Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21.08.2007

LSG Berlin-Brandenburg: unternehmen, gesellschafter, stillen, selbständige erwerbstätigkeit, versicherungspflicht, unternehmer, einlage, stille gesellschaft, schlüssiges verhalten, inhaber

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
22. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 22 LW 1/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 1 ALG
Ausschluss von Versicherungspflicht in der Alterssicherung der
Landwirte beim stillen Gesellschafter eines landwirtschaftlichen
Unternehmens
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21.
August 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das
Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Versicherungspflicht des Klägers im Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis zum
31. August 2007 als Landwirt nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte
(ALG).
Der 1983 geborene Kläger ist der Sohn des Landwirtes J R, der die DB betreibt, ein
landwirtschaftliches Unternehmen mit einer Nutzfläche von 504,66 ha im Zeitraum 01.
Juli 2002 bis 31. Dezember 2002, von 519,57 ha im Zeitzraum 01. Januar 2003 bis 31.
August 2004 und von 513, 94 in der Zeit seit 01. September 2004.Der Kläger war zum
Zeitpunkt des 01. Juli 2002 bis zum 31. August 2007 Student an der Hochschule N.
Danach übernahm er eine hauptberufliche Tätigkeit im landwirtschaftlichen
Unternehmen seines Vaters.
Am 29. Juni 2002 schloss der Kläger mit seinem Vater einen „Vertrag über eine
(atypische) stille Beteiligung“ (nachfolgend als „Vertrag“ bezeichnet). Darin ist
ausgeführt, dass der Kläger beabsichtigt, sich „zur Stärkung des Unternehmenskapitals
am Landwirtschaftsunternehmen des Inhabers mit Wirkung vom 01. Juli 2002 als „stiller
Gesellschafter“ mit einer Einlage von 150.000 Euro, die bar zu erbringen war, zu
beteiligen. Der Kläger erhielt seine Einlage von 150.000 Euro als Geschenk seines
Vaters.
Die für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung wesentlichen Bestimmungen des
Vertrages lauteten wörtlich wie folgt:
„§ 2 Inkrafttreten, Geschäftsjahr
1. Der Vertrag tritt ab dem 01.07.2002 in Kraft und wird auf unbestimmte
Zeit geschlossen.
….
§ 3 Geschäftsführung
1. Die Geschäftsführung der Gesellschaft obliegt ausschließlich dem Inhaber.
2. Der Inhaber darf jedoch folgende Maßnahmen nur mit Zustimmung des
stillen Gesellschafters vornehmen:
a) Änderung des Gegenstandes des Unternehmens und der Rechtsform;
b) Aufnahme weiterer stiller Gesellschafter;
c) Erwerb von oder Beteiligung an anderen Unternehmen oder eines Teils
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c) Erwerb von oder Beteiligung an anderen Unternehmen oder eines Teils
des Unternehmens;
d) Errichtung von Zweigniederlassungen;
e) An- und Verkauf und Belastung von Gründstücken im Einzelfall mit
einem Wert von mehr als Euro 150.000 Euro;
f) Aufnahme von Krediten und Übernahme von Wechselverbindlichkeiten
oder Bürgschaften im Einzelfall mit einem Wert von mehr als Euro 150.000;
g) Investitionen mit einem Anschaffungswert im Einzelfall von mehr als
Euro 150.000;
3. Beabsichtigt der Inhaber die Vornahme einer der in Absatz 2 genannten
Maßnahmen, so hat er dies dem stillen Gesellschafter mitzuteilen und ihn zur Erteilung
seiner Zustimmung aufzufordern. Der stille Gesellschafter ist verpflichtet, unverzüglich
Stellung zu nehmen.
4. Der stille Gesellschafter ist berechtigt, Einsicht in alle den
genehmigungsbedürftigen Geschäften zugrunde liegenden Unterlagen zu nehmen. Liegt
eine Stellungnahme des stillen Gesellschafters nicht innerhalb von zwei Wochen seit
Übersendung der Anforderung vor, so gilt dies als Zustimmung; auf diese Rechtsfolge ist
in der Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme ausdrücklich hinzuweisen.
§ 4 Stellung des stillen Gesellschafters
1. Der stille Gesellschafter ist am Ergebnis, Vermögen und an den stillen
Reserven der Gesellschaft beteiligt. Die Beteiligungsquote bemisst sich nach § 9.
2. Das Vermögen der Gesellschaft wird unbeschadet der Tatsache, dass
rechtlich kein Gesamthandsvermögen besteht, im Innenverhältnis wie
gemeinschaftliches Vermögen behandelt. Insbesondere erstreckt sich die Beteiligung
des stillen Gesellschafters auch auf den Vermögenszuwachs und die stillen und offenen
Reserven der Gesellschaft.
§ 5 Informations- und Kontrollrechte
1. Dem stillen Gesellschafter stehen die im HGB und BGB festgelegten
Kontrollrechte zu. Die Informations- und Kontrollrechte beziehen sich auch auf alle
Bücher und Unterlagen, die zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen dienen.
§ 9 Ergebnisbeteiligung
1. An dem gemäß § 8 ermittelten Ergebnis nimmt der stille Gesellschafter im
Verhältnis des Wertes seiner Anlage zum Gesamtwert des Unternehmens des Inhabers
teil. Der stille Gesellschafter ist am Jahresgewinn in der Regel in dem vorgenannten
Verhältnis beteiligt.
2. Als obere jährliche Gewinnbezugsgrenze legen die Vertragspartner 20
Prozent des Einlagewertes des stillen Gesellschafters fest.
3. Verluste werden dem stillen Gesellschafter auch insoweit zugerechnet, als
sie den Betrag seiner Einlage übersteigen.
§ 10 Entnahmen
1. Der stille Gesellschafter ist berechtigt, den seinem Privatkonto
gutgeschriebenen Gewinnanteil zu entnehmen.
2. Der Inhaber kann die Auszahlung des Gewinnanteils bzw. die
Abschlagszahlung ganz oder teilweise verweigern, soweit es die Liquiditätslage zwingend
gebietet.
§ 13 Kündigung
Die Gesellschaft kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf eines
Geschäftsjahres gekündigt werden. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund bleibt
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Geschäftsjahres gekündigt werden. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund bleibt
unberührt.
§ 14 Auseinandersetzungsguthaben
1. Bei Beendigung der stillen Gesellschaft hat der stille Gesellschafter
Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben, dass auf den Tag der Beendigung
festzustellen ist.
2. Der Auseinandersetzungsanspruch setzt sich zusammen aus:
a) dem Saldo des unter Berücksichtigung von § 8 ermittelten Einlage-,
Privat- und Verlustkontos;
b) dem seiner Beteiligungsquote entsprechenden Anteil des stillen
Gesellschafters an den stillen Reserven des Inhabers (Abs. 4). Ergibt sich ein negativer
Betrag, so ist dieser nur bis zur Höhe eines negativen Privatkontos vom stillen
Gesellschafter auszugleichen.
…“
Mit Bescheid vom 14. März 2006stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers
für die Zeit ab 01. Juli 2002 als Landwirt zur Landwirtschaftlichen Alterskasse Mittel- und
Ostdeutschland fest, da er als Mitunternehmer ein landwirtschaftliches Unternehmen
betreibe, welches die für die Versicherungspflicht notwendige festgesetzte Mindestgröße
erreiche (Unternehmen der Landwirtschaft: 4,00 ha).
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 29. August 2006 zurück: Der Einwand des
Widerspruchsführers, er sei nur stiller Gesellschafter des Unternehmens seines Vaters,
stehe der Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Alterskasse nicht entgegen.
Ausweislich der vorgelegten Verträge sei der Kläger nicht nur am Gewinn der
Gesellschaft beteiligt, sondern habe ggf. auch Verluste zu tragen und verfüge über
Befugnisse, bestimmte Entscheidungen der Gesellschaft mitzubestimmen. Der Kläger
sei mithin Landwirt im Sinne von § 1 Abs. 2 ALG und unterliege als solcher kraft
Gesetzes der Versicherungspflicht.
Hiergegen hat der Kläger am 14. September 2006 Klage beim Sozialgericht
Frankfurt/Oder (SG) erhoben und die Auffassung vertreten, dass er nicht
versicherungspflichtig zur Landwirtschaftlichen Alterskasse sei. Er sei zwar als atypisch
stiller Gesellschafter am landwirtschaftlichen Unternehmen seines Vaters beteiligt. Seine
Beteiligung sei aber rein „kapitalistisch“. Im Unternehmen selbst arbeite der Kläger
selbst nicht mit, da er Student sei. Da er insoweit nicht hauptberuflich im Unternehmen
tätig sei, seien die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 ALG nicht erfüllt. Er sei auch als
Mitgesellschafter nicht versicherungspflichtig. Zwar sähen die §§ 4, 9 eine Beteiligung
des Klägers am Ergebnis, Vermögen und an den stillen Reserven der Gesellschaft
entsprechend der Einlage vor; auch am Gewinn sei er maximal mit 20 Prozent des
Einlagewertes beteiligt, wobei Verluste ihm auch zugerechnet würden, wenn sie die
Einlage überstiegen. § 14 Nr. 2 b des Gesellschaftsvertrages bestimme jedoch, dass ein
negativer Betrag nur bis zur Höhe des negativen Privatkontos auszugleichen sei. Somit
hafte der Kläger nur in Höhe seiner Einlage von 150.000 Euro und damit beschränkt. Die
Gewinnbeteiligung allein begründe jedoch kein Risiko, weshalb der reine Geldgeber kein
Unternehmer sei. Eine kapitalmäßige Beteiligung des Unternehmers sei letztendlich
nicht anders zu beurteilen wie diejenige eines Darlehensgebers, mit der für eine stille
Gesellschaft typischen Gestaltung, dass der zur Verfügung gestellte Kapitalstock nicht
unbedingt kündbar und zurückzahlbar sei und die Verzinsung des Kapitals vom
wirtschaftlichen Ergebnis der Gesellschaft abhänge. Einfluss auf die unternehmerische
Leitung des Unternehmens habe der Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten
nicht, da die Geschäftsführung des Unternehmens ausschließlich beim Vater des Klägers
liege (§ 3 Nr. 1 des Vertrages). Daran ändere auch nichts das Zustimmungserfordernis
bei Handlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgingen,
wie in § 3 Nr. 2 des Vertrages vorgesehen. Diese Vereinbarung sei üblich zum Schutz
des stillen Gesellschafters und nicht gleichzusetzen mit einer unternehmerischen
Leitung des Unternehmens. Deshalb werde nach der Rechtsprechung bei einer stillen
Gesellschaft regelmäßig der Inhaber, also nicht der stille Gesellschafter, als
Unternehmer angesehen. Soweit der Kläger den auf seinen Geschäftsanteil als stiller
Gesellschafter entfallenden Gewinnanteil dem Finanzamt gegenüber als Einkünfte nach §
13 Einkommensteuergesetz (EStG) deklariert habe, sei dies für den Rechtsstreit
unbeachtlich.
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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. August 2006 aufzuheben.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich zur Begründung auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide bezogen und
ergänzend unter Vorlage einer Auskunft des Finanzamtes Fürstenwalde vom 06. März
2007 vorgetragen, dass der Kläger Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft nach § 13
EStG steuerlich geltend gemacht habe und diese - in Höhe von 15.000 € für das Jahr
2002, 27.839 € für das Jahr 2003 und 27.839 € für das Jahr 2004 - auch so festgesetzt
worden seien, was ihre Rechtsauffassung stütze.
Durch Urteil vom 21. August 2007 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 14. März
2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2006 aufgehoben. Zur
Begründung wurde ausgeführt, zur Überzeugung der Kammer handele es sich hier um
einen Fall des § 1 Abs. 2 Satz 3 ALG. Der Kläger sei atypischer stiller Gesellschafter einer
BGB-Gesellschaft und damit kraft Fiktion nur dann Landwirt, wenn er hauptberuflich im
Unternehmen tätig sei. Satz 3 der Vorschrift greife ein, da der Kläger nicht
unbeschränkt, sondern lediglich beschränkt hafte, wie sich aus § 14 Nr. 2 b des
Vertrages (Haftung des Klägers in Höhe seiner Einlage im Fall der Beendigung der stillen
Gesellschaft) ergebe. Dass dem Kläger auch insoweit Verluste angerechnet würden, als
sie den Betrag seiner Einlage überstiegen, trete zur Überzeugung der Kammer zurück,
da es sich hierbei um ein rechnerisches Ergebnis handele, der Kläger aber bei der
Auseinandersetzung letztlich nur beschränkt hafte. Der Kläger sei auch nicht
hauptberuflich im Unternehmen tätig, da er Student sei.
Gegen das der Beklagten am 13. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat diese am 10.
Januar 2008 Berufung eingelegt und an ihrer bisherigen Ansicht festgehalten. Der Kläger
unterliege seit 01. Juli 2002 der Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 Nr.1 ALG, wobei
nicht § 1 Abs. 2 Satz 3 ALG einschlägig sei. Denn diese Vorschrift betreffe nur den
typischen stillen Gesellschafter, nicht den atypischen, der einen wesentlichen Einfluss auf
die Gesellschaft nehmen könne und weit reichende Kontrollrechte habe. Ein Fall der
atypischen stillen Gesellschaft, in der der Mitunternehmer ein Mitunternehmerrisiko und
Mitunternehmerinitiative habe und am laufenden Gewinn und in stillen Reserven,
insbesondere auch am Zuwachs der Vermögenssubstanz beteiligt sei, liege hier vor, wie
sich aus §§ 3 Nr. 2, 4 Nr. 1, 5 Nr. 1, 6 Nr. 2, 9 Nr. 1 und Nr. 3 des Vertrages ergebe. Die
Versicherungspflicht des Klägers ergebe sich insoweit aus § 1 Abs. 2 Satz 1, 2 ALG. Die
Beurteilung des Klägers als Mitunternehmer werde auch dadurch getragen, dass der
Kläger für die Zeit ab 2002 gemäß § 13 EStG Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft
und eben gerade nicht aus Kapitalvermögen versteuere. Im Sinne einer einheitlichen
Rechtsanwendung könne die Beurteilung eines Tatbestandes, hier die Beteiligung am
landwirtschaftlichen Unternehmen in der Sozialversicherung, nur einheitlich mit der
steuerlichen Bewertung erfolgen. Soweit vom Kläger der gesellschaftsrechtliche
Gestaltungsspielraum benutzt werde, um steuerrechtliche Vorteile genießen zu können,
müsse er auch deren sozialversicherungsrechtliche Folgen gegen sich hinnehmen. Es
seien keine Gründe dafür erkennbar, den Sachverhalt sozialversicherungsrechtlich und
steuerrechtlich unterschiedlich zu bewerten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. August 2007 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und festzustellen, dass für den Zeitraum vom 01.
Juli 2002 bis zum 31. August 2007 keine Versicherungspflicht zur Landwirtschaftlichen
Alterskasse bestand.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Auffassung, dass die
Versicherungspflicht des Klägers ausschließlich nach § 1 Abs. 2 Satz 3 ALG zu beurteilen
sei. Da es sich bei der atypischen stillen Gesellschaft hier um eine reine
Innengesellschaft nach den §§ 230 ff. HGB handele, schließe dies bereits mangels
Außenwirkung eine Unternehmerschaft oder Mitunternehmerschaft aus. Die Annahme,
dass der atypische stille Gesellschafter im Unterschied zum typisch stillen Gesellschafter
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dass der atypische stille Gesellschafter im Unterschied zum typisch stillen Gesellschafter
einen wesentlichen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen könne und weit reichende
Kontrollrechte habe, wie dies die Beklagte meine, sei unzutreffend. Im vorliegenden Fall
habe er als atypischer stiller Gesellschafter gemäß § 3 des Vertrages nur Einfluss auf die
Änderung der grundlegenden Struktur des Unternehmens, an welchem er beteiligt sei
und an Geschäftsvorfällen, welche einen Wert von 150.000 Euro überstiegen. Dies sei
kein wesentlicher Einfluss auf die Gesellschaft. Es seien im Übrigen auch gerade keine
Gründe erkennbar, weshalb die sozialversicherungsrechtliche Betrachtung der
steuerrechtlichen Wertung zu folgen habe. § 1 Abs. 2 Satz 3 ALG sei nicht einschlägig;
die Vorschrift stelle – u.a. – ausdrücklich auf den beschränkt haftenden Gesellschafter
einer Personen- und Handelsgesellschaft ab. Dies sei typischerweise der Kommanditist
einer KG, welche einen Landwirtschaftsbetrieb betreibt. Der Kommanditist nehme
entsprechend den Vorschriften des HGB umfänglich am Erfolg der Gesellschaft teil und
habe ein weitgehendes Mitwirkungs- und Entscheidungsrecht, wenn auch nicht die
Geschäftsführung. Der stille Gesellschafter nehme, ähnlich wie der Kommanditist, am
Erfolg der Gesellschaft teil und habe im Regelfall kein Mitspracherecht. Der atypische
stille Gesellschafter, so wie im vorliegenden Gesellschaftsvertrag vereinbart, genieße
wesentlich geringere Rechte als der Kommanditist, da er nur in den in § 3 Satz 2 des
Vertrages aufgeführten Fällen einen Zustimmungsvorbehalt habe. Einer der in § 3 Nr. 2
a bis e des Vertrages festgelegten Fälle der Zustimmung sei nicht aufgetreten.
Mitwirkungs- und Kontrollrechte seien tatsächlich nicht wahrgenommen worden. Was die
Gewinnanteile betreffe, sei mit seinem Vater verabredet gewesen, dass der Gewinn auf
dem Privatkonto des Klägers stehen bleiben sollte, damit dieser bei der geplanten
Übernahme des Betriebes Geldmittel zur Verfügung hätte.Der Kläger sei im Übrigen
während seiner Studienzeit lediglich während der Semesterferien im Unternehmen tätig
gewesen. Hierzu hat der Kläger eine Bescheinigung seines Vaters vorgelegt, wonach der
Kläger in den Zeiträumen vom 21. bis 31. August 2002, 04. Juli bis 31 August 2003, 12.
Juli bis 07. September 2004, 20. Juli 2005 bis 17. September 2005, 22. Juli 2006 bis 21.
September 2006 und 24. Juli 2007 bis 31. August 2007 eine „kurzfristige Beschäftigung
im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)“ als Erntehelfer
ohne Leitungsfunktion ausgeübt habe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche
Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird auf den Inhalt der Gerichtsakten,
der bei gezogenen Gerichtsakten des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) zum Aktenzeichen
S 4 KR 48/06 sowie der ebenfalls bei gezogenen Verwaltungsakte der Beklagten
(Aktenzeichen ) Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen
haben.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu
beanstanden. Es hat zu Recht auf die erstinstanzlich erhobene Anfechtungsklage (§ 54
Abs. 1 SGG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Denn der angefochtene
Bescheid der Beklagten vom 14. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29. August 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54
Abs. 2 Satz 1 SGG), soweit darin die Versicherungspflicht des Klägers für die Zeit ab 01.
Juli 2002 bis 31. August 2007 festgestellt wurde. Auf diesen Zeitraum hat der Kläger
seine Klage mit Schriftsatz vom 19. Januar 2010 beschränkt. Der Senat legt den dortigen
Antrag, festzustellen, dass für den Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis zum 31. August 2007
keine Versicherungspflicht zur Landwirtschaftlichen Alterskasse bestand, sachdienlich
dahingehend aus, dass die Anfechtungsklage auf diesen Zeitraum beschränkt - und im
übrigen zurückgenommen - wird, nachdem die Versicherungspflicht des Klägers ab 01.
September 2007 als Landwirt durch seine hauptberufliche Tätigkeit in dem
landwirtschaftlichen Unternehmen seines Vaters vom Kläger nicht beanstandet wird.
Die Beklagte hat zu Unrecht eine Versicherungspflicht des Klägers zur
Landwirtschaftlichen Alterskasse für den hier nach dem Berufungsantrag des Klägers
allein noch streitigen Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis zum 31. August 2007 - also für die
Zeit seines Studiums an der Hochschule - angenommen. Der Kläger war im streitigen
Zeitraum nicht als Landwirt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 ALG
versicherungspflichtig.
Versicherungspflichtig sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG Landwirte. Landwirt ist, wer als
Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen der
Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße (Abs. 5) erreicht.
Das der Beurteilung zugrunde liegende landwirtschaftliche Unternehmen, die D, ist ein
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Das der Beurteilung zugrunde liegende landwirtschaftliche Unternehmen, die D, ist ein
auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen der Landwirtschaft, das die
Mindestgröße im Sinne des § 1 Abs. 5 ALG erreicht, wie von der Beklagten geprüft wurde
und was vom Kläger auch nicht beanstandet worden ist.
Allerdings ist der Kläger nicht (Mit-)Unternehmer im Sinne dieser Vorschrift.
Unternehmer ist nach § 1 Abs. 2 Satz 2 ALG, wer seine berufliche Tätigkeit selbständig
ausübt.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der erkennende Senat folgt,
hat hierzu Kriterien entwickelt:
So ist landwirtschaftlicher Unternehmer derjenige, der das wirtschaftliche Ergebnis des
Unternehmens bestimmt. Die in dem Unternehmen verrichtete Arbeit muss ihm
zugerechnet werden können. Dies erfordert zwar nicht, dass der landwirtschaftliche
Unternehmer selbst im Unternehmen körperlich mitarbeitet, also der
Bodenbewirtschaftung eigenhändig nachgeht. Deren Ergebnis muss ihm aber
unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereichen, wenn andere die auf
Bodenbewirtschaftung gerichtete Tätigkeit für ihn ausführen. Unternehmer ist mithin
derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen geht (BSG -, Urteil vom 23.
September2004 - B 10 LW 13/02 R, abgedruckt in SozR 4-5868 § 1 Nr. 5 m.w.N.; BSG,
Urteil vom 14. Dezember 1994 - 4 RLw 4/93, abgedruckt in SozR 3-5850 § 1 Nr. 1 =
BSGE 75, 241).
Unternehmer ist auch, wer die für das Unternehmen erforderlichen
Willensentscheidungen eigenverantwortlich und persönlich unabhängig trifft und vom
wirtschaftlichen Ergebnis den unmittelbaren Vor- oder Nachteil hat. Ein solcher
Unternehmer übt selbständige Erwerbstätigkeit aus, solange auf den Geschäftsbetrieb
gerichtete Handlungen in seinem Namen vorgenommen werden. Es kommt dann nicht
darauf an, ob und in welcher Weise er sich nach außen oder innen am Geschäftsbetrieb
tätig beteiligt. Vielmehr genügt es, dass er kraft seiner Unternehmerstellung den
notwendigen Einfluss zu nehmen vermag.Er kann deshalb auch das Geschäft durch
andere betreiben lassen; solange er der Unternehmer bleibt, ist ihm der
Geschäftsbetrieb als selbständige Erwerbstätigkeit zuzurechnen (BSG, Urteil vom 15.
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Der Kläger ist zwar im landwirtschaftlichen Unternehmen tätig geworden. Denn wie er im
Berufungsverfahren vorgetragen hat, hat er in den Semesterferien in der DB als
Erntehelfer gearbeitet. Allerdings ist der Senat nach dem Gesamtergebnis des
Verfahrens (§ 128 Abs.1 SGG) nicht davon überzeugt, dass der Kläger nach den
Maßstäben des BSG im streitgegenständlichen Zeitraum als (Mit)Unternehmer der D B
zu beurteilen ist.
Er hat das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens nicht (mit)bestimmt, die im
Unternehmen verrichtete Arbeit kann ihm auch nicht zugerechnet werden, auch hat er
die für das Unternehmen erforderlichen Willensentscheidungen nicht (mit-) oder
eigenverantwortlich getroffen. Seine Tätigkeit als Erntehelfer in den Semesterferien lässt
für sich gesehen und auch nicht im Zusammenhang mit seiner Beteiligung gemäß dem
Vertrag vom 29. Juni 2002 entsprechende Feststellungen zu.
Der Senat orientiert sich auch insoweit an der Rechtsprechung des BSG, wonach sich
das Gesamtbild nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. Tatsächliche
Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände. Ausgangspunkt
der Beurteilung ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich
aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten
Beziehung erschließen lässt.
Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer
Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (vgl. hierzu: BSG, Urteil
vom 25. November 1998; B 10 LW 10/97 R, m.w.N., zitiert nach juris).
Maßgebend ist danach der Vertrag vom 29. Juni 2002. Dafür, dass die entsprechenden
Willenserklärungen rechtlich nicht ernst gemeint (§ 118 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB)
oder unter den rechtlichen Voraussetzungen eines Scheingeschäftes (§ 117 BGB)
abgegeben worden wären, liegen keine Anhaltspunkte vor. Eine formlose Abbedingung
der Regelungen des schriftlichen Vertrages über die (atypische) stille Beteiligung durch
schlüssiges Verhalten oder mündliche Abrede zwischen den Vertragspartnern ist nicht
rechtswirksam erfolgt, denn nach § 15 Nr. 1 des Vertrages können Änderungen des
Vertrages zwar im gegenseitigen Einvernehmen beschlossen werden, bedürfen aber der
Schriftform.
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Der Vertrag begründet keine Rechte des Klägers für dessen eigenverantwortliche und
persönlich unabhängige Tätigkeit im landwirtschaftlichen Unternehmen, die ihn
insbesondere in die Lage versetzt hätten, die für das Unternehmen erforderlichen
Willensentscheidungen eigenverantwortlich zu treffen oder zumindest mitzubestimmen.
Eine Vertretungsmacht des Klägers ist nicht vereinbart worden. Regelungen für eine
Haftung des Klägers für die vom Geschäftsführer begründeten Verbindlichkeiten sind im
Vertrag nicht enthalten. § 3 des Vertrages sieht vor, dass die Geschäftsführung der
Gesellschaft ausschließlich dem Inhaber obliegt. Dass die ausschließliche
Geschäftsführungsbefugnis des Inhabers gemäß § 3 Nr. 2 des Vertrages teilweise unter
einem Zustimmungsvorbehalt des Klägers steht, begründet für diesen keine Möglichkeit,
die für den Geschäftsbetrieb des Unternehmens erforderlichen Willensentscheidungen
eigen- oder mitverantwortlich zu treffen und das wirtschaftliche Ergebnis des
Unternehmens mit zu bestimmen oder auf seine Rechnung zu veranlassen.
So darf der Inhaber nach § 3 Abs. 2 des Vertrags folgende Maßnahmen nur mit
Zustimmung des stillen Gesellschafters vornehmen: Änderung des Gegenstandes des
Unternehmens und der Rechtsform, Aufnahme weiterer stiller Gesellschafter, Erwerb von
Beteiligungen an anderen Unternehmen oder eines Teils des Unternehmen, Errichtung
von Zweigniederlassungen, An- und Verkauf und Belastung von Grundstücken im
Einzelfall mit einem Wert von mehr als 150.000 Euro, Aufnahme von Krediten und
Übernahme von Wechselverbindlichleiten oder Bürgschaften im Einzelfall mit einem Wert
von mehr als 150.000 Euro, Investitionen mit einem Anschaffungswert von mehr als
150.000 Euro. Darin kommt der Wille der Vertragspartner zum Ausdruck, wesentliche
Rahmenbedingen des Betriebes nur einverständlich ändern zu wollen. Dabei handelt es
sich im Wesentlichen um solche, die eine Änderung des Unternehmensgegenstandes
sowie der wirtschaftlichen Substanz des Unternehmens – letzteres, soweit es um Werte
über 150.000 Euro geht – und eine Ausweitung des Gesellschafterkreises auf weitere
stille Beteiligungen von der Zustimmung des Klägers abhängig zu machen.
Diese Regelung bewirkt den Schutz des stillen Gesellschafters, da er die Rechtsstellung
des Inhabers nach außen nicht begrenzen kann, und dient seiner Sicherung, ohne
seinen Einfluss auf „das Tagesgeschäft“ zu ermöglichen.
Soweit dem Kläger Informations- und Kontrollrechte nach § 5 des Vertrages „im Umfang
der im HGB und BGB festgelegten Kontrollrechte“ zustehen, handelt es sich um
Ansprüche gegen den Inhaber, die keine unmittelbare Beteiligung an der
Unternehmensführung bewirken.
Die fehlende Möglichkeit zur Einflussnahme auf das wirtschaftliche Ergebnis des
Unternehmens entspricht dem Alter und Erfahrungsstand des Klägers, der zum
Zeitpunkt des Vertragschlusses gerade 19 Jahre alt war.
Die sonstigen Regelungen des Vertrages begründen keine Umstände, die Feststellungen
zulassen, dass der Kläger das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens (mit)
bestimmte, die für das Unternehmen erforderlichen Willensentscheidungen mit traf.
Soweit die Beklagte darauf verweist, dass hier im Sinne einer einheitlichen
Rechtsanwendung die Beteiligung des Klägers am landwirtschaftlichen Unternehmen
seines Vaters nur einheitlich mit der steuerlichen Bewertung erfolgen könne, wobei aus
der Tatsache, dass das Finanzamt Fürstenwalde für den Kläger für die Jahre 2002 bis
2004 Einkünfte nach § 13 EStG (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft) festgesetzt
habe, auch die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Klägers als
Mitunternehmer folge, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die
sozialversicherungsrechtliche Einordnung einer Tätigkeit ist grundsätzlich unabhängig
von der Entscheidung der Finanzbehörden zu treffen (so bereits BSG, Urteil vom 5. April
1956, 3 RK 65/55, zitiert nach juris: Rz. 32.).
Der Kläger ist auch nicht versicherungspflichtig gemäß § 1 Abs.2 Satz 2 ALG. Die
Vorschrift besagt: Beschränkt haftende Gesellschafter einer
Personenhandelsgesellschaft oder Mitglieder einer juristischen Person gelten als
Landwirt, wenn sie hauptberuflich im Unternehmen tätig und wegen dieser Tätigkeit nicht
kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind.
Ungeachtet der Frage, ob die vertraglich geregelte stille Beteiligung des Klägers von
dieser Vorschrift erfasst ist, fehlt es bereits daran, dass er nicht hauptberuflich im
streitgegenständlichen Zeitraum im landwirtschaftlichen Unternehmen gearbeitet hat.
Seine Tätigkeit beschränkte sich auf die dargelegten Zeiten der Erntehilfe.
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Seine Tätigkeit beschränkte sich auf die dargelegten Zeiten der Erntehilfe.
„Hauptberuflich“ war er Student. Auf das Einkommen stellt die Vorschrift nicht ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des
Rechtsstreits.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es hierfür an den Voraussetzungen nach
§ 160 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG fehlt.
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