Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 04.02.2008

LSG Berlin und Brandenburg: hauptsache, unterkunftskosten, prozessökonomie, arbeitsförderung, beschränkung, zukunft, auflage, leistungsklage, heizung, gerichtsverfassungsgesetz

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 04.02.2008 (rechtskräftig)
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 28 AS 221/08 ER
Das Landessozialgericht ist sachlich nicht zuständig. Das Verfahren wird an das sachlich zuständige Sozialgericht
Berlin verwiesen. Die Kosten dieses Verfahrens folgen der Kostenentscheidung des Sozialgerichts.
Gründe:
Der ausdrücklich an das Landessozialgericht gerichtete Antrag, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, "dem Antragsteller ab Februar 2008, vorläufig bis zur Entscheidung in der
Hauptsache Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 333,78 Euro monatlich zu gewähren, soweit der
Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) ist", ist nach § 98 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 17 a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) an das
sachlich zuständige Sozialgericht Berlin zu verweisen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Zuständig ist nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG das Gericht der Hauptsache.
Dies ist nach § 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG das Gericht des ersten Rechtszuges und, wenn die Hauptsache im
Berufungsverfahren ist, das Berufungsgericht. Im vorliegenden Fall ist das Landessozialgericht nicht das sachlich
zuständige Gericht in diesem Sinne, weil die Hauptsache nicht im Berufungsverfahren anhängig ist. Sachlich
zuständig ist das Sozialgericht Berlin.
Gegenstand des bei dem Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 28 AS 1289/07 anhängigen
Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Antragsgegeners vom 13. September 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2007 (§ 95 SGG). Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner in die dem
Antragsteller mit Bescheid vom 18. Mai 2006 gewährte Rechtsposition, die Gewährung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juni 2006 bis zum 30. November 2006 in
Höhe von 592,05 Euro, eingegriffen und die Bewilligung von Leistungen ausschließlich für November 2006 sinngemäß
in Höhe von 83,51 Euro (Leistungen in Höhe von 508,54 Euro statt 592,05 Euro) aufgehoben. Bei einem derartigen
Sachverhalt, in dem in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen worden ist, ist die zulässige Klageart, die isolierte
Anfechtungsklage, weil mit der Aufhebung des belastenden Verwaltungsaktes das angestrebte Rechtsschutzziel, die
Wiederherstellung der ursprünglich gewährten Rechtsposition, erreicht werden kann (sog. Kassationsverfahren).
Bescheide über die Bewilligung von Leistungen für einen anderen Bewilligungszeitraum, im vorliegenden Fall für die
Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 (Bescheid vom 31. Januar 2007), werden, soweit über die mit
diesem Bescheid gewährten Leistungen hinaus weitere Leistungen begehrt werden, die mittels einer kombinierten
Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt werden müssten, weder in direkter noch in entsprechender Anwendung des
§ 96 SGG Gegenstand des Kassationsverfahrens. Denn in diesem Verfahren wird ausschließlich über die
Rechtmäßigkeit des belastenden Bescheides gestritten, während in dem anderen Verfahren über die Höhe der dem
Beteiligten gewährten Leistungen gestritten wird. Der in diesem anderen Verfahren streitige Leistungsbescheid ersetzt
damit weder den in dem Kassationsverfahren streitbefangenen Bescheid noch ändert er ihn ab.
Wegen der vorgenannten unterschiedlichen Streitgegenstände ist auch eine Einbeziehung des Leistungsbescheides
aus prozessökonomischen Gründen nicht geboten. Die für das Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung
zur analogen Anwendung des § 96 SGG auf Bescheide, die im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses nachfolgende
Bewilligungszeiträume betreffen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 96 RdNr. 9
e m. w. Nachw.) ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil insoweit in der Regel lediglich Folgebescheide zur
Leistungshöhe über § 96 SGG in ein bereits anhängiges Verfahren einbezogen worden sind (Leitherer, a. a. O.). Aus
den vorgenannten Gründen ist ein solcher Fall hier aber gerade nicht gegeben.
Im Übrigen überzeugen die für diese Rechtsprechung herangezogenen Gesichtspunkte der Prozessökonomie im
Rahmen des SGB II nicht. Die Leistungen des SGB II werden regelmäßig für kürzere Zeiträume bewilligt als nach
dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Zudem müssen die Leistungsträger des SGB II
nicht nur Änderungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen Rechnung tragen, sondern sie müssen
diese auch bei der Ermittlung des normativen Bedarfs beachten, so dass Folgebescheide häufiger als im
Arbeitsförderungsrecht neue, gegenüber dem Ausgangsbescheid besondere Tat- und Rechtsfragen aufwerfen.
Schließlich ergehen im Rahmen des SGB II die Bewilligungsbescheide häufig nicht nur für eine einzige Person,
sondern für mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Unter Berücksichtigung all dieser besonderen Umstände
ist eine analoge Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG auf Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume im Rahmen des
SGB II grundsätzlich nicht gerechtfertigt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. November 2006 – B 7 b AS 14/06
R -, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Soweit der Antragsteller meint, im vorliegenden Fall sei ein Sachverhalt gegeben, in dem auch das BSG in dem
vorgenannten Urteil von einer Einbeziehung von Folgebescheiden für einen anderen Bewilligungszeitraum in ein
bereits anhängiges Verfahren ausgehe, trifft dies nicht zu. Das BSG hat lediglich für den Fall, dass die beantragte
Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt worden ist, entschieden, dass Gegenstand des gerichtlichen
Verfahrens die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit ist. Hat der Kläger zwischenzeitlich einen neuen
Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und ist dieser Antrag wiederum abschlägig beschieden worden, wird
diese (erneute) Ablehnung in unmittelbarer Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens, weil diese
Ablehnung den früheren Ablehnungsbescheid für den späteren Zeitraum ersetzt. Ein solcher Sachverhalt ist indes im
vorliegenden Fall nicht gegeben. Zunächst ist im vorliegenden Fall, wie ausgeführt, nicht eine zeitlich unbeschränkte
Ablehnung von Leistungen im Streit, sondern die Rechtmäßigkeit eines Kassationsbescheides. Zudem hat der
Antragsgegner mit dem Bescheid vom 31. Januar 2007 nicht die Gewährung von Leistungen für einen späteren
Zeitraum abgelehnt, der die ursprüngliche Entscheidung ersetzten könnte, sondern dem Antragsteller im Gegenteil für
den Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2007 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II gewährt.
Soweit sich das Sozialgericht insoweit allerdings missverständlich in dem Tenor des in dem vorgenannten
Berufungsverfahren angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juni 2007 - S 37 AS 6004/07 – nicht darauf
beschränkt hat, den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufzuheben, sondern den Antragsteller darüber hinaus
zur Leistungsgewährung, und dies auch noch ohne zeitliche Beschränkung, verurteilt hat, kann der Senat offen
lassen, ob das Sozialgericht zumindest noch die bis zu seiner Entscheidung erlassenen Bewilligungsbescheide,
bekannt ist hier der Bescheid vom 31. Januar 2007, mit in das Verfahren mit einbezogen hat, oder ob das Gericht den
Tenor insoweit fehlerhaft formuliert hat. Denn auch wenn das Gericht meinte, dass zumindest der Bescheid vom 31.
Januar 2007 Gegenstand des Verfahrens geworden ist, woran erhebliche Zweifel bestehen, weil es den Bescheid vom
31. Januar 2007 weder im Tenor genannt noch in den Entscheidungsgründen erwähnt hat, und auch über diesen
Bescheid entschieden haben sollte, dürfte das Urteil vor dem Hintergrund der vorgenannten Rechtsprechung insoweit
lediglich rechtswidrig sein. Denn das Gericht selbst kann jedenfalls nicht konstitutiv über die Einbeziehung von
Folgebescheiden in ein laufendes Verfahren entscheiden, sondern Bescheide werden bei Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 96 SGG kraft Gesetzes Gegenstand dieses Verfahren. Die
Voraussetzungen des § 96 SGG liegen im vorliegenden Fall aber gerade nicht vor.
Im Übrigen dürfte aber auch der letzte Satz der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils dagegen sprechen,
dass das Sozialgericht über den Bescheid des Antragsgegeners vom 13. September 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2007 hinaus weitere Bewilligungsbescheide in das Verfahren mit
einbezogen hat. Dort heißt es, dass die "Berufung zugelassen (ist), da der angefochtene Bescheid eine generelle
Begrenzung der Unterkunftskosten auf die Werte der AV-Wohnen seit November 2006 beinhalte". Hiernach dürfte das
Sozialgericht dem Verfügungssatz der angefochtenen Entscheidung lediglich eine über die Kassationsentscheidung
hinausgehende Aussage im Sinne einer generellen Begrenzung der Unterkunftskosten für die Zukunft beigemessen
haben. Hierüber wird der Senat gegebenenfalls in dem Berufungsverfahren – L 28 AS 1289/07 - zu befinden haben.
Entgegen der vom Berichterstatter in dem Richterbrief vom 3. Dezember 2007 zunächst geäußerten
Rechtsauffassung dürfte das Sozialgericht allerdings insoweit ausdrücklich die Berufung gegen das Urteil zugelassen
haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 98 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 98 Satz 2 SGG).