Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 08.10.2010

LSG Berlin und Brandenburg: anhaltende somatoforme schmerzstörung, depression, psychiatrisches gutachten, leistungsfähigkeit, altersrente, minderung, wohnung, nacht, diagnose, krankheit

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 08.10.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 31 RJ 242/04
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 3 R 5/10 ZVW
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Die
Beklagte erstattet 3/8 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten
des Rechtsstreites, ein-schließlich des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, nicht zu erstat-ten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die 1946 in der Türkei geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war nach der Übersiedelung in die
Bundesrepublik unter anderem als Fabrikarbeiterin und zuletzt als Rundhalskettlerin beschäftigt. Das letzte
Beschäftigungsverhältnis endete auf-grund der Insolvenz des Arbeitgebers Ende September 2001. Seither ist die
Klägerin arbeitslos. Sie verfügt bereits seit dem 29. August 1994 über eine Anerkennung als Schwerbehinderte
(Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 07. April 1995), derzeit ist bei ihr ein Grad der
Behinderung (GdB) von 80 sowie das Merkzeichen "G" – erhebliche Gehbehinderung - festgestellt (Bescheid vom 18.
Janu-ar 2010).
Seit dem 01. August 2007 erhält sie Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschläge unter
Zugrundelegung von 28,1021 Entgeltpunkten (EP).
Die Klägerin stellte am 28. Juli 2003 einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsmin-derungsrente. Dem Antrag wurden
unter anderem Atteste des behandelnden Ortho-päden Dr. M vom 15. September 2003 sowie der Neurologin und
Psychiaterin Dr. P vom selben Tag (anhaltende somatoforme Schmerzstörung, depressiv-neurasthenisches Syndrom)
beigefügt. Die Beklagte ließ die Klägerin durch die Ar-beitsmedizinerin Dr. B untersuchen und begutachten. Diese kam
in ihrem Gutachten vom 24. September 2003 zu dem Ergebnis, die Klägerin leide an Bluthochdruck, Wir-
belsäulensyndrom, Gonarthrose, Acromioclaviculargelenksarthrose rechts, Somatisie-rungsstörung und Übergewicht.
Sie könne täglich sechs Stunden und mehr körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer
Leistungseinschränkungen aus-üben. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 16.
Oktober 2003 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbe-scheid vom 20. Januar 2004).
Ihre dagegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobene Klage hat die Klägerin vor-rangig damit begründet, ihre
psychischen Beschwerden seien nicht in ausreichender Weise gewürdigt worden. Sie hat zahlreiche Befunde (unter
anderem eine Doppler- und Duplex-Sonografie der extrakraniellen Hirngefäße sowie eine transkranielle Dopp-
lersonografie vom 09. Februar 2004 und ein Mehrphasenskelettszintigramm vom 20. Juli 2004), den Reha-
Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik L vom 20. Septem-ber 2004 (Diagnosen: somatoforme Schmerzstörung,
depressiv-neurasthenisches Syndrom, chronisches HWS-Syndrom mit muskulären Dysbalancen, CTS links, chro-
nisches LWS-Syndrom bei statisch muskulärer Insuffizienz, sensibles L4- und L5-Syndrom links, essentielle
Hypertonie) und Atteste der behandelnden Ärzte Frau Dr. P vom 11. März 2004 und 09. August 2004, der Internistin
Dr. F-L vom 18. August 2004 und der Orthopädin Dr. D vom 26. Mai 2004 vorgelegt.
Das SG hat zunächst Gutachten und Berichte des MDK Berlin-Brandenburg vom 07. Juli 2003, 25. Juni 2003, 13.
November 2003, 19. Juli 2000, 13. Dezember 2000, 21. Oktober 2003 und 02. Februar 2004 beigezogen sowie
Befundberichte von der Inter-nistin Dr. R vom 22. Oktober 2004, Frau Dr. P vom 20. Oktober 2004 (Somatisie-
rungsstörung, rezidivierende depressive Episoden, cerebrovaskuläre Insuffizienz), Dr. M vom 02. November 2004
sowie Frau Dr. F-L vom 27. Oktober 2004 eingeholt.
Anschließend hat das SG Beweis erhoben und die Neurologin und Psychiaterin Dr. P mit der Untersuchung und
Begutachtung der Klägerin beauftragt. In ihrem am 30. September 2005 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am
01. September 2005 fertig gestellten Gutachten hat diese folgende Diagnosen gestellt: • Anhaltende somatoforme
Schmerzstörung • Hypertonus • Gonarthrose rechts mehr als links • Arthrose des Acromioclaviculargleenks •
Übergewicht • Chonisches HWS-Syndrom mit muskulären Dysbalancen ohne neurologische Ausfälle • CTS links •
Chronisches LWS-Syndrom bei muskulärer Insuffizienz ohne neurologische Ausfälle. Es seien
Aggravationstendenzen bei der Klägerin zu verzeichnen gewesen. Anfangs sei sie deutlich dysthym gewesen, die
Stimmung habe sich jedoch im Laufe des Ge-sprächs lockern lassen, die Klägerin habe auch lachen können. Das
Behandlungspo-tential sei nicht ausgeschöpft, so werde die Klägerin lediglich unterdosiert mit Johan-niskraut
behandelt, Antidepressiva würden nicht eingenommen. Trotz der langen Be-handlung bei Frau Dr. P sei bisher auch
keine Psychotherapie bei einem Mutter-sprachler erfolgt, zudem seien keine tagesklinischen oder stationären
psychosomati-schen Behandlungen durchgeführt worden. Die Klägerin könne täglich noch körperlich leichte und
einfache geistige Arbeiten in geschlossenen Räumen unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen
vollschichtig ausüben.
Die Klägerin hat hiergegen eingewandt, die Sachverständige habe zahlreiche Erkran-kungen überhaupt nicht
berücksichtigt. Insbesondere sei im Rahmen der Würdigung der psychischen Erkrankung ihr kultureller Hintergrund
nicht mit einbezogen worden. Seit September 2005 mache sie eine Verhaltenstherapie bei dem muttersprachlichen
Dipl.-Psych. C. Sie habe schon verschiedene Antidepressiva genommen, jedoch ohne Erfolg. Zudem leide sie an
ständigem Schwindel. Sie hat sich unter anderem auf At-teste der Frau Dr. P vom 29. Oktober 2005 und vom 16.
August 2005, des Dr. M vom 25. Oktober, 29. August und 03. November 2005 sowie 12. April 2006, des Facharztes
für Lungenheilkunde Dr. P vom 29. September 2005, der Frau Dr. F-L vom 04. No-vember 2005 sowie der
Gynäkologin Dr. K-M vom 20. Februar 2006 bezogen und ei-ne Medikamentenliste vorgelegt.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Januar 2006 ist die Sachverständige Dr. P bei ihrer Beurteilung
geblieben.
Das Gericht hat daraufhin ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. v H eingeholt. Dieser hat die
Klägerin am 31. Juli 2006 untersucht und in seinem Gutachten vom 22. August 2006 daraufhin folgende Diagnosen
gestellt: 1. Somatoforme Schmerzstörung, Ausprägungsgrad schwer 2. Panikstörung mit Agoraphobie Dysthymie. Es
fänden sich keine Hinweise für Simulation, Dissimulation oder Aggra-vation. Die Klägerin habe deutliche phobische
Ängste mit Vermeidungsverhalten. Sie habe Ängste, alleine aus der Wohnung zu gehen und benötige deswegen
häufig Be-gleitung. Sie fahre auch keine U-Bahn und gehe nicht ins Kaufhaus. Die Ängste be-stünden in der Angst zu
stürzen, umzukippen oder ein Engegefühl in der Brust zu be-kommen. Angstfrei seien nur die nähere Umgebung und
die Wohnung, z. B. könne sie den nächst gelegenen Kaisers-Laden erreichen. Sie renne mehrfach zum Herd mit der
Frage, ob sie diesen auch ausgeschaltet habe. Zuletzt sei sie im April 2005 in die Tür-kei gereist. Sie leide unter
Schlafstörungen. In der Dunkelheit sehe sie Gesichter, die sich näherten. Alle Körperteile schmerzten – jedoch nicht
gleichzeitig. Die Schmerzen verstärkten sich bei körperlichen Aktivitäten, nachts seien sie am stärksten. Ihre
Stimmung sei eher schlecht, das Zusammensein mit den Enkelkindern würde sie aber freuen. Auch wenn sie anderen
Menschen helfen könne, fühle sie sich besser. Der körperliche Untersuchungsbefund sei völlig unauffällig. Die
Klägerin könne auch kör-perlich leichte Arbeiten nur noch im Umfang von drei Stunden täglich verrichten. Die üblichen
Pausen reichten nicht aus, es seien halbstündlich zusätzliche frei wählbare Pausen erforderlich. Außerdem benötige
sie zurzeit eine Begleitperson für die Zurück-legung des Wegs zur Arbeit.
In einer daraufhin veranlassten Stellungnahme vom 06. November 2006 ist die Sach-verständige Dr. P von ihrer
bisherigen Beurteilung nicht abgewichen. Sie hat insbe-sondere darauf verwiesen, dass bei der von ihr durchgeführten
Untersuchung Panikat-tacken nicht geschildert worden seien. Darüber hinaus lägen zwar phobische Züge bei der
Klägerin speziell gegenüber unbekanntem Umfeld vor, die Wegefähigkeit sei je-doch offenbar nicht aufgehoben.
Das SG hat noch einen Befundbericht von dem Dipl. Psych. C vom 17. November 2006 eingeholt, in welchem dieser
nach Abschluss der Therapie am 21. September 2006 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine
Dysthymia diagnosti-ziert hat. Darüber hinaus hat er eine schwere Depression in Kombination mit psycho-
somatischen Beschwerden geschildert. Die Beschwerden hätten sich durch die The-rapie nicht wesentlich gebessert.
Schließlich hat die Klägerin noch ein Attest der Frau Dr. P vom 14. Dezember 2006 als Reaktion auf die letzte
Stellungnahme von Frau Dr. P eingereicht. Darin hat diese eine undifferenzierte Somatisierungsstörung anstelle einer
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung diagnostiziert sowie eine somatisierte oder larvierte Form der De-
pression. Es bestehe keine generalisierte Angststörung, isolierte Ängste träten nicht auf. Angst und Depression seien
gemischt und behinderten die Klägerin in erhebli-chem Ausmaß in ihrem Alltag.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 24. Januar 2007 abgewiesen. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise
erwerbsgemindert, vielmehr sei sie in der Lage, täglich noch mindestens sechs Stunden erwerbstätig zu sein. Diese
Einschätzung ergebe sich vor allem aus dem eingeholten Sachverständigengutachten von Frau Dr. P. Diese habe das
Leistungsvermögen der Klägerin nachvollziehbar entwickelt. Nach ihren Feststel-lungen imponiere bei der Klägerin
eine reaktive Dysthymie, aus der die Klägerin aber ablenkbar sei. Hierbei werde die Klägerin nicht adäquat behandelt.
Darüber hinaus lägen Aggravationstendenzen vor. Eine tiefer greifende depressive Erkrankung im Sinne einer
schweren Depression liege nicht vor. Die von Frau Dr. P abweichende Beurteilung des Dr. v H sei nicht überzeugend.
Dieser habe sich insbesondere nicht hinreichend mit der Frage der Aggravation auseinander gesetzt. Der objektive
Befund unterscheide sich an sich nicht von dem durch Frau Dr. P erhobenen Befund. Bei der Einstufung der
Somatisierungsstörung seien die Angaben der Klägerin zur Schmerz-dominanz relativ unkritisch übernommen worden,
ohne eine Prüfung auf Konsistenz und Stimmigkeit durchzuführen (z. B. objektive Anzeichen für schmerzbedingte
Inakti-vität). Auch die neu gestellte Diagnose einer Panikstörung mit Agoraphobie sei weit-gehend den Angaben der
Klägerin unkritisch entnommen worden. So sei die Erfüllung der Kriterien für eine Panikstörung fraglich. Es sei auch
nicht diskutiert worden, dass die Klägerin noch im April 2005 in die Türkei gereist sei. Genauso wenig sei ein mögli-
cher psychosozialer Hintergrund der Ängste, die Wohnung nicht ohne den herzkran-ken Ehemann zu verlassen,
erörtert worden.
Hiergegen hat sich die am 26. Februar 2007 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingegangene
Berufung gerichtet, mit der vorgetragen worden ist, das Gutachten der Frau Dr. P leide an erheblichen Mängeln. Die
Beurteilung der Er-werbsfähigkeit von Migranten setze Erfahrungen und Kenntnisse in der Behandlung von Migranten
voraus, über die die Sachverständige offensichtlich nicht verfüge. Frau Dr. P berücksichtige auch nicht die
Panikstörung. Sie ignoriere die bei ihr – der Kläge-rin – auftretenden Engegefühle im Brustkorb, den Brustschmerz
sowie den stark er-höhten Blutdruck, die ohne körperlich nachweisbare Ursache einträten. Sie habe Angst vor
Menschenansammlungen und gehe fast nur noch in Begleitung auf die Straße. Neben den psychischen Erkrankungen
leide sie auch an erheblichen orthopä-dischen Erkrankungen der rechten Hand, der Knie sowie der Wirbelsäule. Sie
hat sich unter anderem auf Atteste der Frau Dr. P vom 20. Mai 2007 und 10. September 2007 sowie des Dr. M vom
20. August 2007 bezogen.
Im Hinblick auf den Altersrentenbescheid vom 26. Oktober 2007 hat die Klägerin den Rechtsstreit für den Zeitraum ab
dem 01. August 2007 für erledigt erklärt.
Der Senat hat zunächst eine Auskunft von Frau Dr. P zu den der Klägerin verschrie-benen Antidepressiva eingeholt.
Außerdem hat der Senat die Schwerbehindertenakte der Klägerin vom Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin
(Gz. ) beigezogen und Auszüge hieraus in den Rechtsstreit eingeführt.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat sodann nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein psychiatrisch-neurologisch-
psychotherapeutisches Gutachten von Frau Dr. S-O eingeholt, welches sie nach Untersuchungen der Klägerin am 30.
Juli, 06. August und 08. August 2008 am 18. August 2008 fertig gestellt hat. Hierin ist sie zu folgenden Di-agnosen
gelangt: • Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig schwere Episode mit somatischen
Beschwerden • Anhaltende somatoforme Schmerzstörung • Panikstörung mit Agoraphobie • Adipositas • Hypertonus •
CTS linksseitig • Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 links mit sensiblen Wurzelreizsyndrom L5 links • Degenerative
Wirbelsäulenveränderungen, insbesondere im HWS- und LWS-Bereich • Ausschluss einer demenziellen Erkrankung.
Die Klägerin habe berichtet, dass sie seit etwa zwei/drei Jahren, insbesondere aber seit einem Jahr, unter "sikinti",
einem Druckgefühl auf der Brust, einem Kloßgefühl im Hals sowie dem Gefühl zu ersticken, einer depressiven
Verstimmung, Schlafstörun-gen, Interesselosigkeit, Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Müdigkeit und Erschöpft-heit
leide. Außerdem habe sie am ganzen Körper zunehmende Schmerzen. Des Wei-teren habe sie eine zunehmende
Ängstlichkeit, nicht mehr allein sein zu können, so-wie Vergesslichkeit angegeben. Hauptdiagnose sei eine
rezidivierend depressive Stö-rung, gegenwärtig mittelgradig schwere Episode mit somatischen Beschwerden. Bei der
körperlichen Untersuchung seien eine Adipositas, abklärungsbedürftige Schmer-zen im Bereich der rechten Flanke,
Hypästhesien am linken Unterschenkel sowie ein CTS aufgefallen. Psychopathologisch habe eine mittelgradig
depressive Störung im-poniert, vor mehr als 20 Jahren sei eine schwere Episode beschrieben worden - mög-
licherweise im Zusammenhang mit einer schweren Erkrankung ihres Vaters, mögli-cherweise unterstützt durch
massive Konflikte mit dem ältesten Sohn. Es habe ein erheblicher sekundärer Krankheitsgewinn ausgemacht werden
können. Die Klägerin habe durch ihre Erkrankung eine nahezu ununterbrochene Begleitung, Betreuung und
Unterstützung durch ihren Ehemann erreicht. Zudem bestünden deutliche Anhalts-punkte für eine Betonung der
vorgebrachten Beschwerden. Vor dem Hintergrund des gescheiterten Lebenskonzepts der Klägerin als
Arbeitsmigrantin der 1. Generation (eigene Segregation, keine Rückkehr in die Heimat nach Berentung trotz
vorhandener Immobilie, Verwurzelung der Kinder in Deutschland, Ausscheren der Kinder aus dem traditionellen
Wertesystem – Heirat des 2. Sohnes mit einer Deutschen -, nicht reali-sierte wirtschaftliche Hoffnungen für die Kinder
– 1. Sohn ohne Arbeit -, Abhängigkeit von der medizinischen Versorgung in Deutschland) und eines andersartigen
kulturel-len Krankheitskonzepts (Krankheit dringt von außen in den Körper und ganzheitliche Erfassungen des
Betroffenen) müsse hier von einem erheblichen Leidensdruck der Klägerin ausgegangen werden. Sie könne daher
auch leichte körperliche Arbeiten so-wie einfache geistige Arbeiten nur unter drei Stunden täglich verrichten. Die Ein-
schränkung der Leistungsfähigkeit sei aus dem Zusammenwirken der depressiven Störung mit der anhaltenden
somatoforme Schmerzstörung und der Panikstörung mit Agoraphobie zu erklären. Es sei davon auszugehen, dass die
depressive Störung be-reits seit zwei/drei Jahren wieder aufgetreten und sich seit einem Jahr verstärkt habe. Die
Klägerin dürfte bis vor zwei/drei Jahren drei bis sechs Stunden leistungsfähig ge-wesen sei, seit etwa einem Jahr sei
die Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden ab-gesunken. Insgesamt sei von einer langsamen Abnahme der
Leistungsfähigkeit aus-zugehen, so dass sie bereits bei der Begutachtung durch Dr. v H nicht mehr entspre-chend
leistungsfähig bewertet worden sei. Zum Untersuchungszeitpunkt bei Frau Dr. P dürfte die Klägerin noch
eingeschränkt leistungsfähig gewesen sein.
Auf der Grundlage dieses Gutachtens ist die Beklagte vom Eintritt einer Leistungs-minderung auf unter drei Stunden
täglich ab dem Datum der ersten Untersuchung durch Frau Dr. S-O (30. Juli 2008) ausgegangen. Dies beruhe auf der
Zunahme der depressiven Symptomatik im Vergleich zur Vorbegutachtung bei Dr. v H im Sinne ei-ner
Verschlechterung, der offenbaren Chronifizierung, der Komorbidität (Panikstörung, Schmerzstörung und depressive
Störung) sowie dem erfolglosen Einsatz von Antide-pressiva. Sie hat Probeberechnungen für eine Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab dem 01. August 2006 (Leistungsfall am 31. Juli 2006) sowie für eine anschließend gezahlte
Altersrente für schwerbehinderte Menschen vorgelegt. Danach würde sich die Altersrente ab dem 01. August 2007
wegen des veränderten Zugangsfaktors von 673,41 Euro auf 662,21 Euro netto mindern.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, aus dem Gutachten von Frau Dr. S-O erge-be sich nachvollziehbar, dass
sie bereits bei der Begutachtung durch Dr. v H nur noch drei bis unter sechs Stunden leistungsfähig gewesen sei, so
dass vom Eintritt des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung am 31. Juli 2006 auszugehen und ihr ab dem 01.
August 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung
am 26. März 2009 hat die Klägerin bean-tragt, die Sachverständige Dr. M S-O zur Frage des Eintritts des
Leistungsfalls zu hö-ren.
Der Senat hat die Berufung durch Urteil vom 26. März 2009 zurückgewiesen.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des Senats vom 26.
März 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen
(Beschluss vom 27. August 2009 – B 13 R 185/09 B -). Zur Begründung hat das BSG ausgeführt, der Se-nat habe
gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG), § 62 SGG
verstoßen, indem er das Fragerecht der Klägerin nach §§ 116 Abs. 2, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 397, 402,
411 Abs. 4 Zivilpro-zessordnung (ZPO) verletzt habe.
Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, bereits zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Frau Dr. P nicht mehr
über ein vollschichtiges Leistungsvermögen verfügt zu haben. Sie legt den Bescheid des Landesamtes für
Gesundheit und Soziales Bvom 18. Januar 2010 und eine im Rahmen des Schwerbehindertenverfahrens erstellte
fachpsychiatrische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie K vom 05. Januar 2010 vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2007 und den Be-scheid vom 16. Oktober 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbeschei-des vom 20. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller,
hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01. Juli 2003 bis zum 31. Juli 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zunächst die Sachverständige Frau Dr. S-O aufgefordert, schriftlich er-gänzend zum Zeitpunkt des
Leistungsfalls Stellung zu nehmen. In ihrer Stellungnah-me vom 29. April 2010 hat sie bestätigt, dass die
Leistungsfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung auf unter drei Stunden täglich gemindert gewesen
sei. Den anamnestischen Angaben der Klägerin zufolge sei davon auszugehen, dass die entsprechende
Leistungsminderung höchstwahrscheinlich schon circa ein Jahr vorher vorgelegen habe. Dabei handele es sich jedoch
nicht um objektive Anhaltspunkte. Bezüglich der Begutachtung durch Dr. v H schließe sie sich den Bedenken des Se-
nats zur gutachterlichen Bewertung der Aspekte "zusätzliche halbstündliche frei wähl-bare Pause und eingeschränkte
Wegefähigkeit" an.
Daraufhin hat der Senat auf Antrag der Klägerin die Sachverständige Dr. M S-O im Termin zur mündlichen
Verhandlung vom 08. Oktober 2010 zu der Frage, seit wann die Klägerin als vermindert, d. h. zwischen drei und sechs
Stunden täglich, erwerbsfä-hig anzusehen ist, angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die
Anlage 1 zum Sitzungsprotokoll vom 08. Oktober 2010 Bezug genommen.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten (3 Bände) und die die Klägerin betreffende Rentenakte
der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihr steht, wie das
Sozialgericht zutreffend entschieden hat, ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bis zum 31. Juli 2007
nicht zu.
Der ab dem 01. Juli 2003 geltend gemachte Rentenanspruch richtet sich nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI in der ab
dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung.
Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung,
wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit
außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des all-gemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden
täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI).
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande
sind, unter den üblichen Bedingungen des allge-meinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig
zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI).
Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedin-gungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbs-tätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage
nicht zu berücksichtigen.
Nach Auswertung der im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren erstellten Sach-verständigengutachten,
insbesondere der Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. P vom 30. September 2005 nebst ergänzenden
Stellungnahmen vom 21. Januar 2006 und 06. November 2006, des Neurologen und Psychiaters Dr. v H vom 22. Au-
gust 2006 sowie der Neurologin und Psychiaterin Dr. S-O vom 18. August 2008 nebst ergänzender Stellungnahme
vom 29. April 2010 sowie des Ergebnisses der Befra-gung der Sachverständigen Dr. S-O am 08. Oktober 2010, ist der
Senat nicht davon überzeugt, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum voll oder teilweise erwerbsgemin-dert im oben
genannten Sinne war.
Übereinstimmend halten die Sachverständigen die eigentlichen körperlichen Gesund-heitsstörungen (u. a. Hypertonus,
CTS linksseitig, Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 links mit sensiblen Wurzelreizsyndrom L5 links, degenerative
Wirbelsäulenverände-rungen, insbesondere im HWS- und LWS-Bereich) nicht für maßgeblich für die Be-stimmung der
Leistungsfähigkeit der Klägerin. Den körperlichen Beeinträchtigungen wird ausreichend Rechnung getragen durch die
Beschränkung auf leichte körperliche Arbeiten in geschlossenen Räumen im Wechsel der Haltungsarten.
Bereits die Arbeitsmedizinerin Frau Dr. B hatte in ihrem Gutachten vom 24. Septem-ber 2003 eine
Somatisierungsstörung diagnostiziert. Frau Dr. P hat dann in ihrem Gutachten vom 30. September 2005 eine
anhaltende somatoforme Schmerzstörung gesehen, während Dr. vH am 22. August 2006 eine somatoforme
Schmerzstörung sowie eine Panikstörung mit Agoraphobie und eine Dysthymie diagnostiziert hat. Frau Dr. S-O
spricht in ihrem Gutachten vom 18. August 2008 schließlich von einer rezidi-vierenden depressiven Störung,
gegenwärtig mittelgradig schwere Episode mit soma-tischen Beschwerden sowie einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung und einer Panikstörung mit Agoraphobie.
Die seit Februar 1994 behandelnde Neurologin und Psychiaterin Dr. P hat in ihrem Attest vom 14. Mai 2001 (in der
Schwerbehindertenakte) eine somatisierte Depression diagnostiziert, im Attest vom 15. September 2003
(Verwaltungsakte der Beklagten) eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie ein depressiv-
neurasthenisches Syndrom, im Befundbericht vom 20. Oktober 2004 eine Somatisierungsstörung und rezidivierende
depressive Episoden, im Attest vom 29. Oktober 2005 eine undifferen-ziert somatoforme Schmerzstörung, im Attest
vom 14. Dezember 2006 eine undiffe-renzierte Somatisierungsstörung mit somatisierter oder larvierter Depression und
im Attest vom 20. Mai 2007 eine undifferenzierte Somatisierungsstörung sowie wieder-holte depressive Episoden mit
dem Schweregrad einer Major Depression. Im Attest vom 14. Dezember 2006 hat sie außerdem – anders als Dr. v H
– ausgeführt, es be-stehe keine generalisierte Angststörung, isolierte Ängste träten (auch) nicht auf. Angst und
Depression seien gemischt und behinderten die Klägerin in erheblichem Ausmaß in ihrem Alltag. Der
Diplompsychologe C, der die Klägerin vom 04. Juli 2005 bis zum 21. September 2006 behandelt hat, hat im
Befundbericht vom 17. November 2006 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine Dysthymia
benannt, im selben Befundbericht aber auch eine "starke Depression in Kombination mit psycho-somatischen
Beschwerden". Eine Angsterkrankung – sei es eine Panikstörung, sei es eine generalisierte Angsterkrankung oder
Phobien – hat er nicht geschildert.
Unstreitig ist die Klägerin jedenfalls seit dem Datum der ersten Untersuchung durch Frau Dr. S-O am 30. Juli 2008
nurmehr für unter drei Stunden täglich leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dies begründet sich – und
hier stimmt die Beklag-te mit der Sachverständigen überein – vorrangig aus der rezidivierenden depressiven Störung,
darüber hinaus aber insbesondere aus einem Zusammenwirken der ver-schlimmerten Depression mit der
Schmerzstörung und einer von der Sachverständi-gen diagnostizierten Panikstörung mit Agoraphobie. Der Zustand ist
nach langjähriger fachärztlicher Behandlung, dem Durchführen einer Psychotherapie sowie der wech-selhaften
Einnahme verschiedener Antidepressiva chronifiziert.
Soweit die Sachverständige in ihrem Gutachten und auch bei ihrer Anhörung am 08. Oktober 2010 jedoch vom
Bestehen einer Leistungsminderung auf drei bis unter sechs Stunden schon zum Zeitpunkt der Begutachtung durch
Dr. v H am 31. Juli 2006 sowie einer weiteren Minderung auf unter drei Stunden ab circa Juli 2007 (Beginn der
Altersrente am 01. August 2007) ausgeht, kann dem nicht gefolgt werden. Die Sach-verständige stützt sich zur
Begründung dieser Einschätzung als "Anhaltspunkte" – wie sie selbst in ihrer ergänzenden gutachterlichen
Stellungnahme vom 29. April 2010 und auch bei der Befragung am 08. Oktober 2010 eingeräumt hat - vorrangig auf
die a-namnestischen Angaben der Klägerin zur Entwicklung ihrer depressiven Erkrankung (seit zwei/drei Jahren,
insbesondere seit einem Jahr "sikinti") und daneben auf die Bewertungen der zuvor begutachtenden Ärzte.
Nachvollziehbare und objektivierbare medizinische Befunde, die eine allmähliche Verschlechterung der depressiven
Er-krankung in der von der Klägerin geschilderten und von der Sachverständigen ange-nommenen Weise verbunden
mit einer allmählichen Minderung des quantitativen Leistungsvermögens zwischen dem 01. September 2005 (Tag der
Begutachtung durch Frau Dr. P) und dem 31. Juli 2006 (Tag der Begutachtung durch Dr. v H) von zumindest sechs
Stunden auf unter sechs Stunden dokumentieren und plausibel ma-chen könnten, konnte die Sachverständige nicht
nennen und liegen nach Aktenlage auch nicht vor.
Insbesondere das Gutachten des Dr. v H enthält keine derartigen Befunde. Wie schon das SG in dem angefochtenen
Urteil ausgeführt hat, fehlt es im Gutachten des Dr. v H zunächst an einer kritischen Auseinandersetzung mit den
Angaben der Klägerin so-wohl was die somatoforme Schmerzstörung angeht als auch die Panikstörung mit A-
goraphobie. So wird angegeben, der körperliche Untersuchungsbefund sei völlig un-auffällig. Es finden sich keine
konkreten Angaben zu objektivierbaren Einschränkun-gen durch die Schmerzen, z. B. bei den zu beobachtenden
Bewegungen, in der Sitz-haltung, in der Muskulatur (Verspannungen, Triggerpunkte, Verschmächtigungen o. ä.) etc.
Die Einnahme von Schmerzmitteln wird behauptet, aber weder in Art noch Do-sierung oder Anlass konkretisiert. Dr. v
H hat sich ganz auf die Wiedergabe der subjektiven Beschwerden und Einschät-zungen beschränkt, auch zur
behaupteten Panikstörung. Panikanfälle werden aus seinem Gutachten nicht nachvollziehbar. Die Schilderung der
Ängste wirkt stereotyp. Panikanfälle müssten eigentlich für den Betroffenen so eindrücklich sein, dass sie markant zu
beschreiben wären, worauf auch Frau Dr. P hingewiesen hat. Auch hat Dr. v H keine Nachfragen dazu gestellt, wie
und wann doch eventuell öffentliche Ver-kehrsmittel genutzt werden, wie sie ihre (Enkel)Kinder besucht, wie oft, ob
weitere Reisen geplant sind oder ähnliches. Schließlich haben weder die behandelnde Ärztin Dr. P noch der
behandelnde Therapeut C eine derartige Angststörung diagnostiziert. Panikanfälle hat die Klägerin gegenüber Frau Dr.
P offenbar nie geschildert. Auffal-lend ist auch, dass der Ehemann der Klägerin bei der Befragung durch Frau Dr. S-O
nicht von Panikanfällen der Klägerin berichtet hat. Die Tatsache, dass Dr. v H im Gegensatz sowohl zu Frau Dr. P als
auch zu Frau Dr. Sc-O bei der Klägerin keine Verdeutlichungstendenzen wahrzunehmen vermochte, lässt darüber
hinaus Zweifel an der Reflektiertheit seines Gutachtens aufkommen. Eine gravierende Depression ergibt sich aus
seinem Gutachten ebenfalls nicht, insbe-sondere hat er keine Hoffnungs- oder Freudlosigkeit geschildert, ein sozialer
Rückzug ist auch verneint worden, konsequent also die Diagnose der Dysthymie. Bei der Dysthymie handelt es sich
laut der Definition zu F 34.1 des ICD-10 um eine chroni-sche, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive
Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien ei-ner
schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen. Diese Diagnose hat im
Übrigen auch der der Klägerin über einen längeren Zeitraum, nämlich vom 04. Juli 2005 bis zum 21. September 2006,
behandelnde Psy-chotherapeut C gestellt. Das bei der Untersuchung durch Dr. v H von der Klägerin ge-schilderte
Befinden stimmt weitgehend mit den von Frau Dr. P in ihrem Gutachten vom 30. September 2005 wiedergegebenen
Beschwerden der Klägerin und deren Stimmungsbild überein. Eine Depression oder gar eine Verschlimmerung der
Depres-sion im Zeitraum zwischen der Begutachtung durch Frau Dr. P und Dr. v H ist demzu-folge nicht
nachvollziehbar. Letztlich ist somit die Leistungsbeurteilung durch Dr. v H, sowohl was die Einschrän-kung des
quantitativen Leistungsvermögens als auch was zusätzliche Pausen und die Wegefähigkeit betrifft, nicht
nachvollziehbar. Jedenfalls bezüglich des Erfordernisses zusätzlicher Pausen sowie einer Begleitperson stimmt Frau
Dr. S-O dieser Beurteilung inzwischen zu (vgl. ihre ergänzende Stellungnahme vom 29. April 2010).
Die Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens durch Frau Dr. S-O passt da-nach nicht mit dem von Dr. v H
erhobenen psychischen Befund und seinen Diagnosen zusammen. Denn aus dessen Gutachten ergibt sich gerade
kein Fortschreiten einer depressiven Störung im Vergleich zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Frau Dr. P am 01.
September 2005.
Auch die zahlreichen Atteste der behandelnden Ärztin Frau Dr. P ergeben keine hin-reichenden Anhaltspunkte für eine
Verschlimmerung einer Depression bzw. der Ent-wicklung von einer Dysthymie zur rezidivierenden depressiven
Störung stärkerer Aus-prägung. Sie hat eher auf eine Verlagerung der Somatisierungsstörung abgestellt. Noch im
Befundbericht vom 20. Oktober 2004 hat sie einen unveränderten Zustand angegeben. Die von Frau Dr. P vorgelegte
Auflistung der verschriebenen Medikamen-te vom 06. August 2007 lässt ebenfalls keinen plausiblen Schluss auf die
Schwere sowie die Entwicklung der psychischen Erkrankung, und zwar sowohl der Dysthy-mia/Depression als auch
der somatoformen Schmerzstörung der Klägerin zu. Der Be-scheinigung zufolge sind verschrieben worden: • Ab dem
17. Dezember 2003: Sedariston Tropfen 3x20° • Vom 17. Januar bis zum 14. Februar 2005: Amitriptylin 50 mg • Vom
15. Februar bis zum 18. April 2005 Mirtazapin 30 mg • Ab dem 18. April 1005 Opipramol bis 150 mg • Ab dem 12.
März 2007 Trimipramin zur Nacht 25 mg. Bei der Begutachtung durch Frau Dr. P am 01. September 2005 hat die
Klägerin an-gegeben, lediglich Sedariston nach Bedarf und Johanniskraut einzunehmen. Bei Dr. v H hat sie am 31.
Juli 2006 erklärt, Novalgin 2x1, Sedariston bei Bedarf, Opipramol 50 mg sowie Amitriptylin 75 mg zur Nacht
einzunehmen. Frau Dr. S-O gegenüber hat sie die Einnahme von Novaminsulfon 500 mg bei Bedarf, Baldrain Kapseln
500 mg 1-0-1-0 sowie von Sedariston bei Bedarf zur Nacht angegeben, Antidepressiva sind von ihr nicht benannt
worden. Zusätzlich hat sie erklärt, es seien so viele Tabletten, dass sie auch von selbst diese absetze bzw. pausiere.
Es kann daher nicht davon ausgegan-gen werden, dass die Klägerin verlässlich die ihr verschriebenen Antidepressiva
in der verordneten Dosierung eingenommen hat, weswegen sich Rückschlüsse aus der Ver-schreibung auf die
Entwicklung und Schwere der Erkrankung nicht ziehen lassen.
Eine gravierende Einschränkung der Lebensgestaltung durch eine somatoforme Schmerzstörung lässt sich aus dem
Gutachten des Dr. v H – und auch später bei Frau Dr. S-O - nicht erkennen. Dort gab sie an, es gebe durchaus Dinge,
die ihr Spaß machten, nämlich anderen zu helfen und mit den beiden Enkelkindern zusammen zu sein. Sie verlasse
das Haus zu Fuß, meist in Begleitung des Ehemannes, wobei sich die Wohnung im 5. Stock eines Mietshauses ohne
Aufzug befindet (so die Angabe bei Frau Dr. P). Sie gehe mit ihrem Ehemann zum Arzt, zur Physiotherapie und ggf.
zu-sätzlich zum Einkaufen. Sie lese gerne und treffe sich auch mit einer Freundin. Zum Abendessen versuche sie, zu
kochen. Einen wesentlichen sozialen Rückzug stellte Dr. v H explizit nicht fest. Laut den Angaben der Klägerin bei
Frau Dr. S-O rund zwei Jahre später ging sie auch 2008 noch regelmäßig ihren Hobbies nach, d. h. sie ging mit ihrem
Mann in türkische Cafés oder besuchte die Kinder und Enkelkinder. Gröbere Tätigkeiten im Haushalt wie
Fensterputzen machte sie mit ihrem Ehemann. Eine Fremdexploration, z. B. durch Befragung des Ehemannes, hat
Dr. v H im Gegensatz zu Frau Dr. S-O nicht vorgenommen. Eine multimodale Schmerztherapie wurde jeden-falls bis
einschließlich der Begutachtung durch Frau Dr. S-O nicht durchgeführt. Allein die Tatsache, dass die Klägerin ihre
Schmerzen bei Dr. v H auf einer Skala von 0 bis 10 auf 7 bis 10 verortet hat, ist kein zulässiger Anhaltspunkt, um auf
eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, schwer (F 45.4) zu schließen. Die Beschränkungen der Klägerin, die
sich vorwiegend in der Forderung nach ständiger Begleitung durch ihren Ehemann oder Nachbarn oder andere
Familienmitglieder zeigen, stehen im Zu-sammenhang mit einem auch von Frau Dr. S-O gesehenen starken
sekundären Krankheitsgewinn.
Selbst wenn man mit der Sachverständigen Dr. S-O davon ausgeht, dass das Krank-heitsbild der Klägerin
typischerweise variiert und sich je nach Begutachtungs- bzw. Behandlungssituation anders darstellen kann, ändert
dies nichts daran, dass Dr. v H gerade keine derart veränderten Befunde in seinem Gutachten dokumentiert hat, die
ein Absinken der klägerischen Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden täglich nachvollziehbar machen könnten.
Allein die Möglichkeit, dass die Klägerin in den Phasen zwischen den Begutachtungssituationen zeitweise so
gravierend psychisch erkrankt war, dass die Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden abgesunken war, reicht nicht
dafür aus, dass sich der Senat die volle richterliche Überzeugung der dau-erhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit der
Klägerin auf unter sechs Stunden bilden könnte.
Hinweise dafür, dass eine quantitative Leistungsminderung sogar bereits vor der Be-gutachtung durch Dr. v H
eingetreten sein könnte, hat die Sachverständige Frau Dr. S-O nicht gesehen. Die vorliegenden Gutachten der Frau
Dr. B vom 24. September 2003 und der Frau Dr. P vom 30. September 2005 beschreiben im Übrigen nachvoll-ziehbar
ein noch vollschichtiges (d. h. sechs Stunden und mehr täglich) Leistungs-vermögen der Klägerin für körperlich leichte
und einfache geistige Tätigkeiten.
Eine quantitative Minderung des Leistungsvermögens der Klägerin ist daher zur Über-zeugung des Senats erst im
Zeitpunkt der erstmaligen Begutachtung durch Frau Dr. S-O am 30. Juli 2008, also einem Zeitpunkt bereits nach
Gewährung der Altersrente, nachgewiesen.
Die Klägerin konnte bis zum 30. Juli 2008 auch unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig sein
(§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Grundsätzlich ist eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann
möglich, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl.
Urteil des BSG vom 30. November 1983 – 5a RKn 28/82 -, in SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Kann ein Versicherter
vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten, wenn auch nur mit bestimmten Einschränkungen, ausüben, ist zumindest
die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leis-
tungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Als solche schwere
Einschränkung ist beispielsweise - in Verbindung mit anderen Einschränkungen - die Erforderlichkeit, zwei zusätzliche
Arbeitspausen von je 15 Mi-nuten einzulegen (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 136), angesehen worden. So-weit Dr.
v H halbstündlich zusätzliche, frei wählbare Pausen für erforderlich angese-hen hat, erschließt sich aus dem
Gutachten kein nachvollziehbarer Grund hierfür. Sei-ne Ausführungen zur Wegefähigkeit sind ebenso wenig
überzeugend und stehen im Widerspruch zur Beurteilung sowohl durch Frau Dr. P als auch durch Frau Dr. S-O. Auch
Frau Dr. S-O hält die diesbezüglichen Ausführungen des Dr. v H nicht für schlüssig (vgl. die ergänzende
Stellungnahme vom 29. April 2010).
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI besteht bei der
Klägerin darüber hinaus ebenfalls nicht. Sie hat keinen Beruf erlernt und in der Bundesrepublik ungelernte Tätigkeiten
(zuletzt als Rundhalskettlerin) verrichtet. Sie kann daher keinen Berufschutz geltend machen.
Nach alldem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte das Vorliegen der vollen
Erwerbsminderung seit dem 30. Juli 2008 anerkannt hat (Schriftsatz vom 13. Oktober 2008). Ohne das erledigende
Ereignis (Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01. August 2007) hätte die Beru-fung
teilweise Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Quote ergibt sich aus der Gegenüber-stellung der maximal begehrten
Leistungsdauer einer Erwerbsminderungsrente (01. Juli 2003 bis 30. Oktober 2011) mit der hypothetischen
Leistungsdauer ohne das erle-digende Ereignis (01. August 2008 bis 30. Oktober 2011).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.