehrswert von 237.820,-- DM (1.034 m² x 230,-- DM) ergibt sich ein Betrag von 95.128,-- DM
als zumutbar verwertbares Vermögen, der für das Grundstück zu veranschlagen ist.
Daneben sind lediglich die Sparguthaben im Werte von insgesamt 6.641,-- DM als Vermögen zu berücksichtigen,
nicht jedoch die Kapitallebensversicherungen. Die Verwertung der Kapitallebensversicherungen ist nach § 6 Abs. 3
Satz 2 Nr. 3 Alhi-VO unzumutbar, da sie mit einem Fälligkeitsdatum nach der Vollendung des 60. Lebensjahres der
Altersvorsorge dienen. Abzüglich eines Freibetrages von 16.000,-- DM sind nach alledem 85.769,-- DM als zumutbar
verwertbares Vermögen zu berücksichtigen. Nach § 9 Alhi-VO besteht Bedürftigkeit nicht für die Zahl voller Wochen,
die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergibt, nach dem sich die
Alhi richtet. Da sich die Alhi nach einem Bemessungsentgelt von 1.080,-- DM richtet, bestand vom 13. September
1998 an für 79 Wochen kein Anspruch auf Alhi.
Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.