Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 31.03.2008

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 31.03.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 130 AS 4/08 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 29 B 296/08 AS ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2008 wird
zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der das Sozialgericht nicht
abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet.
Die Auslegung des Antrags des Antragstellers (§ 123 SGG) ergibt, dass dieser auf die Feststellung gerichtet ist, dass
der Antragsgegner verpflichtet ist, dem Antragsteller eine Zusicherung zur Übernahme der Kosten für eine Wohnung
mit einer Brutto-Warmmiete von 396,- EUR zu erteilen. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die 360,- EUR an
Aufwendungen für Kosten der Unterkunft, die der Antragsgegner bereit ist zu übernehmen, nicht ausreichend sind. Da
der Antragsgegner durch Ausstellung einer Zusicherung bereits deutlich gemacht hat, dass auch er einen
Wohnungswechsel für erforderlich hält, kann das Begehren des Antragstellers nur auf die Feststellung gerichtet seien,
dass er eine Wohnung mit einer höheren Miete anmieten kann.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Die
Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch
(Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294
Zivilprozessordnung - ZPO -). Die so genannte " Regelungsanordnung" gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann auch
eine feststellende einstweilige Anordnung beinhalten (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl., § 86 b , Rn. 25 b; ausführlich dazu Beschluss des Sächsischen Landessozialgericht -
LSG - vom 03. März 2008, Az. L 3 B 187/07 AS-ER, dokumentiert in juris mit weiteren Nachweisen).
Es kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund, also eine Eilbedürftigkeit, hier gegeben ist. Eine solche könnte darin
liegen, dass dem Antragsteller das Verbleiben in einer mit Schimmel befallenen Wohnung auf längere Zeit nicht
zuzumuten ist. Jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch nicht gegeben, da der Antragsteller nach der im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keinen Anspruch auf Zusicherung der Übernahme von
Kosten der Unterkunft von mehr als 360,- EUR monatlich hat.
Gemäß § 22 Abs. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss
eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen
kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist zur
Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen
sind; der für den Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger ist zu beteiligen.
Im Falle des Antragstellers ergibt sich, dass eine Zusicherung der Übernahme der Kosten für eine Wohnung mit einer
Warmmiete von 396,- EUR nicht in Betracht kommt, da Aufwendungen in dieser Höhe nicht angemessen sind.
Zur Feststellung der Angemessenheit der Unterkunftskosten bedarf es nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) zunächst der Feststellung der angemessenen Wohnungsgröße. Hier ist die für
Wohnberechtigte im sozialen Wohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zu Grunde zu legen (insbesondere die Werte
nach dem Gesetz über die soziale Wohnraumförderung - WoFG – i.V.m. den landesrechtlichen Bestimmungen; vgl.
BSG, Urteile vom 7. November 2006, B 7b AS 10/06 R – in juris und SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 - und B 7b AS 18/06 R,
in juris und NDV-RD 2007, 34). Danach ist in Berlin, mangels Richtlinien zu § 10 WoFG, zum einen an die
Bestimmungen zur Vergabe von Wohnberechtigungsscheinen zur Belegung von nach dem WoFG
belegungsgebundenen Wohnungen anzuknüpfen, wie sie sich aus der Mitteilung Nr. 8/2004 vom 15. Dezember 2004
der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ergeben. In Berlin wird die maßgebliche Wohnungsgröße für den
Wohnberechtigungsschein in der Regel nach Raumzahl bestimmt (Ziff. 8 Abs.1 Mitt. 8/04). Angemessen ist danach
grundsätzlich ein Raum für jeden Haushaltsangehörigen, wobei Zwei-Zimmer-Wohnungen mit einer Gesamtwohnfläche
bis zu 50 m² auch an Einzelpersonen überlassen werden dürfen. In Berlin sind mangels den Mietwohnungsbau
betreffender Bestimmungen die Richtlinien über Förderungssätze für eigengenutztes Wohneigentum der
Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr vom 25. Mai 1999 - Eigentumsförderungssätze 1999 - (ABl. 1999,
S. 2918ff) heranzuziehen. Nach Abschnitt II Ziffer 4 (3) der Eigentumsförderungssätze 1999 ist für eine Person eine
Wohnfläche von maximal 50 m² förderungsfähig. Unter Anwendung dieser Maßstäbe wäre hier eine Wohnungsgröße
von bis zu 50 m² für den Antragsteller angemessen (vgl. im Übrigen auch Abschnitt II Ziffer 1 Buchstabe a der Anlage
1 der Richtlinien für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau in Berlin -
Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1990 [WFB 1990] vom 16. Juli 1990, ABl. 1990, 1379 ff. i. V. m. Abschnitt I
Nr. 13 a der Verwaltungsvorschriften zur Änderung der WFB 1990 vom 13. Dezember 1992 [VVÄndWFB 1990, ABl
1993, 98 f.], nach der eine 1 ½- Zimmerwohnung die Wohnfläche von 45 m² nicht überschreiten darf). Für den
Antragsteller ist damit eine Ein- bis Zweizimmerwohnung mit maximal 50 m² Wohnfläche angemessen.
Für die weitere Feststellung des angemessenen Unterkunftsbedarfs sind die Kosten für eine Wohnung, "die nach
Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen
Wohnstandard aufweist" (BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 18/06 R, in juris und NDV-RD 2007, 34), zu
ermitteln. Abzustellen ist dabei auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard, welches sich in der
Wohnungsmiete niederschlägt (Produkttheorie, BSG, a.a.O.). Nach den dem Senat im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur möglichen eingeschränkten Ermittlungen sind hier die sich aus der Berliner
Mietspiegeltabelle 2007 (Amtsblatt Nr. 30 vom 11. Juli 2007, S. 1797) ergebenden durchschnittlichen Mittelwerte für
einfache Wohnlagen und Ausstattungen für Neu- und Altbauten zu Grunde zu legen. Für eine Wohnfläche von 40 m²
bis unter 60 m² ergibt sich daraus eine Netto-Kaltmiete von gerundet 4, 54 EUR/m² (3,42 EUR/m² + 4,35 EUR/m² +
3,30 EUR/m² + 4,77 EUR/m² + 4,43 EUR/m² + 4,41 EUR/m² + 4,56 EUR/m² + 4,96 EUR/m² + 6,70 EUR/m² =
insgesamt 40,90 EUR/m² ÷ 9 = durchschnittlich 4, 54 EUR/m² x 50 m²) = 227,00 EUR monatliche gesamte Netto-
Kaltmiete.
Hierzu sind die durchschnittlichen "kalten" Betriebskosten, die regelmäßig mit dem Mietzins zu entrichten sind, zu
ermitteln. Unter Zugrundelegung der vom Deutschen Mieterbund - DMB - mit dem "Betriebskostenspiegel 2007"
veröffentlichten Angaben (www.mieterbund.de), ergeben sich bei Nichtberücksichtigung der für Heizung und
Warmwasser angegebenen Kosten durchschnittliche Betriebskosten in Höhe von 1,75 EUR/m² (inkl. Steuern und
Abgaben). Daraus ergeben sich "kalte" Betriebskosten für eine Wohnung von 50 m² in Höhe von 87,50 EUR
monatlich.
Des Weiteren sind die von dem Antragsgegner nach § 22 SGB II zu leistenden Heizkosten zu ermitteln. Nach dem
Betriebskostenspiegel des DMB sind diese mit 0,85 EUR/m² anzusetzen, so dass sich für eine Wohnungsgröße von
50 m² ein Betrag von 42,50 EUR monatlich ergibt.
Zusammengerechnet ergibt dies bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Brutto-Warmmiete in Höhe von insgesamt
357,00 EUR (227,00 EUR + 87,50 EUR + 42,50 EUR) monatlich.
Wohnungen unterhalb der vom Antragsgegner als angemessen angesehenen Kosten sind auch konkret verfügbar und
zugänglich. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass entsprechende Wohnungen nicht vorhanden sind. Der
Wohnungsmarkt in B ist entspannt. Eine Recherche des Senats im Internet bei www.immobilienscout24.de hat
ergeben, dass 1- Zimmer-Wohnungen mit einer Miete innerhalb der vom Antragsgegner als angemessen angesehenen
Mietobergrenze auch tatsächlich vorhanden sind, und zwar auch Wohnungen, die in dem von dem Antragsteller
gewünschten Bezirk P liegen. So fand sich bei einer Recherche am 28. März 2008 eine 1-Zimmerwohnung mit einer
Wohnfläche von 43 m² und einer Warmmiete von 290,- EUR in der D Straße. Diese Wohnung ist mit Zentralheizung
ausgestattet, so dass der Antragsteller, wie von ihm gewünscht, keine Brennmaterialien mehr in die Wohnung tragen
müsste. Weiter fand sich eine 1-Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von 39,50 m² und einer Warmmiete von 300,-
EUR in der EW- S, auch diese Wohnung ist mit einer Etagenheizung ausgestattet; die genannten Wohnungen
befinden sich in vollständig renoviertem beziehungsweise saniertem Zustand.
Dem Antragsteller wäre daher die Anmietung einer Wohnung mit der vom Antragsgegner akzeptierten Miethöhe
möglich.
Gründe des Einzelfalls, die zur Verpflichtung zur Übernahme höherer Kosten und entsprechend einer Zusicherung der
Übernahme höherer Kosten führen könnten, sind im Falle des Antragstellers nicht ersichtlich. Ein solcher Anspruch
folgt insbesondere nicht aus den "Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß
§ 22 SGB II" (AV-Wohnen) vom 7. Juni 2005, zuletzt geändert mit Verwaltungsvorschriften vom 30. Mai 2006
(Amtsblatt Seite 2062). Nr. 4 Abs. 5 der AV-Wohnen sieht zwar vor, dass in besonders begründeten Einzelfällen die
Richtwerte für angemessenen Wohnraum, die für einen Ein-Personen-Haushalt mit 360 EUR angesetzt sind, bis zu
10% überschritten werden können. Dies gilt allerdings nur bei bestehendem Wohnraum, d.h., wenn Bezieher von
Leistungen nach dem SGB II bereits länger eine Wohnung bewohnen und diese wegen Unangemessenheit der Miete
wechseln sollen. Eine weitere Ausnahme ist gemäß Nr. 4 Abs. 10 der AV-Wohnen bei Neuanmietung von Wohnraum
durch Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen vorgesehen. Die Voraussetzungen beider
Ausnahmevorschriften erfüllt der Antragsteller nicht, so dass der Antragsgegner auch nicht im Hinblick auf eine
Selbstbindung der Verwaltung dazu verpflichtet ist, eine entsprechende Zusicherung zur Übernahme von Wohnkosten
in Höhe von 396,- EUR zu erteilen.
Auch aufgrund der Schwerbehinderung des Antragstellers ist ein Abweichen von den oben ermittelten angemessenen
Kosten der Unterkunft nicht notwendig. Wie bereits ausgeführt, ist die Anmietung einer vollständig renovierten und mit
Zentralheizung beziehungsweise Etagenheizung versehenen Wohnung möglich. Der Antragsteller müsste also weder
Brennmaterial tragen noch eine für ihn möglicherweise aus gesundheitlichen Gründen nicht durchführbare Renovierung
vornehmen.
Eine Verpflichtung des Antragsgegners ergibt sich auch nicht aus einer Zusicherung gemäß § 34 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Antragsteller hat zwar vorgetragen, dass ihm Mitarbeiter des Antragsgegners
zugesagt hätten, dass in seinem Fall die Übernahme von 10% über der normalerweise angemessenen Miete
liegenden Mietkosten möglich sei. Dieser Vortrag dürfte zutreffend sein, da sich in den Verwaltungsakten ein Vermerk
findet, wonach bei Vorlage neuer Wohnungsangebote "die 10% Klausel" zu beachten sei. Aus dieser (Fehl-)
Information folgt jedoch kein Anspruch des Antragstellers auf Zusicherung der Übernahme höherer Wohnkosten, da
ihm diese Übernahme höherer Miete nicht schriftlich zugesichert wurde. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X bedarf
eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu
unterlassen, zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Dies bedeutet, dass der Antragsgegner dem Antragsteller in
einem an ihn gerichteten Schreiben unmissverständlich zugesagt haben müsste, ihm eine entsprechende Zusicherung
erteilen zu wollen. Mit dem in der Akte befindlichen Vermerk der Sachbearbeitung ist diese Voraussetzung nicht
erfüllt.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem
Landessozialgericht war abzulehnen, da der Beschwerde die nach § 73 a SGG i.V.m. § 114 ZPO erforderliche
hinreichende Erfolgsaussicht aus den vorgenannten Gründen fehlt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).