Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 03.01.2007

LSG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, rückforderung, zivilprozessordnung, gerichtsakte, betreibung, erlass, abgabenordnung, link, sammlung, quelle

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
28. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 28 B 134/07 AS, L
28 B 119/07 AS PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 193 Abs 1 SGG, § 66 Abs 1 S 1
SGB 10
sozialgerichtliches Verfahren - Kostenfestsetzungsbeschluss -
Veranlassungsprinzip - Vollstreckungsankündigung
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. Januar 2007 wird geändert.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Gründe
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der
das Sozialgericht (SG) Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist in dem aus dem
Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Endet der Rechtsstreit - wie hier - ohne Urteil, hat das Gericht auf Antrag durch
Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten
zu erstatten haben (§ 193 Abs. 1 SGG). Diese Entscheidung ist nach sachgemäßem
Ermessen zu treffen, wobei ungeachtet der Besonderheiten des sozialgerichtlichen
Verfahrens die Erfolgsaussichten der Klage angemessen zu berücksichtigen sind.
Allerdings ist der Erfolgsgesichtspunkt nicht der allein entscheidende und es sind im
Einzelfall als Korrektiv durchaus auch Veranlassungsgesichtspunkte (also Gründe für die
Führung und die Erledigung des Rechtsstreits) zu berücksichtigen. Nach diesen
Grundsätzen entspricht es der Billigkeit, wenn die Beklagte aus
Veranlassungsgesichtspunkten die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt.
Die Beklagte hat für die Vollstreckung ihrer Geldforderung aus dem Bescheid vom 29.
Dezember 2005, die Ausgangspunkt der vorliegenden Klage ist, in Anwendung des § 66
Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Vollstreckung nach dem
Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) gewählt und sowohl wegen der Rückforderung
von Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Sozialgeld als auch der
Rückforderung wegen Kosten für Unterkunft und Heizung die Vollstreckung durch das
Hauptzollamt Potsdam eingeleitet. Es ist schon fraglich, ob dies zulässig war. Denn die
beklagte Arbeitsgemeinschaft selbst ist jedenfalls keine Behörde des Bundes im Sinne
des § 66 Abs. 1 SGB X, auch wenn die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Nr. 1
und Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) auf sie übertragen ist (§ 44b Abs. 3
SGB II) und daraus die Behördeneigenschaft im Sinne der §§ 8 ff SGB X folgt. Kommt
damit aber (neben der Vollstreckung des Verwaltungsaktes durch Zwangsvollstreckung
in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung, § 66 Abs. 4 SGB X) die
Vollstreckung nach § 66 Abs. 3 SGB X in Verbindung mit dem
Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg (VwVGBbg) in Betracht,
wäre das Hauptzollamt Potsdam nicht zuständige Vollstreckungsbehörde.
Abschließend brauchte die Frage, ob die Hauptzollämter als Vollstreckungsbehörden der
Bundesfinanzverwaltung zumindest für die Vollstreckung der Rückforderung von
Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Sozialgeld (mit Blick auf die
Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit insoweit) zuständig sind, nicht entschieden zu
werden. Für die Übernahme der Kosten aus Veranlassungsgesichtspunkten sprechen
auch die übrigen Umstände. Allerdings war für den Kläger ohne weiteres, nämlich aus
der geforderten Summe und am genannten Fälligkeitszeitpunkt erkennbar, dass eine
Vollstreckung aus dem Bescheid vom 29. Dezember 2005 erfolgen sollte und es sich bei
dem angegebenen Datum (28. Dezember 2005) ersichtlich um einen
Übertragungsfehler gehandelt hat. Die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 29.
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Übertragungsfehler gehandelt hat. Die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 29.
Dezember 2005 hätte am 30. März 2006 aber nicht mehr angekündigt werden dürfen,
denn den Bescheid vom 29. Dezember 2006 hatte die Beklagte am 1. Februar 2006
aufgehoben. Die Annahme des SG, der Bescheid vom 29. Dezember 2005 sei durch den
Bescheid vom 1. Februar 2006 (der in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März
2006 Gegenstand des seit dem 3. April 2006 mittlerweile beim SG Berlin anhängigen
Klageverfahrens S 55 AS 4609/06 ist) ersetzt worden, die Vollstreckung sei aus diesem
Bescheid erfolgt und später – im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung der Klage – für
den Kläger erkennbar ausgesetzt worden, geht fehl. Dem Widerspruch gegen den
Bescheid vom 29. Dezember 2005 ist ausdrücklich mit Schreiben vom 1. Februar 2006
abgeholfen worden und getrennt davon ein neuer Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
ergangen. Abhilfebescheide ersetzen vorausgehende Bescheide nicht, sondern
erledigen das Widerspruchsverfahren. Dies hat die Beklagte dem Kläger (unter
Übernahme der Kosten dieses Widerspruchsverfahrens) auch ausdrücklich mitgeteilt und
daran muss sie sich auch hinsichtlich der Vollstreckung festhalten lassen. Nichts
anderes ergibt sich aus dem in der Vollstreckungsankündigung in Bezug genommenen
Fälligkeitsdatum (14. Januar 2006), denn dieses liegt vor Erlass des Bescheides vom 1.
Februar 2006. Der Kläger konnte die Vollstreckungsmaßnahmen – richtigerweise – nur
dahin interpretieren, dass trotz Aufhebung des Bescheides vom 29. Dezember 2005 aus
diesem vollstreckt würde. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, dass die Forderung
aus dem Bescheid vom 1. Februar 2006 am 10. Mai 2006 ruhend gestellt worden ist
(ohne dass dies dem Gericht oder dem Kläger mitgeteilt worden wäre), denn ausweislich
der internen Kassenanordnungen ist im Hinblick auf diese Forderung die Betreibung
durch das Hauptzollamt ohnehin zu keinem Zeitpunkt veranlasst worden. Aus der
beigezogenen Verwaltungsakte und der Gerichtsakte S 55 AS 4609/06 ist nicht
ersichtlich, dass die Beklagte das Hauptzollamt vor Erhebung der vorliegenden Klage (für
den Kläger erkennbar) über die Aufhebung des ersten Bescheides und die Einstellung
der Vollstreckung aus diesem Bescheid informiert hat. Da sie dies versäumt hat und
auch nicht auf entsprechende Nachfragen des Klägers vom 17. Mai 2006 und vom 1. Juni
2006 – und sei es nur diesem gegenüber klarstellend – tätig geworden ist, erscheint es
gerechtfertigt, dass sie die Kosten trägt, die durch die berechtigte Unsicherheit beim
Kläger wegen der angekündigten Vollstreckung entstanden sind.
Gegen eine Kostentragung durch die Beklagte spricht damit allein, dass Bedenken
gegen die Zulässigkeit der ausdrücklich als Vollstreckungsabwehrklage nach § 767
Zivilprozessordnung (ZPO) bezeichneten Klage bestehen, die dann ausgeschlossen
erscheint, wenn sich – wie in den Fällen nach § 66 Abs. 1 SGB X -
Verwaltungszwangsverfahren und der Vollstreckungsschutz nach den Vorschriften der
Abgabenordnung (mit der Folge der Zuständigkeit der Finanzgerichte) richten (vgl. dazu
Landessozialgericht Berlin, Beschluss vom 17. März 2003 - L 14 B 81/02 AL – zitiert nach
juris). Diese Bedenken, die in der Rechtsprechung ohnehin nicht uneingeschränkt geteilt
werden, treten im vorliegenden Fall gegenüber den aufgezeigten
Veranlassungsgesichtspunkten jedoch zurück.
Die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das
erstinstanzliche Verfahren kann keinen Erfolg haben. Das Verfahren hat sich erledigt. Im
Hinblick auf den in diesem Beschluss ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch für
das Verfahren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr an der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).
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