Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 17.06.2003

LSG Berlin-Brandenburg: zahlungsunfähigkeit, beendigung, handelsregister, arbeitsentgelt, gewerbe, form, verfügung, sammlung, abweisung, insolvenz

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
28. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 28 AL 117/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Juni
2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Insolvenzgeld für die Zeit vom 23. Mai 2000 bis 22. August 2000.
Die 1965 geborene Klägerin war nach ihrem eigenen Vortrag im arbeitsgerichtlichen
Verfahren vom 01. Februar 2000 bis 31. März 2000 bei einer B V gesellschaft mbH und
Co. KG beschäftigt (gemeint ist wohl die S-G W GmbH). Ab dem 01. April 2000 soll die B
K GmbH (B) den Betrieb übernommen haben und in die bereits bestehenden
Arbeitsverträge eingetreten sein. Nach der Gewerberegisterauskunft des Amts H vom
25. September 2000 war die B zum 28. April 2000 dort angemeldet worden.
Betriebsinhaber war Herr M S, angemeldete Tätigkeit der An- und Verkauf, die
Verwertung von Sekundärrohstoffen aller Art. Der Gewerbebetrieb sei zum 18. Juli 2000
abgemeldet und aufgegeben worden. Diese Angaben entsprechen dem Gewerbe-
Abmeldungsformular durch Herrn M S vom 18. Juli 2000. In diesem Formular befindet
sich die Angabe, dass zuletzt zehn Arbeitnehmer in dem Betrieb beschäftigt gewesen
seien. Die bei dem Amtsgericht Neuruppin (HRB 1119) beantragte Eintragung der B als
geänderte Firma der S-G WGmbH erfolgte aufgrund der Gewerbeabmeldung nicht.
Wegen nach Angabe der Klägerin ab 01. Mai 2000 nicht erfolgter Lohnzahlungen erfolgte
die Kündigung ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft und Nachtwärterin zum 22. August
2000. Bereits mit Schriftsatz vom 26. September 2000 hatten ihre
Prozessbevollmächtigten Klage beim Arbeitsgericht Neuruppin wegen Nichtzahlung des
Lohnes erhoben.
Am 26. September 2001 beantragte die Klägerin Insolvenzgeld für das ausgefallene
Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01. Mai 2000 bis 22. August 2000. Der
Insolvenzgeldantrag sei erst gestellt worden, nachdem die arbeitsrechtlichen Ansprüche
gegen die B nicht hätten durchgesetzt werden können, da diese nicht ordnungsgemäß
ins Handelsregister eingetragen worden sei. Die Betriebstätigkeit sei nicht bereits am
19. Juli 2000 eingestellt worden, da die Klägerin noch bis August 2000 tätig gewesen sei.
Die Beklagte hörte Herrn M S schriftlich mehrmals im Laufe des Insolvenzgeldverfahrens
- auch anderer Mitarbeiter der B - an. Unter dem 26. November 2000 gab Herr S an, der
Betrieb sei in Form einer GmbH geführt worden. Über deren Vermögen sei das
Insolvenzverfahren weder eröffnet noch mangels Masse abgewiesen worden. Der Betrieb
sei am 15. Juni 2000 eingestellt und zum 17. Juli 2000 abgemeldet worden. Die
Betriebseinstellung sei erfolgt, da keine Aufträge für die Zukunft vorgelegen hätten. Der
Betrieb sei beim Handelsregister N eingetragen worden. Vor der Betriebseinstellung
seien dort keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt worden. Unter dem 09. April 2001 teilte
Herr S mit, dass er zwar am 28. April 2000 ein Gewerbe angemeldet, jedoch keine
Arbeitnehmer eingestellt habe. Am 18. Juli 2000 habe er das Gewerbe abgemeldet. Er
sei der einzige gewesen, der dort gearbeitet habe. Unter dem 26. Juni 2001 führt Herr M
S in einem weiteren Fragebogen aus, dass der Betrieb als GmbH geführt worden sei
(HRB 1109), ein Insolvenzverfahren nicht beantragt worden sei, der Tag der vollständigen
Betriebseinstellung der 18. Juli 2000 gewesen sei und diese Betriebseinstellung wegen
einer Maschinenhavarie erfolgt sei. Zum Zeitpunkt vor der Betriebseinstellung seien dort
noch drei Mitarbeiter beschäftigt gewesen.
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Mit Bescheid vom 09. April 2004 lehnte das Arbeitsamt N den Antrag auf Gewährung von
Insolvenzgeld ab. Insolvenztag sei der 19. Juli 2000, der Tag nach der vollständigen
Einstellung der Betriebstätigkeit am 18. Juli 2000, weshalb die Ausschlussfrist am 18.
September 2000 endete. Der Antrag sei verspätet gestellt.
Den Widerspruch vom 23. April 2002, mit dem geltend gemacht wurde, dass die
Betriebstätigkeit nicht bereits zum 18. Juli 2000 eingestellt worden sei, da die Klägerin
dort noch bis zum 22. August 2000 tätig gewesen sei, und darüber hinaus eine
Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt und der Klägerin nicht
bekannt gewesen sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2002
zurück. Wegen dessen Inhalts im Einzelnen wird auf Bl. 34 bis 36 der Insolvenzgeldakten
der Beklagten verwiesen.
Am 16. August 2002 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben.
In der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2003 hat die Klägerin erklärt:
„Ich habe noch bis zum 22. August des Jahres 2000 normal weitergearbeitet. Ich habe
einen 8-Stunden-Tag als Reinigungskraft und Nachtwächterin absolviert. Auch mein
Lebensgefährte war bei dem ehemaligen Arbeitgeber in der der Produktion beschäftigt
und hat auch seit Juni 2000 keine Lohnzahlung mehr erhalten. Ich habe deshalb am 22.
August 2000 meinen letzten Arbeitstag gehabt, weil uns - wir waren nur noch drei
Arbeitnehmer - der Eigentümer des Betriebsgeländes, Herr F, den Betriebszugang ab
23. August 2000 untersagt hat, und zwar mit den Worten: „Hier läuft nichts mehr.“. Die
Maschinentätigkeit wurde bereits im Juli 2000 eingestellt. Dennoch habe ich aber noch
weiter als Reinigungskraft und Nachtwächterin bis zum 22. August 2000 gearbeitet. Mein
Lebensgefährte heißt Herr B W. Letztlich habe ich bis zum 22. August 2000 gearbeitet,
weil ich immer noch darauf vertraut habe, dass die Lohnzahlung doch weiter einsetzt
und der Betrieb weitergeführt wird.“
Mit Urteil vom 17. Juni 2003, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 50 bis 58 der
Gerichtsakten verwiesen wird, hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage abgewiesen.
Zur Überzeugung der Kammer sei die Betriebstätigkeit der B spätestens zum 22.
August 2000 vollständig beendet worden. Auch sei die Kammer davon überzeugt, dass
ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen sei.
Spätestens am 22. August 2000 habe die Klägerin Kenntnis von der Betriebsaufgabe
gehabt. Im günstigsten Fall ende die Ausschlussfrist zur Beantragung von Insolvenzgeld
mit dem 22. Oktober 2000. Diese Frist habe die Klägerin versäumt, die diesbezügliche
Fristversäumung habe sie auch zu vertreten. Die Klägerin habe bereits seit Mai 2000 und
ihr Lebensgefährte sei Juni 2000 kein Arbeitsentgelt mehr erhalten, so dass die
Annahme einer Zahlungsunfähigkeit nahe gelegen habe.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 08. Juli 2003 zugestellte Urteil
hat die Klägerin am 29. Juli 2003 Berufung bei dem Landessozialgericht für das Land
Brandenburg eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Im Laufe des Verfahrens hat die Klägerin zunächst die offensichtliche Masselosigkeit
bestritten, dann vorgetragen, dass dahingestellt bleiben könne, wann ein
Insolvenzereignis vorgelegen habe, und schließlich erklärt dass zum Zeitpunkt der
Betriebseinstellung (etwa im August 2000) das Insolvenzereignis der offensichtlichen
Masselosigkeit eingetreten sei, sie aber nicht in der Lage gewesen sei, dies zu erkennen.
Sie habe die Versäumung der Antragsfrist deshalb nicht verschuldet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Juni 2003 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 09. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli
2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 23.
Mai 2000 bis zum 22. August 2000 Insolvenzgeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat - erfolglos - versucht, den Herrn M S als Zeugen zu laden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Insolvenzgeldakten
der Beklagten (Insg ) sowie die Akten des Amtsgerichts Neuruppin - Handelsregister -
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der Beklagten (Insg ) sowie die Akten des Amtsgerichts Neuruppin - Handelsregister -
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere
Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, weil der
Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 € übersteigt.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für den nunmehr noch
geltend gemachten Zeitraum vom 23. Mai 2000 bis 22. August 2000.
Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) haben Arbeitnehmer
Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie bei
1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers,
2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren
offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt,
(Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch
Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
Ein Insolvenzereignis lässt sich vorliegend jedoch nicht feststellen.
Einziges hier in Betracht kommendes Insolvenzereignis könnte die vollständige
Beendigung der Betriebstätigkeit bei offensichtlicher Masselosigkeit nach § 183 Abs. 1
Satz 1 SGB III sein. Ein Insolvenzereignis nach den Nrn. 1 und 2 des § 183 Abs. 1 Satz 1
SGB III liegt ersichtlich nicht vor.
Jedoch rechtfertigen die dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisse nicht die
Annahme, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sei im Zeitpunkt der
Betriebseinstellung nicht in Betracht gekommen.
Zweifel an der Masseunzulänglichkeit zum Zeitpunkt der vollständigen
Betriebseinstellung gehen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil
vom 22. September 1993 - 10 RAr 9/91 -, SozR 3-4100 § 141 b Nr. 7) zu Lasten der
Klägerin. Der Versicherungsfall der offensichtlichen Masseunzulänglichkeit ist ein
Auffangtatbestand, dessen Voraussetzung ohne hinreichende insolvenzrechtliche
Kenntnisse festgestellt werden kann. In dem Versicherungsfall ist die Insolvenz nicht
fachkundig durch das Konkursgericht zu prüfen, sondern im Verfahren über das
Insolvenzgeld durch die jeweilige Arbeitsagentur festzustellen.
Für die offensichtliche Masseunzulänglichkeit spricht zwar, dass nach den vorliegenden
Kenntnissen Lohnzahlungen auch für die übrigen Arbeitnehmer der B vor Beendigung
der Betriebseinstellung nicht mehr erfolgt sind. Auch die Tatsache, dass die B
Forderungen in Höhe von 25 681,03 DM gegen die B geltend machte, spricht eher für
eine offensichtliche Masselosigkeit. Ein Konkursverfahren kommt zwar „offensichtlich“
mangels Masse regelmäßig nicht in Betracht, wenn die Lohnzahlungen unter Hinweis auf
die Zahlungsunfähigkeit eingestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 1981,
SozR 4100 § 141 b Nr. 21).
Dagegen spricht jedoch, dass von einer Zahlungsunfähigkeit im Zusammenhang mit der
Nichtzahlung der Löhne nicht die Rede war. Auch den wechselnden Angaben des Herrn S
in den Fragebögen zu den Gründen der Betriebsumstellung lässt sich eine offensichtliche
Masselosigkeit nicht entnehmen. Weder mangelnde Aufträge und schon gar nicht eine
Maschinenhavarie ziehen den Schluss einer Masselosigkeit zwingend nach sich. Spätere
nach der letzten Verwaltungsentscheidung der Beklagten eingetretene Erkenntnisse sind
insoweit nicht zu berücksichtigen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 06. Dezember
2000, L 12 AL 195/99, vom 03. Mai 1979, L 9 Ar 158/78, und vom 15. November 1978, L
12 Ar 264/76).
Da letztlich nicht auszuschließen ist, dass nicht Zahlungsunfähigkeit, sondern vielmehr
Zahlungsunwilligkeit die Ursache für die Nichtzahlung war, lässt sich eine
Masseunzulänglichkeit nicht feststellen. Dies geht zu Lasten der Klägerin (BSG, Urteil
vom 22. September 1993, a.a.O.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da hierfür die in § 160 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 SGG
aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
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