Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.09.2006

LSG Berlin-Brandenburg: anrechenbares einkommen, alter, werkstatt, unterbringung, deckung, öffentlich, verfügung, verpflegung, rehabilitation, unterhalt

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
23. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 23 SO 269/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 41 SGB 12, §§ 41ff SGB 12, §
82 Abs 1 SGB 12, § 83 Abs 1
SGB 12, § 97 SGB 3
(Sozialhilfe - Grundsicherung bei Erwerbsminderung -
Einkommenseinsatz - Ausbildungsgeld nach §§ 104, 107 SGB 3
während Maßnahme in WfbM - zweckbestimmte Einnahme)
Tenor
Die Berufung des Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des
Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2006 wie folgt geändert wird:
Der Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 wird geändert. Der Beklagte wird
verpflichtet, dem Kläger für die Zeit ab 01. Dezember 2005 bis 30. November 2006 als
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung weitere 67,00 Euro
monatlich, insgesamt 804,00 Euro zu zahlen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des
Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist noch die Höhe der Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung nach §§ 41 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - für den
Zeitraum ab 01. Dezember 2005 bis einschließlich November 2006.
Der 1985 geborene Kläger, bei dem ein Grad der Behinderung - GdB - von 90 und das
Merkzeichen „G“ festgestellt worden ist, beantragte am 19. Dezember 2003 Leistungen
nach dem Grundsicherungsgesetz - GSiG -. Aufgrund eines Ersuchens nach § 5 Abs. 2
GSiG wurde unter dem 15. September 2004 von der Landesversicherungsanstalt Berlin
mitgeteilt, dass der Kläger seit 01. Januar 2003 unabhängig von der Arbeitsmarktlage
voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB
VI – sei.
Der Kläger bewohnte im streitbefangenen Zeitraum eine Wohnung im Hause seiner
Eltern. Die Miete betrug monatlich 300,00 € inklusive Kosten für Strom, Wasser, Gas,
Abwasser und Müll. Offenbar hatte der Kläger ab November 2006 nur Kosten der
Unterkunft in Höhe von 150, 00 €.Von seinem Vater bezog der der Kläger Barunterhalt in
Höhe von 99,18 € monatlich bis einschließlich November 2006.
Ab dem 01. September 2004 befand sich der Kläger in der Werkstatt für behinderte
Menschen - WfbM - der N für einen Grundkurs im Arbeitstrainingsbereich. Mit Bescheid
der Bundesagentur für Arbeit vom 21. September 2004 wurde dem Kläger
Ausbildungsgeld zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Zeit vom 01. September 2004 bis
31. August 2005 in Höhe von monatlich 57,00 € und für die Zeit vom 01. September
2005 bis 30. November 2005 in Höhe von monatlich 67,00 € bewilligt.
Mit Bescheid vom 24. November 2004 wurden dem Kläger Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - für die Zeit vom
01. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 in Höhe von monatlich 155,00 € bewilligt.
Der Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 09. Februar 2005 Leistungen nach
dem Grundsicherungsgesetz - GsiG - ab Dezember 2003 in Höhe von monatlich 229,62
€ und ab dem Monat September 2004 172,62 €. Als Einkommen wurden
Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 99,18 € und für die Zeit ab 01. September
2004 Ausbildungsgeld in Höhe von 57,00 € monatlich berücksichtigt.
Mit weiterem Bescheid vom 09. Februar 2005 gewährte der Beklagte dem Kläger
Leistungen zur Grundsicherung nach §§ 42 ff. SGB XII für die Zeit ab 01. Januar 2005 in
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Leistungen zur Grundsicherung nach §§ 42 ff. SGB XII für die Zeit ab 01. Januar 2005 in
Höhe von 301,47 € monatlich und für die Zeit ab September 2005 in Höhe von 291,74 €.
Ausgeführt wurde, dass die Leistungen künftig monatlich im Voraus und unverändert
zunächst bis einschließlich Dezember 2005 gezahlt würden. Als Bedarf der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wurde der Regelbedarf nach § 42 Nr.
1 SGB XII in Höhe von 276,00 € abzüglich 11,00 € Energiepauschale, insgesamt 265,00 €
monatlich, ein Mehrbedarf wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 42 Nr. 3 SGB XII in Höhe von
46,92 € monatlich, Kosten der Unterkunft nach § 42 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 300,00 €
monatlich, insgesamt ein Bedarf an Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich
611,92 €, anerkannt. Als Einkommen berücksichtigte der Beklagte das Ausbildungsgeld
in Höhe von 57,00 € monatlich, die Unterhaltszahlungen von 99,18 € monatlich und das
Kindergeld in Höhe von 154,00 € monatlich, insgesamt 310,18 € monatlich. Für die Zeit
ab September 2005 stellte der Beklagte ein Einkommen aus Ausbildungsgeld in Höhe
von 67,00 € in die Berechnung ein.
Gegen diese Bescheide erhob der Kläger keinen Widerspruch. Nachdem der Kläger einen
Bescheid der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Berlin-Nord, vom 05. Oktober
2005 übersandt hatte, mit dem ihm für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis 30.
November 2006 ein Ausbildungsgeld in Höhe von 57,00 € monatlich bewilligt worden war,
setzte der Beklagte wegen Änderung der rechtlichen Verhältnisse die
Grundsicherungsleistungen in Höhe von 301,74 € ab dem 01. Dezember 2005 fest und
rechnete dabei neben dem Unterhalt und dem Kindergeld das Ausbildungsgeld in Höhe
von 57,00 € monatlich als Einkommen auf den Bedarf an. Nachdem der Kläger unter
dem 12. Dezember 2004 einen weiteren Bescheid der Bundesagentur für Arbeit,
Agentur für Arbeit Berlin-Nord, vom 05. Oktober 2005 beim Beklagten vorgelegt hatte,
mit dem ihm ein Ausbildungsgeld für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis 30. November
2006 in Höhe von monatlich 67,00 € bewilligt worden war, setzte der Beklagte mit
Bescheid vom 12. Dezember 2005 die Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung für die Zeit ab 01. Januar 2005 bis auf weiteres in Höhe von 291,74 €
fest und berücksichtige dabei für die Zeit ab Dezember 2005 das Ausbildungsgeld in
Höhe von 67,00 € monatlich als Einkommen neben den Unterhalts- und
Kindergeldzahlungen.
Am 16. Dezember 2005 beantragte der Kläger für die Zeit ab Januar 2006 weiterhin
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. In dem Antrag gab
er an, dass das Ausbildungsgeld nicht zum Einkommen zähle, und verwies auf
diesbezüglich ergangene Rechtsprechung. Weiterhin machte er geltend, das Kindergeld
sei nicht als Einkommen des Kindes anzurechnen.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 (Änderungsbescheid) setzte der Beklagte für die
Zeit ab 01. Januar 2006 die Leistungen der Grundsicherung nach §§ 42 ff. SGB XII in
Höhe von 291,74 € bis einschließlich November 2006 fest und berücksichtigte als
Einkommen u. a. das Kindergeld in Höhe von 154,00 € sowie das Ausbildungsgeld in
Höhe von 67,00 € monatlich.
Mit seinem Widerspruch vom 30. Dezember 2005 wandte sich der Kläger gegen die
Bescheide vom 09. Dezember 2005 und 12. Dezember 2005 und machte geltend, das
Ausbildungsgeld sei nicht als Einkommen zu berücksichtigen und sei daher auch für die
Zeit ab 01. September 2004 bis 31. Dezember 2005 zurückzuzahlen. Mit einem weiteren
Schreiben vom 30. Dezember 2005 erhob der Kläger gegen den Änderungsbescheid
vom 22. Dezember 2005 Widerspruch und machte weiter geltend, auch das staatliche
Kindergeld zähle nicht zum Einkommen der Kinder, sondern als Einkommen der Eltern.
Nachdem der Beklagte festgestellt hatte, dass der Mutter des Klägers das Kindergeld
ausgezahlt wurde, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 2006 die
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit ab
Dezember 2005 bis Dezember 2006 in Höhe von 445,74 € monatlich ohne Anrechnung
des Kindesgeldes als Einkommen neu fest und wies eine Nachzahlung für den Zeitraum
von Dezember 2005 bis März 2006 in Höhe von 616,00 € aus. Für den Monat Dezember
2005 legte der Beklagte ein Einkommen in Höhe von 166,18 € der Berechnung zugrunde
(67,00 € Ausbildungsgeld sowie 99,18 € Unterhalt). Dieses Einkommen legte der
Beklagte auch für die Zeit ab 01. Januar 2006 zur Feststellung der Höhe der Leistungen
zugrunde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2006 wies der Beklagte den Widerspruch gegen
die Bescheide vom 09. Dezember 2005 und 12. Dezember 2005 zurück und führte aus,
nach § 45 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX – sei das Ausbildungsgeld
eindeutig zweckbestimmt für den Lebensunterhalt einzusetzen. Die Leistung sei im
Sinne von § 83 Abs. 1 SGB XII zweckidentisch mit den Leistungen zum Lebensunterhalt
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Sinne von § 83 Abs. 1 SGB XII zweckidentisch mit den Leistungen zum Lebensunterhalt
und damit als Einkommen auf die Leistungen des Vierten Kapitels des SGB XII
anzurechnen.
Mit der daraufhin am 20. April 2006 vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat
der Kläger die „Rückforderung“ des Ausbildungsgeldes sowie des Kindergeldes begehrt
und u. a. geltend gemacht, das Ausbildungsgeld sei nicht als Einkommen anzurechnen.
Dies sei bereits durch die Rechtsprechung entschieden. Weiter hat der Kläger die
Nachzahlung des Kindergeldes rückwirkend ab Januar 2005 begehrt.
Mit Urteil vom 26. September 2006 hat das Sozialgericht den Beklagten unter
Abänderung des Bescheides vom 28. Februar 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 verurteilt, dem Kläger
Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung ab 01. Dezember 2005
ohne Berücksichtigung des Ausbildungsgeldes zu zahlen. Im Übrigen hat das
Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe mit Widerspruchsbescheid vom
12. Dezember 2006 den Widerspruch des Klägers vom 13. März 2006 gegen den
Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2006 bezüglich der Anrechnung des
Kindergeldes bis 30. November 2005 zurückgewiesen.Dieser Bescheid sei zwar nach
entsprechender Anwendung von § 96 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Gegenstand des
anhängigen Verfahrens geworden, sei aber nicht zu berücksichtigen gewesen, da er zum
Zeitpunkt der Entscheidung nicht bekannt gewesen sei. Die Klage sei auch unzulässig,
soweit der Kläger Ausbildungsgeld für die Zeit von September 2004 bis November 2005
begehre. Die Bescheide vom 09. Februar 2005, mit denen die Anrechnung des
Ausbildungsgeldes auf den Grundsicherungsanspruch vorgenommen worden sei, seien
bestandskräftig geworden. Ein Überprüfungsverfahren habe bisher nicht stattgefunden.
Im Übrigen sei die Klage zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 28.
Februar 2006, der gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden
und der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 einzig noch zu
prüfen sei, sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der
Auffassung des Beklagten sei das nach § 104 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch
- SGB III - i. V. m. § 107 SGB III gewährte Ausbildungsgeld nicht als Einkommen im Sinne
des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zu berücksichtigen, da es einem anderen Zweck als die
Sozialhilfe diene. Dem gewährten Ausbildungsgeld komme zweckgerichtet die Funktion
einer Prämie für die Teilnahme an einem in einer Werkstatt für Behinderte
durchgeführten Arbeitstraining zu.
Gegen das ihm am 23. November 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 20.
Dezember 2006 Berufung eingelegt.
Das Ausbildungsgeld diene der Bestreitung des Lebensunterhalts und damit demselben
Zweck wie die Leistungen der Sozialhilfe. Aus der Höhe der Leistung könne kein
Rückschluss auf den Zweck erfolgen. In § 45 Abs. 5 SGB IX werde das Ausbildungsgeld
als Leistung der Sicherung des Lebensunterhalts aufgeführt. Der Beklagte habe in einer
Arbeitsanweisung festgelegt, dass als Motivation zur Teilnahme an einer Maßnahme im
Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Behinderte ein Betrag in Höhe von 50 v. H. des
Ausbildungsgeldes nach § 104 SGB III i. V. m. § 107 SGB III anrechnungsfrei sei. Diese
Ausführungen bezögen sich jedoch nicht auf Grundsicherungsleistungen, sondern nur
und ausschließlich auf die Beteiligung der Hilfesuchenden an den Kosten bei dauernder
Unterbringung. Insofern könne eine Übertragung auf den Bereich der Hilfe zum
Lebensunterhalt nicht ohne weiteres erfolgen.
Der Beklagte hat einen Bescheid über die Gewährung von Leistungen zur
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 04. April 2007 für die Zeit vom
01. Mai 2007 bis 31. Dezember 2007 und Berechnungsbögen für Leistungen zur
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit ab November 2006 bis
31. Dezember 2006 und ab 01. Januar 2007 zur Gerichtsakte gereicht.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2006 abzuändern und die
Klage vollumfänglich abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil für zutreffend. Er hat mitgeteilt, dass die Zahlung des
Ausbildungsgeldes zum 30. November 2006 geendet habe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die
Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Band
Grundsicherungsakte) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die
Höhe der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 01.
Dezember 2005. Soweit der Kläger ursprünglich auch höhere Leistungen für die Zeit
davor begehrt hat, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Mangels Berufung des
Klägers ist für Zeiten vor dem 01. Dezember 2005 das Urteil des Sozialgerichts
rechtskräftig geworden. Dies gilt auch, soweit der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 11. September 2006 den Widerspruch des Klägers vom 13. März 2006 gegen den
Bescheid vom 28. Februar 2006, mit dem er die rückwirkende Nichtanrechnung des
Kindergeldes als Einkommen für die Zeit bis 01. Januar 2005 begehrt hat,
zurückgewiesen hat. Auch diesbezüglich hat das Sozialgericht den geltend gemachten
Anspruch auf höhere Leistungen für die Zeit vor dem 01. Dezember 2005 mit dem Urteil
abgewiesen.
Nicht Gegenstand des Rechtsstreits sind weiter Leistungen ab 01. Dezember 2006. Das
Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, ab 01. Dezember 2005 die
Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Berücksichtigung
des Ausbildungsgeldes als Einkommen zu gewähren. Der Kläger hat das
Ausbildungsgeld nur bis einschließlich November 2006 erhalten, so dass durch die
Berufung des Beklagten nur noch der Zeitraum bis November 2006 Gegenstand des
Berufungsverfahrens ist.
Die Berufung ist indes unbegründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht
verurteilt, dem Kläger Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung
nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - SGB XII - ohne
Berücksichtigung des Ausbildungsgeldes zu zahlen. Der Bescheid des Beklagten vom
28. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 ist
insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass das dem Kläger gewährte
Ausbildungsgeld nicht als Einkommen anspruchsmindernd anzurechnen war.
Die Anrechnung des dem Kläger gemäß §§ 104 Abs. 1 Nr. 2, 107 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch - SGB III - gewährten Ausbildungsgeldes auf die ihr vom Beklagten
gewährten Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ist
gemäß § 83 Abs. 1 SGB XII ausgeschlossen.
Der Kläger gehört aufgrund seiner Behinderung und der Aufnahme in eine Werkstatt für
behinderte Menschen (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XII) zum Personenkreis der
Leistungsberechtigten nach § 41 Abs. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift haben dauerhaft
voll erwerbsgeminderte Personen – wie der Kläger - Anspruch auf Leistungen, soweit sie
ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen gemäß §§ 82 bis 84
und 90 SGB XII beschaffen können. In welchem Umfang Einkommen auf die Leistungen
des Vierten Kapitels angerechnet wird, ist geregelt in §§ 82ff SGB XII. § 83 Abs. 1 SGB XII
bestimmt, in welchen Fällen Einkommen nicht zu berücksichtigen ist.
Nach dieser Vorschrift setzt die Nichtberücksichtigung einer Leistung (Einkunft) als
anrechenbares Einkommen voraus, dass sie aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften
gewährt wird - das trifft in Bezug auf das streitgegenständliche nach §§ 97 ff SGB III
gewährte Ausbildungsgeld zu -, dass der Zweck, zu dem sie gewährt wird, ausdrücklich
genannt ist und dass die im Einzelfall gewährte Sozialhilfe (hier: Leistungen der
Grundsicherung) nicht demselben Zweck dient. Diese von ihrem Wortlaut her eindeutige
und klare Vorschrift dient einerseits dem Schutz des Empfängers der anderen öffentlich-
rechtlichen Leistung: Soll mit ihr ein ausdrücklich genannter besonderer Bedarf gedeckt
werden, dann soll dem Empfänger der Leistung diese Bedarfsdeckung nicht dadurch
unmöglich gemacht werden, dass er durch Versagung der Sozialhilfe (hier: der Hilfe zum
Lebensunterhalt) gezwungen wird, die andere Leistung ihrer Zweckbestimmung zuwider
zu verwenden. Andererseits dient die Vorschrift dazu, Doppelleistungen aus öffentlichen
Kassen für e i n e n Zweck zu vermeiden (vgl. zur gleichlautenden Vorschrift des § 77
Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz – BSHG - BVerwGE 45, 147, BVerwGE 69, 177).
Nach der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl.
Urteil vom 12. April 1984 - 5 C 3/83 - BVerwGE 69, 177) ist bei der Anwendung des § 77
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Urteil vom 12. April 1984 - 5 C 3/83 - BVerwGE 69, 177) ist bei der Anwendung des § 77
BSHG - dasselbe hat für die Anwendung des § 83 SGB XII zu gelten - daher in einem
ersten Schritt zu prüfen, ob in dem anderen Leistungsgesetz der Zweck der Leistung
ausdrücklich genannt ist. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob in dem anderen Gesetz
das Wort "Zweck" gebraucht wird (hierzu unter 1). Hat sich der Zweck der anderen
Leistung so ausdrücklich genannt feststellen lassen, dann ist in einem zweiten Schritt
der Zweck der konkret in Frage stehenden Fürsorge-/Sozialhilfeleistung festzustellen
(hierzu unter 2). In einem dritten Schritt sind die so festgestellten Zwecke der
Leistungen einander gegenüber zu stellen (hierzu unter 3). Fehlt es an der Identität der
Zwecke, dann ist die andere öffentlich-rechtliche Leistung bei der Gewährung der
Sozialhilfe nicht als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen. Im anderen Fall ist
sie zu berücksichtigen. Berücksichtigt werden muss sie aber auch dann, wenn die andere
Leistung ohne ausdrückliche Nennung eines Zwecks, also "zweckneutral" gewährt wird.
Dann bleibt es bei dem Grundsatz, dass eine Einkunft in Geld als Einkommen zu
berücksichtigen ist.
(1) Eine den Anforderungen des § 83 Abs. 1 SGB XII genügende Zweckbestimmung der
betreffenden Leistung ist dann gegeben, wenn sich dieser Zweck aus der jeweiligen
gesetzlichen Vorschrift eindeutig ergibt. Hierbei ist nicht allein auf den Wortlaut
abzustellen. Es ist ausreichend, dass die Zweckbestimmung aus den Voraussetzungen
für die Leistungsgewährung folgt, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang die vom
Gesetzgeber gewollte Zweckbindung eindeutig ableiten lässt (Bundessozialgericht – BSG
– Urteil vom 03. Dezember 2002 - B 2 U 12/02 R - BSGE 90, 172; W. Schellhorn in:
Schellhorn/ Schellhorn/Hohm, SGB XII, Komm., 17. Aufl., 2007, § 83 Rn. 11; Decker in:
Oestreicher, SGB XII, SGB II, Komm., Stand Sept. 2007, § 83 Rn. 11; Lücking in:
Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, 2007, § 83 Rn 7; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf,
SGB XII, Kommentar, 2. Aufl., § 83 Rn. 6; sowie die h. M. zu § 77 BSHG, vgl. BVerwG,
Urteil vom 19. Juni 1984 - 5 C 8/81 - FEVS 34, 1 und BVerwGE 69, 177).
In Anwendung dieser Grundsätze, die auch im Rahmen des § 83 SGB XII gelten, ist von
einer "ausdrücklichen" Zweckbestimmung des während einer Maßnahme im
Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer WfbM gemäß §§ 104, 107 SGB III
gewährten Ausbildungsgeldes auszugehen. Es handelt sich nach der gesetzlichen
Konzeption um eine zusätzliche Leistung, die auf eine Erhöhung der für den persönlichen
Bedarf tatsächlich zur Verfügung stehenden Finanzmittel gerichtet ist, um die
besonderen Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Maßnahme
im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer W zu decken und hierdurch die
Durchführung dieser Maßnahme zu fördern (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1990 -
9 b/7 RAr 100/89 - FEVS 41, 468).
Bei dem nach § 104 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 107 SGB III gewährten Ausbildungsgeld
handelt es sich um eine sog. ergänzende Leistung zu den besonderen Leistungen zur
Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, die zur Deckung des ausbildungsbedingten
Mehrbedarfs als Leistung zum Lebensunterhalt geleistet wird. Die Leistung ist gesetzlich
geregelt im Siebenten Abschnitt des SGB III „Förderung der Teilhabe behinderter
Menschen am Arbeitsleben“. Gemäß § 97 SGB III können behinderten Menschen
Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art
oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu
bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu
sichern. § 98 SGB III bestimmt, dass für behinderte Menschen 1. allgemeine Leistungen
sowie 2. besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und diese ergänzende
Leistungen erbracht werden können. Die sog. besonderen und die sie ergänzenden
Leistungen sind geregelt im Dritten Unterabschnitt (§§ 102 bis 115 SGB III). Die sog.
ergänzenden Leistungen umfassen nach § 103 SGB III 1. das Übergangsgeld nach den
§§ 160 bis 162, 2. das Ausbildungsgeld, wenn ein Übergangsgeld nicht erbracht werden
kann und 3. die Übernahme der Teilnahmekosten für eine Maßnahme. § 104 Abs. 1 Nr. 2
SGB III bestimmt, dass behinderte Menschen Anspruch auf Ausbildungsgeld während
einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für
behinderte Menschen haben, wenn ein Übergangsgeld nicht erbracht werden kann. §
107 SGB III setzt den Bedarf bei Maßnahmen in anerkannten Werkstätten für behinderte
Menschen im ersten Jahr auf 57,00 € und danach auf 67,00 € monatlich fest. § 108 Abs.
1 SGB III bestimmt, dass bei derartigen Maßnahmen auf den Bedarf Einkommen nicht
angerechnet wird.
Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für
behinderte Menschen werden gem. § 102 Abs. 2 SGB III nach § 40 des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch - SGB IX - erbracht. § 40 SGB IX regelt die Voraussetzungen und
Dauer der Leistungserbringung. Danach werden Leistungen im Eingangsverfahren zur
Feststellung erbracht, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe des
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Feststellung erbracht, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe des
behinderten Menschen am Arbeitsleben ist, sowie welche Bereiche der Werkstatt und
welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den behinderten Menschen in
Betracht kommen (§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Leistungen im Berufsbildungsbereich
werden erbracht, wenn sie erforderlich sind, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit des
behinderten Menschen soweit wie möglich zu entwickeln, zu verbessern oder
wiederherzustellen, und erwartet werden kann, dass der behinderte Mensch nach
Teilnahme an diesen Leistungen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß
wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistungen zu erbringen (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX). § 44
Abs. 1 Nr. 1 SGB IX bestimmt, dass die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und
zur Teilhabe am Arbeitsleben ergänzt werden durch unterhaltssichernde und andere
ergänzende Leistungen, u. a. das Ausbildungsgeld (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). § 45 SGB
IX „Leistungen zum Lebensunterhalt“ regelt die Zuständigkeit der Bundesagentur für
Arbeit für die Gewährung von Ausbildungsgeld nach Maßgabe der §§ 104 bis 108 SGB III
(§ 45 Abs. 5 SGB IX).
Bei dem Ausbildungsgeld handelt es sich danach im Grundsatz um eine ergänzende
Leistung zur Unterhaltssicherung (vgl. Majerski-Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-
Pahlen, SGB IX, Kommentar, 11. Auflage, 2004, § 44 Rdnr. 4). Dies folgt neben der
gesetzlichen Bezeichnung des Ausbildungsgeldes als „Leistung zum Lebensunterhalt“ in
§ 45 SGB IX und seiner systematischen Stellung in § 44 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX als eine der
„unterhaltssichernden“ Leistungen neben „Krankengeld, Versorgungskrankengeld,
Verletztengeld, Übergangsgeld und Unterhaltsbeihilfe“ bereits aus den Regelungen des
SGB III.
Denn nach der gesetzlichen Bestimmung in § 104 SGB III besteht ein Anspruch auf
Ausbildungsgeld in den Fällen, in denen Übergangsgeld – mangels
Vorbeschäftigungszeiten – nicht erbracht werden kann. Das Ausbildungsgeld tritt
insoweit an die Stelle des Übergangsgeldes, dessen unterhaltssichernder Charakter
anerkannt ist. Mit Urteil vom 19. Dezember 1995 - 5 c 27/93, FEVS 46, 309 – hat das
Bundesverwaltungsgericht insoweit ausgeführt, Übergangsgeld sei eine ergänzende,
unselbständige Rehabilitationsleistung mit Lohnersatzfunktion (vgl. auch die vom
Gesetzgeber gewählte Bezeichnung in § 50 SGB IX als „Entgeltersatzleistung“). Wörtlich
heißt es: „Der an einer berufsfördernden Leistung zur Rehabilitation teilnehmende
Behinderte erhält kein Entgelt für eine Arbeitsleistung, sondern eine Sozialleistung
aufgrund von öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Sie soll Erwerbseinkommen für die
Dauer der Rehabilitationsmaßnahme ersetzen, um den Unterhalt des Behinderten und
ggf. seiner Familienangehörigen während dieser Zeit sicherzustellen und ihm die
berufliche Rehabilitation finanziell zu ermöglichen“ (BVerwG, a.a.O.).
In dieser Funktion erschöpft sich der Zweck des Ausbildungsgeldes jedoch nicht. Zu
beachten ist zunächst, dass der Gesetzgeber zwischen dem nach Maßgabe der §§ 105,
106, 108 Abs. 2 SGB III erbrachten Ausbildungsgeld i.S.d. § 104 Abs. 1 Nr. 1 SGB III
während einer beruflichen Ausbildung oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme
und dem vorliegend streitgegenständlichen nach Maßgabe der §§ 107, 108 Abs. 1 SGB III
erbrachten Ausbildungsgeld i.S.d. § 104 Abs. 1 Nr. 2 SGB III während einer Maßnahme im
Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer WfbM differenziert.
Das Ausbildungsgeld i.S.d. § 104 Abs. 1 Nr. 1 SGB III wird gem. §§ 105, 106, 108 Abs. 2
SGB III seiner Höhe nach gestaffelt in Abhängigkeit von der Art der Unterbringung des
behinderten Menschen und abhängig von der Übernahme der Kosten für Unterbringung
und Verpflegung durch die Agentur für Arbeit oder einen anderen Leistungsträger
erbracht. Erfolgt keine anderweitige Kostenerstattung für Unterbringung und Verpflegung
werden die Bedarfssätze des Bundesausbildungsförderungsgesetzes – BAföG – (§§ 12,
13 BAföG) zugrunde gelegt (vgl. § 105 Abs. 1 Nr. 4, § 106 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB III).
Erfolgt eine Kostenerstattung von dritter Seite wird Ausbildungsgeld in Höhe einer
Pauschale gewährt (vgl. § 105 Abs. 1 Nr. 3, § 106 Abs. 1 Nr. 3 SGB III). Bereits aus dieser
gesetzlichen Regelungssystematik wird deutlich, dass der Zweck des Ausbildungsgeldes
i.S.d. § 104 Abs. 1 Nr. 1 SGB III dem der Leistungen nach dem BAföG entspricht, nämlich
für den Lebensunterhalt und die Ausbildung bestimmt zu sein (§ 11 BAföG). Diese
Zweckbestimmung folgt auch aus der Regelung des § 104 Abs. 2 SGB III, demzufolge für
das Ausbildungsgeld die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe (§§ 59 ff SGB III)
entsprechend gelten, sofern nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach der
Begründung des Regierungsentwurfs zum Arbeitsförderungsgesetz (S. 174 zu § 104;
zitiert nach Niesel in: Niesel, SGB III, Komm., 4. Aufl., 2007, § 104, Rn. 7) wurde
hinsichtlich der Voraussetzungen für den Anspruch auf Ausbildungsgeld deshalb auf die
Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) verwiesen, weil es sich um
vergleichbare Leistungen handelt. Nach § 59 SGB III umfasst der durch die BAB zu
deckende Bedarf (sog. Gesamtbedarf) aber sowohl die Kosten des Lebensunterhalts als
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deckende Bedarf (sog. Gesamtbedarf) aber sowohl die Kosten des Lebensunterhalts als
auch die Ausbildungskosten. Der Bedarfsbegriff des § 65 SGB III „Bedarf für den
Lebensunterhalt bei beruflicher Ausbildung“ entspricht dem des § 11 BAföG (Stratmann
in: Niesel, a.a.O., § 65 Rn. 2).
Wird demnach bereits das Ausbildungsgeld i.S.d. § 104 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, unabhängig
davon, welche Ausbildungsart abgesichert werden soll, nicht ausschließlich für den
Lebensunterhalt geleistet, sondern dient auch der Befriedigung eines besonderen
ausbildungsgeprägten Bedarfs, tritt die Funktion der Sicherung des allgemeinen
Lebensunterhalts im Falle des hier streitgegenständlichen Ausbildungsgeldes nach § 104
Abs. 1 Nr. 2, § 107 SGB III bei Teilnahme an einer Maßnahme in einer WfbM vollständig
hinter dem Zweck der Sicherung des ausbildungsbedingten Mehrbedarfs zurück. Bei
diesem Ausbildungsgeld handelt es sich gleichsam um einen „pauschalierten
Aufwendungsersatz“ für die an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich der WfbM
teilnehmenden behinderten Menschen, der nicht deren Unterhaltsbedarf, sondern die
besonderen Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilnahme abdecken soll
(ebenso Großmann in: Hauck/Noftz, SGB III, Komm., Stand 2006, § 107 Rdnr. 2 und 15).
Ausbildungsgeld i.S.d. § 104 Abs. 1 Nr. 1 SGB III wird gemäß § 107 SGB III in Höhe einer
Pauschale unabhängig von der Art der Unterbringung und unabhängig von den den
behinderten Menschen treffenden Kosten für Unterbringung und Verpflegung und somit
unabhängig von dessen allgemeinen Lebenshaltungskosten erbracht. Daraus folgt, dass
diese Leistung nicht zur Deckung der allgemeinen Lebenshaltungskosten bestimmt ist.
Der Vergleich der Höhe der in den §§ 105 und 106 SGB III festgelegten Pauschalen für
Personen, deren Kosten für Unterbringung und Verpflegung von anderer Seite gedeckt
sind (154 Euro bzw. 205 oder 236 Euro monatlich), mit der Höhe der Pauschalen nach §
107 SGB III (57 Euro monatlich bzw. 67 Euro monatlich) erhellt, dass nach der
gesetzgeberischen Konzeption mit der nach § 107 SGB III gewährten Pauschale auch
kein sonstiger allgemeiner Bedarf befriedigt werden soll.
Vielmehr soll mit dem Ausbildungsgeld nach § 107 SGB III dem behinderten Menschen
ein fester Geldbetrag nach Art eines Taschengeldes für kleinere Ausgaben im
Zusammenhang mit der Bildungsmaßnahme (z. B. zusätzliche Verpflegungs- und
Veranstaltungskosten) zur Verfügung gestellt und zugleich die Motivation für die
Bildungsmaßnahme gefördert werden (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2001 - B 1 KR
1/00 R, FEVS 53, 5 und Urteil vom 26. September 1990 - 9 b/7 RAr 100/89 - FEVS 41,
468). Als im Zusammenhang mit der Bildungsmaßnahme stehende Aufwendungen
kommen u. a. in Betracht Kosten für sportliche und kulturelle
Ausgleichsveranstaltungen, für Zwischenverpflegungen in den Pausen, für Kleidung und
Kosmetik, Schreibmaterial und Porto, Zeitungen, Nahverkehrsmittel und dergleichen
(Großmann a.a.O. Rn. 15). Das Ausbildungsgeld nach § 107 SGB III stellt somit eine
Leistung zur Deckung der durch die Teilnahme an der Maßnahme bedingten Kosten des
Lebensunterhalts dar, der auch nicht durch den im Eckregelsatz enthaltenen
allgemeinen „Taschengeldanteil“ (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII) erfasst ist. Die
eigentlichen, unabhängig von der Maßnahme bestehenden Lebenshaltungskosten der
Teilnehmer sind daher auch anderweitig zu decken (vgl. BSG, Urteil vom 26. September
1990 – 9b/7 Rar 100/89, a.a.O. / Juris Rn. 17).
Dass die Bedarfssätze nach § 107 SGB III lediglich ergänzend bedarfssichernd sind, wird
entsprechend der Systematik mit der Regelung des § 108 Abs. 1 SGB III (fehlende
Einkommensanrechnung) verdeutlicht. § 108 Abs. 1 SGB III stellt sicher, dass das
Ausbildungsgeld den in Maßnahmen einer WfbM eingebundenen behinderten Menschen
unabhängig von den ihnen sonst zur Verfügung stehenden Finanzmitteln als besondere,
d. h. zusätzliche, Leistung zur Verfügung steht, um ihren zusätzlichen durch die
Teilnehme an der Maßnahme begründeten Bedarf zu decken.
(2) Der Zweck der im vorliegenden Fall in Frage stehenden Leistung der Grundsicherung
nach § 41 Abs. 1 SGB XII hingegen ist auf die Deckung des sozialhilferechtlich
notwendigen Bedarfs gerichtet. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung umfassen den für den Leistungsberechtigten maßgeblichen
Regelsatz nach § 28 SGB XII (§ 42 Satz 1 Nr. 1 SGB XII), Aufwendungen für Unterkunft
und Heizung entsprechend § 29 SGB XII (§ 42 Satz 1 Nr. 2 SGB XII), die Mehrbedarfe
entsprechend § 30 SGB XII sowie die einmaligen Bedarfe nach § 31 SGB XII (§ 42 Satz 1
Nr. 3 SGB XII), die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen
entsprechend § 32 SGB XII (§ 42 Satz 1 Nr. 4 SGB XII) und Hilfen nach § 34 SGB XII (§ 42
Satz 1 Nr. 5 SGB XII). Mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten wurden dem
Kläger Leistungen nach § 42 Satz 1 Nr. 1) und 2) gewährt. Der dem Kläger danach
gemäß § 42 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 28 SGB XII gewährte Regelsatz umfasst den
„notwendigen Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme der
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„notwendigen Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme der
Leistungen für Unterkunft und Heizung“.
(3) Die so festgestellten Zwecke der streitgegenständlichen Leistungen sind mithin nicht
identisch. Das Ausbildungsgeld i.S.d. §§ 104, 107 SGB III als „pauschalierter
Aufwendungsersatz“ für die an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich der WfbM
teilnehmenden behinderten Menschen ist zwar eine Leistung zum Lebensunterhalt (§ 44
SGB IX), jedoch keine solche zur Bestreitung des – notwendigen – Lebensunterhaltes.
Sie soll vielmehr die besonderen Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilnahme
an der Maßnahme in der WfbM abdecken. Der Regelsatz nach §§ 42, 28 SGB XII dient mit
der Deckung des „notwendigen Lebensunterhaltes“ einem hiervon unterschiedenen
Zweck. Folglich ist das Ausbildungsgeld nach §§ 104 Abs. 1 Nr. 2, 107 SGB III mangels
Zweckidentität bei der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach §§ 41 ff SGB
XII nicht als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen (im Ergebnis ebenso: OVG
NRW, Urteil vom 22. Februar 2006 - 16 A 176/05, Juris; OVG NRW, Beschluss vom 22.
Dezember 2006 - 12 a 2320/05 – Juris; Nds. OVG, Urteil vom 22. Februar 2001 - 12 L
3923/00, FEVS 52, 508; Lauterbach in: Gagel, a.a.O. § 104 Rn. 4; W. Schellhorn in:
Schellhorn/Schellhorn/Hohm, a.a.O. § 83 Rn. 12; Lücking in: Hauck/Noftz, a.a.O. § 83 Rn.
9; Decker in: Oestreicher a.a.O. SGB XII § 83 Rn. 13; Brühl in: LPK - SGB XII, Kommentar
8. Aufl., § 83 Rn. 16; Großmann a.a.O. § 107 Rn. 16; a.A. nur SG Karlsruhe, Urteil vom 20.
September 2007, - S 4 SO 4758 -, Juris).
Das Sozialgericht hat nach alledem den Beklagten zu Recht verurteilt, die mit dem
angefochtenen Bescheid bewilligten Leistungen der Grundsicherung ohne Anrechnung
des Ausbildungsgeldes als Einkommen zu gewähren. Einer Verurteilung des Beklagten
zur insoweit anrechnungsfreien Leistungsgewährung für den streitgegenständlichen
Zeitraum steht auch nicht das vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger
Rechtsprechung entwickelte sozialhilferechtliche Strukturprinzip „keine Hilfe für die
Vergangenheit“ (vgl. BVerwGE 68, 285, FEVS 55, 320), entgegen. Denn aufgrund der
von den Regelungen des BSHG abweichenden gesetzlichen Struktur der Bestimmungen
über die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff SGB XII
(hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 – B 8/9b SO 8/06 R, Juris, Rn. 20
mwN) ist die Rechtsprechung des BVerwG auf diese Vorschriften nicht übertragbar.
Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII werden vielmehr unabhängig von einem aktuellen
Bedarf gewährt (BSG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des
Rechtsstreits.
Die Revision wird zur Klärung der Rechtsfrage, ob Ausbildungsgeld im Sinne der §§ 104
Abs. 1 Nr. 2 SGB III, § 107 SGB III im Rahmen der Sozialhilfe als Einkommen anzurechnen
ist, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG)
zugelassen.
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