Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2007

LSG Berlin-Brandenburg: strahlung, wahrscheinlichkeit, belastung, ddr, ärztliche untersuchung, befund, anerkennung, unfallversicherung, berufskrankheit, daten

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 U 99/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 SGB 7, § 9 SGB 7, § 56 SGB
7, § 63 SGB 7, § 65 SGB 7
Gesetzliche Unfallversicherung- Anerkennung einer
Berufskrankheit BK Nr. 2402 bei Exposition gegenüber
ionisierenden Strahlen - Berechnung der
Verursachungswahrscheinlichkeit eines Bronchialkarzinoms
durch ionisierende Strahlung nach dem Berechnungsmodell des
Prof. Jacobi - Uranerzbergbau der ehemaligen DDR - SDAG
Wismut
Leitsatz
BK Nr. 2402; SDAG Wismut; Lungenkrebs
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 02.
April 2007 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin klagt als Sonderrechtsnachfolgerin des 1948 geborenen und 2006
verstorbenen Versicherten L F. Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK)
Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – Erkrankungen durch
ionisierende Strahlen – und die Gewährung von Leistungen.
Der Versicherte war während seiner Tätigkeit in den Bergbaubetrieben VEB M Kombinat
W P - Schachtanlage B K – (einschließlich Lehrzeit: vom 01. September 1963 bis zum 30.
April 1967 und vom 07. November 1968 bis zum 28. Mai 1970, unterbrochen durch den
Wehrdienst) und Jugendbergbaubetrieb K (SDAG W; vom 01. Juni 1970 bis zum 14.
November 1989) ionisierender Strahlung ausgesetzt. Nach Berechnung des technischen
Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 21. November 2006 gestaltete sich die
kumulative Exposition gegenüber kurzlebigen Radonfolgeprodukten (RnFP; Einheit:
Working Level Months, WLM), langlebigen Radionukliden (Einheit: Kilobecquerelstunden
pro Kubikmeter, kBqh /m³) und der Gammadosis (Einheit: Millisievert, mSv) wie folgt:
Monate
kumulative
Exposition
Vom
bis
beschäftigt als
U Ü
01.09.1963 31.08.1964 Lehrling über Tage
X
01.09.1964 31.12.1964 Hauerlehrling
X
01.01.1965 21.07.1966 Hauerlehrling
X
22.07.1966 30.04.1967 Füller
X
07.11.1968 28.02.1970 Füller
X
01.03.1970 28.05.1970 Hauer - Abbau
X
01.06.1970 23.05.1972 Hauer- Abbau
X
24.05.1972 20.06.1972 krank
X
21.06.1972 11.01.1978 Hauer - Abbau
X
12.01.1978 10.02.1978 Kur/Urlaub
X
11.02.1978 17.10.1978 Hauer - Abbau
X
18.10.1978 17.11.1978 krank
X
18.11.1978 14.05.1980 Hauer - Abbau
X
15.05.1980 13.06.1980 krank
X
14.06.1980 30.06.1986 Hauer – Abbau
X
01.07.1986 31.07.1986 Kur/Urlaub
X
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01.07.1986 31.07.1986 Kur/Urlaub
X
01.08.1986 18.09.1989 Hauer - Abbau
X
19.09.1989 27.10.1989 krank
X
28.10.1989 14.11.1989 Hauer - Abbau
X
insgesamt also
Am 07. April 2006 wurde der Versicherten wegen Hämoptysen notfallmäßig in die DRK
Kliniken M B B aufgenommen. Dort wurde ein massiv hämatogen und lymphogen
metastasiertes, wenig differenziertes primäres Adenokarzinom des rechten
Lungenunterlappens mit Leber- und Hirnfiliae (C 34.3) und massiver Peritonealkarzinose
festgestellt (Operationsbericht vom 11. Mai 2005, histopathologischer Befund von
Biopsien aus dem rechten Lungenlappen vom 20. April 2006, Nachbericht hierzu vom
26. April 2006, pathologisch-anatomischer Befund von drei Gewebsproben aus der
Dickdarmschleimhaut vom 26. April 2006, cytopathologischer Befund von Material aus
dem rechten Lungenoberlappen vom 20./24. April 2006, cytopathologischer Befund von
Material aus einer Bronchiallavage vom 20./24. April 2006, Immuncytochemie eines
Bronchus-Bürsten-Abstrichs vom 24. April 2006). Er verstarb am 14. Mai 2006 im
Krankenhaus, nachdem wenige Tage zuvor aufgrund einer durch die Peritonealkarzinose
herbeigeführten Perforation des Querkolons noch eine chirurgische Intervention erfolgt
war.
Bereits am 08. Mai 2006 hatte die Klägerin für ihren Ehemann einen Antrag auf
Anerkennung einer BK und Gewährung von Leistungen gestellt unter Hinweis auf seine
Beschäftigung unter Tage im Kupferschiefer- und Uranbergbau in der DDR.
Die Beklagte zog Kopien der Sozialversicherungsausweise des Versicherten bei und
holte Befundberichte des behandelnden Lungenfacharztes Dr. Z vom 18. Mai 2006 sowie
des Allgemeinmediziners Dr. J vom 31. Mai 2006 und Auskünfte zur Arbeitsanamnese
sowie zu den Belastungen durch ionisierende Strahlung bzw. Asbest von der G zur V und
V von s B mbH (GVV) vom 07. Juni 2006 (betreffend den Zeitraum vom 01. Januar 1965
bis zum 28. Mai 1970), der W GmbH vom 31. Mai und 27. Juni 2006 (betreffend den
Zeitraum vom 01. Juni 1970 bis zum 14. November 1989) sowie der M K und M GmbH
(MKM) vom 30. Juni 2006 (betreffend den Zeitraum vom 01. September 1963 bis zum
31. Dezember 1964) ein. Des Weiteren zog sie den Obduktionsbericht vom 25. August
2006 bei und veranlasste eine Stellungnahme ihres TAD vom 13. September 2006 (50
WLM, 1,448 kBqh/m³, 138,0 mSv). Aus den Berichten der behandelnden Ärzte ging ein
langjähriger Nikotinabusus des Versicherten hervor (laut Dr. Z: 2002 40 Zigaretten
täglich seit 37 Jahren). Die Rechtsnachfolger der ehemaligen Arbeitgeber verneinten den
Umgang mit Asbest bzw. asbesthaltigen Stoffen. Der Obduktionsbericht konnte keinerlei
Nachweise für Asbestkörperchen sichern. Hinweise für eine Asbestbelastung, ein
Pleuramesotheliom, eine Silikose oder eine Silikotuberkulose konnten nicht gefunden
werden, jedoch wurde eine Mischstaubpneumokoniose festgestellt.
Nach Einholung einer Stellungnahme der Gewerbeärztin Dr. S vom 06. Oktober 2006
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Oktober 2006 gegenüber der Klägerin die
Anerkennung einer BK Nr. 2402 sowie die Gewährung von Leistungen ab. Ein
Bronchialkarzinom könne grundsätzlich durch ionisierende Strahlung hervorgerufen
werden. Die Schäden entstünden durch Mutation bzw. Transformation von Zellen zufällig
in dem Sinne, dass sie nicht zwangsläufig ab einer bestimmten Strahlendosis aufträten.
Es gebe also keine Schwellendosis, mit wachsender Strahlendosis nehme lediglich die
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer solchen Erkrankung zu. In Auswertung der
vorliegenden Unterlagen sei der Verstorbene im Zeitraum vom 01. Januar 1965 bis zum
14. November 1989 einer inneren Exposition infolge der Inhalation von kurzlebigen
Radonfolgeprodukten i. H. v. insgesamt 50 WLM, einer inneren Exposition infolge der
Inhalation von langlebigen Radionukliden (an radioaktiven Staub gebunden) von
insgesamt 1,448 kBqh/m³ und einer äußeren Exposition durch Gamma-Strahlung
(ausgehend vom vererzten Gestein) i. H. v. 138,0 mSv ausgesetzt gewesen. Grundlage
dieser Einschätzung sei der Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben „Belastung
durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR“ von Dezember
1998. Aus dieser Strahlenbelastung ergebe sich unter Berücksichtigung der Latenzzeit
(Berücksichtigung des Alters zum Zeitpunkt der Exposition und zum Zeitpunkt des
Beginns der Erkrankung) eine Verursachungswahrscheinlichkeit nach dem
Berechnungsmodell von Prof. Jacobi et al. (Institut für Strahlenschutz in
Oberschleißheim) von 38%. Dieses Modell basiere auf umfangreichen internationalen
epidemiologischen Studien zu strahlenexponierten Personen und ermögliche als
antizipiertes Sachverständigengutachten eine Aussage zur Kausalität zwischen der
Strahlenbelastung und der Erkrankung zu treffen. Grundsätzlich sei davon auszugehen,
dass bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mehr als 50% ein
Bronchialkarzinom durch die Strahlung verursacht worden sei. Erst ab diesem Wert sei
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Bronchialkarzinom durch die Strahlung verursacht worden sei. Erst ab diesem Wert sei
die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung durch die Strahlung verursacht worden sei,
größer als das bestehende Spontanrisiko. Auch unter Berücksichtigung der besonderen
Verhältnisse des Einzelfalls lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der
Erkrankung und der Tätigkeit im Uranbergbau nicht wahrscheinlich machen.
Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte noch einen Befundbericht des
behandelnden Internisten und Pneumologen P vom 15. November 2006 („02/2005: ca.
30 Zigaretten/Tag bei ca. 50 Packungsjahren“), veranlasste eine korrigierte
Stellungnahme des TAD vom 21. November 2006 unter Einbeziehung der vollen Lehrzeit
(jetzt insgesamt 51 WLM) und zog schließlich den Abschlussbericht der DRK Kliniken M B
B vom 15. Mai 2005 bei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2007 wies sie den Widerspruch zurück. Zur
Begründung wurde ausgeführt, ein Bronchialkarzinom könne durch die Einwirkung
ionisierender Strahlung verursacht werden. Neben genetischen Faktoren würden als
weitere Verursachungsfaktoren für die Entstehung eines solchen Tumors sowohl
berufliche Strahlenbelastungen als auch außerberufliche Einflüsse wie
Ernährungsverhalten, Rauchgewohnheiten, Viren, Umwelteinflüsse und allgemeine
Luftverunreinigungen diskutiert. Bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung eines
bösartigen Bronchialkarzinoms – einschließlich heute verfügbarer aufwändiger
Zusatzuntersuchungen – könne weder durch Tumorart, Tumorwachstum oder den Ort
des Auftretens auf die Ursache geschlossen werden. Bei der Bewertung der individuellen
Krebserkrankung sei also eine definitive Entscheidung, ob dieser Krebs durch die
ionisierenden Strahlen verursacht worden sei, nicht möglich. Um den Zusammenhang
zwischen Erkrankung und Strahlenbelastung beurteilen zu können, werde deshalb mit
Verursachungswahrscheinlichkeiten gearbeitet. Auf der Grundlage umfassender
epidemiologischer Daten von Gruppen radonbelasteter Bergleute sei das Jacobi-
Gutachten entwickelt worden. Mit dessen Rechenmodell könne das relative
Lungenkrebsrisiko berechnet werden. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass bei
einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50% und mehr ein Bronchialkarzinom durch
ionisierende Strahlung verursacht worden sei. Denn dies bedeute, die
Wahrscheinlichkeit, dass das Bronchialkarzinom durch die Strahlung verursacht worden
sei, sei gleich groß oder größer als das bestehende Spontanrisiko. Nach den
Feststellungen des TAD ergebe sich bei dem Verstorbenen für die Zeit vom 01.
September 1963 bis zum 14. November 1989 (mit Unterbrechung durch den Wehrdienst
von Mai 1967 bis Oktober 1968) eine inhalative Belastung durch kurzlebige
Radonfolgeprodukte i. H. v. insgesamt 51 WLM, eine inhalative Belastung durch
langlebige Radionuklide (an radioaktiven Staub gebunden) von insgesamt 1,448 kBqh/m³
und eine äußere Einwirkung von Gamma-Strahlen (ausgehend vom vererzten Gestein) i.
H. v. 138,0 mSv.
Diese Einschätzung der Strahlenbelastung sei nicht willkürlich. Die Belastung im
Kupferbergbau ergebe sich vielmehr aus vorliegenden Messprotokollen. Der Komplex der
Strahlenbelastung in der SAG/SDAG W sei im Abschlussbericht zum Forschungsprojekt
„Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR“
dargestellt. An der Durchführung und Auswertung des Projekts sei die Beklagte
maßgeblich beteiligt gewesen. Für jede erfasste Tätigkeit in der SAG/SDAG W sei auf
dieser Grundlage eine wirklichkeitsnahe Zuordnung der Strahlenbelastung in
Abhängigkeit von der Art des Betriebs und der Tätigkeit vorgenommen worden. Die
individuelle Strahlenbelastung ergebe sich aus diesem Abschlussbericht, in welchem für
jedes Produktionsjahr Belastungswerte für alle Schächte, Tagebaue und
Aufbereitungsanlagen enthalten seien. Dieser Bericht sei zusammen mit der Studie von
Prof. Jacobi et al. in einem EDV-Programm des TAD verarbeitet worden. Durch den TAD
sei hier entsprechend diesen Belastungen nach dem Berechnungsmodell von Prof.
Jacobi eine Verursachungswahrscheinlichkeit bezogen auf das Bronchialkarzinom von
38% errechnet worden. Bei dieser Belastung könne eine Verursachung des
Bronchialkarzinoms durch die Strahlenbelastung nicht wahrscheinlich gemacht werden.
Die Tatsache allein, dass der Verstorbene über 20 Jahre im Bergbau tätig gewesen sei,
sei nicht ausreichend, um eine BK anzuerkennen. Im Recht der gesetzlichen
Unfallversicherung müsse der Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und
Erkrankung nämlich wahrscheinlich gemacht werden, d. h. nach vernünftiger Abwägung
aller Umstände müssten die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so
stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden könne. Eine Möglichkeit
verdichte sich aber erst dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-
wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spreche.
Dies sei erst bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50% der Fall.
Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Der
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Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Der
Verstorbene habe 19 Jahre im Uranerzbergbau gearbeitet. Es könne kein Zufall sein,
dass nicht nur er, sondern auch viele seiner Kumpel im Alter zwischen 53 und 57 Jahren
an Bronchialkarzinomen mit identischem Krankheitsbild und kurzem Krankheitsverlauf
verstorben seien. Die Ablehnung durch die Beklagte sei deswegen nicht Rechtens.
Das SG hat die auf Anerkennung einer BK Nr. 2402 und Gewährung von
Entschädigungsleistungen gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 02. April 2007
abgewiesen und sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide
gestützt. Ergänzend hat es ausgeführt, es bestünden keine Bedenken, für die
Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen der
Entstehung von Lungenkrebs und der beruflichen Strahlenexposition von
Uranbergarbeitern der W AG das so genannte Jacobi-I-Gutachten zugrunde zu legen.
Hiergegen richtet sich die am 13. April 2007 bei dem SG Berlin eingegangene Berufung
der Klägerin. Selbst die Beklagte könne nicht ausschließen, dass das Bronchialkarzinom
durch die berufliche Strahlenbelastung verursacht worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 02. April 2007 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihr unter Anerkennung eines bei ihrem verstorbenen Ehemann festgestellten
Bronchialkarzinoms als Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage zur BKV
Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unbegründet und verweist unter anderem auf den langjährigen
Nikotinabusus des Versicherten als weiteren Risikofaktor für Lungenkrebs. Sie hat im
Übrigen ein Exemplar des so genannten Jacobi-I-Gutachtens zur „Verursachungs-
Wahrscheinlichkeit von Lungenkrebs durch die berufliche Strahlenexposition von Uran-
Bergarbeitern der Wismut AG“ sowie des Abschlussberichts zum Forschungsvorhaben
„Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR“ von
F. Lehmann et al. von Dezember 1998 (Hrg. HVBG und BBG) vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Verwaltungsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober
2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 rechtmäßig ist
und die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung des bei ihrem verstorbenen
Ehemann festgestellten Bronchialkarzinoms als BK Nr. 2402 der Anlage zur BKV und
demgemäß auch keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung – weder auf Verletztenrente (§ 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch –
SGB VII -) als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten noch auf
Hinterbliebenenleistungen (wie z. B. Hinterbliebenenrente gem. §§ 63, 65 SGB VII) - hat.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen Krankheiten, die die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet hat und die
ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach § § 2, 3 oder 6 SGB VII
begründenden Tätigkeit erleidet.
Nach der im Recht der Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre ist für das
Vorliegen des Tatbestandes der BK neben einem ursächlichen Zusammenhang
zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits
(haftungsbegründende Kausalität) auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der
schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende
Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die
durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im
Sinne des „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit,
nachgewiesen werden, während der ursächliche Zusammenhang als Voraussetzung der
Entschädigungspflicht nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der
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Entschädigungspflicht nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der
wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, also grundsätzlich die (hinreichende)
Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (vgl. hierzu
Bundessozialgericht in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N.; BSG, Urteil vom 29.
Januar 1974 - 8/7 RU 18/72 -, in SozR 2200 § 551 Nr. 1 und Urteil vom 18. August 2004 -
B 8 KN 1/03 U R –, in SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1). Eine Möglichkeit verdichtet sich
dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich wissenschaftlichen
Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel
hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG in Breithaupt 1963, 60, 61).
Gemäß § 1 BKV sind BKen die in der Anlage bezeichneten Krankheiten. In der Anlage
sind als BK Nr. 2402 Erkrankungen durch ionisierende Strahlen aufgeführt. Damit hat der
Verordnungsgeber grundsätzlich die Möglichkeit der berufsbedingten Erkrankung durch
ionisierende Strahlen anerkannt. Das heißt, durch die Aufnahme der BK Nr. 2402 in die
Liste der BKen auf Grund langer Beobachtungen und verbindlicher Zusammenfassung
jener Krankheiten, bei denen ein Zusammenhang mit bestimmten Berufstätigkeiten
bzw. beruflich bedingten Einwirkungen generell als erwiesen angesehen wird, ist die
generelle Geeignetheit der Hervorrufung einer Erkrankung durch ionisierende Strahlen
bestätigt.
Aufgrund des Ergebnisses der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Versicherte am 14.
Mai 2006 an einer Tumorzerfall-Peritonealkarzinose bei Bronchialkarzinom
(Adenokarzinom rechter Lungenunterlappen) gestorben ist (vgl. den Leichenschauschein
vom 14. Mai 2006 sowie den Obduktionsbericht vom 25. August 2006) und dass es sich
bei dem Bronchialkarzinom vom Typ des Adenom-Karzinoms um die primäre
Krebserkrankung gehandelt hat, wogegen die weiteren Organe, u. a. Leber, Hirn und
Peritoneum von Metastasen des Lungenkrebses befallen waren (vgl. histopathologischer
Befund von Biopsien aus dem rechten Lungenlappen vom 20. April 2006, Nachbericht
hierzu vom 26. April 2006, pathologisch-anatomischer Befund von drei Gewebsproben
aus der Dickdarmschleimhaut vom 26. April 2006, cytopathologischer Befund von
Material aus dem rechten Lungenoberlappen vom 20./24. April 2006, cytopathologischer
Befund von Material aus einer Bronchiallavage vom 20./24. April 2006,
Immuncytochemie eines Bronchus-Bürsten-Abstrichs vom 24. April 2006,
Obduktionsbericht vom 25. August 2006). Es ist daher für die Beurteilung einer BK nach
Nr. 2402 der Anlage zur BKV auf den Bronchialkrebs als Primärtumor abzustellen.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Erkrankung durch ionisierende Strahlen vorliegt,
ist zu unterscheiden zwischen nicht-stochastischen und stochastischen
Strahleneinwirkungen. Bei den nicht-stochastischen Wirkungen muss eine
Schwellendosis überschritten werden, damit der Effekt eintritt; bei den stochastischen
Strahlenwirkungen wird keine Schwellendosis angenommen (vgl. Abschnitt III des
Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2402, in der Fassung der
Bekanntmachung des BMA vom 13. Mai 1991, BArbBl. 7-8/72). Nicht-stochastische
Strahlenschäden beruhen auf der Zelltötung. Unterhalb einer bestimmten
Schwellendosis wirkt die Bildung neuer Zellen in ausreichendem Maß der Zellzerstörung
entgegen. Hierzu zählen z. B. das akute Strahlensyndrom oder akute Lokalschäden wie
ein Hauterythem (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur BKV, Anm. 3.1 zu
M2402). Stochastische (d. h. zufällige) Schäden entstehen hingegen durch Mutation
oder Transformation von Zellen. Die Schäden sind zufällig in dem Sinne, dass sie nicht
zwangsläufig ab einer bestimmten Strahlendosis auftreten, sondern lediglich die
Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten mit wachsender Strahlendosis zunimmt (vgl.
Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., Anm. 3.2 zu M2402). Hierzu gehören beispielsweise
Tumorerkrankungen der Lunge.
Die Krebserkrankung steht in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum nach den
Herz-Kreislaufkrankheiten an der zweiten Stelle der Todesursachen (vgl.
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Anm.
18.1). Trotz erheblicher wissenschaftlich-klinischer Fortschritte bei der Aufdeckung von
Ursachenzusammenhängen konnte bei vielen malignen Krebsleiden die Ursache bisher
nicht gefunden werden. Neben exogenen Faktoren müssen auch endogene oder
genetische Faktoren als wesentlich angesehen werden. Man spricht in diesen Fällen von
einem stochastischen Risiko oder vom so genannten Spontan-Krebs, Alters-Krebs oder
auch von schicksalsmäßiger Erkrankung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O.).
Der berufsbedingte Anteil an Krebserkrankungen lässt sich statistisch nicht exakt
nachweisen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O.). Als außerberufliche –
exogene – krebserzeugende Noxen sind insbesondere Rauchen, Alkoholkonsum,
Ernährungsgewohnheiten, der Lebensstil und natürliche Strahlung zu berücksichtigen
(vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 18.3.1 und 18.3.3.1). Da es sich
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(vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 18.3.1 und 18.3.3.1). Da es sich
nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft bei einer Krebserkrankung – wie
dargelegt - um ein multifaktorielles Geschehen handelt, kommt es für den ursächlichen
Zusammenhang zwischen der bei dem Versicherten unstreitig gegebenen beruflichen
Strahleneinwirkung und dem bei ihm aufgetretenen Bronchialkarzinom darauf an, ob die
bei ihm festgestellte berufliche Strahleneinwirkung nach Art und Dosis ausreichte, um
als wesentliche Bedingung für diese Erkrankung angesehen zu werden.
Dies kann jedoch nicht festgestellt werden.
Der TAD der Beklagten hat die Strahlenbelastung, der der Versicherte ausgesetzt war,
unter Zugrundelegung der Erkenntnisse und unter Anwendung der
Berechnungsmethode nach dem Gutachten Jacobi-I („Verursachungs-Wahrscheinlichkeit
von Lungenkrebs durch die berufliche Strahlenexposition von Uran-Bergarbeitern der
Wismut AG“ von 1992, Hrsg. GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, GSF-
Bericht 92, 14), modifiziert durch die „Stellungnahme zur Ermittlung des Lungenkrebs-
Risikos infolge der beruflichen Strahlenexposition von Wismut-Beschäftigten“ des Prof.
Jacobi vom 28. Juni 1999, nach der auch die langlebigen Radionuklide und die
Gammastrahlung in die Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit
miteinzubeziehen sind (so genanntes Jacobi-IV-Gutachten; vgl. auch das Rundschreiben
des HVBG VB 020/2001 vom 08. Februar 2001 und dessen Anlagen 1 bis 3b zum
Ausmaß der Strahlenbelastungen in den einzelnen Objekten), nach den bekannten
individuellen Voraussetzungen geprüft. Hiernach ist von folgenden
Anknüpfungstatsachen auszugehen: Der Versicherte war während seiner Tätigkeit in
dem Objekt K der SDAG Win der Zeit zwischen dem 01. Juni 1970 und dem 14.
November 1989 unter Berücksichtigung der besonderen Situation im Schacht sowie der
tatsächlichen Arbeitstätigkeit unter Tage (also abzüglich Krankheitszeiten) einer
kumulativen inneren Exposition infolge der Inhalation von kurzlebigen
Radonfolgeprodukten i. H. v. insgesamt 46,8 WLM, einer inneren Exposition infolge der
Inhalation von langlebigen Radionukliden (an radioaktiven Staub gebunden) von
insgesamt 1,44 kBqh/m³ und einer äußeren Exposition durch Gamma-Strahlung
(ausgehend vom vererzten Gestein) i. H. v. 138,03 mSv ausgesetzt. Die Daten beruhen
auf den Erkenntnissen des Abschlussberichts „Belastung durch ionisierende Strahlung
im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR“. In der Tabelle 2.1.1.12 ist die
Strahlenexposition eines Hauers auf dem Abbau im Bergbaubetrieb K in den einzelnen
Jahren seit Beginn des Abbaus im Bergbaubetrieb K im Jahre 1966 aufgelistet.
Darüber hinaus war der Kläger während seiner Tätigkeit unter Tage als
Hauerlehrling/Füller/Hauer beim VEB M vom 01. September 1963 bis zum 28. Mai 1970
abzüglich der Monate bei der NVA einer weiteren kumulativen inneren Exposition infolge
der Inhalation von kurzlebigen Radonfolgeprodukten i. H. v. insgesamt 3,86 WLM
ausgesetzt, was für den gesamten Zeitraum vom 01. September 1963 bis zum 14.
November 1989 50,66 WLM (gerundet 51 WLM) ergibt. Die konkrete individuelle
Verursachungswahrscheinlichkeit wurde beim Versicherten unter Berücksichtigung der
Latenzzeit für das Bronchialkarzinom mit 38% ermittelt.
Der Senat hat keine Bedenken, das so genannte Jacobi-I-Gutachten für die Frage der
Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs seinem Urteil zugrunde zu legen.
Hierbei ist - entsprechend den Berechnungen der Beklagten - von einer modifizierten
Betrachtungsweise auszugehen, welche entsprechend den Empfehlungen von Prof.
Jacobi auch die langlebigen Radionuklide und die Gammastrahlung in die Berechnung der
Verursachungswahrscheinlichkeit mit einbezieht (Jacobi-IV-Gutachten). Insbesondere der
seit Dezember 1998 vorliegende Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben des HVBG
"Belastungen durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR"
stellt eine zuverlässige Datenbasis für verlässliche individuelle Feststellungen der
Verursachungswahrscheinlichkeiten dar (vgl. BSG, Urteil vom 18. August 2004 – B 8 KN
2/03 U R -, in SozR 4-8440 Nr. 92 Nr. 1).
Der Versicherte war über einen relativ langen Zeitraum (netto 23 Jahre und 1 Monat) mit
Unterbrechungen durch Krankheit, Kur und Militärdienst kontinuierlich in geringerem
Ausmaß gegenüber Radonfolgeprodukten exponiert. Insgesamt ist über die Zeit der
Beschäftigung bei der SDAG W außerdem eine tendenzielle Abnahme der Belastung
festzustellen. So bestand in den 80er Jahren eine durchschnittliche Belastung von 0,16
WLM im Monat (für den Zeitraum vom 14. Juni 1980 bis zum 30. Juni 1986), während
beispielsweise vom 21. Juni 1972 bis zum 11. Januar 1978 diese Belastung noch 0,24
WLM betragen hatte. Im Kupferschieferbergbau lagen die Werte noch weit darunter. In
jedem Fall lag die Exposition unter der für den Zeitraum ab 1970 festgestellten mittleren
Expositionsrate von 4 WLM pro Jahr (vgl. Seite 53 des Jacobi-I-Gutachtens). Dies
entspricht den Daten aus der Tabelle 2.1.1.12 des Abschlussberichts „Belastung durch
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entspricht den Daten aus der Tabelle 2.1.1.12 des Abschlussberichts „Belastung durch
ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR“ von Dezember 1998.
Betrachtet man jetzt die Figur A-3 (Seite A-9 des Jacobi-I-Gutachtens), so fällt auf, dass
selbst bei einer kumulativen abnehmenden Exposition von insgesamt 100 WLM das
zusätzliche relative Lungenkrebsrisiko bei einem Expositionsbeginn im Alter von 20 und
einem Erkrankungsbeginn im Alter von 58 Jahren unter 1 läge. Wie sich aus der Figur A-1
(Jacobi-I-Gutachten Seite A-7) ergibt, wäre dies sogar der Fall gewesen bei einer -
ungleich schädlicheren - einmaligen Exposition von 100 WLM, und zwar selbst dann,
wenn man diese Exposition einmal im 35. Lebensjahr annehmen würde. Lediglich bei
einer kontinuierlichen Verteilung einer Belastung von 100 WLM auf 4 WLM pro Jahr über
20 Jahre ergäbe sich, wenn diese Exposition im Alter von 20 Jahren begonnen hätte,
auch bei einem Erkrankungsbeginn im 58. Lebensjahr eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit (50%; vgl. Jacobi-I-Gutachten Seite 53, 54, Figur 6-4).
Eine derart intensive Strahlenexposition von ca. 4 WLM pro Jahr lag nach den
vorliegenden Daten für den Zeitraum der Tätigkeit bei der SDAG W, die der Tabelle
2.1.1.12 des Abschlussberichts zum Forschungsprojekt „Belastung durch ionisierende
Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR“ von F. Lehmann et al. von
Dezember 1998 entnommen sind, unstreitig beim Versicherten nicht vor. Die Klägerin
hat weder die Richtigkeit der von der Beklagten verwendeten Werte bezweifelt noch
andere Expositionsdaten angegeben. Die Exposition während der Zeit im
Kupferschieferabbau kam ebenfalls nicht an 4 WLM pro Jahr heran.
Es ist aber davon auszugehen, dass bereits die vom TAD des Beklagten berechneten 51
WLM auf so genannten worst-case-Annahmen beruhen. Es handelt sich hierbei also um
Wahr-Unterstellungen, deren Funktion darin besteht, zu überprüfen, ob bei
überschlägiger Betrachtung Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Grenzfall vorliegt,
welcher gegebenenfalls weitere Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht erforderlich macht.
Diese Frage ist hier zu verneinen.
Die materielle Beweislast für die tatsächliche Strahlenexposition sowie deren Dauer und
Höhe obliegt grundsätzlich der Klägerin (vgl. BSGE 15, 53; 43, 110). Wie schon
ausgeführt, können die Vorgänge, die zur Auslösung und zur Entwicklung eines Tumors
führen, nach bisherigen wissenschaftlichen Kenntnissen nicht vollständig erklärt werden.
Insbesondere ist der stochastische Strahlenschaden als solcher weder histologisch noch
dosimetrisch wirklich nachweisbar. Das Jacobi-I-Gutachten hilft der daraus an sich
folgenden regelmäßig gegebenen Beweisnot insoweit ab, als durch verschiedene Studien
ein in sich schlüssiges System erarbeitet wurde, innerhalb dessen sich, jeweils unter
Zugrundelegung der Annahmen, auf denen dieses System basiert, für den Einzelfall
brauchbare Ergebnisse herleiten lassen. In diesem Zusammenhang spielt auch der
allgemeine Gleichheitssatz eine Rolle. Es wurde eine statistische Wahrscheinlichkeit
herausgearbeitet, innerhalb derer ein Zusammenhang zwischen Strahlenexposition und
Erkrankung letztendlich auf eine mathematische Operation zurückgeführt wird. Ohne ein
solches System ließe sich die Frage, ob ein Bronchialkarzinom durch ionisierende
Strahlen mit Wahrscheinlichkeit ausgelöst wurde, nur willkürlich beantworten:
Dergleichen ist - unabhängig von der Strahlendosis - immer gut möglich, genauso gut
möglich ist es aber auch, dass selbst bei hoher Strahlenbelastung diese Strahlen bei der
Auslösung des konkreten Karzinoms überhaupt keine Rolle gespielt haben. Andererseits
ist es auch offensichtlich, dass die Strahlendosis nicht etwa völlig irrelevant ist. Vor
diesem Hintergrund erscheint das Jacobi-Gutachten als ein nach derzeitigen
Erkenntnissen gelungener Versuch, eine gewisse Systematik in die Beziehung zwischen
der unzweifelhaft gegebenen karzinogenen Wirkung der ionisierenden Strahlung und der
Einzelerkrankung zu bringen.
Es dient also in erster Linie überhaupt erst der Ermöglichung eines wahrscheinlichen
Ursachenzusammenhanges. Wird es angegriffen oder werden Schwächen aufgezeigt, so
wird dadurch der Ursachenzusammenhang nicht etwa wahrscheinlicher, im Gegenteil, es
wird wieder die Situation hergestellt, wie sie allgemein für den stochastischen
Strahlenschaden als BK besteht. Auch Studien im Zusammenhang mit so genannten
Risikogruppen können, für sich alleine genommen, tatsächlich keine Verdichtung der
Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit bewirken, da die in diesen Studien herausgefundenen
mehr oder weniger signifikanten Korrelationen keineswegs ohne weiteres in Kausalitäten
übersetzt werden dürfen.
Allgemein gilt im Berufskrankheitenrecht, dass die herrschende medizinisch-
wissenschaftliche Lehrmeinung so lange anzuwenden ist, bis sie durch eine neuere
herrschende Meinung ersetzt wird. Diese herrschende Meinung wird nach Auffassung
des Senats nach wie vor auf dem Gebiet der Strahlenerkrankung durch Exposition bei
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des Senats nach wie vor auf dem Gebiet der Strahlenerkrankung durch Exposition bei
der SDAG W durch die Jacobi-Gutachten repräsentiert (vgl. auch das Urteil des
Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. Januar 2005 – L 6 KN 62/03 U -,
zitiert nach Juris). Ohne die in diesen Gutachten vorgenommene mathematische
Verknüpfung von Strahlenbelastungen, weiteren Faktoren und der Einzelerkrankung
bliebe es hinsichtlich der konkreten Verursachungswahrscheinlichkeit immer bei -
möglicherweise im Einzelfall gut zu begründenden - Vermutungen, die als individuelle
Vermutungen eines Spruchkörpers eben gerade nicht den Tatbestand der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit erfüllen können.
Ein eventuelles synergetisches berufsbedingtes Zusammenwirken mehrerer Schadstoffe
(Asbest und Radonfolgeprodukte) ist hier nicht weiter zu prüfen, denn weder konnte
durch den TAD eine Asbestbelastung nachgewiesen noch konnten Asbestkörperchen
oder Pleuraplaques bei der Obduktion gesichert werden.
Davon ausgehend ist es bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 38% nicht
überwiegend wahrscheinlich, dass sich die Lungenkrebserkrankung des Versicherten
ursächlich auf dessen frühere Beschäftigung im Kupferschiefer- und Uranerzbergbau der
DDR zurückführen lässt. Der Senat konnte es deshalb auch dahinstehen lassen, welchen
Einfluss konkurrierende Faktoren (Lebensalter, Nikotinabusus, Alkoholkonsum,
Lebensstil, evtl. genetische Vorbelastung) auf das Erkrankungsbild bei dem Versicherten
hatten.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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