Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 06.12.2007

LSG Berlin-Brandenburg: stationäre behandlung, rente, klinik, persönlichkeitsstörung, psychiatrie, wechsel, psychotherapie, psychiater, arztbericht, orthopädie

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 4.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 4 R 162/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 43 SGB 6
Erwerbsminderung
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6.
Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu
erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser
Erwerbsminderung ab dem 1. Mai 2005.
Die 1964 geborene Klägerin ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie wurde in der Türkei
geboren und lebt seit 1972 in Deutschland. Die Schule beendete sie mit dem
Hauptschulabschluss, einen Beruf erlernte sie nicht. Sie arbeitete zunächst bei einem
Friseur, später am Fließband. Von 1993 an war sie bei ihrem Mann beschäftigt. Bis 1997
half sie ihm beim Betrieb eines Zeitungskiosks, dann war sie in dem von ihm eröffneten
E-Laden als Verkaufshilfe und Kassiererin tätig. Nachdem sie seit dem 16. August 2004
durchgehend arbeitsunfähig gewesen war, beendete ihr Mann das Arbeitsverhältnis zum
31. März 2005. Am 20. April 2005 meldete die Klägerin sich arbeitslos. Ein nochmaliges
Arbeitsverhältnis bei ihrem Mann wurde zum 15. November 2007 durch diesen
gekündigt.
Die Klägerin ist als Schwerbehinderte anerkannt; der Grad der Behinderung ist seit dem
23. November 2006 mit 60 festgestellt.
Auf ihren vom Januar 2005 datierenden Antrag hin gewährte die Beklagte der Klägerin
die Durchführung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der B-Klinik B.
Dort hielt die Klägerin sich vom 8. März bis zum 19. April 2005 auf. In dem
Entlassungsbericht der Klinik heißt es, bei der Klägerin bestünden eine
Somatisierungsstörung sowie eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver
Reaktion. Als Verkäuferin könne sie nur noch unter drei Stunden täglich tätig sein; die
Verrichtung körperlich leichter Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten und auch
überwiegend im Sitzen sei für sechs Stunden und mehr täglich möglich, wenn die
Klägerin in Tagschicht arbeite, keine Leitern und Gerüste ersteigen müsse, sich nicht
häufig bücken oder Treppen steigen müsse und auch kein kräftiges Zufassen beider
Daumen erforderlich sei. Letzteres sei der Klägerin aufgrund einer Arthrose der
Daumengrundgelenke nicht möglich.
Am 2. Mai 2005 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen
Erwerbsminderung und gab an, ihrer Auffassung nach seit dem 23. März 2004 aufgrund
der aus den beigefügten ärztlichen Attesten ersichtlichen Gesundheitsstörungen und
psychischer Probleme keine Arbeiten mehr verrichten zu können. Krank geschrieben sei
sie derzeit nicht.
Neben den bereits im Rehabilitationsverfahren vorliegenden medizinischen Unterlagen,
nämlich Epikrisen des Evangelischen Waldkrankenhauses S vom 14. April 2004 und des
Klinikums S vom 4. Juni und 26. September 2004 sowie drei Operationsberichten des
Evangelischen Waldkrankenhauses S vom 10. Februar, 24. und 25. März 2004, lagen der
Beklagten im Verwaltungsverfahren eine pathologisch-anatomische Begutachtung mit
kritischer Stellungnahme bezüglich zweier Proben aus der Magenschleimhaut der
Klägerin vom 30. September 2004, ein Bericht über eine am 4. November 2004
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Klägerin vom 30. September 2004, ein Bericht über eine am 4. November 2004
durchgeführte Computertomographie der Lendenwirbelsäule sowie ein vom 19. Januar
2005 datierender Bericht über eine Magnetresonanztomographie der Lendenwirbelsäule
vom 14. Januar 2005 vor.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab.
Am 14. Juni 2005 legte die Klägerin Widerspruch ein und trug vor, nach Rücksprache mit
ihrem Nervenarzt Dr. R sei sie nicht in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig
zu sein, weil sich ihr Leiden so verschlimmert habe, dass sie kurz vor einem
Nervenzusammenbruch stehe. Des Weiteren habe das Waldkrankenhaus festgestellt,
dass sie entzündliche rheumatische Leiden an den Gelenken habe.
Im Widerspruchsverfahren lag der Beklagten ein vom 8. Juni 2005 datierender
Entlassungsbericht des Evangelischen Waldkrankenhauses S vor, in welchem die
Klägerin sich vom 23. bis zum 31. Mai 2005 in stationärer Behandlung befunden hatte.
Auf Veranlassung der Beklagten untersuchte der Orthopäde Dr. R die Klägerin am 27.
Oktober 2005 und erstellte ein Gutachten, in welchem er zu dem Ergebnis kam, dass sie
an einer Arthralgie beider Hand- und Kniegelenke ohne Funktionsminderung sowie einer
Lumbalgie ohne Funktionsminderung leide und der Verdacht auf eine
Somatisierungsstörung sowie ein depressive Störung bestehe. Aus seiner Sicht könne
die Klägerin mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen
vollschichtig verrichten. Vermieden werden müssten Tätigkeiten mit häufigem Bücken,
Knien und Hocken. Das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei nicht
gefährdet oder gemindert. Auch die letzte Tätigkeit als Verkäuferin sei noch vollschichtig
zu leisten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe aus orthopädischer Sicht
nicht.
Nachdem die Internistin R unter dem 14. November 2005 prüfärztlich Stellung
genommen hatte, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 16.
November 2005 zurück und führte zur Begründung aus, die im Verwaltungs- und im
Widerspruchsverfahren durchgeführten Ermittlungen hätten ergeben, dass ihr
Leistungsvermögen auch unter Berücksichtigung der vorliegenden
Gesundheitsstörungen ausreiche, um über einen Zeitraum von mindestens sechs
Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein; die jeweilige Arbeitsmarktlage sei
dabei nicht zu berücksichtigen. Die Frage des Vorliegens einer Berufsunfähigkeit sei
schon deshalb nicht zu prüfen gewesen, weil sie nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren
worden sei.
Daraufhin hat die Klägerin am 22. November 2005 Klage zum Sozialgericht Berlin
erhoben, um ihr Begehren weiter zu verfolgen. Die Klägerin hat unter anderem
Ablichtungen zweier Abmahnungen vom 15. März und 3. Juli 2007 sowie der vom 15.
Oktober 2007 datierenden Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. November 2007
zu den Akten gereicht.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt, denen teils weitere medizinische
Unterlagen beigefügt waren. Zu den Akten gelangt sind Befundberichte der Internistin
Dr. H vom 23. Februar 2006, des Orthopäden Dr. N vom 23. Februar 2006, des
Psychiaters R vom 24. Februar 2006, des Allgemeinmediziners Dr. K vom 11. März 2006,
der Fachärztin für Nervenheilkunde F K vom 20. März 2006 und des Psychiaters R,
gerichtet an die Beklagte, vom 22. Juni 2006. Eingereicht worden sind Epikrisen des
Evangelischen Waldkrankenhauses S, Abteilung für Orthopädie, vom 8. Juni 2005 über
einen Aufenthalt der Klägerin dort vom 23. bis zum 31. Mai 2005, des Klinikums S, Klinik
für Chirurgie, vom 4. Juni 2004 bezüglich eines Aufenthalts vom 1. bis zum 5. Juni 2004
und vom 29. September 2004 bezüglich eines Aufenthalts vom 22. bis zum 30.
September 2004, desselben Krankenhauses, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
vom 14. Juni 2006 über eine stationäre Behandlung vom 14. März bis zum 26. Mai 2006,
vom 26. Januar 2007 über stationäre Aufenthalte vom 28. Juli bis zum 1. November und
vom 20. November bis zum 23. November 2006 sowie teilstationäre Behandlungen vom
1. November bis zum 20. November und vom 23. November bis zum 22. Dezember
2006, des E W.krankenhauses S, Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, vom 14.
April 2004 bezüglich eines Aufenthalts vom 23. März bis zum 1. April 2004 und der St. H-
Kliniken B, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 13. Dezember 2005 über
eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 2. bis zum 10. Dezember 2005. Schließlich
sind zu den Akten genommen worden ein vom 28. Oktober 2004 datierender
Befundbericht über eine Röntgenuntersuchung der Lendenwirbelsäule am selben Tag,
ein Bericht vom 16. Februar 2005 über eine Vorstellung der Klägerin in der
Wirbelsäulensprechstunde beim Evangelischen Waldkrankenhaus S, Abteilung für
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Wirbelsäulensprechstunde beim Evangelischen Waldkrankenhaus S, Abteilung für
Orthopädie, und ein von der B-Klinik am 11. April 2005 erstellter Medikamentenplan.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat der Neurologe und Psychiater Dr. A die Klägerin
am 21. und 31. Mai 2007 untersucht und unter dem 14. Juni 2007 ein
Sachverständigengutachten erstellt. Darin heißt es, neben den bereits vorbestehenden
Diagnosen seien aus psychiatrischer Sicht eine leicht ausgeprägte
Somatisierungsstörung sowie eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom
Borderline-Typus festzustellen. Dabei handele es sich nicht um organische Prozesse,
sondern um gestörte Erlebnisverarbeitungen. Die seelischen Störungen der Klägerin
äußerten sich in keinen körperlich sichtbaren und wahrnehmbaren Fehlregulationen. Sie
sei sich der Fehlhaltung wohl nur teilweise bewusst. Ein bewusstes Verhalten im Sinne
einer Begehrensvorstellung sei nicht auszuschließen, Simulation sei nicht anzunehmen,
Aggravation sei vorhanden. Die Klägerin sei in der Lage, die Fehlhaltung bei zumutbarer
Willensanstrengung zu überwinden. Dazu sei sie derzeit schon in der Lage. Bei einer
weiteren tätigkeitsbegleitenden Fortführung der psychiatrisch-psychotherapeutischen
Maßnahmen sei von einer Linderung der psychiatrischen Erkrankungen auszugehen.
Dabei dürfte die Vorenthaltung der Rente für die weitere Behandlungsmotivation
förderlich sein. Das Leistungsvermögen reiche aus, um regelmäßig körperlich
mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Die Somatisierungsstörung und die emotional-
instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus führten nicht zu relevanten
Beeinträchtigungen. Weder müsse die tägliche Arbeitszeit eingeschränkt werden noch
gebe es hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstelle Besonderheiten zu berücksichtigen.
Mit Gerichtsbescheid vom 6. Dezember 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Klage
abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, aus der Gesamtheit des
Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens, insbesondere aber aus den Ausführungen des
Sachverständigen Dr. A, ergebe sich für die Kammer, dass die Klägerin die
Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfülle,
weil das verbliebene Leistungsvermögen noch eine Erwerbstätigkeit von mindestens
sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
zulasse.
Gegen den ihr am 19. Dezember 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin
am 17. Januar 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, wesentliche
Aspekte ihrer Erkrankung und damit wesentliche Aspekte der bestehenden
Leistungseinschränkungen seien von dem erstinstanzlichen Gericht nicht berücksichtigt
worden. Dies betreffe nicht nur die nicht mehr vorhandene Möglichkeit, mit
Publikumsverkehr zu arbeiten, sondern auch ihre Anpassungs- und
Umstellungsfähigkeit, ihr Vermögen, sich mit Vorgesetzten und Kollegen
auseinanderzusetzen bzw. konstruktiv zusammen zu arbeiten. Es könne dabei nicht
verkannt werden, dass die bestehende Aggressivität, wie sie sich im Arbeitsverhältnis
nur gegenüber den Kunden und dem dortigen Arbeitgeber geäußert habe, auch
bestehen bleiben werde, selbst wenn Publikumsverkehr vermieden werde. Ihre
behandelnden Ärzte seien der Auffassung, dass gegenwärtig eine Therapie nicht möglich
sei. Die Klägerin hat eine Stellungnahme ihrer behandelnden Ärztin für Psychiatrie und
Neurologie F K vom 30. Oktober 2008 sowie einen an das Arbeitsamt gerichteten Bericht
des Klinikums S, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom 3.
November 2008, einen vorläufigen Arztbericht dieses Krankenhauses über eine
stationäre Behandlung vom 2. Juni bis zum 8. Juli 2008 und einen vorläufigen Arztbericht
über eine stationäre Behandlung dort vom 22. Dezember 2008 bis zum 26. Februar
2009 und eine teilstationäre Behandlung vom 26. Februar bis zum 27. März 2009 sowie
einen Bericht über diese teilstationäre Behandlung vom 14. April 2009 zu den Akten
gereicht.
Der Senat hat Befundberichte eingeholt von dem Orthopäden T vom 22. Mai 2008 und
von der Fachärztin für Nervenheilkunde F K vom 6. Juni 2008. Er hat den im
erstinstanzlichen Verfahren gutachterlich tätig gewordenen Neurologen und Psychiater
Dr. A um eine ergänzende Stellungnahme unter Berücksichtigung der aktuellen
medizinischen Unterlagen gebeten. Diese hat Dr. A unter dem 29. August 2008 erstellt.
Weiter angefordert hat der Senat einen Bericht des Klinikums S, Klinik für Psychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik, vom 24. September 2008 bezüglich zweier
stationärer Aufenthalte der Klägerin dort vom 8. bis zum 13. September und vom 14. bis
zum 23. September 2008.
Auf Veranlassung des Senats hat die Ärztin für Psychiatrie G die Klägerin am 7. und am
24. September 2009 untersucht und unter dem 5. Oktober 2009 ein weiteres
Sachverständigengutachten erstellt. Darin stellt sie die Diagnosen einer rezidivierenden
depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode, einer anhaltenden somatoformen
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depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode, einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung und einer histrionischen Persönlichkeitsstörung. Zum
Leistungsvermögen heißt es, dieses sei in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt. Die
Klägerin könne leichte bis mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen oder im
Freien, im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, ohne einseitige Belastungen, ohne
Zwangshaltungen, nicht auf Leitern und Gerüsten, nicht unter Zeitdruck oder in
festgelegtem Arbeitsrhythmus, nicht an laufenden Maschinen und nicht im Wechsel-
oder Nachtschichten verrichten. In der Ausübung geistiger Tätigkeiten sei sie durch die
festgestellten Leiden nicht beschränkt. Das Hör- und Sehvermögen sei intakt. Das
Reaktionsvermögen könne durch die eingenommenen Medikamente beeinträchtigt sein.
Leicht eingeschränkt seien die Konzentrationsfähigkeit und die Anpassungs- und
Umstellungsfähigkeit. Dies gelte insbesondere für die Einarbeitung in neue berufliche
Aufgabenfelder. Arbeiten mit Publikumsverkehr sollte möglich sein.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2007 sowie
den Bescheid vom 1. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.
November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr ab dem 1. Mai 2005
Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und sieht ihre Auffassung durch
das Ergebnis des im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens und
die weiteren medizinischen Ermittlungen bestätigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf
den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten
(VSNR B) sowie der vom Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin,
Versorgungsamt Berlin, beigezogenen Akten (Az.: D ) verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist sie statthaft und
form- und fristgerecht erhoben (§ 143 und 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), sie ist aber
nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen, denn einen
Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat die Klägerin
nicht; zu Recht hat die Beklagte ihren darauf gerichteten Antrag abgelehnt und den
Widerspruch zurückgewiesen.
Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt die
Klägerin nicht. Anspruch auf eine derartige Rente besteht nach § 43 Abs. 1 Satz 1
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) für Versicherte bis zur Vollendung des 65.
Lebensjahres, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf
nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI); voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI
diejenigen, die nicht mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein können.
Zwar sind hier, wovon die Beklagte zutreffend ausgegangen ist, die für die
Rentengewährung nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn 2 und 3 SGB VI erforderlichen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Klägerin ist aber nicht
erwerbsgemindert, denn sie ist noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs. 3 SGB VI).
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Die Gesundheit der Klägerin ist, wie sich aus den vorliegenden zahlreichen medizinischen
Unterlagen, insbesondere dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik, den vielen
Epikrisen bezüglich stationärer Aufenthalte der Klägerin, den Befundberichten der
behandelnden Ärzte und den Sachverständigengutachten ergibt, insbesondere
beeinträchtigt durch psychische Probleme. Sie leidet unter einer wiederkehrenden
depressiven Störung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer von
Dr. A als emotional-instable Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus, von Frau G als
histrionische Persönlichkeitsstörung beschriebenen Problematik. Soweit die behandelnde
Nervenärztin Dr. F-K darüber hinaus die Diagnosen einer paranoiden Schizophrenie und
einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen gestellt hat, hat der
Sachverständige Dr. A in seiner ergänzenden Stellungnahme vom August 2008 darauf
hingewiesen, dass sie es an einer überzeugenden Begründung anhand eines
entsprechend differenzierten psychopathologischen Befundes hat fehlen lassen; die
Rede sei lediglich knapp von paranoidem Erleben und depressivem Rückzug gewesen. Er
selbst habe weder für die eine noch für die andere Diagnose eindeutige Symptome
gefunden, so dass er die Diagnosen nicht nachvollziehen könne. Denkbar sei, dass die
erwähnten Krankheitszustände inzwischen abgeklungen oder zumindest so weit
abgemildert seien, dass ihre Symptome nicht mehr eindeutig zu Tage träten. Offenbar
sind sie auch, soweit sie bestanden haben, nicht mehr aufgetreten, denn entsprechende
Diagnosen werden auch von Frau G nicht gestellt. Die auf orthopädischem Gebiet
geklagten Beschwerden haben kein für ein Rentenverfahren relevantes Ausmaß. Bei den
insbesondere in dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik vom Frühjahr 2005,
dem Gutachten des Orthopäden Dr. R vom Oktober 2005 und dem Befundbericht von
Dr. T vom Mai 2008 beschriebenen Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule sowie der
großen und teils auch kleinen Gelenke handelt es sich im Wesentlichen um
altersentsprechende Befunde. So diagnostizierte schon die Rehabilitationsklinik eine
Somatisierungsstörung sowie eine depressive Störung. Der Neurologe und Psychiater
Dr. A, der im Juni 2007 die Diagnosen einer leicht ausgeprägten Somatisierungsstörung
und einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus stellte,
erklärte diese als gestörte Erlebnisverarbeitung, die nicht zu relevanten
Beeinträchtigungen führten und von der Klägerin bei zumutbarer Willensanstrengung zu
überwinden seien.
Das Leistungsvermögen der Klägerin ist durch die gesundheitlichen Störungen nicht
schwerwiegend eingeschränkt. In schlüssiger und nachvollziehbarer Weise stellen die
gerichtlichen Gutachter dar, dass die Klägerin jedenfalls körperlich leichte bis
mittelschwere Arbeiten noch verrichten kann. Dr. A, der das Leistungsvermögen allein
aus psychiatrischer Sicht beurteilt, schließt lediglich die Verrichtung körperlich schwerer
Arbeiten aus. Frau G macht weitere qualitative Einschränkungen, begründet sie jedoch
nicht. Die Begründung findet sich zum Teil in dem Entlassungsbericht der
Rehabilitationsklinik, dem Gutachten von Dr. R und dem Befundbericht von Dr. T. Wegen
der Beschwerden im Bereich der Hals- und der Lendenwirbelsäule, der Knie und der
Daumengrundgelenke sollte die Klägerin vorzugsweise in wechselnder Körperhaltung
arbeiten und wirbelsäulen- und gelenkbelastende Tätigkeiten, Haltungen und Einflüsse
meiden. Nach Auffassung von Dr. A sollte die Klägerin wegen der psychischen Störungen
Arbeiten mit Publikumsverkehr meiden. Dr. G führt weiter aus, sie solle auch nicht unter
Zeitdruck, in festgelegtem Arbeitsrhythmus, an laufenden Maschinen und in Wechsel-
oder Nachtschichten arbeiten. Letztlich kann dahinstehen, ob diese Einschränkungen
tatsächlich erforderlich sind. Medizinisch begründet haben die Sachverständigen sie
nicht. Dem Senat erscheinen sie vor allem in Anbetracht der von der Klägerin in
beträchtlicher Dosis konsumierten Psychopharmaka und Analgetika allerdings plausibel.
Auch unter Berücksichtigung der bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und
des sich daraus ergebenden Leistungsbildes kann die Klägerin vollschichtig arbeiten. Sie
benötigt weder über das übliche Maß hinausgehende Pausen noch ist sie in ihrer
Wegefähigkeit eingeschränkt. Dies haben die im Laufe des Verfahrens als
Sachverständige tätig gewordenen Mediziner übereinstimmend schlüssig und
nachvollziehbar dargelegt. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung aus eigener
Überzeugung an.
Ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung folgt hier
auch nicht daraus, dass aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen oder des Vorliegens einer schweren spezifischen
Leistungsbehinderung eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen wäre, die
Beklagte aber keine benannt hat und auch keine ersichtlich ist. Hinweise darauf, dass ein
Fall der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder des Vorliegens
einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung vorliegen könnte, finden sich hier
nicht.
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Auch dem Hilfsantrag der Klägerin ist kein Erfolg beschieden, denn sie hat auch keinen
Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Erwerbsgemindert ist nämlich nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Dies ist hier, wobei auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann, der Fall. Zum
einen kann die Klägerin noch vollschichtig tätig sein, zum anderen kann sie dies unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des
Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 1 Nrn 1 und 2 SGG
genannten Gründe vorliegt.
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